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28.3.2024
1
 min Lesezeit

BGH: Vertragstrafeklausel im EP-Vertrag

Die vom Auftraggeber in einem Einheitspreisvertrag verwendeten Vertragsstrafenklausel "Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung ... der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen: 0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer; Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt." ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 42/22

1. Problemstellung

Der VII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob eine vom Auftraggeber in einem Einheitspreisvertrag gestellte Vertragsstrafenklausel der Inhaltskontrolle standhält, die auf 5 % der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme begrenzt ist.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Restwerklohn. Sie gab im Rahmen einer auf Einheitspreisen basierenden Ausschreibung der Beklagten am 23. März 2016 ein Angebot ab, das auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/B, Ausgabe 2012, und auf die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) der Beklagten Bezug nahm. Die Vertragsbedingungen sahen einen Auftragsbeginn zum 18. Juli 2016 und eine abnahmereife Fertigstellung zum 30. November 2017 vor. Die BVB-VOB enthielten in Ziffer 2 folgende Vertragsklausel zur Vertragsstrafe: "2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B) - 2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen: 0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer; (…) - 2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt. - 2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet."

In einem Bietergespräch, in dem über die Vertragsstrafe nicht verhandelt wurde, wurde die Klägerin aufgefordert, ein überarbeitetes Angebot einzureichen. Unter Bezugnahme auf dieses Bietergespräch gab die Klägerin mit Schreiben vom 20. April 2016 ein "aktualisiertes Angebot" mit einem Kurz-Leistungsverzeichnis ab, das keine Bezugnahme auf die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Anlagen, darunter auch die BVB-VOB, enthielt. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Erschließung von 1.583 Hausanschlüssen mit Glasfaserkabeln gemäß ihrem Angebot vom 20. April 2016 für die Angebotssumme in Höhe von 5.680.275,54 € netto zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer. Die Werkleistungen der Klägerin waren am 8. August 2018 fertig gestellt und wurden von der Beklagten am 26. September 2018 abgenommen. Den in der Schlussrechnung für die beauftragten Leistungen sowie für Nachträge abgerechneten Betrag von insgesamt 5.126.412,10 € netto (6.100.430,40 € brutto), zahlte die Beklagte mit Ausnahme eines Betrags von 284.013,78 €, den sie gegenüber der Klägerin als Vertragsstrafe geltend macht.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 284.013,78 € sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, stattgegeben. Die Parteien hätten eine Vertragsstrafe nicht vereinbart, weil der Vertrag nach dem Auftragsschreiben der Beklagten vom 1. Juni 2016 auf der Grundlage des Angebots vom 20. April 2016 geschlossen worden sei, das eine Bezugnahme auf Ziffer 2 der BVB-VOB der Beklagten nicht enthalte; das frühere Angebot vom 23. März 2016 sei hierdurch erloschen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht sei unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten zu der Annahme gelangt, dass die Vertragsstrafe nicht vereinbart worden sei. Soweit es angenommen habe, das Angebot der Klägerin vom 23. März 2016 sei durch das Angebot vom 20. April 2016 gemäß §§ 146, 150 BGB erloschen, habe das Landgericht aber Vortrag der Beklagten übergangen, wonach die Klägerin nach Ziffer 4 des ersten Angebots bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist (= Bindefrist) an dieses gebunden gewesen sei. Aus den erstinstanzlichen Feststellungen ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte das Angebot vom 23. März 2016 abgelehnt habe. Entgegen der Annahme des Landgerichts sei die Vertragsklausel über die Vereinbarung der Vertragsstrafe nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Höhe der Vertragsstrafe von maximal 5 % könne auf die Angebotssumme bezogen werden, weil diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei einem Einheitspreisvertrag sicher feststehe. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliege, weil offen sei, was zur späteren Abrechnungssumme gehöre.  

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Landgerichts. Der als solcher unstreitigen Restwerklohnforderung der Klägerin kann die Beklagte von vorneherein keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Überschreitung der Frist für die Vollendung gemäß Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB entgegenhalten, insbesondere mit einem solchen Anspruch nicht die Aufrechnung erklären. Denn diese Vertragsklausel hält bei Verwendung durch den Auftraggeber einer Inhaltskontrolle nicht stand. Sie ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Es kann daher dahinstehen, ob die Vertragsstrafenregelung überhaupt in den Vertrag der Parteien einbezogen wurde und worauf die Verzögerung der Vollendung beruhte. Die Vertragsstrafenklausel in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB. Verwenderin im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte, deren Ausschreibung die BVB-VOB enthielt. Nach Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung, wie eine Auslegung dieser Bestimmungen ergibt, auf insgesamt 5 % der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Eine solche Regelung über die Bezugsgröße der Vertragsstrafe beeinträchtigt bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, den Auftragnehmer als Vertragspartner des Verwenders nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive Auslegung ist in erster Linie ihr Wortlaut. Nach diesen Grundsätzen ist zunächst davon auszugehen, dass die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung darstellt, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt ist. Als solche kann sie einer eigenen Inhaltskontrolle unterzogen werden. Die Auslegung des Begriffs der "im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)" in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB führt nach dem eindeutigen Wortlaut dazu, dass sich die Höhe der Vertragsstrafe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richtet. Zwar ist der Begriff der "Auftragssumme" als solcher grundsätzlich unterschiedlichen Deutungen zugänglich. Hierunter kann - nach den jeweiligen Gegebenheiten - einerseits die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein, andererseits aber auch derjenige Wert, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst. Vorliegend ist allerdings durch die ausdrückliche Anknüpfung an die "im Auftragsschreiben genannte[n]" Netto-Auftragssumme zweifelsfrei klargestellt, dass als Bezugsgröße der Wert gemeint ist, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Vergütung der Klägerin bemisst. Im Zeitpunkt der schriftlichen Auftragserteilung steht bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mengen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet werden, nur diese Vergütung fest.

Ausgehend von diesem Klauselverständnis ist die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Eine in AGB des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen, wenn sie eine Höchstgrenze von mehr als 5 % der Auftragssumme bei Überschreiten des Fertigstellungstermins vorsieht (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01, Rn. 58 ff.). Diese Rechtsprechung knüpft maßgeblich an die mit der Strafe verfolgte Druckfunktion an, den Auftragnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Leistungen anzuhalten. Zugleich soll sie den Auftraggeber in den Stand setzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten jedenfalls bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten. Allerdings müssen auch die Interessen des Auftragnehmers berücksichtigt werden, insbesondere, dass die für die Überschreitung eines Termins vereinbarte Vertragsstrafe unter Berücksichtigung ihrer Druck- und Kompensationsfunktion in einem angemessenen Verhältnis zum Werklohn steht, den der Auftragnehmer durch seine Leistung verdient. Die Druckfunktion erlaubt dabei zwar durchaus eine spürbare Vertragsstrafe, es ist aber darauf zu achten, dass sich die Vertragsstrafe in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen hält. Gemessen daran ist eine Vertragsstrafe von über 5 % der Auftragssumme zu hoch. Der Auftragnehmer wird typischerweise durch den Verlust von mehr als 5 % seines Vergütungsanspruchs unangemessen belastet Diesen Wirksamkeitsanforderungen wird die in Rede stehende Klausel bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, nicht gerecht. Maßgebliche Bezugsgröße für die vorgenannte Grenze von 5 % des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers ist die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe. Das folgt aus der Orientierung des Grenzwerts an dem tatsächlichen "Verdienst" des Auftragnehmers, der typischerweise durch den Verlust von über 5 % der Vergütungssumme in vielen Fällen nicht nur seinen Gewinn verliert, sondern einen spürbaren Verlust erleidet. Dem entspricht es, dass für einen möglichen Schaden des Auftraggebers, den die Vertragsstrafe widerzuspiegeln hat, gleichfalls nicht die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte, sondern die an den Auftragnehmer tatsächlich zu zahlende Vergütung bestimmend ist. Bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, kann bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-)Auftragssumme im Falle einer - aus unterschiedlichen Gründen (etwa durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Mengen) nicht bloß theoretisch denkbaren - nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von 5 % seines Vergütungsanspruchs - unter Umständen erheblich - übersteigt. Die damit verbundene, den Auftragnehmer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligende und damit zur Unwirksamkeit der Klausel führende Privilegierung des Auftraggebers wird innerhalb der Regelung nicht anderweit, etwa durch einen dem gegenüberstehenden Vorteil für den Auftragnehmer, ausgeglichen. Die Klausel enthält insbesondere auch keine Vorkehrungen (beispielsweise durch einen Vorbehalt oder in anderer geeigneter Weise), durch die der Gefahr einer Überschreitung der für die Vertragsstrafe maßgeblichen Grenze angemessen Rechnung getragen wird. Die Erwägung des Berufungsgerichts, es bestehe ein praktisches Bedürfnis für die Anknüpfung an die im Vertrag vereinbarte Auftragssumme, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Dass im Zeitpunkt des Auftragsschreibens die endgültige Abrechnungssumme noch nicht feststeht, begründet entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht die Gefahr, dass eine Regelung unklar wäre, die auf die endgültige Vergütung abstellte, weil sie Auslegungsspielräume dafür eröffne, was zur späteren Abrechnungssumme gehöre. Den Parteien ist bei Vereinbarung eines Prozentsatzes im Gegensatz zu einem festen Betrag klar, dass die Höhe der Vertragsstrafe kein feststehender Betrag ist. Besteht Streit darüber, welche Vergütung der Auftragnehmer zu Recht beanspruchen kann, muss dies gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden.

3. Kontext der Entscheidung

Die Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hat anhand einer generalisierenden Betrachtungsweise zu erfolgen. Sie setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Vertragspartner voraus. Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle ist zu überprüfen, ob die Obergrenze der Vertragsstrafe generell und typischerweise für die Art von Verträgen, für die sie vorformuliert wurde, angemessen ist (Marie Herberger in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 339 BGB (Stand: 19.03.2024), Rn. 108 mwN.). Dabei kommt es darauf an, ob allgemein bei Verträgen der von den Parteien geschlossenen Art Nachteile zu erwarten sind, welche die Ausgestaltung der Vertragsstrafe angemessen erscheinen lassen. Fälle einer besonders ungünstigen Schadensentwicklung müssen unberücksichtigt bleiben (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01 –, Rn. 59). Auf dieser Grundlage hat der VII. Zivilsenat entschieden, dass eine Obergrenze einer Vertragsstrafe für die Überschreitung eines Fertigstellungstermins von über 5 % der Auftragssumme zu hoch ist (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01 -, Rn. 56; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 133/11 –, Rn. 19). Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt (so bereits: BGH, Urteil vom 12. März 1981 – VII ZR 293/79 –, Rn. 17).

4. Auswirkungen für die Praxis

Der Senat hat in der Vergangenheit eine Klausel, nach der der Auftragnehmer bei Überschreitung der Ausführungsfrist eine Vertragsstrafe von 0,3 % der Auftragssumme pro Werktag des Verzuges zu zahlen hat, für unwirksam erklärt, weil der Begriff der Auftragssumme im Kontext der Klausel mehrere Deutungen zulässt und daher zu unbestimmt ist. Unter "Auftragssumme" kann zunächst die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein. Die "Auftragssumme" kann jedoch auch als ein Wert verstanden werden, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst. Bestehen zwei verschiedene gleichwertige Möglichkeiten, den Begriff "Auftragssumme" auszulegen, führt diese Unklarheit dazu, dass die Rechte und Pflichten der Beklagten in der Klausel nicht so klar und präzise wie nötig umschrieben sind (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – VII ZR 28/07 –, Rn. 13 - 14). Heute würde man auf das in § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB seit der Schuldrechtsmodernisierung normierte Transparenzgebot zurückgreifen. Dieses verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dazu gehört nicht nur, dass die einzelne Regelung für sich genommen klar formuliert ist; sie muss auch im Kontext mit dem übrigen Klauselwerk verständlich sein. Die Klausel muss die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für einen durchschnittlichen Vertragspartner so weit erkennen lassen, wie dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach den Umständen gefordert werden kann. Der Vertragspartner des Verwenders muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was ggf. „auf ihn zukommt“. Eine Vertragsgestaltung, die objektiv dazu geeignet ist, den Vertragspartner bezüglich seiner Rechtsstellung in die Irre zu führen, verstößt gegen das Transparenzgebot (BGH, Urteil vom 23. Januar 2024 – VI ZR 357/22 –, Rn. 9, mwN.).

28.3.2024
1
 min Lesezeit

BGH: Voraussetzungen einer Terminsverlegung

1. Eine Terminsverlegung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt, nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen.  

2. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben.

BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 47/23

1. Problemstellung

Mit den Anforderungen an den Parteivortrag bezüglich einer unverschuldeten Säumnis bei Erlass eines zweiten Versäumnisurteils hatte sich der VIII. Zivilsenat zu befassen.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klage ist vom LG Aachen durch Versäumnisurteil abgewiesen worden. Auf den Einspruch des Klägers hat das Landgericht Termin auf den 9. Dezember 2022, 13.00 Uhr bestimmt. In diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers bis um 13.20 Uhr nicht erschienen, sondern hat über seine Kanzlei mitteilen lassen, er befinde sich derzeit noch "im Gerichtsgebäude in Essen" und werde nicht vor 14.30 Uhr zu dem Einspruchstermin erscheinen. Daraufhin hat das LG den Einspruch des Klägers durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Einer der Rechtsanwälte der aus drei Mitgliedern bestehenden Sozietät habe an dem Sitzungstag einen unaufschiebbaren Termin gegen 12.00 Uhr vor dem Amtsgericht Marl wahrgenommen. Aufgrund der unerwarteten Erkrankung eines weiteren Mitglieds der Sozietät habe der dritte Sozietätskollege vertretungsweise zwei auf 11.00 Uhr und 11.15 Uhr anberaumte Termine in Essen vor dem dortigen LG und dem AG wahrnehmen müssen. Nachdem der erste vorgenannte Termin, in dem lediglich Anträge hätten gestellt werden sollen, aus unvorhergesehenen Gründen bis 11.30 Uhr gedauert habe, habe der vorgenannte, in Essen befindliche Rechtsanwalt sein Büro gebeten, das LG Aachen über seine voraussichtliche Verspätung zu informieren und gegebenenfalls um eine Verlegung des dortigen Termins zu ersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass der zweite Termin in Essen aufgrund des einfachen Sachverhalts und der Kürze der dort in Augenschein zu nehmenden Videoaufzeichnung nicht länger als 20 Minuten dauern und er bei einer Fahrtzeit von Essen nach Aachen von circa eineinviertel Stunden allenfalls mit einer Verspätung von 15 Minuten nach Terminsaufruf vor dem LG Aachen erscheinen werde. Vollkommen überraschend und unvorhersehbar sei die zweite Sitzung in Essen jedoch erst um circa 13.00 Uhr beendet worden. Auf Nachfrage, ob der Termin vor dem Landgericht antragsgemäß verschoben worden sei, habe er von seinem Büro die Mitteilung erhalten, dass eine diesbezügliche Rückmeldung noch nicht vorliege. Er habe sein Personal daher gebeten, dort noch einmal nachzufragen. Vorsorglich sei er dennoch zum Landgericht gefahren. Dort sei er um 14.30 Uhr angekommen, habe im Sitzungssaal aber niemanden mehr angetroffen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung - nach einem entsprechenden Hinweis - durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zu einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin nicht schlüssig vorgetragen, so dass die Berufung unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht ausreichend dargelegt, aus seiner Sicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Termin vor dem Landgericht wahrnehmen zu können. Schon bei Beginn der zweiten Verhandlung um 11.30 Uhr in Essen habe der Sitzungsvertreter nicht mehr von seiner rechtzeitigen Ankunft in Aachen ausgehen können. Wie seine eigenen Anweisungen am Sitzungstag belegten, habe er nach einem Sitzungsende um 13.00 Uhr erst mit einer Ankunft nach 14.30 Uhr gerechnet. Selbst wenn jedoch bei dem Prozessbevollmächtigten zunächst die Vorstellung bestanden haben sollte, von Essen aus so rechtzeitig aufbrechen zu können, dass eine Wahrnehmung des Termins in Aachen noch zu gewährleisten gewesen wäre, hätte er doch im Laufe der Sitzung in Essen erkennen müssen, dass dies nicht mehr möglich sein werde. Es hätte daher an ihm als bloßem Vertreter des erkrankten Kollegen gelegen, auf eine Vertagung der Verhandlung in Essen zu drängen. Dies gelte umso mehr, als ihm bewusst gewesen sein müsse, dass in Aachen über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil verhandelt werden würde und die konkrete Gefahr bestanden habe, dass seine Säumnis zum Erlass eines zweiten Versäumnisurteils - wie geschehen - führe.  

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger nicht schlüssig dargetan, dass sein Prozessbevollmächtigter den Einspruchstermin am 9. Dezember 2022 ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt hat. Eine Partei ist iSd. §§ 330 ff. ZPO säumig, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bestimmung eines notwendigen Termins zur mündlichen Verhandlung nach Aufruf der Sache am hierzu bestimmten Ort nicht erscheint, bei notwendiger Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten ist oder nicht zur Sache verhandelt. Nicht schuldhaft ist die Säumnis, wenn die Partei beziehungsweise ihr Prozessvertreter, dessen Verschulden sich die Partei zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins gehindert war und der Termin deshalb hätte verlegt (§ 227 ZPO) oder vertagt (§ 337 Satz 1 ZPO) werden müssen.      

Gemessen hieran war der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ohne Verschulden gehindert war, an der Sitzung vor dem Landgericht in Aachen am 9. Dezember 2022 teilzunehmen. Der Prozessbevollmächtigte war ordnungsgemäß zu diesem Termin geladen worden war und ist dort bis zum Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht erschienen. Die Säumnis war auch nicht aufgrund der Wahrnehmung von Gerichtsterminen in Essen für den erkrankten Sozietätskollegen unverschuldet. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung weder schlüssig dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter "überraschend und unvorhersehbar" aufgrund der Dauer des erst um 11.30 Uhr beginnenden Termins vor dem AG Essen bis um 13.00 Uhr an der Wahrnehmung des Einspruchstermins in Aachen gehindert gewesen sei, noch, dass wegen einer (absehbaren) Kollision des zweiten in Essen anberaumten Verhandlungstermins mit dem Einspruchstermin der zuletzt genannte Termin hätte verlegt werden müssen. Eine Terminsverlegung oder -vertagung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt oder vertagt wird (§ 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO), nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen oder zu vertagen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben. Ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung oder -vertagung und damit eine unverschuldete Säumnis können vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist und das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen.    

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon zu Beginn der zweiten Verhandlung in Essen um 11.30 Uhr bei Wahrnehmung dieses Termins nicht mehr von einer rechtzeitigen Ankunft beim LG Aachen ausgehen durfte. Denn der Prozessbevollmächtigte konnte weder von einem pünktlichen Beginn der Sitzung vor dem AG Essen um 11.15 Uhr noch von einer maximal 20minütigen Dauer der dortigen Verhandlung sicher ausgehen. Allein das Vorbringen in der Berufungsbegründung, wonach in der vorhergehenden Verhandlung vor dem LG Essen lediglich Anträge hätten gestellt und in der nachfolgenden Verhandlung vor dem Amtsgericht in Essen bei einem dem Verfahren zugrundeliegenden "einfachen" Sachverhalt nur eine Videoaufzeichnung mit einer Dauer von weniger als zwei Minuten in Augenschein habe genommen werden sollen, rechtfertigte nicht die Annahme, dass die Sitzung vor dem AG Essen zu dem in der Ladung angegebenen Zeitpunkt um 11.15 Uhr beginnen und dann binnen 20 Minuten beendet werden würde. Denn der zeitliche Verlauf einer Sitzung lässt sich - wie der tatsächliche Beginn der Sitzung um 11.30 Uhr und deren Dauer von anderthalb Stunden zeigen - erfahrungsgemäß grundsätzlich nicht zuverlässig voraussagen. Ein Prozessbevollmächtigter muss daher bei seiner Zeitplanung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Ihm ist zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei den Gerichten grundsätzlich zuzumuten, sich während einer - nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmenden - angemessenen Zeit über den in der Ladung vorgesehenen Verhandlungsbeginn hinaus bei Gericht bereitzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers musste deshalb nicht nur einen späteren Beginn der zweiten Sitzung in Essen - von hier lediglich einer Viertelstunde -, sondern auch eine längere Verhandlungsdauer vorsorglich einplanen. Für ihn war deshalb spätestens um 11.30 Uhr absehbar, dass er schon bei einer (einzukalkulierenden) geringfügigen Überschreitung der von ihm angesetzten Verhandlungsdauer selbst unter Berücksichtigung einer möglichen Wartezeit von etwa 15 Minuten nach Aufruf der Sache vor dem LG Aachen, innerhalb derer der gegnerische Prozessbevollmächtigte kein Versäumnisurteil erwirken würde, nicht mehr rechtzeitig in dem Einspruchstermin würde erscheinen können. Allein mit dem späteren Beginn und der tatsächlichen Dauer der Verhandlung vor dem AG Essen konnte der Prozessbevollmächtigte deshalb sein Fernbleiben in dem Einspruchstermin nicht entschuldigen, zumal er auch während der Verhandlung in Essen gegebenenfalls Maßnahmen zur Verhinderung seiner Säumnis hätte ergreifen können und müssen.    

Das Landgericht war auch nicht gehalten, den Einspruchstermin wegen der (absehbaren) Kollision mit dem Verhandlungstermin in Essen auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu verlegen. Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer Partei aufgrund eines bereits zuvor anberaumten kollidierenden Verhandlungstermins kann einen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung darstellen. Eine Kollision setzt voraus, dass die Wahrnehmung beider Termine zeitlich nicht möglich ist. In die Entscheidung über die Terminsverlegung sind alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls einzubeziehen, beispielsweise die Art des kollidierenden Gerichtstermins und des Zeitpunkts seiner Bestimmung, die Besonderheiten der Mandatsbeziehung, die Möglichkeit, den kollidierenden Termin zu verlegen oder einen der Termine durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen. Ausnahmsweise kann auch ein später anberaumter Termin Vorrang vor einem früher bestimmten Termin genießen, etwa wenn ein Verhandlungstermin bereits verlegt worden ist, prozessuale Gründe die Durchführung dieses Termins gebieten, es sich um einen Termin zur Durchführung einer aufwendigen Beweisaufnahme oder ein besonders eilbedürftiges Verfahren handelt. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger bereits einen erheblichen Grund iSv. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verlegung des Einspruchstermins in Aachen nicht schlüssig dargelegt. Der Berufungsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass der zunächst auf 11.15 Uhr bestimmte Gerichtstermin in Essen vor dem Einspruchstermin anberaumt worden ist oder besondere Gründe eine Verlegung des Termins in Aachen erforderlich gemacht hätten. Vielmehr hat der Kläger selbst vorgetragen, dem in Essen verhandelten Rechtsstreit habe ein einfach gelagerter Sachverhalt zugrunde gelegen und es habe lediglich eine kurze Videoaufnahme in Augenschein genommen werden sollen. Zudem war der Prozessbevollmächtigte nicht Sachbearbeiter dieses Verfahren, sondern hat die Sitzung lediglich als Vertreter für seinen erkrankten Sozietätskollegen wahrgenommen. Das Berufungsgericht hat deshalb jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Verlegung des Einspruchstermins aufgrund des von dem Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Sachverhalts nicht in Betracht kam.  

Es kommt vor diesem Hintergrund auch nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - schon um 11.30 Uhr seine Mitarbeiter gebeten hat, das Landgericht in Aachen über seine voraussichtliche Verspätung aufgrund des Gerichtstermins in Essen zu informieren und um eine Terminsverlegung zu ersuchen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zu Recht als unerheblich angesehen. Es hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen durfte, seinem (behaupteten) Verlegungsantrag werde entsprochen. Denn (allein) der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins - ohne Darlegung eines erheblichen Grunds - entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind.

3. Kontext der Entscheidung

Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlichen garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 13 - 14, mwN.). Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat. Eine darüber hinausgehende Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts besteht nicht. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann folglich nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19 –, Rn. 11 – 12). Gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts findet die Revision nach § 565 Satz 1 iVm. § 514 Abs. 2 ZPO ohne Zulassung und ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstands statt (BGH, Urteil vom 08. Oktober 2015 – III ZR (Ü) 1/15 –, Rn. 7). Das folgt aus § 565 ZPO. Diese Norm erklärt hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Versäumnisurteilen die Vorschriften des Berufungsverfahrens für entsprechend anwendbar. Im Hinblick auf § 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedeutet dies, dass wie die Berufung (§ 511 Abs. 2 ZPO), auch die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes oder eine Zulassung zulässig ist (BGH, Beschluss vom 03. März 2008 – II ZR 251/06 –, Rn. 3).

4. Auswirkungen für die Praxis

Terminsverlegungsanträgen muss im Regelfall stattgegeben werden, wenn ein erheblicher Grund glaubhaft gemacht wird. Werden Kollisionen mit schon anberaumten anderen gerichtlichen Terminen vorgebracht, sind diese durch Vorlage der Ladung zu dem anderen Termin glaubhaft zu machen. Weiterhin ist, sofern der Terminsverlegung beantragende Rechtsanwalt nicht als Einzelanwalt tätig ist, zu begründen, warum die Wahrnehmung des Termins, dessen Verlegung beantragt wird, nicht durch einen anderen Rechtsanwalt aus der Kanzlei des Antragstellers möglich ist. Bei Terminen, die in den Zeitraum vom 1. Juli – 31. August fallen, braucht, sofern nicht einer der Ausnahmefälle des § 227 Abs. 3 Satz 2 ZPO betroffen ist, ein Terminsverlegungsantrag nicht begründet zu werden, wenn er innerhalb einer Frist von einer Woche nach Zugang der Ladung gestellt wird (§ 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die persönliche Verhinderung des Prozessbevollmächtigten wegen anderweitiger Verpflichtungen, insbesondere wegen beruflich wahrzunehmender Termine, ist regelmäßig ein erheblicher Grund iSd. § 227 Abs. 1 ZPO, weil die vertretene Partei erwarten darf, im Termin von demjenigen Anwalt vertreten zu werden, der die Sachbearbeitung des Mandats übernommen hat und ihr Vertrauen genießt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 22). Die Erkrankung der anwaltlich vertretenen Partei selbst - bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans - zwingt nicht zu einer Terminsverlegung, wenn nicht gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen (BGH, Urteil vom 14. September 2023 – IX ZR 219/22).

14.3.2024
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BGH: Anwaltliche Sorgfaltspflichten beim beA-Versand

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) verlangen, dass der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anweist, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren ist. Die Kontrollpflichten erstrecken sich zudem unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie ob die richtige Datei übermittelt wurde.

BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22

1. Problemstellung

Der VIII. Zivilsenat hatte den Umfang der anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätze mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu klären.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Ihr Antrag auf Verlängerung der am 1. September 2022 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist ist erst am Folgetag bei dem Berufungsgericht eingegangen. Den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht ebenso wie den Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung zurückgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei unbegründet, da die Klägerin nicht ohne das ihr zuzurechnende Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) an der Wahrung dieser Frist gehindert gewesen sei. Zwar seien die Angestellten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin angewiesen, zweimal am Tag zu prüfen, ob die gefertigten Schriftsätze von den Rechtsanwälten mit einer digitalen Signatur versehen worden seien, die Schriftsätze danach unverzüglich über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zu versenden und sich von der erfolgreichen Zustellung zu überzeugen. Hinsichtlich des Schriftsatzes, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt worden sei, habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ferner an eine Kanzleiangestellte eine Einzelanweisung zum Versand erteilt. Jedoch stelle sich die seitens der Klägerin dargelegte Organisation zum Versand fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten verschuldet als nicht ausreichend dar, was zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt habe. Es wäre ein Fristenkalender zu führen gewesen, in dem eine zu wahrende Frist eingetragen und erst dann gestrichen werde, wenn die erforderliche Handlung auch tatsächlich ausgeführt worden sei. Anhand einer abendlichen Kontrolle des Fristenkalenders wäre zu überprüfen gewesen, ob die an dem Tag ablaufenden Fristen als erledigt anzusehen seien. Es sei nicht erkennbar, dass diese Sorgfaltspflichten eingehalten worden seien. Es sei nicht ersichtlich, ob in der Kanzlei ein Fristenkalender existiere und wer aufgrund welcher Anweisungen in diesem Eintragungen und Streichungen vornehme beziehungsweise auf wen die Verantwortung für die abschließende Kontrolle des Fristenkalenders delegiert worden sei. Der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung sei zurückzuweisen, da dieser erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei; eine abgelaufene Frist könne nicht verlängert werden.    

Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 1 ZPO). Soweit sich die Klägerin gegen die Zurückweisung des Antrags auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung wendet, ist die Rechtsbeschwerde bereits nicht statthaft. Denn gemäß § 225 Abs. 3 ZPO findet eine Anfechtung der Entscheidung, durch die das Gesuch um Verlängerung einer Frist zurückgewiesen wird, nicht statt. Soweit die Rechtsbeschwerde die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung betrifft, ist das Rechtsmittel unzulässig. Denn die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Insbesondere verletzt die angegriffene Entscheidung nicht die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Gemessen hieran verletzt die Versagung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist die Klägerin in ihren vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht, da die Fristversäumung auf einem der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Organisationsmangel (§ 233 Satz 1 ZPO) bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten beruht. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Prozessbevollmächtigte müssen in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen.    

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Daher hat der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren ist. Die Kontrollpflichten erstrecken sich zudem unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie ob die richtige Datei übermittelt wurde. Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdende Ausgangskontrolle besteht, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Der darin liegende Organisationsmangel ist für die Fristversäumung auch ursächlich geworden. Die Klägerin hat in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch nichts zur Führung eines Fristenkalenders vorgebracht, anhand dessen eine den vorgenannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle durchgeführt wird. Sie hat lediglich ausgeführt, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe die Arbeitsanweisung, dass die Mitarbeiterinnen sich davon zu überzeugen hätten, dass ein - per beA - versandtes Schriftstück erfolgreich zugestellt worden sei. Ungeachtet bereits fehlender Angaben zur Führung eines Fristenkalenders ergibt sich weder aus den vorgenannten Ausführungen noch aus dem Vorbingen der Klägerin in der Rechtsbeschwerde, in welcher erstmals (allgemein) von einer Eingangsbestätigung die Rede ist, nach deren Eingang die Frist erst zu streichen sei, wie die Überprüfung der erfolgreichen Zustellung genau erfolgt. Insbesondere ist nichts dazu vorgetragen, ob diese den Erhalt sowie den Inhalt der elektronischen Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO umfasst. Überdies lässt sich den Ausführungen der Klägerin nicht entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine Anweisung besteht, wonach erst nach einer solchen Überprüfung der Eingangsbestätigung eine Frist im Fristenkalender als erledigt vermerkt beziehungsweise gestrichen werden darf.    

Aufgrund dieses Organisationsverschuldens kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege allein ein Verschulden der zuständigen Mitarbeiterin vor, die es (lediglich) versäumt habe, "auf den Knopf" zum Versenden der beA-Nachricht mit dem Fristverlängerungsantrag "zu drücken". Zwar ist der bloße Versand der (qualifiziert signierten, § 130a Abs. 3 ZPO) beA-Nachricht durch eine Kanzleiangestellte nicht vom Rechtsanwalt zu kontrollieren und stellt ein diesbezüglicher Fehler der Angestellten ein schlichtes, der Partei nicht zuzurechnendes und bei fehlendem eigenen Verschulden des Rechtsanwalts - etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens - ein der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegenstehendes Büroversehen dar. Jedoch sind in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht "sämtliche Maßnahmen zur Fristerledigung" getroffen, sondern fehlt es - wie ausgeführt - an einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle. Dieses Versäumnis ist nicht nach den Grundsätzen zum Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Vorliegen einer konkreten Einzelanweisung deshalb unerheblich, weil die Kanzleiangestellte "noch einmal gesondert" angewiesen wurde, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am Tag deren Ablaufs dem Gericht per beA zu übermitteln. Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht an, wenn ein Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. In einem solchen Fall darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, diese konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Wird die Anweisung jedoch - wie hier - nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät. Dafür genügt im Regelfall die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich. Der Rechtsanwalt muss aber, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnet, durch allgemeine Weisung oder besonderen Auftrag Vorkehrungen gegen das Vergessen treffen. Hieran fehlt es vorliegend. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte weder einen besonderen Auftrag zur sofortigen Erledigung erteilt noch besteht - wie ausgeführt - in der Kanzlei eine ausreichende allgemeine Weisung bezüglich der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze. Daher hätte sich die Einzelanweisung in gleicher Weise wie allgemeine Organisationsanweisungen auf die gebotene Ausgangskontrolle, insbesondere auf die Kontrolle des Erhalts sowie des Inhalts der automatisierten Eingangsbestätigung (§ 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) erstrecken müssen. Dies war nach dem Vorbringen der Klägerin in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch jedoch nicht der Fall. Hiernach sei die Kanzleiangestellte lediglich "noch einmal gesondert" darauf hingewiesen worden, den Fristverlängerungsantrag weiterzuleiten. Konkrete Anweisungen, die an die Stelle einer allgemeinen Ausgangskontrolle hätten treten können, fehlen somit.

Die Pflichtverletzung in Form einer ungenügenden Ausgangskontrolle war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Organisation bestanden, die die ordnungsgemäße Prüfung des Eingangs sowie des Inhalts der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO gewährleistet hätte, wäre nach gewöhnlichem Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der Beteiligten die nicht erfolgte Übermittlung des Fristverlängerungsantrags bekannt geworden und hätte - noch am Tag des Ablaufs der Frist zur Begründung der Berufung - eine Versendung unternommen werden können.

3. Kontext der Entscheidung

Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung fristgebundenen Schriftsätze erfordert stets die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 –, Rn. 22, mwN.). Die Eingangsbestätigung nach  § 130a Abs. 5 ZPO wird automatisch erstellt, wenn die Nachricht auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Mit dem Begriff „für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts“ ist der Server gemeint, den die Justiz zur Nutzung des ERV verwendet. Im Regelfall handelt es sich dabei um den zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP). Ist eine automatisierte Eingangsbestätigung vom Gericht übermittelt worden, so erscheint im Ordner „Gesendet“ in der Zeile unterhalb des Nachrichtentexts unter dem Punkt „Meldungstext“ der Eintrag „request executed“ und unter dem Punkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „erfolgreich“. Wird das rot umkreiste Lupensymbol angeklickt, erhält man die „vollständige Zustellantwort“, die ebenfalls das Zugangsdatum mit Uhrzeit enthält. Dieses Zugangsdatum ist das maßgebliche Kriterium, um den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung vom Gericht nachzuweisen. Gesendete Nachrichten sollten stets aus dem Ordner „Gesendet“ exportiert und im lokalen PC-System in der elektronischen Handakte abgespeichert oder ausgeduckt und in die Papierakte überführt werden. Beim Export wird eine *.zip-Datei angelegt, die unter anderem die Datei *_export.html enthält. In dieser sind u.a. das Zugangsdatum, der Vermerk „request executed“ und die vollständige Zustellantwort enthalten. Die Datei kann im Bedarfsfall dem Gericht zu Beweiszwecken vorgelegt werden.

4. Auswirkungen für die Praxis

Eine wirksame Fristenkontrolle erfordert zudem die Notierung von Vorfristen. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – VI ZB 53/22 –, Rn. 9, mwN.). In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein einer Prozesspartei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZB 418/22 –, MDR 2023, 1267). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der zu wahrenden Frist kommt nicht in Betracht, wenn der Rechtsanwalt bei pflichtgemäßer Notierung einer Vorfrist die Fehlerhaftigkeit der notierten Frist hätte erkennen und die Frist wahren können (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – V ZB 227/17).

13.3.2024
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BGH: WEG-Verwalterhaftung bei pflichtwidrigen Zahlungen

1. Hat eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit einem Werkunternehmer einen Vertrag zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums geschlossen, gehört es zu den Pflichten des Verwalters, Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum wie ein Bauherr zu überwachen. Bei der Bewirkung von Zahlungen ist er verpflichtet, wie ein Bauherr im Interesse der Wohnungseigentümer sorgfältig zu prüfen, ob bestimmte Leistungen erbracht und Abschlags- oder Schlusszahlungen gerechtfertigt sind.

2a. Zahlt der Verwalter im Zuge der Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen pflichtwidrig Abschläge, kann für die Ermittlung des Schadens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht allein auf die durch die Abschlagszahlungen hervorgerufene Minderung des Gemeinschaftsvermögens abgestellt werden. In den Gesamtvermögensvergleich einzubeziehen ist vielmehr auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Die Beweislast dafür, dass den gezahlten Abschlägen keine werthaltigen Leistungen gegenüberstehen, trifft die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.

2b. Eine Haftung des Verwalters wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen scheidet aus, solange eine vertragsgerechte Leistung noch im Wege der (Nach-)Erfüllung durch den Werkunternehmer herbeigeführt werden kann.

2c. Ist dagegen die (Nach-)Erfüllung ausgeschlossen und das Vertragsverhältnis zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, haftet der Verwalter für die durch die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen entstandenen Schäden neben dem Werkunternehmer. Der Verwalter ist in diesem Fall aber nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet.

BGH, Urteil vom 26. Januar 2024 – V ZR 162/22

1. Problemstellung

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte zu entscheiden, in welchem Umfang der Verwalter einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer haftet, wenn er auf Abschlagsrechnungen von Werkunternehmern, die mit Arbeiten zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums beauftragt sind, pflichtwidrig Abschläge zahlt.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte war Verwalter der Klägerin, einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE, früher: WEG). Im Juli 2019 beschlossen die Wohnungseigentümer die Erneuerung der Dacheindeckung. Nach der Vergabe der Arbeiten mit einem Gesamtvolumen von 116.497,85 € brutto stellte der beauftragte Werkunternehmer eine Abschlagsrechnung für Material in Höhe von 61.872 €; dieser Rechnung beigefügt war ein Angebot einer anderen Firma aus April 2019 über die Lieferung von Baumaterial. Im Oktober 2019 zahlte der Beklagte aus Mitteln der Klägerin einen - auf fünf Teilzahlungen aufgeteilten - Betrag von 70.000 €. Nach dem Beginn der Arbeiten zahlte er im November 2019 einen weiteren - auf sechs Teilzahlungen aufgeteilten - Betrag von 34.500 €, ohne dass insoweit Abschlagsrechnungen gestellt wurden. Die Arbeiten an dem Dach wurden bei einem Baufortschritt von etwa 85-90 % eingestellt. Ein von der Klägerin in Auftrag gegebenes Privatgutachten bezeichnet die erbrachten Arbeiten als mangelhaft und unbrauchbar; zur Beseitigung der Mängel sei der Abriss der bisherigen Arbeiten erforderlich. In einem anderen Verfahren nimmt die Klägerin den Werkunternehmer im Wege der offenen Teilklage auf Rückzahlung geleisteter Abschläge in Anspruch. Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten Zahlung von 104.500 € nebst Zinsen, hilfsweise Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen den Werkunternehmer. Mit einem zweiten Hilfsantrag begehrt sie die Feststellung, dass der Beklagte alle Schäden zu ersetzen habe, die ihr durch die Auszahlung des Betrages von 104.500 € im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben entstehen. Das Amtsgericht hat der Klage nur im ersten Hilfsantrag stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage unter Zurückweisung der gegen die Abweisung des unbedingten Zahlungsantrags und hilfsweise auf die Feststellung von Annahmeverzug gerichteten Anschlussberufung der Klägerin abgewiesen. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung von Pflichten aus dem Verwaltervertrag. Es meint, die Klägerin habe, eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt, nicht hinreichend dargelegt, dass der Vermögensabfluss von 104.500 € ihrem Schaden entspreche, denn sie lasse den Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung außer Betracht. Das Privatgutachten enthalte lediglich die nicht ausreichende pauschale Feststellung, dass die erbrachten Werkleistungen unbrauchbar seien; es verhalte sich nicht dazu, ob die von dem Beklagten gezahlten Gelder nicht auch einen Vermögenszufluss bei der Klägerin verursacht hätten. Außerdem bleibe der Klägerin der von dem Werkunternehmer vorgenommene Abriss des alten Daches als Vorteil erhalten, und es könne eventuell Material bei einer Beseitigung der behaupteten Mängel (wieder-)verwendet werden. Im Übrigen hätten sich unterstellt vorzeitige Abschlagszahlungen nicht kausal ausgewirkt. Denn ein rechtmäßiges Alternativverhalten des Beklagten, das in Zahlungen auf berechtigte Abschlagsforderungen zu sehen wäre, hätte die Klägerin nicht vor einem Schaden durch die behauptete mangelhafte Werkausführung bewahrt. Der Beklagte verfüge auch nicht über bausachverständige Fertigkeiten, so dass nur der Maßstab angelegt werden könne, welcher der üblichen Sorgfalt eines Wohnungseigentümers entspreche.

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Verwaltervertrag wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen nicht verneint werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe - eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt - den Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung außer Acht gelassen und infolgedessen nicht hinreichend dargelegt, dass der Vermögensabfluss von 104.500 € ihrem Schaden entspreche, ist unzutreffend. Das Berufungsgericht verkennt insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig. Wären die von dem beauftragten Werkunternehmer erbrachten Leistungen, wie das Berufungsgericht annimmt, unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen, müsste nicht die Klägerin, sondern der Beklagte darlegen und beweisen, ob und in welchem Umfang bei der Klägerin mit Rücksicht auf die erbrachten Leistungen des Werkunternehmers ein Vorteil verblieben sein könnte. Aber auch von seinem Standpunkt aus durfte das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin nicht als unsubstantiiert erachten. Ein Sachvortrag ist schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. In Fallgestaltungen, in denen ein erfolgversprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert, dürfen an den klagebegründenden Sachvortrag der Partei nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Die Partei darf sich in diesem Fall auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken. Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind, ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet. Daran gemessen ist der Vortrag der Klägerin, wonach pflichtwidrigen Abschlagszahlungen insgesamt unbrauchbare Werkleistungen gegenüberstehen, die (auch) den Abriss des neuen Daches erfordern, ohne jeden Zweifel schlüssig und hinreichend substantiiert. Der Umstand, dass die Klägerin zur Untermauerung ihres Vortrags ein aus Sicht des Berufungsgerichts unzureichendes Privatgutachten eingereicht hat, ändert hieran nichts. Denn bei einem Privatgutachten handelt es sich nur um (substantiierten) Parteivortrag. Durch die Beauftragung eines Privatgutachters hat die Klägerin mehr veranlasst, als prozessual von ihr verlangt werden kann. Dass das Privatgutachten keine detaillierten Ausführungen zu den einzelnen Mängeln enthalten mag, rechtfertigt es daher nicht, den klägerischen Vortrag als unerheblich anzusehen; deshalb wären auch dann, wenn die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet wäre, genauere Angaben zu einzelnen Mängeln und dem Umfang der Mangelbeseitigung nicht erforderlich gewesen.

Der Klage kann der Erfolg entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht mit dem Verweis auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, also auf einen fehlenden Kausalzusammenhang zwischen einer - unterstellten - Pflichtverletzung des Beklagten und einem - unterstellt wegen der mangelhaften Werkleistungen eingetretenen - Schaden der Klägerin versagt werden. Die Berufung des Schädigers auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, das heißt der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Die Erheblichkeit des Einwandes richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm. Voraussetzung ist zudem, dass derselbe Erfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus. Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht vor. Das Berufungsgericht unterstellt zugunsten der Klägerin, dass die Abschlagszahlungen von dem Beklagten pflichtwidrig vorgenommen worden sind. In diesem Fall wäre aber die unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu prüfende Handlungsalternative allein die Nichtvornahme der Zahlungen gewesen; dadurch wäre der - unterstellte - Schaden gerade nicht gleichermaßen entstanden, sondern vielmehr verhindert worden. Demgegenüber knüpft die Annahme, dass der Beklagte berechtigte Abschlagsforderungen des Werkunternehmers bei pflichtgemäßen Verhalten zu erfüllen gehabt hätte, nicht (nur) - wie es aber Voraussetzung eines solchen Einwands wäre - an ein rechtmäßiges Alternativverhalten des Beklagten an, sondern setzt außerdem ein fiktives Alternativverhalten eines Dritten, nämlich des Werkunternehmers, voraus.    

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. Dazu weist der Senat auf Folgendes hin: Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob der Beklagte seine Pflichten als Verwalter der Klägerin verletzt hat (§ 280 Abs. 1 BGB). Hat eine GdWE mit einem Werkunternehmer einen Vertrag zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums geschlossen, gehört es zu den Pflichten des Verwalters nach Maßgabe des hier noch anwendbaren § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung (jetzt § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG, Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum wie ein Bauherr zu überwachen. Bei der Bewirkung von Zahlungen gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 5 WEG aF ist er verpflichtet, wie ein Bauherr im Interesse der Wohnungseigentümer sorgfältig zu prüfen, ob bestimmte Leistungen erbracht und Abschlags- oder Schlusszahlungen gerechtfertigt sind; für ihn erkennbare Mängel muss er hierbei berücksichtigen. Der Verwalter einer GdWE hat demnach zu prüfen, ob eine von dem mit einer Erhaltungsmaßnahme beauftragten Werkunternehmer verlangte Abschlagszahlung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist. Daraus folgt, dass der Verwalter im Regelfall (auch) die Voraussetzungen des § 632a BGB, der weitgehend § 16 Abs. 1 VOB/B entspricht, beachten muss. Hierzu gehört u.a. das in § 632a Abs. 1 Satz 5 BGB geregelte Erfordernis einer Aufstellung, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglicht; ohne sie ist ein Anspruch auf Abschlagszahlung nicht gegeben. Der Verwalter muss die Abschlagsrechnung außerdem daraufhin durchsehen, ob sie zu dem Auftrag und dem Leistungsstand passt. Eine Abschlagszahlung für Stoffe oder Bauteile, die angeliefert oder eigens angefertigt und bereitgestellt sind, erfordert - abgesehen davon, dass die Stoffe oder Bauteile den vertraglichen Vorgaben entsprechen müssen - außerdem gemäß § 632a Abs. 1 Satz 6 BGB, dass dem Besteller nach seiner Wahl Eigentum an den Stoffen oder Bauteilen übertragen oder entsprechende Sicherheit hierfür geleistet wird.    

Von einer Verletzung der Pflicht, die verlangten Abschlagszahlungen auf ihre Berechtigung zu überprüfen, dürfte nach den bisherigen Feststellungen auszugehen sein. So fehlt es für einen erheblichen Teil der Zahlungen an einer Abschlagsrechnung beziehungsweise einer Aufstellung, die eine sichere Beurteilung der erbrachten Leistungen ermöglichen würde; damit bestand insoweit von vorneherein kein Anspruch des Werkunternehmers. Soweit für andere Teilzahlungen eine Abschlagsrechnung für Material vorhanden ist, hätte der Beklagte jedenfalls stichprobenartig überprüfen müssen, ob diese zu dem Auftrag und dem angelieferten Material passt und ob das Material übereignet oder Sicherheit geleistet worden ist; nach den bisherigen Feststellungen kann hiervon nicht ausgegangen werden. Auf die Frage, ob die in dem Privatgutachten genannten Mängel der Werkleistungen für den Beklagten erkennbar waren, kommt es demnach (zunächst) nicht an. Sollte sich im Verlauf des weiteren Verfahrens allerdings herausstellen, dass der Beklagte seinen Pflichten bei Überprüfung der vorhandenen Abschlagsrechnung genügt hat, hätte sich das Berufungsgericht damit zu befassen, ob sich ein Verwalter, der nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse für die Prüfung der Werkleistungen verfügt, überhaupt auf eine allein auf mangelnder Fachkunde beruhende fehlende Erkennbarkeit von Mängeln der Werkleistung berufen kann. Das kann insbesondere dann zu verneinen sein, wenn es der Verwalter bei einer mit erheblichem Kostenrisiko verbundenen umfangreichen baulichen Maßnahme unterlassen hat, die Wohnungseigentümer auf seine fehlende Fachkompetenz hinzuweisen und eine Beschlussfassung über eine überwachende Tätigkeit durch Sonderfachleute vorzubereiten.

Das Berufungsgericht wird, wenn sich Pflichtverletzungen des Beklagten bestätigen sollten, weiter zu prüfen haben, ob das Verhalten des Beklagten zu einem Schaden der Klägerin geführt hat. Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Zahlt der Verwalter im Zuge der Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen pflichtwidrig Abschläge, kann für die Ermittlung des Schadens der GdWE, allerdings nicht allein auf die durch die Abschlagszahlungen hervorgerufene Minderung des Gemeinschaftsvermögens abgestellt werden. In den Gesamtvermögensvergleich einzubeziehen ist vielmehr auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Die Beweislast dafür, dass den gezahlten Abschlägen keine werthaltigen Leistungen gegenüberstehen, trifft die GdWE. Das folgt allerdings nicht daraus, dass es sich bei den erbrachten Werkleistungen um unmittelbar in die Schadensberechnung einzubeziehende Vorteile handelte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Vorteile - auch Steuervorteile - nur im Wege der auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruhenden Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sind; diese kommt nur in Betracht, wenn zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, was der Schädiger darzulegen und zu beweisen hat (Nachweise in Rn. 22). Hier ergeben sich etwaige Vorteile, sofern sie bei der Klägerin überhaupt eingetreten sind, allein infolge des Bauvertrags. Sie beruhen nicht kausal auf der Verletzung der Verwalterpflichten des Beklagten im Zusammenhang mit der Erbringung von Abschlagszahlungen, sondern auf den Leistungen des beauftragten Werkunternehmers, die ohne die Zahlungen auch nicht zwangsläufig entfielen. Ob eine pflichtwidrige Abschlagszahlung zu einem Schaden geführt hat, hängt aber gleichwohl davon ab, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Diese Frage stellt sich schon im Rahmen des Gesamtvermögensvergleichs, weil sich die Differenzhypothese auch einer normativen Kontrolle zu unterziehen hat. Entscheidend ist insoweit, dass es sich bei den Abschlagszahlungen um vorläufige Zahlungen handelt. Die in § 632a BGB bzw. § 16 Abs. 1 VOB/B geregelte Abschlagszahlung bezweckt, den nach § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB vorleistungspflichtigen Werkunternehmer zu entlasten und die gerade bei Bauleistungen mit der Vorfinanzierung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen. Der Anspruch auf Abschlagszahlungen ist auf Anzahlungen in Bezug auf den Vergütungsanspruch für das Gesamtwerk gerichtet. Die Abschlagsforderungen und auch die Anzahlungen haben keinen endgültigen Charakter, sondern sind nur vorläufig. Der Werkunternehmer hat daher über die ihm zustehende endgültige Vergütung unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen mit der Schlussrechnung abzurechnen. Erbrachte Abschlagszahlungen sind dabei lediglich Rechnungsposten, die nicht auf einzelne Leistungspositionen des Vertrags bezogen werden können. Zur Rückzahlung ist der Unternehmer aus dem geschlossenen Vertrag (nur) verpflichtet, soweit die Summe der Abschlagszahlungen die ihm zustehende Gesamtvergütung übersteigt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht ein Schaden der GdWE aufgrund pflichtwidrig erbrachter Abschlagszahlungen des Verwalters nur, soweit deren Summe die dem Werkunternehmer zustehende Gesamtvergütung übersteigt.    

Demnach wird zum einen aufzuklären sein, ob die durch den Werkunternehmer erbrachten Leistungen, wie die Klägerin, gestützt auf das Privatgutachten, hinreichend substantiiert behauptet, unbrauchbar sind. Die Beweislast trifft, da es um die tatsächlichen Voraussetzungen des Gesamtvermögensvergleichs geht, die Klägerin. Zum anderen kann der Verwalter nur dann erfolgreich wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen in Anspruch genommen werden, wenn das Vertragsverhältnis zwischen dem Werkunternehmer und der GdWE in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist; auch hierzu fehlt es bislang an Feststellungen. Eine Haftung des Verwalters wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen scheidet aus, solange eine vertragsgerechte Leistung noch im Wege der (Nach-)Erfüllung durch den Werkunternehmer herbeigeführt werden kann. Es entspricht einhelliger Ansicht, dass eine Inanspruchnahme des Verwalters wegen pflichtwidrig veranlasster Abschlagszahlungen die Nichtdurchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen den beauftragten Werkunternehmer voraussetzt. Diese Auffassung trifft grundsätzlich zu. Allerdings scheidet die Inanspruchnahme des Verwalters nur aus, wenn noch durchsetzbare (Nach-)Erfüllungsansprüche gegen den Werkunternehmer bestehen. Solange besteht nämlich die Möglichkeit, dass der Werkunternehmer im Wege der (Nach-)Erfüllung ein vertragsgemäßes Werk erbringt, wozu ihn der Verwalter in Erfüllung seiner ihm gegenüber der GdWE obliegenden Pflichten auch anhalten muss. In diesem Stadium lässt sich wegen des vorläufigen Charakters der Abschlagszahlungen noch nicht beurteilen, ob - und ggf. in welcher Höhe - die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen einen Schaden verursacht haben. Ist dagegen die (Nach-)Erfüllung ausgeschlossen und das Vertragsverhältnis zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, haftet der Verwalter für die durch die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen entstandenen Schäden neben dem Werkunternehmer. Der Verwalter ist in diesem Fall aber nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der GdWE gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet.    

Ist das Vertragsverhältnis zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, bestehen zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer nur noch Zahlungsansprüche. Insoweit sind die Abschlagszahlungen als Rechnungsposten einzustellen, und es lässt sich nunmehr feststellen, ob und in welcher Höhe der GdWE ein Schaden entstanden ist. Infolgedessen gilt im Verhältnis der GdWE zu dem pflichtwidrig Abschläge zahlenden Verwalter der allgemeine Grundsatz, wonach sich ein Geschädigter nicht darauf verweisen lassen muss, dass er (auch) einen Anspruch gegen einen Dritten hat; es steht dem Geschädigten vielmehr grundsätzlich frei, wen er in Anspruch nimmt. Dadurch soll der Geschädigte den mit der Durchsetzung des anderen Anspruchs verbundenen Aufwand und das Insolvenzrisiko des Dritten auf den Schädiger verlagern können. Nimmt die GdWE in diesem Fall den Verwalter in Anspruch, ist der Verwalter wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen aber entsprechend § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der GdWE gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet. Zwar betrifft § 255 BGB unmittelbar (nur) die Schadensersatzpflicht wegen des Verlusts einer Sache oder eines Rechts gegen Abtretung der Ansprüche, die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der Sache oder auf Grund des Rechts gegen Dritte zustehen. Die Vorschrift beruht aber auf der grundsätzlichen Überlegung, dass einer von mehreren Schädigern dem Schaden ferner steht und deshalb im Innenverhältnis in vollem Umfang bei dem anderen Schuldner Regress nehmen können soll; der Gläubiger wiederum soll die Leistung nicht doppelt erhalten. Sie ist deshalb über ihren Wortlaut hinaus auf vergleichbare Fälle entsprechend anzuwenden. Die Inanspruchnahme des Verwalters durch die GdWE wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen an einen Werkunternehmer, dem gegenüber die GdWE (nur noch) Zahlungsansprüche hat, gebietet die entsprechende Anwendung von § 255 BGB. Denn der Verwalter steht dem Schaden ferner als der Werkunternehmer. Eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 421 BGB zwischen dem Verwalter und dem Werkunternehmer besteht mangels Gleichstufigkeit der Verpflichtungen des Verwalters und des Werkunternehmers nicht. Die GdWE wiederum soll die Zahlungen nicht doppelt erlangen können. Einer Erhebung der Zug-um-Zug-Einrede durch den Beklagten bedarf es jedenfalls nicht. Denn die Klägerin trägt dem Zurückbehaltungsrecht des Beklagten bereits durch ihre ausdrücklich so formulierte „hilfsweise“ Antragstellung Rechnung, auch wenn es sich nicht um einen Hilfsantrag im Sinne einer von einer innerprozessualen Bedingung abhängigen eventuellen Klagehäufung, sondern um ein in dem Hauptantrag ohnehin enthaltenes „Minus“ handelt.

3. Kontext der Entscheidung

Der Verwalter muss zur Vorbereitung der Beschlussfassung über Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums die verschiedenen Handlungsoptionen aufzeigen; dabei hat er die Wohnungseigentümer auf mögliche Gewährleistungsansprüche und auf eine drohende Verjährung dieser Ansprüche hinzuweisen. Den mit dem Bauträger identischen, von ihm eingesetzten, mit ihm verbundenen oder von ihm abhängigen Verwalter (sog. Bauträgerverwalter) treffen die gleichen Pflichten hinsichtlich der Vorbereitung einer sachgerechten Beschlussfassung der Wohnungseigentümer über Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums wie jeden anderen Verwalter; er muss somit auch auf Gewährleistungsansprüche „gegen sich selbst“ und eine drohende Verjährung dieser Ansprüche hinweisen. Hat der Verwalter Anhaltspunkte dafür, dass ein Mangel am Gemeinschaftseigentum entgegen einer Erklärung des Bauträgers nicht beseitigt ist, muss er die Wohnungseigentümer hierüber unterrichten und auf einen sachgerechten Beschluss über das weitere Vorgehen hinwirken (BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 – V ZR 75/18).

4. Auswirkungen für die Praxis

Nicht entscheidungserheblich war, ob sich ein Verwalter, der nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse für die Prüfung der Werkleistungen verfügt, überhaupt auf eine allein auf mangelnder Fachkunde beruhende fehlende Erkennbarkeit von Mängeln der Werkleistung berufen kann. Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass dies insbesondere dann zu verneinen sein kann, wenn es der Verwalter bei einer mit erheblichem Kostenrisiko verbundenen umfangreichen baulichen Maßnahme unterlassen hat, die Wohnungseigentümer auf seine fehlende Fachkompetenz hinzuweisen und eine Beschlussfassung über eine überwachende Tätigkeit durch Sonderfachleute vorzubereiten (BGH, Urteil vom 26. Januar 2024 – V ZR 162/22 –, Rn. 18, mwN.). Bei Verstößen des Verwalters gegen seine den Wohnungseigentümern gegenüber bestehenden Überwachungs-, Kontroll- und Unterrichtungspflichten hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Pflichtverletzung für den Eintritt des Schadens kausal war. Es ist nämlich nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Wohnungseigentümer hinsichtlich der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums Beschlüsse fassen, die ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn der Verwalter sie zutreffend und ausreichend unterrichtet und eine sachgerechte Beschlussfassung hinreichend vorbereitet. Daran ändert es nichts, dass den Wohnungseigentümern auch bei ausreichender Unterrichtung durch den Verwalter zumeist mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 – V ZR 75/18 –, Rn. 39, mwN.).

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