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30.4.2024
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BGH: Zu spät ist zu spät (Anschlussberufung)

1. Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

2. Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Für eine solche Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz bedarf es weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.

BGH, Urteil vom 23. Februar 2024 – V ZR 111/23

1. Problemstellung

Der V. Zivilsenat hatte die bisher von ihm offengelassene Frage (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 27) zu entscheiden, ob die Zulassung einer verspäteten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG dann geboten sein kann, wenn nach dem bisherigen Prozessverlauf bis zum Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung auch ein kundiger und gewissenhafter Berufungsbeklagter nicht damit rechnen konnte, dass das ihm günstige erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben wird und er den Verlust des Rechtsstreits nur durch eine Anschlussberufung vermeiden kann.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien sind Eigentümer mehrerer aneinandergrenzender und von ihnen jeweils bewirtschafteter Grundstücke, deren Grenzen nicht durch verbindliche Grenzzeichen markiert sind. Im Jahr 2018 führte das Vermessungsamt eine Vermessung der Grenzverläufe durch. Die ermittelten Grenzpunkte werden von den Beklagten nicht anerkannt, weil sie von den Bewirtschaftungsgrenzen abweichen. Mit der Klage hat der Kläger erstinstanzlich zunächst die Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Feststellungen des Vermessungsamtes beantragt. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines Gutachtens durch eine Vermessungssachverständige. Auf den Hinweis des Landgerichts, dass sich auf Grundlage des Sachverständigengutachtens kein exakter Grenzverlauf feststellen lasse und daher die Grenzscheidung (§ 920 BGB) beantragt werden müsse, hat der Kläger seine Klage geändert. Dem zuletzt gestellten Antrag auf Grenzscheidung entlang der im Sachverständigengutachten festgestellten Grenzpunkte hat das Landgericht stattgegeben. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Hinweis des Landgerichts nicht zutreffend gewesen sei und das Klageziel nur mit einer Grenzfeststellungsklage (Feststellung des Eigentums an dem Grundstück in näher bezeichneten Grenzen) erreicht werden könne. Daraufhin hat der Kläger erneut seinen ursprünglichen Klageantrag auf Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Ermittlungen der Sachverständigen gestellt. Das Berufungsgericht hat unter Änderung des Tenors des landgerichtlichen Urteils nach Maßgabe dieses Klageantrags die Berufung zurückgewiesen (OLG Nürnberg, Urteil vom 9. Mai 2023 – 6 U 1035/22). Es ging davon aus, dass in der Berufungsinstanz eine Klageänderung erklärt worden sei. Zwar sei die Berufungserwiderungsfrist, bis zu deren Ablauf der Kläger Anschlussberufung hätte einlegen können, zum Zeitpunkt der Klageänderung bereits abgelaufen gewesen. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist in direkter oder analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO komme nicht in Betracht. Die Klageänderung sei aber wegen des Verstoßes gegen die Prozessleitungspflicht aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Landgericht nach § 533 ZPO zulässig. Der Verstoß liege darin, dass der Kläger seinen ursprünglich gestellten Grenzfeststellungsantrag erst auf den Hinweis des Landgerichts in einen Grenzscheidungsantrag abgeändert, diesen auf Bitten des Landgerichts nicht als Hilfsantrag aufrechterhalten und erst auf den Hinweis des Berufungsgerichts wieder gestellt habe. Im Übrigen sei die Zulassung der mit dem Klageänderungsschriftsatz konkludent eingelegten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dem Kläger könne nicht vorgeworfen werden, dass er nicht entgegen dem Hinweis des Landgerichts hilfsweise an seinem Grenzfeststellungsantrag festgehalten oder fristgerecht Anschlussberufung eingelegt habe. Dem kundigen, anwaltlich vertretenen und gewissenhaften Rechtsuchenden könne nicht abverlangt werden, das Recht besser zu kennen als das Gericht. Zudem müsse er das mit einem Hilfsantrag verbundene Kostenrisiko nicht eingehen. Der Feststellungsantrag sei begründet. Der Kläger habe den Grenzverlauf durch das Sachverständigengutachten bewiesen.

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Allerdings rügt die Revision zu Recht, dass ausgehend vom prozessualen Standpunkt des Berufungsgerichts der in der Berufungsinstanz geänderte Klageantrag hätte abgewiesen werden müssen. Wäre für die Änderung des Klageantrags eine Anschlussberufung erforderlich gewesen, wäre diese wegen Versäumung der Anschlussberufungsfrist unzulässig gewesen. Die Berufungserwiderungsfrist lief bis zum 28. Juli 2022; der den geänderten Klageantrag enthaltende Schriftsatz ist am 19. Oktober 2022 bei Gericht eingegangen. Richtig ist weiter, dass eine Wiedereinsetzung in die Anschlussberufungsfrist in direkter oder analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO von vornherein nicht in Betracht kommt. Selbst wenn der den Klageantrag ändernde Schriftsatz vom 19. Oktober 2022 als konkludent eingelegte Anschlussberufung verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszulegen sein sollte, wäre eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung nicht möglich.

Rechtsfehlerhaft sind aber beide Begründungen, mit denen das Berufungsgericht die nach seiner Ansicht erklärte Klageänderung trotz Ablaufs der Anschlussberufungsfrist (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) als zulässig erachtet. Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist. Selbst dann, wenn das Landgericht gegen die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstoßen hätte, was auf der insoweit maßgeblichen Grundlage seiner materiell-rechtlichen Würdigung nicht der Fall war, so ergäbe sich hieraus kein Grund, die Wahrung der Anschlussberufungsfrist als entbehrlich anzusehen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich auch nicht unmittelbar aus den Verfahrensgrundrechten (z.B. Art. 103 Abs. 1 GG) eine Grundlage dafür, nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eine Anschlussberufung einzulegen. Der Senat hatte bisher zwar offengelassen, ob die Zulassung einer verspäteten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG dann geboten sein könnte, wenn nach dem bisherigen Prozessverlauf bis zum Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung auch ein kundiger und gewissenhafter Berufungsbeklagter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht damit rechnen konnte, dass das ihm günstige erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben wird und er den Verlust des Rechtsstreits nur durch eine Anschlussberufung vermeiden kann (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 27). Diese Erwägung ist aber überholt, weil der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden hat, dass der von § 233 ZPO nicht erfasste Fall der versäumten Frist zur Einlegung der Anschlussberufung auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20, Rn. 37 ff.). Da die verfassungskonforme Auslegung der prozessualen Fristvorschriften nicht zur Zulassung einer (unverschuldet) verspätet eingelegten Anschlussberufung führt, kann sich eine Zulassung erst recht nicht unmittelbar aus den Verfahrensgrundrechten ergeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Einlegung einer Anschlussberufung ohnehin nicht erforderlich ist. Ein Anschluss an die fremde Berufung ist erforderlich, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil nicht nur verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern oder einen neuen, in erster Instanz nicht vorgebrachten Anspruch geltend machen will. Der Kläger muss also eine Anschlussberufung einlegen, wenn er die vor dem erstinstanzlichen Gericht erfolgreiche Klage in der Berufungsinstanz - durch Änderung des Klageantrags und/oder Lebenssachverhalts - gemäß § 263 ZPO ändern oder gemäß § 264 Nr. 2 ZPO erweitern will, indem er z.B. zusätzlich einen Hilfsantrag stellt, der in dem ursprünglichen Antrag nicht bereits als Minus enthalten ist oder mit dem er ein anderes Klageziel als mit dem Hauptantrag verfolgt. Eine Anschlussberufung ist andererseits aber nur zulässig, wenn das Begehren des Anschlussberufungsklägers auf mehr gerichtet ist, als ihm das angefochtene Urteil zugesprochen hat, damit also mehr erreicht werden soll als die Zurückweisung der Berufung. Unzulässig ist daher die Anschließung mit einem Antrag, der dem bereits in erster Instanz zuerkannten Klageantrag entspricht. Sie kommt nicht in Betracht für die mit einem Übergang von einem Leistungs- zu einem Feststellungsantrag verbundene Antragsbeschränkung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO, eine Antragsanpassung gemäß § 264 Nr. 3 ZPO, eine Antragsumstellung auf Zahlung an den Zessionar oder eine Erweiterung um einen Hilfsantrag, mit dem der Kläger in anderen Worten dasselbe Klageziel wie mit dem Hauptantrag verfolgt (Nachweise in Rn. 12). Bei Anwendung dieser Maßstäbe musste der Kläger keine Anschlussberufung einlegen. Denn mit dem im Berufungsverfahren gestellten Grenzfeststellungsantrag wollte der Kläger nichts erreichen, was über seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung hinausgeht. Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen - wie hier - jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Zwar hat der Kläger seine Klage von einer Gestaltungsklage auf eine Feststellungsklage umgestellt. Während die Grenzfeststellungsklage auf die (deklaratorische) Feststellung des Eigentums an der streitigen Grundstücksfläche gerichtet ist, handelt es sich bei der auf eine (konstitutive) Begründung originären Eigentums gerichteten Grenzscheidungsklage um eine auf den Erlass eines Gestaltungsurteils gerichtete Klage. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat der Kläger nicht nur verschiedene Feststellungsanträge „angepasst“. Er hat zwar auch seinen auf § 920 BGB gestützten Grenzscheidungsantrag unter Verwendung des Begriffs „Feststellung“ formuliert; dies macht den Antrag aber nicht zu einem Feststellungsantrag.      

Anders als die Beklagten meinen, führt jedoch allein die Änderung des Klageantrags nicht zu einer Klageerweiterung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO. Es stellt eine bloße Abwandlung des Klageantrages dar, wenn der neue Antrag sich auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht, d.h. bei gleichbleibendem Klagegrund nur weitergehende Rechtsfolgen aus diesem hergeleitet werden. Nach diesem Maßstab begehrt der Kläger mit dem im Berufungsverfahren gestellten Grenzfeststellungsantrag nicht mehr als mit der erstinstanzlich zuletzt beantragten Grenzscheidungsklage. Der Kläger stützt die Grenzfeststellungsklage auf denselben Klagegrund wie die Grenzscheidungsklage. Die von dem Kläger vorgetragenen Tatsachen und die Anknüpfungstatsachen für das Sachverständigengutachten sind genauso unverändert geblieben wie das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, das sich der Kläger zu eigen gemacht hat. Der Kläger zieht hieraus lediglich andere rechtliche Schlüsse. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der unterschiedlichen Darlegungslast einer Grenzfeststellungsklage im Vergleich zu einer Grenzscheidungsklage (§ 920 BGB). Zwar mag der zugrundeliegende Lebenssachverhalt insoweit unterschiedlich sein, als für die Erhebung einer Grenzscheidungsklage ein Sachvortrag mit der Behauptung, die richtige Grenze lasse sich nicht ermitteln, erforderlich ist, wohingegen für eine schlüssige Grenzfeststellungsklage eine bestimmte Grenzlinie behauptet werden muss. Der Kläger hat aber seinen Vortrag sowohl erstinstanzlich als auch in der Berufungsinstanz darauf gestützt, dass der Grenzverlauf eindeutig festgestellt werden könne. Er hat - auch auf den Hinweis des Landgerichts - seinen Klageantrag gerade nicht damit begründet, dass sich der Grenzverlauf nicht ermitteln lasse. Seine erstinstanzliche Antragsänderung beruhte allein auf einer Beweiswürdigung des Landgerichts, nicht jedoch auf einem von dem Kläger geänderten Sachvortrag. Für eine solche Änderung des Klageantrags, die keine Klageerweiterung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO enthält, bedarf es in der Berufungsinstanz weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.

3. Kontext der Entscheidung

Das Urteil schließt an den im ersten Leitsatz zitierten Beschluss des VIII. Zivilsenats an (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20). Gemäß § 233 Satz 1 ZPO findet die Wiedereinsetzung (nur) im Falle der unverschuldeten Versäumung einer Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag statt. Die dem Berufungsbeklagten gemäß § 521 Abs. 2 ZPO gesetzte Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anschließung zulässig ist, ist keine Notfrist iSd. § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO und wird auch nicht bei den sonstigen Fristen in § 233 ZPO aufgeführt. Bei Versäumung der Anschlussberufungsfrist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch in analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO nicht in Betracht, da sich nicht feststellen lässt, dass die fehlende Erwähnung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung in der Vorschrift des § 233 S. 1 ZPO auf einer planwidrigen Regelungslücke beruht (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20, Rn. 23). Weder der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Anspruch der Partei auf wirkungsvollen Rechtsschutz noch das von Art. 103 Abs. 1 GG garantierte Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern bei Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung eine generelle Ausdehnung des vom Gesetzgeber nur beschränkt eröffneten Anwendungsbereichs der Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der prozessualen Waffengleichheit für beide Parteien (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20 –, Rn. 37).

4. Auswirkungen für die Praxis

Auch im Verfahrensrecht kann der Gedanke des § 140 BGB (Umdeutung) herangezogen werden. So ist eine unzulässige Hauptberufung in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudeuten, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird. In aller Regel wird eine Partei eine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung retten wollen (BGH, Beschl. v. 02.02.2016 - VI ZB 33/15 Rn. 7). Auch eine eigene, aber wegen Fehlens einer ordnungsgemäßen Begründung unzulässige Berufung kann als Anschlussberufung aufrechterhalten werden, sofern sie fristgerecht in der Anschlussfrist begründet worden ist (BGH, Beschl. v. 30.10.2008 - III ZB 41/08). Steht die Umdeutung eines Rechtsmittels in ein anderes in Rede, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen des Rechtsmittels, in das umgedeutet werden soll, erfüllt sind (Nassall in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 140 BGB (Stand: 18.05.2022), Rn. 61 mwN.). Eine bei einem unzuständigen Gericht eingereichte Beschwerde kann deshalb nicht in eine Rechtsbeschwerde beim BGH umgedeutet werden (BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – XII ZB 27/02).

25.4.2024
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BGH: Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO

1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht.

2. Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen.

BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – V ZB 2/23

1. Problemstellung

§ 130d Satz 1 ZPO bestimmt, dass Rechtsanwälte Gerichtsschriftsätze als elektronisches Dokument übermitteln müssen. Nur wenn dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 ZPO). Mit den Anforderungen an die erforderlich Glaubhaftmachung hatte sich der V. Zivilsenat zu befassen.

 

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Dem Kläger ist das klageabweisende Urteil des Landgerichts am 18. August 2022 zugestellt worden. Mit einem per Telefax am 4. Oktober 2022 an das OLG übermittelten dreiseitigen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, seit dem 8. September habe der beA-Account seines Prozessbevollmächtigten nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfrage bei der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter bislang noch keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den am 17. September 2022 gefertigten Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Sein Prozessbevollmächtigter habe deshalb Frau Rechtsanwältin J. gebeten, bis zum 19. September 2022 (Montag) den Schriftsatz über ihren beA-Account zu versenden. Erst am 20. September 2022 habe diese mitgeteilt, dass sie die Übersendung wegen einer plötzlichen Erkrankung ihres Kindes nicht habe vornehmen können. Sein Prozessbevollmächtigter habe in der Folgezeit beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin J. um die Versendung des Wiedereinsetzungsantrags zu bitten. Allerdings sei sie am 4. Oktober 2022 in ihrer Kanzlei nicht erreichbar gewesen. Der Telefonanschluss eines weiteren bekannten Rechtsanwalts, den sein Prozessbevollmächtigter um Übersendung habe bitten wollen, sei stets besetzt gewesen. Daher sei die Übermittlung des Wiedereinsetzungsantrags per Telefax erfolgt. Allerdings habe das Telefaxgerät technische Probleme gehabt, so dass sein Prozessbevollmächtigter nur den Wiedereinsetzungsantrag ohne die Berufungsschrift per Telefax versendet habe. Am Abend des 4. Oktober 2022 habe auch keine Gelegenheit mehr bestanden, einen Anwaltskollegen um den Versand zu bitten.

Am 7. Oktober 2022 ist bei dem OLG der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist vom 4. Oktober 2022 nebst einem nicht unterzeichneten Berufungsschriftsatz vom 17. September 2022 in Papierform eingegangen. Das OLG hat die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht versagt das Berufungsgericht dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Für die Wiedereinsetzung ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen. Hat es der Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist versäumt, eine wirksame Rechtsmittelschrift zu übermitteln, hat er dies somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist formgerecht nachzuholen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf derselben Form wie die versäumte Prozesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Die Wiedereinsetzungsfrist bei der Versäumung der Berufungsfrist beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen und beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist. Die Wiedereinsetzungsfrist endete deshalb spätestens am 4. Oktober 2022, weil der Kläger am 20. September 2022 erfahren hat, dass Rechtsanwältin J. den Berufungsschriftsatz nicht wie verabredet an das Berufungsgericht übermittelt hatte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit dem am 4. Oktober 2022 per Fax übersandten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist weder die versäumte Prozesshandlung wirksam nachgeholt noch einen formwirksamen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Es kann dahinstehen, ob angesichts des Wiedereinsetzungsantrags eine ausdrückliche Nachholung der Berufungseinlegung trotz § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO entbehrlich war, weil sich nach der für das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten offensichtlichen Verfahrens- und Interessenlage zweifelsfrei ergab, dass der Kläger sich nicht mit dem erstinstanzlichen Urteil abfinden, sondern Berufung einlegen und den Prozess weiterbetreiben wollte und bei dieser Sachlage der Wiedereinsetzungsantrag zugleich als Berufungsschrift auszulegen ist. Selbst wenn in dem Wiedereinsetzungsantrag zugleich die Einlegung der Berufung zu erblicken wäre, hätte der Kläger die versäumte Prozesshandlung nicht in der für sie vorgeschriebenen Form nachgeholt. Sein Prozessbevollmächtigter hat den Schriftsatz dem Berufungsgericht nicht als elektronisches Dokument übermittelt. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO ab dem 1. Januar 2022 als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen. Ein Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 1 ZPO sind vorliegend nicht erfüllt, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dem Berufungsgericht nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt hat, sondern nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 130, 131 ff. ZPO) per Telefax (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO). Da sich die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 1 ZPO nach den Vorschriften richtet, die für die versäumte Prozesshandlung gelten, hätte auch der Wiedereinsetzungsantrag als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.  

Die Übermittlung per Telefax war als Ersatzeinreichung nicht ausnahmsweise gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausreichend. Ist eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung gemäß § 130d Satz 2 ZPO nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die eng auszulegende Ausnahmevorschrift bezweckt, dem Rechtsuchenden auch bei technischen Ausfällen eine wirksame Einreichung von Schriftsätzen zu ermöglichen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass eine Ausnahme von der zwingenden Benutzung eines elektronischen Übermittlungsweges nur dann gelten soll, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Wege erreichbar ist, gleichviel ob die Ursache dafür in der Sphäre des Gerichts oder des Einreichenden zu suchen ist. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird klargestellt, dass professionelle Einreicher hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Der Gesetzgeber wollte nur Fälle erfassen, in denen einer Übermittlung des Schriftsatzes in elektronischer Form rein technische Gesichtspunkte entgegenstehen, nicht dagegen in der Person des Einreichers liegende Gründe. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.

Dem Kläger ist es nicht gelungen, bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen nach § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Glaubhaft zu machen ist daher die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, sein beA-Account habe seit dem 8. September 2022 nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfragen bei der Bundesnotarkammer habe er bis zum Fristablauf keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Den höchstrichterlichen Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit iSd. § 130d Satz 3 ZPO wird die der Ersatzeinreichung beigegebene Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht, weil aus den Ausführungen nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob er die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Der beA-Account war nach seinem Vortrag funktionsunfähig. Zwar führt etwa eine Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs sowie der temporäre Ausfall der Netzwerkkarte grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit. Der zur Glaubhaftmachung gehaltene Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt aber gerade offen, ob die Funktionsunfähigkeit auf einer technischen Störung beruhte oder auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte zurückzuführen war. Von Letzterem geht das Berufungsgericht aus. Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Möglichkeit des Ablaufs der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte als Störungsursache nicht ausgeräumt. Er hat sich in seiner Glaubhaftmachung nicht dazu geäußert, ob er im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung überhaupt eine gültige beA-Karte vorgehalten hat oder ob und gegebenenfalls wann deren Gültigkeitsdauer abgelaufen war. Er ist auch nicht darauf eingegangen, wann er Kenntnis vom Ablauf der Gültigkeitsdauer erhalten konnte, und er hat nicht dargelegt, dass er rechtzeitig eine neue Karte beantragt hat. Sein Verweis auf die mehrmalige Nachfrage bei der Bundesnotarkammer genügt zur Glaubhaftmachung einer technischen Unmöglichkeit nicht, solange nicht dargelegt ist, dass er alle Anstrengungen unternommen hat, um rechtzeitig über eine gültige beA-Karte zu verfügen. Fehlt - wie hier - die Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO, so ist die Ersatzeinreichung unwirksam, so dass der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers unzulässig ist.

3. Kontext der Entscheidung

Der V. Zivilsenat kann sich auf die Rechtsprechung anderer Zivilsenate des BGH stützen. So hat bereits der XII. Zivilsenat, den der V. Zivilsenat im Leitsatz zitiert, bereits entschieden, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war. Dies ist der Fall, wenn als Ursache für die Fristversäumung nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Rechtsanwältin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23 –, Rn. 19). Zwar muss ein Rechtsanwalt nicht in jedem Einzelfall dazu vorzutragen und glaubhaft machen, dass die technischen Einrichtungen zur elektronischen Übermittlung ursprünglich gegeben und funktionstüchtig waren. Doch jedenfalls in den Fällen, in denen  auf der Grundlage des Vorbringens des Rechtsanwalts davon auszugehen ist, dass Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bestand, diese jedoch unterblieben ist, muss der Rechtsanwalt darlegen, dass die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente ursprünglich vorhanden und einsatzfähig waren. Ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag verlangt nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22 –, Rn. 13).

4. Auswirkungen für die Praxis

Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11). Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11). Eine Prozesspartei muss es sich als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) zurechnen lassen, wenn dieser sich nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 20).

23.4.2024
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BGH: Von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Zustellung eines Versäumnisurteils und die Fristwahrung eines dagegen gerichteten Einspruchs ist gemäß § 341 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen. § 531 Abs. 2 ZPO ist insoweit nicht anwendbar.

BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23

1. Problemstellung

Ob Vortrag einer Partei zu von Amts wegen zu überprüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Zustellung eines Versäumnisurteils wegen Verspätung zurückgewiesen werden darf, hatte der XII. Zivilsenat zu entscheiden.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte ist durch Versäumnisurteil zur Zahlung von 60.000,00 € verurteilt worden. Gegen dieses - nach der Zustellungsurkunde an V. N. (erster Vorname und Familienname des Beklagten) adressierte und am 14. Mai 2022 in den „zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung“ eingelegte - Versäumnisurteil hat der Beklagte am 1. Juni 2022 Einspruch eingelegt. Das Landgericht hat den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen. Die Berufung des Beklagten hat das OLG durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der Zustellungsurkunde sei bewiesen, dass dem Beklagten das Versäumnisurteil am 14. Mai 2022 durch Einwurf in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden sei. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde hinsichtlich des Adressaten sei nur dann aufgehoben, wenn aufgrund der Bezeichnung unklar bleibe, an welche von mehreren gleichnamigen Personen zugestellt sein solle. Es sei aber nicht ersichtlich, dass eine zweite Person mit dem im Adressfeld der Zustellungsurkunde angegebenen Namen an der Zustelladresse wohne. Die bloße Gleichheit des Nachnamens N. führe nicht zur Unklarheit darüber, an wen zugestellt sei. Der Beklagte habe die Beweiskraft der Zustellungsurkunde mit seinem erstinstanzlichen Vorbringen auch nicht entkräftet. Sein Vortrag, das Versäumnisurteil habe sich erst am 28. oder 29. Mai 2022 in seinem mit dem Nachnamen und seinem zweiten Vornamen B. beschrifteten Briefkasten befunden, es sei möglicherweise vom Zusteller in einen der beiden anderen unter derselben Anschrift angebrachten Briefkästen mit der Beschriftung N. eingelegt und dann von dem anderen Hausbewohner dieses Namens bei ihm eingeworfen worden, habe lediglich die Möglichkeit eines anderen als des beurkundeten Ablaufs aufgezeigt. In welchen anderen Briefkasten das Schreiben zuvor eingeworfen worden sein sollte und warum es erst am 28. oder 29. Mai 2022 in den Briefkasten des Beklagten gelangt sei, habe dieser im landgerichtlichen Verfahren dagegen nicht vorgetragen. Der Beklagte habe sich insoweit auch nicht in Beweisnot befunden, weil er die namensgleichen Nachbarn hätte befragen und dann Beweis antreten können. Soweit der Beklagte - auf den Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO - im Berufungsverfahren vorgetragen habe, seine Ermittlungen hätten ergeben, dass die Mitbewohnerin seines Nachbarn mit dem Namen V. V. N. das Schreiben Mitte Mai 2022 in dessen Briefkasten gefunden und dem Nachbarn ausgehändigt habe, der seinerseits das Schreiben Ende Mai 2022 auf den Briefkasten gelegt habe, wo ein anderer Nachbar es gefunden und in seinen - des Beklagten - Briefkasten eingeworfen habe, sei dies nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Der Vortrag sei neu, weil es sich hierbei nicht lediglich um eine Konkretisierung des erstinstanzlichen Vorbringens handele, und die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung neuen Vortrags lägen nicht vor.    

Auf die Revision des Beklagten wird der Beschluss des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Beklagte beanstandet zu Recht, dass er durch die angefochtene Entscheidung in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Nichtberücksichtigung erheblichen Sachvortrags oder hierfür erbrachter Beweisangebote verstößt dabei gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn diese im Prozessrecht keine Stütze findet. Die Schwelle einer solchen grundrechtsrelevanten Gehörsverletzung kann bei der Verwerfung eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil als verfristet eher überschritten sein, als dies üblicherweise der Fall ist. Denn hiermit ist stets eine Präklusion des Verteidigungsvorbringens verbunden, durch die der Beklagte in seiner Möglichkeit zur Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren einschränkt ist.

Liegen die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung einer Klage oder eines Versäumnisurteils nicht vor, ist der Beklagte durch die Annahme einer wirksamen Zustellung in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Entsprechendes gilt für ein Urteil, mit dem der Einspruch des Beklagten gegen ein solches Versäumnisurteil verworfen wird, und für eine Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der die Berufung des Beklagten gegen das den Einspruch verwerfende Urteil des Gerichts des ersten Rechtszugs zurückgewiesen wird. Denn durch derartige Entscheidungen wird die Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör perpetuiert, weil diesem die wirksame Möglichkeit einer Überprüfung des Versäumnisurteils auf dessen sachliche Richtigkeit genommen ist.

Daran gemessen ist der Beklagte durch die angefochtene Entscheidung in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Die Verwerfung des Einspruchs des Beklagten gegen das Versäumnisurteil als verfristet findet im Prozessrecht keine Stütze und hält daher rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das OLG hätte den erst im Berufungsverfahren eingeführten Vortrag des Beklagten zum genauen Weg der Sendung nach deren Einwurf in einen der Briefkästen an der Zustelladresse nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen. Denn auf die gemäß § 341 Abs. 1 ZPO von Amts wegen gebotene Prüfung der Zustellung eines Versäumnisurteils und der Fristwahrung des dagegen gerichteten Einspruchs ist § 531 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar. Ungeachtet dessen hätte das OLG den vom Beklagten erst auf den Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag zum Weg der Sendung nach deren Einwurf in einen Briefkasten an der Zustelladresse auch deshalb nicht als verspätet zurückweisen dürfen, weil die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen. Das Vorbringen erst im Berufungsverfahren beruht jedenfalls nicht auf einer Nachlässigkeit des Beklagten (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), weil der Beklagte entgegen der Ansicht des OLG im landgerichtlichen Verfahren nicht zu weiteren Nachforschungen verpflichtet gewesen wäre. Der Verstoß des OLG gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Oberlandesgericht ohne die Gehörsverletzung keine Überzeugung von der Zustellung des Versäumnisurteils am 14. Mai 2022 hätte bilden können, es gemäß § 189 ZPO einen Beginn der Einspruchsfrist erst mit dem vom Beklagten behaupteten tatsächlichen Zugang des Versäumnisurteils am 29. Mai 2022 angenommen und den am 1. Juni 2022 eingegangenen Einspruch demzufolge als rechtzeitig angesehen hätte.

Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Insbesondere wäre dem Beklagten nicht unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens versagt, sich auf einen Zustellungsmangel zu berufen. Zwar kann die Geltendmachung eines Zustellungsmangels treuwidrig und damit rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mangel bewusst und zielgerichtet herbeigeführt worden ist. Hierfür ist indes vorliegend nichts ersichtlich. Insoweit ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der Briefkasten des Beklagten mit dem Namen B. N. beschriftet war, sich an der Zustellungsadresse zwei weitere Briefkästen anderer Bewohner befanden, die ebenfalls mit dem Nachnamen N. gekennzeichnet waren, und die Sendung vom Zusteller in den Briefkasten eines gleichnamigen Nachbarn des Beklagten eingelegt wurde. Dass die Sendung in einen der nicht der Wohnung des Beklagten zuzuordnenden Briefkästen eingelegt wurde, würde unter diesen Umständen maßgeblich darauf beruhen, dass das Landgericht den in der Klageschrift genannten zweiten Vornamen des Beklagten nicht in das Adressfeld des Postzustellungsauftrags aufgenommen hat, und läge damit in der Sphäre des Gerichts.

3. Kontext der Entscheidung

Zustellurkunden, die zum Nachweis der Zustellung auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen sind, haben nach § 182 Absatz 1 Satz 2 ZPO die Beweiskraft des § 418 ZPO. Sie begründen somit vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Inwiefern äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung, wie § 419 ZPO bestimmt. Es erfolgt eine freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Der Mangel schließt die Beweisregeln der §§ 415ff. ZPO aus, nimmt der Urkunde aber nicht schlechthin jede Beweiskraft, sondern stellt den Grundsatz der freien Beweiswürdigung wieder her, so dass zu prüfen ist, welche Schlüsse unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 286 ZPO aus der Urkunde zu ziehen sind (Feskorn in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 419 Rn. 3 mwN.). Der Senat weist daher ausdrücklich darauf hin, dass das das Oberlandesgericht nach freier Überzeugung zu beurteilen haben wird, ob die Beweiskraft der Zustellungsurkunde hinsichtlich der Person des Zustellungsadressaten (§§ 182 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1, 418 Abs. 1 ZPO) - auch in Anbetracht der Beschriftung der Briefkästen an der Zustelladresse - ganz oder teilweise dadurch gemindert oder aufgehoben ist, dass im Adressfeld der Zustellungsurkunde nicht der vollständige Name des Beklagten angegeben war (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23 –, Rn. 15).

4. Auswirkungen für die Praxis

Grundsätzlich beginnt der Lauf einer Rechtsmittelfrist für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der Entscheidung. Etwas anderes gilt jedoch für Entscheidungen, bei denen die Verkündung durch die Zustellung ersetzt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1994 – XII ZB 90/94 –, Rn. 13). Bei einem Versäumnisurteil, das nach § 331 Abs. 3 ZPO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Vorverfahren ergeht, wird die Verkündung durch die Zustellung des Urteils ersetzt, wie § 310 Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt. Im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergangene Versäumnisurteile sind an Verkündungs statt zuzustellen und werden erst durch die Zustellung an beide Parteien existent, so dass die Einspruchsfrist erst mit der letzten der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen in Lauf gesetzt wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – IV ZR 14/08 –, Rn. 9). Die Einspruchsfrist beginnt somit nicht vor Ausführung der Amtszustellung des Urteils an beide Parteien, selbst dann, wenn die Zustellung an den obsiegenden Kläger der Zustellung an den Beklagten nachfolgt (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 339 Rn. 4).

23.4.2024
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BGH: Verjährung des Eigentumsverschaffungsanspruchs

Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs. Für den Anspruch des Käufers auf Eigentumsverschaffung an einem Grundstück, der nach den vertraglichen Bedingungen nicht sofort fällig ist, beginnt die Verjährungsfrist nicht schon mit Vertragsschluss, sondern erst mit der Fälligkeit. Erst dann ist der Eigentumsverschaffungsanspruch im Sinne von § 200 BGB entstanden.

BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22 

1. Problemstellung

Der V. Zivilsenat hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann die Verjährungsfrist für den Eigentumverschaffungsanspruch beim Grundstückkaufvertrag beginnt, wenn der Vertrag vorsieht, dass der Anspruch nicht sofort fällig ist.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger verkaufte der Beklagten mit notariellem Vertrag vom 20. August 2004 ein Grundstück zu einem Kaufpreis von 216.000 €. In dem Vertrag erklärten die Parteien die Auflassung und wiesen den Notar an, den Antrag auf Vollzug der Auflassung bei dem Grundbuchamt erst zu stellen, wenn der Kläger dem schriftlich zustimmt oder wenn die Beklagte bestätigt hat oder wenn dem Notar in anderer Weise nachgewiesen ist, dass der geschuldete Kaufpreis bezahlt ist; die Beklagte verzichtete auf ihr Recht, selbst den Antrag auf Eigentumsumschreibung zu stellen. Von dem Kaufpreis sollte ein Teilbetrag von 80.000 € sofort auf das Anderkonto des Notars gezahlt werden, um die Lastenfreistellung des Grundstücks zu erreichen. Der Kläger beabsichtigte, mit einem Teil des Kaufpreises ein Ersatzobjekt zu erwerben; er sollte sich um den Erwerb bemühen, und die Beklagte sollte ihn hierbei unterstützen. Für den Fall, dass bis zum 1. September 2007 kein Ersatzobjekt gefunden wurde, sollte ein Mietvertrag für das gesamte Objekt abgeschlossen werden. Im Hinblick auf diese Regelungen wurde für den restlichen Kaufpreis vereinbart: „Der verbleibende Kaufpreisrest ist innerhalb von 10 Tagen zu bezahlen, nachdem der Verkäufer den Käufer zur Zahlung schriftlich aufgefordert hat. Die Aufforderung ist erst möglich nach Vorliegen der Auszahlungsvoraussetzungen vom vorgenannten Anderkonto. Bei Aufforderung hat der Verkäufer dem Käufer die ganze oder teilweise Verwendung des Betrages zur Finanzierung des vom Verkäufer zu erwerbenden Ersatzobjekts glaubhaft zu machen. [...] Der Kaufpreisrest ist jedenfalls mit dem Ableben des Verkäufers fällig. Der Verkäufer tritt bereits heute den Anspruch auf Zahlung des Kaufpreisrestbetrages an seine Tochter (…) ab." Die Beklagte zahlte den Teilbetrag des Kaufpreises von 80.000 € auf das Anderkonto des Notars. Zu ihren Gunsten wurde im September 2004 eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Der Erwerb eines Ersatzgrundstücks war dem Kläger nicht möglich. Er forderte die Beklagte nicht zur Zahlung des Restkaufpreises auf; die Eigentumsumschreibung ist bis heute nicht erfolgt.

Gestützt auf die Verjährung des Übereignungsanspruchs der Beklagten verlangt der Kläger mit der im November 2021 erhobenen Klage von der Beklagten die Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung. In der Folge hinterlegte die Beklagte den restlichen Kaufpreis in Höhe von 136.000 € zu Gunsten der Tochter des Klägers. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger könne gemäß § 886 BGB die Beseitigung der Auflassungsvormerkung verlangen, da der durch die Vormerkung gesicherte Übereignungsanspruch der Beklagten verjährt sei. Die Verjährungsfrist von zehn Jahren (196 BGB) beginne gemäß § 200 BGB mit Entstehung des Anspruchs. Entstanden sei der Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden könne. Voraussetzung sei zwar grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs. Als bereits entstanden, obwohl im Einzelfall noch nicht fällig, gelte aber auch ein Anspruch aus einem gegenseitigen Vertrag, der mit der ausstehenden Gegenleistung synallagmatisch verknüpft sei, und dem daher - wie hier - die Einrede des nicht erfüllten Vertrages entgegengehalten werden könne. Damit habe die Verjährungsfrist mit Abschluss des Kaufvertrages am 20. August 2004 zu laufen begonnen, und Verjährung sei mit Ablauf des 20. August 2014 eingetreten. Die Verjährung sei nicht gemäß oder entsprechend § 205 BGB durch die im Kaufvertrag vereinbarte Vorlagesperre gehemmt worden. Bei dieser handele es sich nicht um ein Stillhalteabkommen, aufgrund dessen der Kläger vorübergehend berechtigt gewesen wäre, die Leistung zu verweigern. Die Vereinbarung führe lediglich die Wirkung des gesetzlichen Leistungsverweigerungsrechts des § 320 BGB zu Gunsten des Klägers fort, um einen Eigentumsübergang auf der Grundlage der in dem Kaufvertrag erklärten Auflassung zu verhindern, ohne ein eigenständiges vertragliches Leistungsverweigerungsrecht zu begründen. Der Beklagten als Gläubigerin des Eigentumsübertragungsanspruchs habe es zudem freigestanden, den Restkaufpreis gemäß § 271 Abs. 2 BGB auch vor dessen Fälligkeit zu zahlen und den Notar zum Vollzug der Auflassung zu veranlassen.

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Übereignungsanspruch der Beklagten sei verjährt, ist rechtsfehlerhaft. Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück verjähren gemäß § 196 BGB in zehn Jahren. Die Verjährung beginnt nach § 200 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Ein Anspruch ist sowohl im Sinne von § 200 BGB als auch im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. Dafür genügt es nicht, dass der Schuldner die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat. Vielmehr ist darüber hinaus grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs erforderlich, da erst von diesem Zeitpunkt an (§ 271 Abs. 2 Halbs. 1 BGB) der Gläubiger mit Erfolg die Leistung fordern und nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung durch Klageerhebung hemmen kann. Nichts anderes gilt für die synallagmatisch verknüpften vertraglichen Ansprüche auf Leistung und Gegenleistung bei einem Grundstückskaufvertrag. Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs. Zwar ist auch bei einem Kaufvertrag im Grundsatz der Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Entstehung des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung iSv. §§ 199, 200 BGB und damit für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebend. Das folgt aus der gesetzlichen Leistungszeitbestimmung des § 271 Abs. 1 BGB. Etwas anderes gilt aber dann, wenn - sei es auf Grund gesetzlicher Regelung oder wegen einer von vornherein getroffenen vertraglichen Abrede - der Anspruch nicht mit Vertragsabschluss, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird. Die Vorschrift des § 271 BGB enthält subsidiäre Regelungen. Sie greift nur ein, wenn eine Leistungszeit nicht in anderer Weise bestimmt ist. Ein auf die Übereignung eines Grundstücks gerichteter kaufvertraglicher Anspruch wird regelmäßig nicht bereits mit Vertragsschluss fällig. Denn üblicherweise werden in einem Grundstückskaufvertrag abweichende Regelungen zur Fälligkeit des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung getroffen, um den Verkäufer davor zu schützen, dass er das Eigentum an seinem Grundstück verliert, ohne den Kaufpreis zu erhalten. Solche Regelungen zur Sicherung des Verkäufers können dazu führen, dass der Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst mit dem Nachweis der Kaufpreiszahlung fällig wird. Dann hat der Käufer seine Leistung in Gestalt der Kaufpreiszahlung zu erbringen, ohne sich insoweit auf § 320 BGB berufen zu können. Er kann vor Erfüllung der Vorleistungspflicht nicht erfolgversprechend auf Übertragung des Eigentums klagen, auch nicht mit dem Ziel, eine Zug-um-Zug-Verurteilung zu erreichen. Eine derartige Klage wäre vielmehr mangels Fälligkeit als derzeit unbegründet abzuweisen. Dagegen reicht es, anders als das Berufungsgericht offenbar meint, für den Beginn der Verjährungsfrist nicht aus, dass der Käufer berechtigt wäre, jederzeit den restlichen Kaufpreis zu zahlen (§ 271 Abs. 2 BGB) und damit die Fälligkeit des Eigentumsverschaffungsanspruchs herbeizuführen. Andernfalls liefe die auf den Eigentumsverschaffungsanspruch bezogene Fälligkeitsvereinbarung ins Leere; nicht fällige Ansprüche können aber nicht verjähren. Für den Anspruch des Käufers auf Eigentumsverschaffung an einem Grundstück, der nach den vertraglichen Bedingungen nicht sofort fällig ist, beginnt die Verjährungsfrist nicht schon mit Vertragsschluss, sondern erst mit der Fälligkeit. Erst dann ist der Eigentumsverschaffungsanspruch im Sinne von § 200 BGB entstanden. Ob der Beklagten - was nach den vertraglichen Regelungen zweifelhaft erscheint - überhaupt ein Recht zur Vorleistung nach § 271 Abs. 2 BGB zugestanden hätte, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

Auf die von dem Berufungsgericht herangezogene Vorschrift des § 205 BGB kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. § 205 BGB betrifft nur nachträglich vereinbarte vorübergehende Leistungsverweigerungsrechte. Damit sind Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner gemeint, die die Fälligkeit einer Forderung nachträglich hinausschieben, also nach dem Entstehen im Sinne der §§ 199, 200 BGB während der laufenden Verjährungsfrist getroffen werden (z.B. Stillhalteabkommen). Nicht erfasst werden von vornherein getroffene Abreden des Inhalts, dass die Forderung später fällig sein soll, denn die Verjährung beginnt ohnehin erst mit der Fälligkeit zu laufen. Ist mangels Fälligkeit ein einklagbarer Anspruch noch nicht iSd. §§ 199, 200 BGB entstanden, bedarf es einer Hemmung der Verjährung schon aus diesem Grund nicht. Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch der Beklagten auf Eigentumsverschaffung im Sinne des § 200 BGB nur dann entstanden, wenn er fällig geworden ist. Dazu hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Zugunsten der Beklagten ist deshalb für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass ihr Übereignungsanspruch nicht fällig geworden ist. Dann konnte die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen. Dem Kläger steht infolgedessen die Einrede der Verjährung nicht zu, und er kann die Beseitigung der Vormerkung nicht verlangen (§ 886 BGB).

3. Kontext der Entscheidung

Der erkennende Senat hat im Jahre 2006 entschieden, dass ein Schuldner die Einrede des nicht erfüllten Vertrages auch nach der Verjährung seines Anspruchs erheben kann, wenn dieser vor dem Eintritt der Verjährung entstanden und mit dem Anspruch des Gläubigers synallagmatisch verknüpft war; dass sich bereits Ansprüche in unverjährter Zeit fällig gegenübergestanden haben, sei nicht erforderlich. Der Auflassungsanspruch eines Käufers entstehe grundsätzlich mit dem Abschluss eines wirksamen Grundstückskaufvertrages, nur seine Fälligkeit werde in aller Regel von der Zahlung des Kaufpreises abhängig gemacht (BGH, Urteil vom 19. Mai 2006 – V ZR 40/05 –, Rn. 12). Diese Entscheidung ist – auch vom Berufungsgericht in dieser Sache - dahin verstanden worden, dass für Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag die Verjährung immer bereits mit Vertragsschluss beginnt, ohne dass es auf die Fälligkeit ankäme (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 199 Rn. 3). Zu dem Entstehen von Ansprüchen iSv. §§ 199, 200 BGB als Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist verhält sich aber, wie der Senat ausdrücklich klarstellt (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22 –, Rn. 12), die Entscheidung aus dem Jahre 2006 nicht, sondern nur zu § 390 Satz 2 BGB a.F. und der Frage, wann ein Anspruch im Hinblick auf eine Aufrechnungslage entstanden ist. Sie ist auf das Verjährungsrecht nicht übertragbar (so bereits sehr knapp: BGH, Beschluss vom 29. Juni 2023 – V ZR 137/22 –, Rn. 2). Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs.

4. Auswirkungen für die Praxis

Der Senat gibt dem Berufungsgericht auf zu prüfen, wann der Eigentumsverschaffungsanspruch der Beklagten fällig werden sollte (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22 –, Rn. 19). Es spreche vieles dafür, dass Fälligkeit nicht schon mit Vertragsschluss eingetreten ist. Nach den Regelungen in dem Kaufvertrag konnte der Antrag auf Vollzug der Auflassung nämlich erst gestellt werden, wenn der Kläger dem zustimmt oder er bestätigt hat oder wenn dem Notar in anderer Weise nachgewiesen ist, dass der geschuldete Kaufpreis gezahlt ist. Die Zahlung des Kaufpreisrestes sollte erst erfolgen, wenn der Kläger die Beklagte zur Zahlung auffordert und dabei die ganze oder teilweise Verwendung des Betrages zur Finanzierung des von ihm zu erwerbenden Ersatzobjekts glaubhaft macht. Für das Verjährungsrecht ist anerkannt, dass dann, wenn die Fälligkeit des Anspruchs von einem Verhalten des Gläubigers abhängt, die Verjährung erst mit Fälligkeit dieses Anspruchs beginnt (std. Rspr., vgl zuletzt: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 – I ZR 141/21 –, Rn. 30, mwN.). Dem steht der Zweck der Verjährung - Wahrung des Rechtsfriedens, Schutz des Schuldners vor Beweisschwierigkeiten, alsbaldige Klärung von Ansprüchen - nicht entgegen. Ein allgemeiner Grundsatz, wonach bei Ansprüchen mit hinausgeschobener, von der Disposition des Gläubigers abhängiger Fälligkeit die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Gläubiger die Fälligkeit selbst hätte herbeiführen können, besteht nicht und kann auch nicht aus den eng auszulegenden Ausnahmevorschriften der §§ 199, 200 BGB hergeleitet werden (BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 19. Dezember 1990 – VIII ARZ 5/90 –, Rn. 19, mwN.).

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