BGH: Keine erstmalige Fristverlängerung ohne Begründung

18.12.2023
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

Der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers darf nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt.

BGH, Beschluss vom 14. November 2023 – XI ZB 10/23

Problemstellung

Mit den Anforderungen an den ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte sich der XI. Zivilsenat zu befassen.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte hat gegen ein ihm am 22. Dezember 2022 zugestelltes Urteil, durch das er zur Rückzahlung eines Darlehens verurteilt worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter ohne Begründung beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat bis zum 22. März 2023 zu verlängern. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende verfügt, der Beklagte erhalte im Hinblick auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO Gelegenheit, seinen Fristverlängerungsantrag unverzüglich zu begründen. Diese Verfügung sollte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Begleitschreiben über das besondere elektronische Anwaltspostfach mitgeteilt werden. Versehentlich wurde am 22. Februar 2023 jedoch nur das Begleitschreiben ohne die Verfügung übersandt. Darin heißt es: "Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt […], anliegende Dokumente werden Ihnen elektronisch übermittelt." Nachdem in der Folgezeit keine Reaktion des Beklagten erfolgt war, hat der Vorsitzende des Berufungssenats den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen, weil der Beklagte keine Einwilligung der Klägerin beigebracht und entgegen § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO trotz des gerichtlichen Hinweises keine erheblichen Gründe dargelegt habe. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mitgeteilt, dass ihm die Verfügung vom 21. Februar 2023 nicht zugegangen sei und er auf einen entsprechenden Hinweis sofort reagiert hätte, zumal die beantragte Fristverlängerung auf einer Arbeitsüberlastung infolge seiner Corona-Erkrankung beruht habe. Weiter hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und erneut eine Verlängerung dieser Frist um einen Monat beantragt. Zur Begründung hat er auf die unterbliebene Mitteilung des in der Verfügung vom 21. Februar 2023 enthaltenen Hinweises sowie darauf verwiesen, dass in einem bei einem anderen Senat desselben Berufungsgerichts geführten Verfahren mit einem gleichlautenden Antrag die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei. Er habe daher darauf vertrauen dürfen, dass auch im Streitfall die Frist wie beantragt verlängert oder ihm anderenfalls ein entsprechender Hinweis erteilt werde.  

Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil der Beklagte nicht glaubhaft gemacht habe, ohne sein bzw. ein ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an einem ordnungsgemäßen Fristverlängerungsantrag gehindert gewesen zu sein. Führe die beantragte Fristverlängerung zur Verzögerung des Rechtsstreits, dürfe die Berufungsbegründungsfrist nur dann verlängert werden, wenn es sich um den ersten Fristverlängerungsantrag handele und der Rechtsmittelführer darin gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlege. Werde der Antrag nicht begründet, müsse der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Antrag deshalb abgelehnt werde. Diese Rechtsprechung müsse dem Rechtsanwalt auch bekannt sein. Da ein gerichtlicher Hinweis nicht erforderlich gewesen sei, könne sich daraus, dass die Verfügung vom 21. Februar 2023 dem Beklagten nicht mitgeteilt worden sei, von vornherein nichts zu dessen Gunsten ergeben. Darüber hinaus stelle es ein selbständiges Verschulden dar, wenn ein Prozessbevollmächtigter, dem auf seinen Fristverlängerungsantrag ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts zugehe, dem aber die darin in Bezug genommene Verfügung nicht beigefügt sei, diesen Vorgang weder zum Anlass für eine Nachfrage bei Gericht noch für eine Überprüfung seines Fristverlängerungsantrags nehme, obwohl ein Prozessbevollmächtigter im Fall eines solchen Antrags ohne Darlegung erheblicher Gründe bei Gericht nachfragen müsse, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden sei. Der Beklagte habe auch nicht deshalb auf die Stattgabe des Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen, weil in einem Fall durch einen anderen Senat des Berufungsgerichts eine Berufungsbegründungsfrist ohne Darlegung eines erheblichen Grundes verlängert worden sei (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. April 2023 – 6 U 14/23).  

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Denn die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners - auf diese hat sich der Beklagte nicht berufen - auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Er darf jedoch im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Das setzt die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung voraus, auch wenn an diese bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und beispielsweise der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten ausreicht, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Entspricht der Fristverlängerungsantrag diesen Anforderungen und darf der Prozessbevollmächtigte deshalb mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen, ist er nicht gehalten, sich vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht zu vergewissern, ob dem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde. Dagegen kann der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt. In einem solchen Fall muss der Prozessbevollmächtigte damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird. Die ihm nach diesen Maßgaben im Zusammenhang mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist obliegenden Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht eingehalten. In dem Antrag vom 21. Februar 2023 sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Dem Schriftsatz ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Verlängerung begehrt worden ist. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern wäre gehalten gewesen, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde.  

Das gilt auch, nachdem dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am letzten Tag der Frist, einen Tag nach Einreichung seines Antrags, ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts übersandt wurde, dem das darin in Bezug genommene Dokument nicht beigefügt war. Denn es war nicht ersichtlich, ob es sich dabei um einen Hinweis auf die fehlende Begründung, die Gewährung oder die Ablehnung der beantragten Fristverlängerung handelte. Der Prozessbevollmächtigte, der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ihm bekannt sein musste, mit der Ablehnung seines nicht begründeten Fristverlängerungsantrags rechnen musste, konnte nicht darauf vertrauen, dass es sich um die Gewährung der Fristverlängerung oder die rechtzeitige Erteilung eines Hinweises handelte.

Kontext der Entscheidung

Ausreichend kann eine konkludente Begründung des erstmaligen Fristverlängerungsantrags sein. So hatte ein Prozessbevollmächtigter die beantragte Fristverlängerung weder auf eine Erkrankung noch auf eine Urlaubsabwesenheit gestützt, jedoch ausdrücklich klargestellt, dass die Fristverlängerung nicht wegen einer noch ausstehenden Rücksprache bei der Partei erforderlich ist. Wenn ein Prozessbevollmächtigter bei dieser Sachlage unter Hinweis auf eine bereits erfolgte Rücksprache mit der Partei erstmals eine kurzzeitige Fristverlängerung mit der Begründung beantragt, die nach dem Mandantengespräch erforderlich gewordenen Ergänzungen und Änderungen seien noch einzuarbeiten, „insoweit“ bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche, wird damit bei objektiver und vernünftiger Betrachtung zum Ausdruck gebracht, die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit genüge in Anbetracht des sonstigen Geschäftsanfalls des Prozessbevollmächtigten nicht, um die Berufungsbegründung fristgerecht mit der erforderlichen Sorgfalt fertigzustellen. Unter diesen Umständen für einen ausreichenden Fristverlängerungsantrag zu verlangen, dass die Wendung „Arbeitsüberlastung“ ausdrücklich gebraucht wird, käme einer bloßen Förmelei gleich (BGH, Beschl. v. 09.05.2017 - VIII ZB 69/16 Rn. 17). Nicht ausreichend ist aber die Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt. Ihr ist nämlich nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wurde. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht etwa ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – IV ZR 132/06 –, Rn. 7). Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Kläger zurechnen lassen muss, darf deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern hat Anlass, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – IV ZR 132/06 –, Rn. 8). Ein nicht bereits im Antrag auf Fristverlängerung, sondern erst nach Fristablauf mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgte Hinweis des Prozessbevollmächtigten, er sei derzeit überlastet, rechtfertigt keine andere Beurteilung (BGH, Beschluss vom 20. August 2019 – X ZB 13/18 –, Rn. 13).

Auswirkungen für die Praxis

Ist die Berufungsbegründungsfrist bereits über einen Monat hinaus verlängert worden, kann diese Frist nur mit Einwilligung des Gegners erneut verlängert werden (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Einwilligung muss nicht schriftlich und gegenüber dem Berufungsgericht erklärt werden; sie kann vielmehr auch vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt werden. In diesem Fall muss die Erteilung der Einwilligung in dem Fristverlängerungsantrag dargelegt werden (BGH, Beschl. v. 12.04.2006 - XII ZB 74/05 -, Rn. 9). Daher ist das Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die ihm gegenüber erklärte Einwilligung des Gegners in dem Verlängerungsantrag nicht erwähnt (BGH, Beschl. v. 22.03.2005 - XI ZB 36/04). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der, anders als § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO für die Einwilligung in die Sprungrevision, keine Schriftform verlangt. Die Schriftformbedürftigkeit des Verlängerungsantrages ist auf die Einwilligung nicht übertragbar. Der rechtzeitige Eingang eines Verlängerungsantrages oder einer Begründungsschrift hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft. Damit hierüber im Interesse der Rechtssicherheit Klarheit besteht, bedarf der Verlängerungsantrag der Schriftform (BGH, Beschl. v. 23.01.1985 - VIII ZB 18/84). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat keine vergleichbare Bedeutung für den Eintritt der formellen Rechtskraft, so dass kein Anlass besteht, an die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhöhte Anforderungen zu stellen und sie als schriftformbedürftig anzusehen (BGH, Beschl. v. 09.11.2004 - XI ZB 6/04 -, Rn. 11).

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.