BGH: Screenshots zur Glaubhaftmachung bei beA-Störung

13.12.2023
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Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots: Die Vorlage eines Screenshots kann geeignet sein, die behauptete Störung glaubhaft zu machen.

BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 - XI ZB 1/23

(OLG Braunschweig, Entscheidung vom 20.12.2022 - 11 U 109/22; LG Braunschweig, Entscheidung vom 19.08.2022 - 5 O 5693/20 (623))

Das Problem:

Der Kläger hat gegen das ihm am 22. August 2022 zugestellte Urteil des Landgerichts am 22. September 2022 Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung ist auf seinen Antrag bis zum 24. November 2022 verlängert worden. Am 24. November 2022 um 22:18 Uhr hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Schriftsätze nebst einem Screenshot per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt. Mit dem ersten dieser Schriftsätze hat sie mitgeteilt, dass aufgrund von Störungen derzeit überhaupt keine Verbindung zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) aufgebaut werden könne. Auf der Seite der Bundesrechtsanwaltskammer sei angegeben, dass seit ca. 14:06 Uhr die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stehe und mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung gearbeitet werde. Da aufgrund der Größe des Schriftsatzes ein weiteres Zuwarten nicht mehr angezeigt sei, werde der beigefügte Fristverlängerungsantrag per Fax eingereicht. Mit dem zweiten Schriftsatz ist beantragt worden, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einvernehmen der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um einen Monat zu verlängern. Beide Schriftsätze hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem unaufgefordert am 25. November 2022 per beA an das Berufungsgericht übermittelt. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30. November 2022 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass der Berufungssenat beabsichtigte, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 24. November 2022 verlängerten Frist begründet worden sei und die an diesem Tag per Telefax eingereichten Schriftsätze nicht den Anforderungen des § 130d ZPO genügten, weil die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht gemäß § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei. Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 eine Berufungsbegründung vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag die Richtigkeit des am 24. November 2022 geschilderten Sachverhalts unter Bezugnahme auf ihre Berufspflichten anwaltlich versichert sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Kläger die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt habe.

Die Entscheidung des Gerichts:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist begründet. Denn das Berufungsgericht hat zu Unrecht nicht geprüft, ob dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren ist. Der Kläger hat am 8. Dezember 2022 und damit innerhalb der Monatsfrist aus § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, indem er die Berufungsbegründung eingereicht hat. Der Kläger war ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Er durfte darauf vertrauen, dass sein am 24. November 2022 per Telefax übermittelter Antrag, die bis zu diesem Tag verlängerte Berufungsbegründungsfrist im Einverständnis mit der Beklagten erneut zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Bei Einwilligung des Gegners ist auch das Vertrauen in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zusätzlich einen konkreten Grund für den Antrag - starke Arbeitsüberlastung - angegeben. Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische und damit formgerechte Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die am 24. November 2022 bestehende Störung des beA, die dazu führte, dass mehrere Stunden lang keine Verbindung zum beA aufgebaut werden konnte, eine vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument iSv. § 130d Satz 2 ZPO begründete und dass der Schriftsatz vom 24. November 2022 eine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen enthält. Allerdings überspannt das Berufungsgericht die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten Screenshot zu berücksichtigen. Die Vorlage dieses Screenshots, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt iSv. § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt stimmt überein mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den Zeitraum Juli - Dezember 2022, nach denen vom 24. November 2022, 14:06 Uhr, bis zum 25. November 2022, 3:33 Uhr eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war.  

Konsequenzen für die Praxis:

Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob die Störung angesichts der auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer verfügbaren Informationen als offenkundig im Sinne von § 291 ZPO hätte behandeln können. Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen - wahrnehmbar sind. Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkunde über sie sicher unterrichten kann (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2023 – VII ZB 69/21, MDR 2023, 1124). Diese Voraussetzungen sind durch die beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer erfüllt. Angesichts der Offenkundigkeit der Störung stellte es eine überflüssige Förmelei dar, Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung zu verlangen. Um den sichersten Weg zu beschreiten, sollte bis zur höchstrichterlichen Klärung der Anwendbarkeit des § 291 ZPO auf die vorliegende Konstellation vorsorglich eine anwaltliche Versicherung abgegeben werden.

Beraterhinweis:

Ist für einen Verlängerungsantrag die Zustimmung des Gegners erforderlich, muss diese mit dem Antrag vorgetragen werden (BGH, Beschl. v. 25.08.2021 - XII ZB 172/20, MDR 2021, 1348). Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben werde. Auch ein vorangegangener Hinweis, mit einer weiteren Verlängerung sei nicht zu rechnen, kann dem Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Berufungsführers in die Fristverlängerung nicht entgegenstehen. Ein solcher Hinweis entbindet das Gericht nicht davon, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, und die vom Gesetzgeber beabsichtigte vereinfachte Verlängerungsmöglichkeit bei erteilter Einwilligung zu beachten (BGH, Beschl. v. 30.01.2023 - VIa ZB 15/22, MDR 2023, 379).

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