BGH: Keine Wiedereinsetzung bei falscher beA-Adresse

13.12.2023
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Ist einem Rechtsanwalt schon zuvor aufgefallen, dass eine Mitarbeiterin trotz richtiger anderslautender Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf des Berufungsbegründungsschriftsatzes fehlerhaft ein anderes Oberlandesgericht als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hatte, kann er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr "in einem zweiten Anlauf" eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen. Er muss daher die Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen.

BGH, Beschluss vom 31. August 2023 – III ZB 72/22

Problemstellung

Wann sich ein Rechtsanwalt für die Versendung einer Berufungsbegründung nach Entdeckung einer falschen beA-Adresse mit einer Einzelanweisung an eine Mitarbeiterin begnügen kann und wann er deren Ausführung persönlich überprüfen muss, hatte der III. Zivilsenat zu entscheiden.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin hat gegen ein ihr am 22. März 2022 zugestelltes Urteil des Landgerichts Hamburg am 20. April 2022 Berufung beim Hanseatischen Oberlandesgericht eingelegt, das die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 23. Juni 2022 verlängerte. Die auf diesen Tag datierte Berufungsbegründung der Klägerin ging erst am 27. Juni 2022 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin vorgetragen, der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt W. habe die seit Januar 2017 in seiner Kanzlei tätige, stets sorgfältig, zuverlässig und beanstandungsfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte D. mit der Einreichung des an das "Hanseatische Oberlandesgericht, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg" adressierten Berufungsbegründungsschriftsatzes beauftragt. Da aber im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer dieses nicht als "Hanseatisches Oberlandesgericht", sondern als "Oberlandesgericht Hamburg", und mit dem Zusatz "Hanseatisches" nur das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" aufgeführt sei, habe Frau D. irrtümlich letzteres als Empfänger der Berufungsbegründung ausgewählt. Nachdem Rechtsanwalt W. dies bei der Vornahme der qualifizierten elektronischen Signatur an ihrem Computer aufgefallen sei, habe er sie angewiesen, "noch einmal den Adressaten der Nachricht zu prüfen und zu korrigieren". Da Frau D. im beA-Verzeichnis aber wiederum nur das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" gefunden und deshalb angenommen habe, dass Bremen und Hamburg ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden, habe sie die Berufungsbegründung schließlich (doch) an diesen Empfänger versandt. Die Klägerin meint, Rechtsanwalt W. habe auch ohne Kontrolle darauf vertrauen dürfen, dass Frau D. die ihr erteilte konkrete Einzelweisung befolgen beziehungsweise sich bei auftretenden Zweifeln zur Rücksprache an ihn wenden würde. In seiner zur Glaubhaftmachung von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherung hat Rechtsanwalt W. angegeben: "Ich wies Frau D. darauf hin, dass das Berufungsgericht in Hamburg zuständig wäre und sie dies bitte ändern möge. Hierauf antwortete sie, dass sie dies tun werde", während Frau D. zu diesem Punkt an Eides statt versichert hat: "Herr W. sichtete die von mir erstellte beA-Nachricht und fragte, warum das Gericht in Bremen säße, eigentlich zuständig wäre das Berufungsgericht in Hamburg. Hierauf antwortete ich, dass ich das nochmal prüfen und ggf. korrigieren würde".

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass die Fristversäumung nicht auf einem ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Vielmehr sei nach ihrem eigenen Vorbringen davon auszugehen, dass dieser durch unzureichende Überwachung der Versendung der Berufungsbegründung an das richtige Oberlandesgericht die Versäumung der Frist verschuldet habe. Auf das Vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolge, könne sich Rechtsanwalt W. nicht berufen. Denn Frau D. habe sich schon dadurch, dass sie trotz richtiger Adressatenbezeichnung im Berufungsbegründungsschriftsatz das falsche Gericht aus der beA-Empfängerliste ausgewählt habe, nicht als hinreichend kompetent und zuverlässig erwiesen, um sie später eigenverantwortlich diesen Fehler korrigieren zu lassen. Vielmehr hätte Rechtsanwalt W. diese Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen müssen.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin macht ohne Erfolg geltend, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten überspannt, der Klägerin dadurch den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und ihr eine in der Sphäre der Gerichte liegende Ursache für die Fristversäumung angelastet habe. Vielmehr hat es zu Recht angenommen, dass die Klägerin ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht schon deshalb zu gewähren, weil das zuständige Oberlandesgericht in Hamburg am Tag des Fristablaufs als Empfängergericht im beA nicht unter seiner amtlichen Bezeichnung "Hanseatisches Oberlandesgericht" (ohne Ortsangabe), sondern nur als "Oberlandesgericht Hamburg" aufgefunden und ausgewählt werden konnte. Zwar könnte eine für eine Fristversäumung ursächliche fehlerhafte oder irreführende Eintragung im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer eine Wiedereinsetzung begründen. Denn die besonderen Risiken, die auf den technischen Gegebenheiten eines vom Gericht eingesetzten oder zugelassenen Kommunikationsmittels beruhen, sind der Sphäre der Justiz zuzurechnen und dürfen nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt vor allem, wenn die Verwirklichung dieser Risiken die entscheidende Ursache für die Fristversäumung gewesen ist. Jedoch ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen der Klägerin nicht, dass die Fristversäumung durch die möglicherweise irreführende Benennung des Berufungsgerichts im Empfängerverzeichnis des beA entscheidend verursacht wurde. Denn danach hat nicht diese Gerichtsbezeichnung, sondern vielmehr das (Fehl-)Verhalten der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin den maßgeblichen Kausalbeitrag für die Übermittlung des als solchen richtig adressierten Berufungsbegründungsschriftsatzes an das unzuständige Oberlandesgericht in Bremen am Tag des Fristablaufs geleistet. Nach dem Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen hatte Rechtsanwalt W. Frau D. nämlich auf das von ihr aus dem beA-Verzeichnis als Empfänger zunächst ausgewählte Oberlandesgericht in Bremen angesprochen und sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eigentlich das "Berufungsgericht in Hamburg" zuständig sei. Trotz dieses Hinweises und ungeachtet der Diskrepanz zu der im Schriftsatz enthaltenen Adressierung wiederholte Frau D. nachfolgend ihren Fehler, indem sie aus dem beA-Verzeichnis erneut das unzuständige "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" auswählte und die Berufungsbegründung dorthin übermittelte. Stattdessen hätte sie, da sie nach eigenen Angaben auch bei der nochmaligen Suche im Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer kein anderes Hanseatisches Oberlandesgericht als das in Bremen gefunden hatte, die in der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt W. behauptete allgemeine Arbeitsanweisung befolgen müssen, sich bei Unklarheiten bei der Ermittlung des richtigen beA-Empfänger-Postfachs an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu wenden. Insbesondere hätte sie ohne vorherige Rückfrage nicht einfach davon ausgehen dürfen, dass Hamburg und Bremen ein gemeinsames Oberlandesgericht mit Sitz in Bremen unterhalten würden.    

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trifft daran, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz trotz seines Hinweises nicht rechtzeitig vor Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht in Hamburg übermittelt wurde, ein eigenes, seiner Partei zurechenbares Überwachungsverschulden. Zwar ist ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts an der Fristversäumung nicht gegeben, wenn dieser einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Denn ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolgt, und ist unter diesen Umständen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Dies kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn es sich um einfache Verrichtungen wie etwa die Versendung von Schriftsätzen handelt, die der Rechtsanwalt ohnehin zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Personal übertragen kann. Allerdings hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine Mitarbeiterin konkret und bestimmt angewiesen hätte, den Berufungsbegründungsschriftsatz nur an dasjenige Oberlandesgericht, das in Hamburg unter der im Schriftsatz angegebenen Adresse ansässig ist, zu versenden. Eine solche Anweisung, die keinen Interpretations- und Entscheidungsspielraum eröffnet hätte und (deshalb) selbst in Ansehung des vorhergehenden Fehlers der Angestellten bei der Auswahl des beA-Empfängerpostfachs möglicherweise nicht mehr kontrollbedürftig gewesen wäre, lässt sich weder dem Wiedereinsetzungsantrag selbst noch der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Frau D. entnehmen. Vielmehr ergibt sich daraus, anders als aus der eigenen eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt W., lediglich ein Auftrag an Frau D. , das von ihr aus dem Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer ausgewählte (falsche) Empfängergericht nochmals zu "prüfen" und - jedenfalls nach ihrem Verständnis - (nur) "gegebenenfalls" zu korrigieren, also in eigener Verantwortung über eine Berichtigung zu entscheiden. Auf die Richtigkeit dieses Prüfungsergebnisses hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aber nicht ohne eigene Kontrolle vertrauen dürfen. Nachdem ihm schon zuvor aufgefallen war, dass Frau D. trotz richtiger anderslautender Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf des Berufungsbegründungsschriftsatzes fehlerhaft das Oberlandesgericht in Bremen als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hatte, konnte er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr "in einem zweiten Anlauf" eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen. Dies gilt umso mehr, als Rechtsanwalt W. nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung von Frau D. nicht ohne Weiteres annehmen durfte, dass sie das "Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen" nur versehentlich, etwa infolge eines "Verrutschens" des Cursors in der Auswahlmaske, und nicht absichtlich angeklickt hätte. Denn ihre Äußerung, sie werde die von ihr getroffene Auswahl "nochmal prüfen und gegebenenfalls korrigieren", lässt erkennen, dass sie es weiterhin für möglich hielt, dass das Oberlandesgericht in Bremen der richtige Empfänger sei.

Kontext der Entscheidung

Entschieden ist bereits, dass wegen der Partei zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung (gegen den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist) nicht gewährt werden kann, wenn der Rechtsanwalt, nachdem er entdeckt hat, dass die Berufungsbegründung an das Ausgangsgericht gesendet worden ist, seinem Personal nur eine mündliche Einzelanweisung zur Versandwiederholung erteilt und die Ausführung nicht kontrolliert hat (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2022 – VIa ZB 6/21). Nachdem der Prozessbevollmächtigte bemerkt hatte, dass die Berufungsbegründung versehentlich an das Landgericht versandt worden war, konnte er nicht mehr davon ausgehen, er erteile die Anweisung, den Schriftsatz erneut - nunmehr an das Oberlandesgericht - zu übersenden, einer sonst zuverlässigen Angestellten. Der Prozessbevollmächtigte hätte daher nicht auf Sicherheitsvorkehrungen verzichten dürfen. Vielmehr war er gehalten, über die mündlich erteilte Weisung hinaus durch weitere Maßnahmen sicherzustellen, dass der Schriftsatz korrekt versandt wird, etwa indem er sich die Eingangsbestätigung (§ 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) der erneuten Versendung hätte vorlegen lassen. Nichts anderes gilt, soweit sich der Kläger auf eine spätere Nachfrage des Prozessbevollmächtigten bei der Angestellten beruft, ob der Versand an das Oberlandesgericht nunmehr erfolgt sei, worauf diese geantwortet habe, sie werde den korrekten Versand nun erledigen. Nach dem Gesagten hätte sich der Prozessbevollmächtigte nicht mit einer solchen Antwort der Angestellten begnügen dürfen. (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2022 – VIa ZB 6/21 –, Rn. 8 - 9).

Auswirkungen für die Praxis

Ein Rechtsanwalt muss bei nur mündlich erteilten Anweisungen ausreichende Vorkehrungen dagegen treffen, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät. Dafür genügt im Regelfall die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich. Der Rechtsanwalt muss aber, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnet, durch allgemeine Weisung oder besonderen Auftrag Vorkehrungen gegen das Vergessen treffen (BGH, Beschl. v. 21.05.2019 - II ZB 4/18 Rn. 13). Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal, einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle, auch die zusätzliche allabendliche Kontrolle fristgebundener Sachen, nicht entbehrlich. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Anwaltsschriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Sie soll vielmehr auch gewährleisten, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Zu diesem Zweck sind Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist. Das ist auch bei einer elektronischen Kalenderführung erforderlich, denn sie darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14 –, Rn. 10).

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