BGH: Zur Auslegung des Klageantrags

15.1.2024
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Der Klageantrag auf Herausgabe einer verkörperten Information ist als Prozesserklärung im Wege der Auslegung nicht auf die Herausgabe der Information als solche zu verstehen, sondern auf Herausgabe der Verkörperung, in der sie enthalten ist.

BGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – IX ZR 238/22

   Problemstellung

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klage die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Wie diese Anforderungen bei einem Klageantrag auf Herausgabe einer verkörperten Information zu erfüllen sind, hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden.

   Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das LG Düsseldorf hat die Klägerinnen mit vorläufig vollstreckbarem Urteil, der Beklagten wegen einer Patentrechtsverletzung u.a. Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen. Gegenstand der Auskunft und Rechnungslegung waren Informationen zur Herstellung und zum Vertrieb eines Arzneimittels. Nachdem die Beklagte die Zwangsvollstreckung betrieb, erteilten die Klägerinnen mit vier Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten nebst jeweiligen Anlagen (fortan: Auskunftsschreiben) Auskunft und legten Rechnung. Auf die Berufung der Klägerinnen wies das OLG Düsseldorf das Urteil des LG Düsseldorf die Klage der Beklagten ab. Die Klägerinnen machen nunmehr im Hinblick auf die von ihnen erteilten Auskünfte und Rechnungslegung Herausgabe-, Löschungs- und Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte geltend. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Die Hauptanträge seien unzulässig. Der Herausgabeantrag sei nicht hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil bereits nicht klar sei, was unter einer verkörperten Information zu verstehen sei. Eine Information als solche könne nicht herausgegeben werden, sondern nur ihre Verkörperung. Dahin könne der Antrag aber nicht ausgelegt werden. Unabhängig davon reiche es nicht aus, im Klageantrag lediglich pauschal auf die Auskunftsschreiben Bezug zu nehmen, ohne die in den Dokumenten enthaltenen zahlreichen und unterschiedlichen Informationen konkret zu bezeichnen. Denn ansonsten lasse sich nicht bestimmen, wann eine Information im Falle ihrer Verarbeitung in einem bestimmten Dokument enthalten sei. Unterstellt, die Information sei als vom Antrag umfasst identifizierbar, lasse dieser den Umfang der Herausgabepflicht unklar. Denn er beziehe sich nicht auf die Herausgabe des kompletten Dokuments, das die Information enthalte, sondern nur auf die betreffende Information. Dann sei aber unklar, wie eine isolierte Information herausgegeben werden könne, wenn ein Dokument neben ihr weitere, nicht vom Antrag umfasste Informationen enthalte. Zudem seien die Informationen im Falle einer Herausgabevollstreckung für den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan nicht identifizierbar. Unsicherheiten seien im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes nicht hinzunehmen, denn den Klägerinnen sei eine konkrete Beschreibung der Informationen und der Verkörperungen, welche die Informationen enthalten, ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen. Der Antrag auf Löschung sei ebenso nicht hinreichend bestimmt, weil sich auch die nicht-physisch verkörperten, elektronischen Informationen wegen der pauschalen Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben im Klageantrag nicht identifizieren ließen und zudem unklar sei, ob nur die (unterstellt identifizierte) Information oder das gesamte elektronische Dokument oder die gesamte Datei zu löschen sei. Der Bestimmtheitsmangel schlage auch auf den Unterlassungsantrag durch.      

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beurteilung, die gestellten Hauptanträge der Klägerinnen seien unzulässig, beruht auf Rechtsfehlern. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht den Herausgabeantrag, den die Klägerinnen auf § 717 Abs. 2 ZPO, § 249 BGB und § 812 Abs. 1 BGB stützen, als unbestimmt angesehen. Falsch ist bereits das Verständnis des Berufungsgerichts, der Herausgabeantrag sei auf die Herausgabe von Informationen als solche, nicht aber der Verkörperungen gerichtet, die sie enthalten. Klageanträge sind Prozesserklärungen. Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Danach ergibt die Auslegung, dass der Herausgabeantrag auf alle physischen Verkörperungen gerichtet ist, die Informationen aus den übersandten Auskunftsschreiben enthalten. Dies entspricht der wohlverstandenen Interessenlage der Klägerinnen, welche die Klage auf materielle Ansprüche nach § 717 Abs. 2 ZPO, § 249 BGB und § 812 Abs. 1 BGB stützen. Nach ihrem Willen soll die Beklagte genau das herausgeben, was sie aufgrund der Vollstreckung aus dem Titel zur Auskunfts- und Rechnungslegung erhalten hat. Objekt des Herausgabebegehrens sind damit zunächst alle Originaldokumente, welche die Beklagte erhalten hat. Umfasst sind aber auch alle davon abgeleiteten Verkörperungen, in welche die Informationen nach Vervielfältigung oder Verarbeitung ganz oder teilweise oder mit anderen Inhalten vermischt Eingang gefunden haben. Die Klägerinnen können die abgeleiteten Dokumente nicht näher bezeichnen. Ihnen ist unbekannt, ob und in welcher Form solche existieren. Diesem Umstand trägt der Herausgabeantrag Rechnung, indem er zur Identifizierung auf die enthaltenen Informationen abstellt und nicht auf die Verkörperungen. In diesem Kontext stehen auch die von dem Berufungsgericht zitierten Ausführungen der Klägerinnen in der Berufungserwiderungs- und Anschlussberufungsschrift, es ginge nicht um die Rückholung bestimmter Verkörperungen, Objekt der Rückabwicklung seien die Informationen. Der Wortlaut des Klageantrags steht diesem Verständnis nicht entgegen. Denn eine Information kann vernünftigerweise nicht gewolltes Objekt des Herausgabeverlangens sein, weil sie als solche nicht herausgegeben werden kann. Dass die Klägerinnen auf die Informationen abstellen, dient hinsichtlich des nach § 883 ZPO vollstreckbaren Herausgabegehrens der Identifikation der herauszugebenden Objekte. Bei interessengerechter Auslegung bleiben damit nur die physischen Verkörperungen als gewolltes Objekt des Herausgabeverlangens.    

Auch die weiter herangezogenen Begründungen des Berufungsgerichts tragen nicht die Annahme, der Herausgabeantrag sei unbestimmt. Grundsätzlich ist ein Antrag auf Herausgabe von Gegenständen iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt, wenn er diese konkret bezeichnet. Die Beschreibung muss einerseits so genau sein, dass das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt wird und dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwartet werden kann. Andererseits führt nicht jede mögliche Unsicherheit bei der Zwangsvollstreckung zur Unbestimmtheit des Klageantrags. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Klageantrag zu stellen sind, hängt von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen. Verfolgt der Kläger - wie im Streitfall - einen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO, muss ihm über die Antragstellung ermöglicht werden, den aus seiner Sicht eingetretenen Schaden vollständig kompensiert zu erhalten. Maßgebend ist damit das von den Klägerinnen verfolgte Rechtsschutzziel. Unerheblich ist, ob dieses Rechtsschutzziel materiell-rechtlich begründet ist. Daran gemessen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Herausgabeantrag leide unter einer mangelnden Bestimmtheit, rechtsfehlerhaft. Die Klägerinnen meinen, die Beklagte habe aufgrund des Schadensersatzanspruchs nach § 717 Abs. 2 ZPO den eingetretenen Vollstreckungserfolg vollständig zu beseitigen. Nach der Rechtsansicht der Klägerinnen ist hinsichtlich der Informationslage exakt der Zustand wiederherzustellen, der vor der Vollstreckung bestand. Damit zielt der von den Klägerinnen verfolgte Schadensersatzanspruch aufgrund einer vollstreckten Auskunft und Rechnungslegung dahin, dem Vollstreckungsgläubiger die damit verbundenen Vorteile und die erlangten Kenntnisse umfassend und vollständig wieder zu nehmen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müssen die Klägerinnen, um den Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, nicht jedes herauszugebende Dokument und jede darin enthaltene Information (samt gegebenenfalls anderer vermischter Inhalte) im Klageantrag genau bezeichnen. Umfasst der Antrag auf Herausgabe von überreichten Dokumenten - wie im Streitfall - auch die hiervon abgeleiteten Dokumente und kann der Berechtigte diese nicht genau bezeichnen, hindert dies die hinreichende Bestimmtheit des Klageantrags nicht, solange die abgeleiteten Dokumente anhand der überreichten Dokumente hinreichend identifizierbar bezeichnet sind. Der Herausgabeantrag bezieht sich in diesem Fall auf die Dokumente unabhängig von ihrer nach Aushändigung angenommenen Form. Das ist zudem interessengerecht. Denn die Beklagte kennt nicht nur die ihr überreichten Unterlagen, sondern auch deren weiteres Schicksal. Es besteht für sie keine Unsicherheit, worauf sie ihre Rechtsverteidigung auszurichten hat. Umgekehrt wird es den Rechtsschutzinteressen der Klägerinnen gerecht, lediglich die herauszugebenden Schriftstücke in ihrer überreichten Ursprungsform genau bezeichnen zu müssen und - wie geschehen - zum Ausdruck zu bringen, dass ihr Herausgabebegehren jede Verkörperung der darin enthaltenen Informationen auch in abgeleiteter Form umfasst. Die Klägerinnen haben die Informationen zunächst konkret durch vier Anwaltsschreiben näher eingegrenzt, mit denen sie der Beklagten im Rahmen der Vollstreckung Auskunft erteilt und Rechnung gelegt haben. Diese Anwaltsschreiben enthalten eine zusammenfassende Darstellung und Erläuterung der in den Anlagen zu diesen Anschreiben erteilten Auskünfte. Diese Anlagen haben die Klägerinnen ebenfalls in den Prozess eingeführt. Die Klägerinnen haben die Informationen hinreichend genau bezeichnet, weil die als Anlagenkonvolut zu den Akten gereichten Kopien im Falle der Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ausreichend charakteristische Merkmale (Schlüsselbegriffe, Textstrukturen oder Tabellenaufbauten) aufweisen, die sich bei einem Abgleich mit anderen Schriftstücken zur Identifikation eignen und einer Verwechselung mit anderen Inhalten entgegenstehen. Dass ein Gerichtsvollzieher das jeweilige Schriftstück durchlesen  und mit dem bezeichneten Schriftstück abgleichen muss, hindert die hinreichende Bestimmtheit nicht. Dem vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis kann auch Genüge getan sein, wenn die Auffindung der herauszugebenden Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden ist. In entsprechender Anwendung der § 813 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ZPO, § 190 Abs. 3 GVGA kann es geboten sein, eine Unterstützung des Gerichtsvollziehers durch einen von ihm auf Kosten des Schuldners beauftragten Sachverständigen bei Herausgabetiteln zuzulassen, wenn anderenfalls die Vollstreckung unmöglich ist oder unzumutbar erschwert wird. Diesen Anforderungen genügen die mit dem Klageantrag in Bezug genommenen Anwaltsschreiben und die mit diesen Anwaltsschreiben überreichten Anlagen. Soweit die Klägerinnen diese Anlagen im Prozess nur mit weitgehend geschwärzten Angaben überreicht haben, könnte dies der Bestimmtheit entgegenstehen, weil und soweit es für die Identifikation der herauszugebenden Dokumente auf den Inhalt der Informationen ankommt. Nachdem das Berufungsgericht im unstreitigen Tatbestand festgestellt hat, dass die Anlagen aufgrund des beigezogenen Verfügungsverfahrens auch in ungeschwärzter Form Gegenstand des Prozesses sind, stehen die Schwärzungen der Bestimmtheit des Klageantrags nicht entgegen.    

Der Umstand, dass der Klageantrag lediglich auf die zu den Akten gereichten Auskunftsschreiben Bezug nimmt, ohne sie selbst inhaltlich wiederzugeben oder abzubilden, steht der Bestimmtheit des Klageantrags ebenfalls nicht entgegen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Beklagte durch die Bezugnahme auf die Anlage Möglichkeiten ihrer Verteidigung einbüßen würde. Die Unterlagen liegen ihr vor; ihr Inhalt ist ihr bekannt. Allerdings wird zur Zwangsvollstreckung erforderlich sein, die Anlagen mit dem Titel zu verbinden oder im Urteil ihrem Inhalt nach wiederzugeben. Denn Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist ein hinreichend bestimmter Titel. Hieraus folgt aber kein Bestimmtheitsmangel des Klageantrags. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht ebenso den Antrag auf Löschung als unbestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erachtet. Zur Identifizierung der zu löschenden Inhalte in den betroffenen nicht-physischen Verkörperungen (elektronischen Dateien) reicht die Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben, weil diese jedenfalls in ungeschwärzter Form hinreichende Identifikationsmerkmale für den Fall einer Vollstreckung aufweisen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft den Unterlassungsantrag als unbestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angesehen. Durch die Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben ist hinreichend bestimmt, welche Inhalte Gegenstand der streitgegenständlichen Untersagung sind. Das zuständige Prozessgericht des ersten Rechtszugs kann zur Prüfung einer Zuwiderhandlung auf die beigezogene Verfügungsakte des Landgerichts München I zugreifen. Dort befindet sich nach den Feststellungen eine teilgegraute Version der Anlage. Wie weit das Nutzungsverbot reicht, insbesondere, ob die Informationen von der Beklagten zur Rechtsverteidigung in den von den Klägerinnen gegen sie geführten Auskunfts- und Schadensersatzprozessen genutzt werden dürfen, ist eine Frage des materiellen Rechts und der Begründetheit der Klage, nicht der Bestimmtheit des Klageantrags.

   Kontext der Entscheidung

Der V. Zivilsenat hat in seiner Entscheidung zu den Tonbändern der Kohl-Tagebücher die auch vom IX. Zivilsenat herangezogenen und wörtlich wiederholten Grundsätze zur Herausgabe verkörperter Erklärungen herausgearbeitet. Danach muss in einem Antrag auf Herausgabe von Gegenständen die Beschreibung einerseits so genau sein, dass das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt wird und dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwartet werden kann. Andererseits führt nicht jede mögliche Unsicherheit bei der Zwangsvollstreckung zur Unbestimmtheit des Klageantrags. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Klageantrag zu stellen sind, hängt von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 206/14 –, Rn. 9 mwN.). Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung des auf Herausgabe gerichteten Titels sind für die Bestimmtheit des Antrags ohne Belang. Das Vollstreckungsverfahren dient nicht der Feststellung des zu vollstreckenden Anspruchs, sondern allein der Vollstreckung des im Erkenntnisverfahren festgestellten Anspruchs; lediglich in Zweifelsfällen kann der Inhalt dieses Anspruchs noch im Vollstreckungsverfahren - soweit möglich - im Wege der Auslegung näher bestimmt werden. Eine Verlagerung der Klärung von Fragen, die im Erkenntnisverfahren zu beantworten sind, in das Vollstreckungsverfahren verbietet sich zumal deshalb, weil in den beiden Verfahren unterschiedliche Verfahrensgrundsätze gelten (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 – I ZB 57/10 –, Rn. 13 mwN.). Zudem kann die Unterstützung des Gerichtsvollziehers durch einen von ihm auf Kosten des Schuldners beauftragten Sachverständigen bei Herausgabetiteln zulässig und geboten sein, wenn andernfalls die Vollstreckung unmöglich ist oder unzumutbar erschwert wird. Das gebietet das für den Zivilprozess durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Recht des Gläubigers auf effektiven Rechtsschutz und sein durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistetes Recht auf Schutz des Eigentums (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 – I ZB 8/17 –, Rn. 22 mwN.).

   Auswirkungen für die Praxis

Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Kläger zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung eines Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Die Regelung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Hat der Beklagte aufgrund gerichtlicher Anordnung einen Eingriff in seinen Handlungs- und Vermögensbereich dulden müssen, der sich nach weiterer Überprüfung als unbegründet herausstellt, entspricht es gebotener Risikoverteilung, dass den Schaden aus solcher erlaubter, aber gefahrbeladener Ausübung derjenige trägt, der seine Interessen auf Kosten des anderen verfolgt. Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung, weil die Rechtsfolge an ein ausdrücklich von dem Gesetz erlaubtes Verhalten anknüpft. Ob der Kläger mit einem endgültigen Bestand seines Titels gerechnet hat und rechnen konnte oder nicht, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – IX ZR 176/10 –,Rn. 10 mwN.). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat § 717 Abs. 2 ZPO auf den allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeführt, dass der Gläubiger aus einem noch nicht endgültigen Titel auf eigene Gefahr vollstreckt. Nach einer Aufhebung oder Änderung des nur vorläufigen Urteils, das den Kläger zur vorzeitigen Vollstreckung berechtigte, soll der daraus folgende Schaden des Beklagten aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Klägers ausgeglichen werden. Die vorläufige Vollstreckbarkeit dient innerhalb des Rechtsmittelsystems, das den Schuldner schützt, dem Interesse des Gläubigers; dessen Haftung aus § 717 Abs. 2 ZPO soll die sich daraus ergebenden unvermeidlichen Nachteile des Schuldners ausgleichen, falls die vorläufige Vollstreckbarkeit außer Kraft gesetzt wird (BGH, Urteil vom 3. Juli 1997 – IX ZR 122/96 –,Rn. 17 mwN.). Im Rahmen der Schadensersatzpflicht nach § 717 Abs. 2 ZPO kann nur die Wiederherstellung des früheren Zustands verlangt werden kann, jedoch keine darüberhinausgehenden Leistungen, worauf der Senat ausdrücklich hinweist (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – IX ZR 238/22 –, Rn. 32).

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