BGH: Berufung muss Beschwer bekämpfen

13.12.2023
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Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie nicht wenigstens teilweise den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt.  

BGH, Beschluss vom 19. September 2023 – XI ZB 31/22

Problemstellung

Der XI. Zivilsenat hatte über die Zulässigkeit einer Berufung zu entscheiden, nachdem die Parteien sich über den erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch vergleichsweise geeinigt hatten und die Klägerin in der Berufungsinstanz lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Anspruch geltend machte.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger verlangt von der beklagten Bank nach einem von ihm erklärten Widerruf die Rückabwicklung eines mit ihr geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrags. Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung, dass die primären Leistungspflichten des Klägers aus dem Darlehensvertrag zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs erloschen seien, als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Nachdem er das Darlehen vollständig abgelöst hatte, hat er den Feststellungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und (stattdessen) Zahlung der auf das Darlehen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen sowie der Anzahlung auf den Fahrzeugkaufpreis in Höhe von insgesamt 35.330,91 € verlangt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Später hat der Kläger im Hinblick auf eine zwischenzeitliche Veräußerung des Fahrzeugs sein Zahlungsbegehren auf 8.338,91 € reduziert.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Berufung sei mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien bezüglich der negativen Feststellungsklage unzulässig geworden. Eine zulässige Berufung setze voraus, dass der Berufungsführer mit der Berufung die Beschwer bekämpfe, die sich für ihn aus dem angefochtenen Urteil, d.h. hier für ihn als Kläger aus der Abweisung der Klage ergebe. Ein Rechtsmittel sei daher unzulässig, wenn es den in der Vorinstanz erhobenen und abgewiesenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolge, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen Anspruch zur Entscheidung stelle, über den in erster Instanz nicht entschieden worden sei. Eine bloße Erweiterung oder Änderung der Klage könne nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein. Die Beschwer müsse dabei nicht nur im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vorliegen, sie dürfe auch nicht vor Schluss der mündlichen Verhandlung entfallen sein. Eine allein verbliebene Beschwer des Klägers im Kostenpunkt genüge nach § 99 Abs. 1 ZPO nicht.  

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung setzt voraus, dass der Angriff des Rechtsmittelführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist. Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden. Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, welche die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen - bisher noch nicht geltend gemachten - Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig. Nach diesen Maßstäben ist die Berufung des Klägers unzulässig, weil er sein erstinstanzliches Begehren nicht weiterbetrieben, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet hat. Die auf die positive Feststellung eines bestimmten Saldos aus einem Rückgewährschuldverhältnis gerichtete und die auf die Feststellung des Wegfalls von Primärpflichten des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag zielende Klage betreffen unterschiedliche Streitgegenstände. Aufgrund dessen handelt es sich beim Übergang von dem einen zu dem anderen Antrag um eine Klageänderung iSd. § 263 ZPO und nicht bloß um eine Antragsbeschränkung oder -erweiterung iSd. § 264 Nr. 2 ZPO oder als ein dem Vorgehen nach § 264 Nr. 3 ZPO vergleichbares Verfahren. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf den vom Kläger in erster Instanz verfolgten negativen Feststellungsantrag und dem in zweiter Instanz geltend gemachten Anspruch auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Denn der Zahlungsantrag stellt in Form der Leistungsklage die Fortsetzung der positiven Feststellungsklage dar und wäre im Fall des Übergangs als Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen. Gegenüber der negativen Feststellungsklage betrifft die Zahlungsklage dagegen einen anderen Streitgegenstand. Nichts Anderes folgt daraus, dass die Wirksamkeit des Widerrufs des Klägers für beide Ansprüche Tatbestandsvoraussetzung ist. Hierbei handelt es sich bloß um ein Begründungselement, das indes die Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche als unterschiedliche Streitgegenstände unberührt lässt. Gründe der Prozessökonomie, die dafür sprechen könnten, ein ausschließlich auf Klageänderung gerichtetes Rechtsmittel im Interesse einer sachdienlichen Erledigung des Prozessstoffs zuzulassen, haben kein solches Gewicht, als dass sie es rechtfertigen könnten, von dem für alle Rechtsmittel geltenden grundlegenden Erfordernis abzugehen, dass der Angriff des Rechtsmittelführers auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet sein muss.

Kontext der Entscheidung

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz eine zulässige Berufung voraus. Eine solche liegt nur dann vor, wenn der Berufungskläger noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen will. Eine Berufung des Klägers ist danach unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – XII ZR 112/03 –, Rn. 15, mwN.). Eine zunächst zulässige Berufung wird daher unzulässig, wenn der Berufungskläger nach Wegfall der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil durch Abschluss eines Vergleichs mit der Berufung nur noch eine Erweiterung der Klage in zweiter Instanz verfolgt. Auf die Zulässigkeit der Klageerweiterung als solcher kommt es dann nicht mehr an.

Auswirkungen für die Praxis

Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 – XI ZB 25/11 –, Rn. 10, mwN.). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2009 – XI ZB 21/08 –, Rn. 13, mwN.). Die Zulässigkeit der Berufung kann offenbleiben, wenn das Revisionsgericht formell rechtskräftig abschließend auf ihre Unbegründetheit erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen (BGH, Urteil vom 7. November 2022 – VIa ZR 737/21).

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