BGH: Zur Ersatzeinreichung bei beA-Störung

29.2.2024
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Ein Gericht überspannt die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument, wenn es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorgeht.  

BGH, Beschluss vom 25. Januar 2024 – I ZB 51/23 

1. Problemstellung

Ist Rechtsanwälten die obligatorische Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz2 ZPO). Nur für diesen Fall ist die Übermittlung von Schriftsätzen in gedruckter Form oder als Faxschreiben weiterhin möglich. Mit den Anforderungen an eine wirksame Ersatzeinreichung hatte sich der I. Zivilsenat zu befassen.

2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 20. Februar 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit einem am 20. April 2023 um 16:37 Uhr per Telefax eingereichten Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. In einem zeitgleich versandten weiteren Schriftsatz hat sie ausgeführt, eine Versendung des Fristverlängerungsantrags über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sei nicht möglich. Es bestehe seit 9:00 Uhr "eine Störung von beA im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen". Zur Glaubhaftmachung hat sie einen als "Störmeldung der BRAK" bezeichneten zweiseitigen Ausdruck der am 20. April 2023 auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen vorgelegt. Auf dieser Internetseite werden einerseits von Nutzern gemeldete Störungen erfasst, andererseits Inhalte der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu aktuellen beA-Störungen wiedergegeben. Der von der Klägerin vorgelegte Ausdruck der Internetseite bea.expert beginnt mit der Mitteilung zum Stand vom 20. April 2023 16:19 Uhr: "keine beA-Störung gemeldet oder festgestellt." Weiter ist auf dem Ausdruck eine Störungsmeldung der BRAK, veröffentlicht auf der Internetseite https://portal.beasupport.de/→Aktuelles, Stand 16:00 Uhr, wiedergegeben, nach der im Land Nordrhein-Westfalen im Justizbereich eine Störung seit dem 19. April 2023, 14:12 Uhr, bestehe. Mit Verfügung vom 27. April 2023, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am selben Tag zugegangen, hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der fristgemäßen Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf elektronischem Wege nicht im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht worden sei. Demnach komme eine Verwerfung der Berufung als unzulässig in Betracht, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei und dem nicht formgerecht gestellten Fristverlängerungsantrag nicht stattgegeben werden könne. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 12. Mai 2023 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vorgetragen und glaubhaft gemacht, der letzte Übermittlungsversuch des Fristverlängerungsantrags über das beA am 20. April 2023 um 16:18 Uhr sei erneut fehlerhaft gewesen. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter den Fristverlängerungsantrag per Telefax übermitteln müssen. Mit am 22. Mai 2023 über das beA eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.    

Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hierfür geltenden zweimonatigen Frist, sondern erst mit am 22. Mai 2023 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden sei. Dem per Telefax am 20. April 2023 eingegangenen Fristverlängerungsantrag habe nicht entsprochen werden können, da er als elektronisches Dokument zu übermitteln gewesen wäre. Die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO lägen nicht vor. Zwar sei durch eine Mitteilung des Zentralen IT-Dienstleisters der Justiz in Nordrhein-Westfalen gerichtsbekannt, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) vom 19. April 2023 um 14:12 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21:20 Uhr in Nordrhein-Westfalen gestört gewesen sei. Dies habe die Klägerin jedoch nicht von der in § 130d Satz 3 ZPO normierten Obliegenheit entbunden, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments unverzüglich glaubhaft zu machen. Die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 entspreche nicht ansatzweise den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO. Die der Ersatzeinreichung beigefügte Erklärung, dass ausweislich der beigefügten Störmeldung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Störung des beA im Gebiet von Nordrhein-Westfalen vorliege, weshalb eine Versendung über das beA nicht möglich sei, enthalte keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Zudem sei für eine Glaubhaftmachung erforderlich, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichere, woran es im Schriftsatz vom 20. April 2023 ebenfalls fehle. Die ergänzenden Darlegungen im am 12. Mai 2023 eingegangenen Schriftsatz nebst den eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und seiner Mitarbeiterin seien nicht mehr unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgt. Der Klägerin könne auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil die Fristversäumung nicht unverschuldet gewesen sei. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.    

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr am 20. April 2023 per Telefax übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier. Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Hier hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag - die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters - geltend gemacht. Darin liegt ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO regelmäßig rechtfertigt.

Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische - und damit formgerechte - Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt nach § 130d Satz 2 ZPO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Das Berufungsgericht hat bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln. Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes der Klägerin vom 20. April 2023 geht unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei. Soweit der Klägervertreter in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben hat, es liege eine Störung des beA vor, trifft dies ausweislich der auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen, die sich aus dem mit diesem Schriftsatz vorgelegten Ausdruck ergeben, allerdings nicht zu. Es hat keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist jedoch unschädlich. Im Ergebnis hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht trifft sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte. Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht erforderlich.  

Das Berufungsgericht hat außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

3. Kontext der Entscheidung

Die Vorlage eines Screenshots ist nur Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO geeignet, wenn sein Inhalt mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) übereinstimmt und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den fraglichen Zeitraum eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – XI ZB 1/23 –, Rn. 18). Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob eine Störung angesichts der auf der Internetseite der BRAK verfügbaren Informationen als offenkundig iSv. § 291 ZPO hätte behandeln können. Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde – auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen – wahrnehmbar sind. Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkunde über sie sicher unterrichten kann (BGH, Beschl. v. 24.5.2023 – VII ZB 69/21). Diese Voraussetzungen sind durch die beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK erfüllt, so dass weitere Glaubhaftmachung nicht erforderlich ist. Angesichts der Offenkundigkeit der Störung stellte es eine überflüssige Förmelei dar, Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung zu verlangen. Auf jeden Fall reicht die Beifügung eines Screenshots aus, um den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO genüge zu tun. Nach Auffassung des BAG hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht (zu § 46g Satz 4 ArbGG: BAG, Urteil vom 25. August 2022 – 6 AZR 499/21 -, Rn. 39). Um den sichersten Weg zu beschreiten, sollte bis zur Klärung der Anwendbarkeit des § 291 ZPO auf die vorliegende Konstellation vorsorglich eine anwaltliche Versicherung abgegeben werden.

4. Auswirkungen für die Praxis

Ist eine wirksame Ersatzeinreichung vorgenommen worden, ist der betroffene Einreicher nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu muss vorgetragen werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2023 - V ZR 134/22 -, Rn. 10). Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage von der im Falle einer gescheiterten Faxübermittlung. Ein Rechtsanwalt, der Schriftsätze über Telefax an das Gericht zustellen will, muss damit rechnen, dass das Empfangsfaxgerät des Gerichts am Nachmittag stark in Anspruch genommen und besetzt ist und darf seine Übermittlungsversuche nicht vorschnell aufgeben. Die Beendigung von Übersendungsversuchen um 19:02 Uhr ist als vorschnell anzusehen; der Rechtsanwalt muss im Laufe des Abends weitere Versuche unternehmen (BGH, Beschl. v. 04.11.2014 - II ZB 25/13). Der Rechtsanwalt muss aber nicht bis Mitternacht die elektronische Übermittlung weiter versuchen, wenn ihm die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vorher gelingt.

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