BGH: Glaubhaftmachung einer beA-Störung

29.2.2024
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Beteiligten liegenden Gründen beruht.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war.

BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23 

1. Problemstellung

Welche Voraussetzungen einer vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument nach § 130d Satz 2 ZPO vorliegen müssen und wie diese glaubhaft zu machen sind (§ 130d Satz 3 ZPO), hatte der XII. Zivilsenat zu entscheiden.

 

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Gegen den ihr am 3. März 2022 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts, mit dem Antrag der Antragstellerin auf Zugewinnausgleich nur teilweise stattgegeben wurde, hat diese fristgerecht Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründungsfrist hat das OLG auf ihren Antrag bis zum 3. Juni 2022 verlängert. Mit zwei Schriftsätzen, die am 27. Mai 2022 beim OLG schriftlich eingegangen sind, hat die Antragstellerin, die sich nach der Mandatsniederlegung ihres bisherigen Verfahrensbevollmächtigten als Rechtsanwältin selbst vertritt, ihre Beschwerde begründet und - anwaltlich versichert - dargelegt, weshalb sie ihre Beschwerdebegründung nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht hat. Diese Ausführungen hat sie durch einen weiteren Schriftsatz ergänzt, der per Fax am 30. Mai 2022 beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Das OLG hat nach entsprechendem Hinweis den mit Schriftsatz vom 19. Januar 2023 hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.  

Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass die Beschwerdebegründungsschrift nicht form- und fristgerecht eingereicht worden ist. Gemäß §§ 112 Nr. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG, §§ 520 Abs. 5, 130 d Satz 1 ZPO war die von der Antragstellerin als Rechtsanwältin eingereichte Beschwerdebegründung grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Zwar ist nach § 130 d Satz 2 ZPO eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit nach § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen. Die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument setzt eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände voraus, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Glaubhaft zu machen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände genügt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Technische Gründe liegen aber nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.

Die Antragstellerin hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, die Nutzungspflicht nach § 130 d ZPO sei ihr bekannt. Indessen sei ihr eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, was sie anwaltlich versichere. Ihr Fehlbedienungszähler sei abgelaufen. Sie habe sich daher an die zuständige Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer gewandt. Wie der von ihr beauftragte Dienstleister ihr am 24. Mai 2022 per E-Mail bestätigt habe, zeige ihre beA-Karte an, dass der Fehlbedienungszähler abgelaufen sei. Um diesen zurückzusetzen, sei vergeblich versucht worden, das „Secure Framework“ zu starten, weil dies gemeldet habe, dass es „ein Update will was aber auch nicht geht“. Auch der nachfolgende Versuch der Deinstallation der bei der Antragsgegnerin installierten Version sei gescheitert, weil „Probleme am PC sind“. Aus diesem Grund habe auch keine neue Version installiert werden können. Mit E-Mail vom 25. Mai 2022 habe die Zertifizierungsstelle mitgeteilt: „Wie telefonisch besprochen übersenden wir Ihnen die Anleitung. Sollten Sie Ihre PIN dreimal falsch eingegeben haben, wird die PIN-Eingabe gesperrt. Um die PIN-Eingabe wieder freizuschalten, wird die PUK aus dem PIN-Brief benötigt.“ Diesen Ausführungen habe sich eine Anleitung zur Zurücksetzung des Fehlbedienungszählers angeschlossen. Mit der Sachbearbeiterin bei der Bundesnotarkammer habe sie noch am selben Tag einen Termin mit einem IT-Fachmann der Zertifizierungsstelle für den Nachmittag vereinbart. In dem für sie eingestellten zweistündigen Slot habe sich aber niemand bei ihr gemeldet. Auf Anraten der Zertifizierungsstelle habe sie der Bundesnotarkammer einen Sperrauftrag mit der Begründung „falscher Zugangscode“ erteilt und (kostenpflichtig) eine neue beA-Karte beantragt, deren Erstellung und Zusendung aber ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könnten. Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022 hat die Antragstellerin abschließend mitgeteilt, dass die vorübergehende technische Störung behoben worden und das besondere elektronische Anwaltspostfach jetzt vollumfänglich funktionstüchtig sei.    

Dieses Vorbringen wird den Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit iSd. § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nicht gerecht, weil aus den Ausführungen der Antragstellerin nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob sie die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Eine Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs oder des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) sowie der temporäre Ausfall der Netzwerkkarte führt grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit. Eine solche Konstellation liegt hier indessen nicht vor. Denn nach dem von der Antragstellerin gehaltenen Vortrag besteht nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die behauptete Unmöglichkeit auf technischen und nicht auf in der Person der Antragstellerin liegenden Gründen beruht. Eine technische Unmöglichkeit ist dann nicht glaubhaft gemacht, wenn die Angaben auch den Schluss zulassen, dass der zugelassene Übermittlungsweg noch nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet und dessen Funktionsfähigkeit vor der erstmaligen Nutzung nicht überprüft worden ist. Professionelle Einreicher werden durch § 130 d ZPO nicht von der Notwendigkeit entbunden, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten. Zu den notwendigen technischen Einrichtungen gehört dabei nicht nur ein entsprechendes Endgerät (Hardware), sondern auch die für den Betrieb des Endgeräts und die Einreichung elektronischer Dokumente jeweils erforderliche Software in der jeweils aktuellen Version. Die Antragstellerin hat sich jedoch in den Schriftsätzen vom 27. und 30. Mai 2022 nicht dazu geäußert, ob sie die so verstandenen technischen Einrichtungen vorgehalten hat. Sie ist auch nicht darauf eingegangen, ob sie - wie von der Zertifizierungsstelle vorgeschlagen - überhaupt versucht hat, mittels der ihr übersandten PUK die PIN-Eingabe zu entsperren, um anschließend entsprechend der Anleitung der Zertifizierungsstelle den Fehlbedienungszähler zurückzusetzen, gegebenenfalls auch unter Aktualisierung der Betriebssoftware des Endgeräts und der Betriebssoftware für die Einreichung von elektronischen Dokumenten. Vielmehr hat sie mit E-Mail vom 30. Mai 2022 an die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer mitgeteilt, dass „keine Dokumente signiert“ worden seien, „somit die übersandte PIN vom 15.02.2022 nicht eingesetzt und infolge auch nicht geändert“ worden sei. Danach legen die Angaben der Antragstellerin den Schluss nahe, dass es sich bei der gescheiterten Übermittlung der Beschwerdebegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach offensichtlich um den erstmaligen Versuch der Verwendung der im Februar 2022 übersandten PIN und damit - zumindest möglicherweise - auch um den erstmaligen Versuch der Übermittlung eines elektronischen Dokuments an ein Gericht handelte und diese an der mangelnden Aktualisierung der Betriebssoftware gescheitert sein könnte. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rechtsanwalt in jedem Einzelfall dazu vorzutragen und glaubhaft zu machen hat, dass die technischen Einrichtungen zur elektronischen Übermittlung ursprünglich gegeben und funktionstüchtig waren. Denn jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - auf der Grundlage des Vorbringens des Rechtsanwalts davon auszugehen ist, dass Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bestand, diese jedoch unterblieben ist, muss der Rechtsanwalt darlegen, dass die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente ursprünglich vorhanden und einsatzfähig waren. Fehlt wie hier die Glaubhaftmachung nach § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO, so ist auch die Ersatzeinreichung unwirksam.    

Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht der Antragstellerin eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war. Dies ist hier der Fall, nachdem als Ursache für die Fristversäumung nicht ausgeschlossen werden kann, dass die sich als Rechtsanwältin selbst vertretende Antragstellerin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten hat.

3. Kontext der Entscheidung

Es entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11, mwN.). Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11, mwN.) Eine Prozesspartei muss es sich als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) zurechnen lassen, wenn dieser sich nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 20, mwN.).

4. Auswirkungen für die Praxis

Ein Rechtsanwalt muss die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Einem Rechtsanwalt muss bekannt gewesen sein, dass ihn ab dem 01.01.2022 nicht nur wie bereits zuvor die („passive“) Pflicht trifft, elektronische Zustellungen und Erklärungen über das von ihm vorzuhaltende elektronische Anwaltspostfach zu empfangen (§ 31a Abs. 6 BRAO), sondern eine („aktive“) Nutzungspflicht bezüglich des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Die entsprechende Bestimmung des § 130d Satz 1 ZPO gehört zum verfahrensrechtlichen Grundwissen eines im Zivilprozess tätigen Rechtsanwalts (BGH, Beschl. v. 10.01.2023 - VIII ZB 41/22). Daher war jeder Rechtsanwalt verpflichtet, sich mit den technischen Voraussetzungen der ab dem 1.02.2022 einzig zulässigen Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut zu machen. Dazu gehört auch die Installation der regelmäßig angebotenen Updates.

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.