BGH: Anforderungen an Einzelanweisung bei Fristkontrolle

14.12.2023
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1. Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelbegründungsfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist.

2. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt.

BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – XII ZB 31/23

   Problemstellung

Die zweimonatige Frist zur Berufungsbegründung beginnt zwar gleichzeitig mit der Berufungsfrist mit der Zustellung des anzufechtenden Urteils. Die Verschiebung des Fristablaufs der Berufungsfrist wegen eines Feiertags, Sonnabends oder Sonntag auf den nachfolgenden Werktag (§ 222 ZPO iVm. 193 BGB) hat aber keine Auswirkung auf die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist, weil beide Fristen voneinander unabhängig sind (BeckOK ZPO/Wulf, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 520 Rn. 6). Diese Zusammenhänge hatte ein Rechtsanwalt übersehen. Mit den Folgen seiner falschen Fristberechnung hatte sich der XII. Zivilsenat zu befassen.

   Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte hat gegen das ihr am 2. Mai 2022 zugestellte Urteil des Landgerichts, durch das sie zur Zahlung von Miete in Höhe von insgesamt 22.751,80 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit am 4. Juli 2022, einem Montag, beim OLG eingegangenem Schriftsatz hat sie die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat bis zum 4. August 2022 beantragt. Das OLG hat die Begründungsfrist unter Ablehnung des weitergehenden Antrags bis einschließlich 2. August 2022 verlängert. Mit am 4. August 2022 beim OLG eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte ihre Berufung begründet. Nach Hinweis des OLG hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Die langjährig im Büro ihres Prozessbevollmächtigten tätige, erfahrene Kanzleimitarbeiterin G. habe die Frist bei der Beantragung der Fristverlängerung entsprechend der allgemeinen Praxis in der Kanzlei im schriftlichen Kalender, dem über Microsoft Outlook geführten digitalen Kalender und im Rechtsanwaltsprogramm advoware als neue Vor- und Ablauffrist auf den 4. August 2022 notiert. Die Bewilligung der Fristverlängerung bis zum 2. August 2022 sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt am 7. Juli 2022 zugegangen und von ihm in das Programm advoware importiert worden. Danach habe er die Mitarbeiterin G. angewiesen, die bereits bezogen auf den 4. August 2022 eingetragenen Vor- und Ablauffristen auf den 2. August 2022 zu korrigieren. Vom 25. Juli bis zum 2. August 2022 sei er aufgrund einer Corona-Erkrankung nicht im Büro gewesen. Nach seiner Rückkehr sei ihm die Akte zu der nach wie vor auf den 4. August 2022 notierten Ablauffrist vorgelegt worden, weil die Mitarbeiterin G. die Fristen entgegen seiner Anweisung nicht vom 4. auf den 2. August 2022 korrigiert habe. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung verworfen.    

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 233 Satz 1 ZPO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung sind nicht erfüllt. Nach § 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler des Büropersonals hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet.  

So liegt der Fall hier. Nach dem Vorbringen zum Wiedereinsetzungsantrag ist ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht auszuschließen. Dies gilt bereits für das Vorbringen der Beklagten zur Fristenkontrolle durch ihren Prozessbevollmächtigten. Die Sorgfaltspflicht verlangt von einem Rechtsanwalt mit Blick auf das Fristenwesen alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Die Berechnung und Notierung von Fristen kann zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den für eine Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Die Anforderungen an das Fristenwesen gelten dabei unabhängig davon, ob die Handakte in herkömmlicher Form als Papierakte oder als elektronische Akte geführt wird.  

Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig - spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung - überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt und notiert werden kann. Eine diese Anforderungen erfüllende Kanzleiorganisation ihres Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte nicht dargetan. Denn das OLG hat jedenfalls zu Recht beanstandet, aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich nicht, dass nach den kanzleiinternen Vorgaben im Falle eines Fristverlängerungsantrags - wie erforderlich - das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung zunächst als nur vorläufig gekennzeichnet in den Fristenkalender einzutragen sei. Richtig hat es insoweit angenommen, dass unter diesem Gesichtspunkt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausgeschlossen werden kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt die durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt erteilte Einzelanweisung an die Mitarbeiterin G., die eingetragenen Fristen nach Maßgabe der vom OLG gewährten Fristverlängerung zu korrigieren, den Verschuldensvorwurf nicht entfallen. Zwar weist die Rechtsbeschwerde im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass es auf unzureichende allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder Anweisungen für die Fristwahrung nicht mehr ankommt und ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausscheidet, wenn dieser seiner bislang zuverlässigen Kanzleikraft eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei ihrer Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Auch darf der Rechtsanwalt jedenfalls grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Betrifft die Anweisung indes einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen sein oder werden, dass die Anweisung - etwa im Drang der übrigen Geschäfte - in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. Durch eine klare und präzise Anweisung im Einzelfall, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen, wird in diesen Fällen eine ausreichende Vorkehrung getroffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn weiter eine allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen. Ausgehend hiervon hat die Beklagte ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht dargetan. Denn ihren Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, ob die Einzelanweisung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts an die Mitarbeiterin G. mündlich oder schriftlich erfolgt ist und ob diese dahin ging, sofort und vor allen anderen Aufgaben die Vor- und Ablauffrist bezogen auf den 2. August 2022 zu korrigieren.

Rechtsfehlerfrei ist das OLG zudem davon ausgegangen, dass ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden iSd § 233 Satz 1 ZPO auch durch deren Vortrag zur Büroabwesenheit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts wegen einer Corona-Erkrankung in der Zeit vom 25. Juli bis zum 2. August 2022 zumindest nicht ausgeschlossen ist. Ein Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Organisationspflichten allgemeine Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war. Hierzu enthält der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen könnte. Er lässt weder erkennen, ob im Rahmen der Kanzleiorganisation allgemeine Vorkehrungen zur Vertretung im Krankheits- oder Verhinderungsfall des sachbearbeitenden Rechtsanwalts durch den weiteren in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt oder einen anderen Kollegen getroffen waren, noch welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall aufgrund der Büroabwesenheit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts von über einer Woche (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) ergriffen wurden. Ebenso fehlt Vortrag dazu, warum die Sache einem etwa bestellten Krankheitsvertreter nicht zur Vorfrist vorgelegt wurde. Das Versäumnis des Prozessbevollmächtigen der Beklagten, allgemeine Vorkehrungen für eine Vertretung im Krankheitsfall zu treffen und für eine rechtzeitige Vorlage von Fristsachen an diese zu sorgen, ist für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (mit-)ursächlich. Wäre die Akte einem Vertreter zur Vorfrist, die hier spätestens eine Woche vor Ablauf der notierten Begründungsfrist am 4. August 2022, mithin spätestens am 28. Juli 2022 ablief, vorgelegt worden, hätte diesem auffallen müssen, dass der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch auf den 4. August 2022 notiert und nicht entsprechend der gerichtlichen Bewilligung auf den 2. August 2022 korrigiert worden war. Es hätte dann in seiner Verantwortung gelegen, die Berufung fristgerecht zu begründen oder nach Einholung der Einwilligung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) rechtzeitig einen weiteren Fristverlängerungsantrag zu stellen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die (Mit-)Ursächlichkeit der unzureichenden Kanzleiorganisation im Zusammenhang mit der Verhinderung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts auch nicht in Ansehung der trotz Einzelanweisung von der Kanzleikraft nicht vorgenommenen Fristenkorrektur entfallen. Denn die Vorlage der Akte zur Vorfrist, die gerade sicherstellen soll, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist bleibt, hätte eine fristgerechte Berufungsbegründung bis zum 2. August 2022 gewährleisten können, ohne dass es auf die versäumte Korrektur der Fristen in den Fristenkalendern angekommen wäre.

   Kontext der Entscheidung

Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler des Büropersonals hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag hat die Partei daher einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (BGH, Beschluss vom 6. September 2023 – IV ZB 4/23 –, Rn. 11, mwN.). Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist. Durch eine klare und präzise Anweisung im Einzelfall, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen, wird in diesen Fällen eine ausreichende Vorkehrung getroffen, insbesondere dann, wenn weiter eine allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen (BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – XII ZB 446/19 –, mwN.).

   Auswirkungen für die Praxis

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 - VI ZB 53/22). Die ordnungsgemäße Bearbeitung einer Sache nach Vorlage der Akte zur Vorfrist stellt eine fristgerechte Einreichung einer Rechtsmittelbegründung sicher, ohne dass es auf eine (eventuell) versäumte Eintragung der Begründungsfrist im Fristenkalender ankommt (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZB 418/22 –, Rn. 17).

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