Bemessung der Sicherheitsleistung nach Verurteilung zur Leistung einer Bauhandwerkersicherung

4.6.2024
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Bei vorläufig vollstreckbarer Verurteilung des Bestellers in Leistung einer Bauhandwerkersicherheit (§ 650f BGB n.F./§ 648a BGB a.F.) bemisst sich die nach § 709 ZPO festzusetzende Sicherheitsleistung des Unternehmers für die Vollstreckung der Hauptsache grundsätzlich nicht nach der vollen Höhe der Bauhandwerkersicherheit, sondern nach den voraussichtlichen Aufwendungen des Bestellers für die Stellung einer Avalbürgschaft.

OLG Frankfurt, Teilurteil vom 16. Februar 2024 – 21 U 65/23

  1. Problemstellung

Wieder einmal musste sich ein Oberlandesgericht mit der Bemessung der Sicherheitsleistung nach Verurteilung des Bestellers zur Leistung einer Bauhandwerkersicherung befassen, nachdem der Besteller vom Landgericht zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit von 781.263,09 € verurteilt und diese Entscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 859.389,39 € für vorläufig vollstreckbar erklärt worden war. Nunmehr beantragt der Unternehmer, die Vollstreckbarkeitsentscheidung durch Herabsetzung der Sicherheit abzuändern. Das OLG Frankfurt hatte deshalb vorab darüber zu entscheiden, wie die Sicherheitsleistung zu bemessen ist.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gemäß § 648a BGB a.F. in Höhe einer Restvergütung von 781.263,09 € in Anspruch. Zur Höhe der von ihr im Obsiegensfall zu leistenden Vollstreckungssicherheit hat sie erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Sicherheitsleistung nach den voraussichtlichen Aufwendungen der Beklagten für Sicherheitsleistung durch Bürgschaft zu bemessen sei. Dabei seien in Anlehnung an § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. die üblichen Kosten einer solchen Bürgschaft, maximal aber 2 % p.a. anzusetzen, so dass die Sicherheitsleistung unter Ansatz von 2 % aus 781.263,09 € (= 15.625,26 €) bei einer geschätzten Laufzeit des weiteren Verfahrens von 5 Jahren bis zum Rechtskrafteintritt auf (5 x 15.625,26 € =) 78.123,31 € festgesetzt werden müsse. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der für die Bemessung der Sicherheitsleistung maßgebliche, nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähige Vollstreckungsschaden mit dem vollen Betrag der zugesprochenen Bauhandwerkersicherheit zuzüglich eines Aufschlags von 10 % für Kosten und weitere Schäden angesetzt werden müsse. Falls die Stellung einer Bürgschaft durch die Beklagte im Vollstreckungsverfahren unterbleibe, stehe der Klägerin die Möglichkeit offen, sich im Verfahren nach § 887 Abs. 1 ZPO und in Ausübung des auf sie übergegangenen Wahlrechts der Beklagten für Sicherheitsleistung durch Hinterlegung zu entscheiden. In diesem Fall könne sie einen Betrag in Höhe der Bauhandwerkersicherheit nach § 887 Abs. 2 ZPO als Vorschuss auf die Hinterlegungssumme festsetzen lassen und sodann bei der Beklagten beitreiben. Der beigetriebene Betrag könne sodann durch Vollstreckung von Gläubigern der Klägerin oder auf sonstige Weise verloren gehen, so dass dieser Schadensverlauf für die Bemessung der Sicherheit zugrunde gelegt werden müsse.    

Das Landgericht hat die Beklagte zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit von 781.263,09 € verurteilt und diese Entscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 859.389,39 € für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Sicherheit sei nach dem gemäß § 717 ZPO aus einer ungerechtfertigten Vollstreckung zu erwartenden Schaden des Schuldners zu bemessen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass ihre Höhe innerhalb der Instanz nach § 318 ZPO unabänderlich sei. Die Sicherheitsleistung dürfe daher auf keinen Fall zu niedrig angesetzt werden. Für die Bemessung der Sicherheitsleistung sei hier damit der Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheit nebst einem Zuschlag für Kosten und weitere Vollstreckungsschäden maßgeblich. Denn sofern der Gläubiger nach § 887 Abs. 1 ZPO vollstrecke, die Hinterlegung von Geld nach § 232 Abs. 1 BGB wähle und dafür einen Vorschuss nach § 887 Abs. 2 ZPO verlange, müsse der Schuldner den vollen Betrag der Bauhandwerkersicherheit als Vorschuss erbringen. Der mögliche Vollstreckungsschaden des Schuldners aus einem Zugriff von Gläubigern des Vollstreckungsgläubigers belaufe sich damit gleichfalls auf diesen Betrag.  

Die Beklagte hat Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klägerin hat beantragt, die Vollstreckbarkeitsentscheidung durch Herabsetzung der Sicherheit abzuändern. Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass das von ihm gesehene Risiko eines Zugriffs von Gläubigern der Klägerin auf einen gemäß § 887 Abs. 2 ZPO zu ihren Gunsten als Vorschuss für eine Hinterlegung ausgeurteilten Betrag in Höhe der in der Hauptsache ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheit nur entstehen könne, wenn die Beklagte trotz vorläufig vollstreckbar ausgeurteilter Verpflichtung zur Stellung einer Bauhandwerkersicherheit dieser Verpflichtung selbst nicht nachkomme, indem sie die Sicherheit in Form einer Bürgschaft stelle. Die Beklagte habe es somit selbst in der Hand, durch gesetzeskonformes Verhalten ihre Verurteilung in Zahlung eines Vorschusses nach § 887 Abs. 2 ZPO und in Höhe des Hinterlegungsbetrags abzuwenden. Lasse sie es dennoch dazu kommen, dass gegen sie im Vollstreckungsverfahren ein Vorschuss in Höhe der Bauhandwerkersicherheit ausgeurteilt werde, liege ein solcher von ihr selbst verursachter Schaden von vornherein außerhalb des Schutzzwecks des § 717 ZPO und müsse daher für die Bemessung der Sicherheitsleistung außer Betracht bleiben. Zudem könne nicht richtig sein, dass die Klägerin einerseits für die Durchsetzung einer vorläufig vollstreckbaren Verurteilung der Beklagten auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit und anderseits zugleich für eine eventuelle vorläufig vollstreckbare Verurteilung der Beklagten auf Zahlung der durch die Bauhandwerkersicherheit besicherten Werklohnforderung eine Sicherheit jeweils in Höhe von 110 % der offenen Werklohnforderung leisten müsse und damit insgesamt Sicherheit in Höhe von 220% der besicherten Forderung aufbringen müsse, um diese auf der Grundlage vorläufig vollstreckbarer Verurteilungen der Beklagten durchzusetzen. Das von dem Landgericht gesehene Schadensrisiko sei völlig theoretisch und müsse für die Bemessung der Vollstreckungssicherheit außer Betracht bleiben. Richtigerweise dürfe die vorläufige Vollstreckung einer Verurteilung in Stellung einer Bauhandwerkersicherheit im Gegenteil von vornherein nicht von einer Sicherheitsleistung des Unternehmers abhängig gemacht werden. Dies folge aus der Erwägung, dass die Verurteilung in Stellung einer Bauhandwerkersicherheit dem Unternehmer zusätzliche Liquidität verschaffen wolle. Ferner ziele sie darauf, dem Auftragnehmer ein Druckpotenzial im Verhältnis zum Auftragnehmer zu verschaffen. Die Verurteilung werde somit von vornherein entwertet, wenn der Unternehmer für ihre Durchsetzung eine Vollstreckungssicherheit stellen und damit weitere Liquidität opfern müsse. Das Urteil müsse hinsichtlich der Hauptsachenentscheidung ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.  

Der Antrag der Klägerin hat nur teilweisen Erfolg. Die Gestattung einer vorläufigen Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht. Das erstinstanzliche Gericht entscheidet im Fall des § 709 ZPO iVm. § 108 ZPO über die Höhe der Sicherheitsleistung von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dieses Ermessen unterliegt im Rahmen eines Antrags nach § 718 ZPO der Nachprüfung durch das Berufungsgericht. Gegenstand dieser Prüfung ist lediglich, ob die Regelungen der §§ 708 ff. ZPO zur Bemessung der Vollstreckungssicherheit zutreffend angewendet worden sind. Eine Beurteilung der Hauptsache findet nicht statt, auch keine summarische Überprüfung der Erfolgsaussichten der Berufung. Vielmehr ist für die Berechnung des durch die Sicherheitsleistung abzudeckenden Vollstreckungsschadens zu unterstellen, dass der für vorläufig vollstreckbar erklärte Titel zu Unrecht ergangen ist. Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich als ermessensfehlerhaft dar, weil es von unzutreffenden Maßstäben für die Festsetzung der Sicherheitshöhe ausgegangen ist. Die Höhe der nach § 709 ZPO festzusetzenden Sicherheit ist so bestimmen, dass der Schuldner vor Schaden aus ungerechtfertigter Vollstreckung (vgl. § 717 Abs. 2 ZPO) geschützt wird. Die damit maßgebliche Höhe des Vollstreckungsschadens ist gemäß § 709 iVm. § 108 ZPO durch Schätzung zu ermitteln, wobei eine Glaubhaftmachung der maßgeblichen Tatsachen genügt. Auf welche Höhe in Fällen der vorläufig vollstreckbaren Verurteilung des Bestellers in Leistung einer Bauhandwerkersicherheit nach diesen Grundsätzen die von dem Unternehmer zu leistende Vollstreckungssicherheit bemessen werden soll, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.  

Nach der für den obsiegenden Unternehmer günstigsten Auffassung ist die Hauptsachenentscheidung einer Verurteilung auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Dafür wird geltend gemacht, dass es von vornherein widersprüchlich erscheine, wenn Sicherheit für die Leistung einer Sicherheit geleistet werden müsse. Zudem werde dem Auftragnehmer das Druckpotential genommen, das mit der Verpflichtung des Bestellers zur Stellung einer Bauhandwerkersicherheit angezielt werde, falls er die Vollstreckung einer solchen Verurteilung nur durch Sicherheitsleistung und damit unter Inkaufnahme gerade derjenigen Liquidität erlangen könne, die ihm der Gesetzgeber mit der Bauhandwerkersicherheit verschaffen wollte (Nachweise in Rn. 27). Nach der in umgekehrter Richtung für den unterlegenen Besteller günstigsten Gegenauffassung ist die nach §§ 709, 108 ZPO von dem Unternehmer zu leistende Vollstreckungssicherheit auf den vollen Betrag der ausgeurteilten Sicherheit zuzüglich eines prozentualen Aufschlags im Bereich von 10 % für Vollstreckungskosten und Zinsen zu bemessen. Bei Verurteilung zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gehe grundsätzlich das dem Besteller zustehende Wahlrecht, ob er die nach § 650f BGB geschuldete Sicherheit durch Stellung einer Bürgschaft oder Hinterlegung von Geld leisten will, in entsprechender Anwendung der §§ 262, 264 Abs. 1 BGB auf den Unternehmer als Vollstreckungsgläubiger über, falls der Besteller der ausgeurteilten Verpflichtung nicht freiwillig nachkommt. Dieser kann deshalb gemäß § 232 Abs. 1 BGB die Sicherheitsleistung durch Hinterlegung von Geld fordern und nach § 887 Abs. 2 ZPO die Vorauszahlung des hierfür erforderlichen Geldbetrags verlangen. Es bestehe damit die Möglichkeit, dass der gegen den Besteller nach § 887 Abs. 2 ZPO in Höhe der Sicherheitsleistung ausgeurteilte Vorschuss von dem Unternehmer als Vollstreckungsgläubiger vereinnahmt, aber sodann etwa deshalb nicht zugunsten des Besteller hinterlegt werde, weil darauf von Gläubigerin des Unternehmers zugegriffen wird oder auf sonstige Weise verloren geht. Auf die Wahrscheinlichkeit eines solchen Hergangs komme es schon deshalb nicht an, da nach der Konzeption des § 709 ZPO die Höhe der zu leistenden Sicherheit unbeschadet der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalles bestimmt werden müsse (Nachweise in Rn. 28). Nach einer weiteren, zwischen diesen Auffassungen vermittelnden Auffassung ist die Höhe der Vollstreckungssicherheit für die Hauptsache bei Verurteilung in die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit nach den voraussichtlich zu erwartenden Aufwendungen des Bestellers für die Beschaffung einer Bürgschaft zu bemessen. Dabei wird der Ansatz der tatsächlich zu erwartenden Kosten für die Beschaffung einer solchen Sicherheitsleistung, also die für ihre voraussichtliche Laufzeit zu erwartenden Avalprovisionen zuzüglich eines prozentualen Aufschlags für Nebenkosten, in Vorschlag gebracht. In ähnliche Richtung weist auch der Vorschlag, die Höhe der Sicherheit nach dem in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. für die Erstattung der Kosten der Sicherheitsleistung vorgesehenen Höchstsatz von 2 % p.a. zu bemessen (Nachweise in Rn. 30).

Der Senat sieht die zuletzt genannte, vermittelnde Auffassung als zutreffend an. Für ihre Richtigkeit sprechen die folgenden Erwägungen: Der Auffassung, wonach die Natur einer Verurteilung auf Sicherheitsleistung es ausschließe, die Vollstreckung einer solchen Verpflichtung ihrerseits von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, lässt unberücksichtigt, dass auch die Verurteilung in Leistung einer Sicherheit einen nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden auslösen kann. Es stellt sich dann nicht als widersprüchlich dar, die vorläufige Vollstreckung einer solchen Verurteilung ihrerseits von einer Sicherheitsleistung nach § 709 ZPO abhängig zu machen. Soweit geltend gemacht wird, dass der Schutz der von § 648a Abs. 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 1 BGB n.F. angezielten Liquiditätsinteressen des Unternehmers vereitelt werde, wenn die vorläufige Vollstreckung einer solchen Verurteilung von der Leistung einer Vollstreckungssicherheit abhängig gemacht werde, vermag auch diese Erwägung nicht zu überzeugen. Die Regelungen über den Anspruch des Unternehmers auf Bauhandwerkersicherheit sind von dem Gesetzgeber mehrfach geändert worden, ohne dass er in diesem Zusammenhang eine Veranlassung gesehen hätte, die Durchsetzung einer Verurteilung auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit auch in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht etwa durch entsprechende Erweiterung des Katalogs des § 708 ZPO zu privilegieren. Zudem lässt die Regelung des § 648a BGB a.F./§ 650f BGB n.F. auch in sonstiger Hinsicht, etwa durch die in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. geregelte Verpflichtung des Unternehmers zur Erstattung der dem Auftraggeber aus der Stellung der Bauhandwerkersicherheit entstandenen Kosten erkennen, dass ein unbedingter Vorrang der Liquiditätsinteressen des Unternehmers vor den Belangen des Bestellers vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, sondern er auf einen beiderseits interessengerechten Kompromiss zwischen dem Liquiditätsinteresse des Unternehmers und den gegenläufigen Interessen des Unternehmers abgezielt hat. Wird die Vollstreckungssicherheit nach den voraussichtlichen banküblichen Kosten einer Bürgschaft bemessen, steht nicht zu befürchten, dass die von dem Gesetzgeber mit dem Anspruch auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherheit allein angezielte  Absicherung der noch offenen Werklohnforderung des Unternehmers gegen eine mögliche Zahlungsunfähigkeit des Bestellers durchgreifend entwertet wird. Ebenso wenig vermag der Einwand zu überzeugen, dass der Unternehmer bei Erwirkung einer vorläufig vollstreckbaren Verurteilung des Bestellers in Zahlung des offenen Werklohns auch dafür eine Sicherheit mindestens in Höhe des Werklohns zu erbringen haben wird und demzufolge mit einer doppelten Sicherheitsleistung für einen aus wirtschaftlicher Sicht identischen Anspruch belastet werde. Da der Unternehmer mit der Durchsetzung einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit zusätzlich eine Sicherheit für die offene Werklohnforderung erlangt, ist es nicht unangemessen, dies von der Leistung einer entsprechenden Vollstreckungssicherheit abhängig zu machen. Andererseits kann nicht der Auffassung gefolgt werden, wonach die Vollstreckungssicherheit von vornherein auf die volle Höhe der Bauhandwerkersicherung bemessen werden müsse. Soweit dafür geltend gemacht wird, dass die Höhe der zu leistenden Sicherheit schon nach allgemeinen Grundsätzen und entsprechend der Konzeption des § 719 ZPO unbeschadet der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalls bemessen werden müsse, lässt sich gerade nicht feststellen, dass die Vollstreckungssicherheit im Anwendungsbereich des § 709 ZPO von vornherein ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit bemessen werden muss, mit der ein Eintritt des in Frage stehenden und nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden bei dem Vollstreckungsschuldner zu erwarten steht. Der von § 709 ZPO abzusichernde Sicherungsfall liegt in dem nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden des Bestellers, der bei diesem für den Fall einer späteren Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung eintreten kann. Es handelt sich damit um einen Schaden, der nur mit einer durch die Abänderung der vollstreckbaren Entscheidung bedingten Wahrscheinlichkeit eintreten kann. Zwar hat die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Abänderung der Entscheidung dabei außer Betracht zu bleiben. Jedoch ändert dies nichts daran, dass sich auch der Schaden, der dem Vollstreckungsschuldner im Falle einer künftigen Abänderung der Entscheidung entstehen kann, nur im Wege einer prognostischen Beurteilung des künftigen Verlaufs bestimmen lässt und ein Wahrscheinlichkeitsurteil erfordert. Für die Prognose wird dabei auch im sonstigen Anwendungsbereich des § 709 ZPO nicht der für den Vollstreckungsschuldner denkbar ungünstigste Verlauf der Vollstreckung, sondern allein der regelmäßig und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Schaden für die Bemessung der Sicherheit herangezogen. Geht es um die vorläufige Vollstreckung einer Geldforderung, so liegt dem dort üblichen Aufschlag von 10 % bis 20 % auf die Hauptforderung maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass bis zur erfolgreichen Beitreibung durch den Gläubiger gewisser weiterer Zeitraum vergehen wird, innerhalb dessen für den Vollstreckungsschuldner weitere Zinsen und Kosten auflaufen können. Dass der Vollstreckungsschaden des Schuldners im denkbar ungünstigsten Fall durchaus auch mehr als diesen pauschalen Aufschlag ausmachen kann, wird als fernliegend außer Betracht gelassen. Wird entsprechend diesen Grundsätzen für die Bemessung der Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit auf den daraus mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Schaden des Auftraggebers abgestellt, liegt ein Schaden in Höhe des vollen Betrags der ausgeurteilten Sicherheit für den Regelfall fern. Denn selbst dort, wo der Besteller auf Zahlung eines Vorschusses nach § 887 Abs. 2 ZPO verurteilt worden ist, bleibt es ihm unbenommen, der ausgeurteilten Verpflichtung auch jetzt noch durch Stellung einer Bürgschaft nachzukommen. Die von der Beklagten geltend gemachte Gefahr, dass sie mangels Stellung einer Bürgschaft in Zahlung eines Vorschusses auf einen Hinterlegungsbetrag in Höhe der ausgeurteilten Sicherheit verurteilt wird, und sodann Gläubiger der Klägerin auf den Vorschuss zugreifen, bevor er an die Hinterlegungsstelle ausgezahlt worden ist, hat deshalb zur Voraussetzung, dass es der Beklagten weder bis zur Verurteilung zur Vorschusszahlung noch danach gelungen war, die von ihr geschuldete Sicherheit in Form einer Bürgschaft zu erbringen. Die für die Höhe des ihr drohenden Vollstreckungsschadens glaubhaftmachungspflichtige Beklagte hat zudem weder aufgezeigt, dass sie voraussichtlich außerstande wäre, sich eine solche Bürgschaft zu verschaffen, noch sind von ihr konkrete Gesichtspunkte dargelegt und glaubhaft gemacht worden, die einen Zugriff von Gläubigern der Klägerin auf den Vorschussbetrag als wahrscheinlich erscheinen lassen würden.    

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die Höhe der Sicherheitsleistung im Wege einer Schätzung gemäß § 709, 108 ZPO auf einen Betrag von 85.000,00 € zu bemessen. Dem liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Auf die in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB festgelegte Obergrenze der erstattungsfähigen Aufwendungen des Auftragnehmers bei 2 % p.a. kann für die Bemessung der Vollstreckungssicherheit nicht abgestellt werden. Diese Vorschrift betrifft allein die Frage, bis zu welcher Obergrenze der Besteller dem Unternehmer die Kosten der von diesem gestellten Sicherheit kraft Gesetzes und ohne Hinzutreten weiterer Umstände zu erstatten hat. Ihre seit 1991 inhaltlich unveränderte Festlegung auf 2 % p.a. hat der Gesetzgeber seinerzeit mit den damals banküblichen Avalprovisionen einer Bandbreite von 0,5 bis 3 % p.a. mit Schwerpunkt bei 2 % p.a begründet und darauf hingewiesen, dass die Ersatzfähigkeit weitergehender Schäden des Bestellers aus der Stellung einer Bauhandwerkersicherheit von dieser Pauschalierungsregelung unberührt bleibt (BT-Drs. 12/1836, 10). Im Rahmen der Bemessung einer Vollstreckungssicherheit nach § 709 ZPO ist damit richtigerweise allein auf die nach § 717 ZPO als Schaden ersatzfähigen und tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen des Schuldners aus der Beschaffung einer Bürgschaft als Bauhandwerkersicherheit abzustellen. Diese sind nach den jeweils derzeit banküblichen Avalprovisionen zu bemessen, sofern der Schuldner keine Anhaltspunkte aufgezeigt hat, die darüber liegende Aufwendungen erwarten lassen. Nach dem nunmehr absehbaren Ende der zurückliegenden Niedrigzinsphase erscheint ein Ansatz von 3 % p.a. realistisch und ausreichend (vgl. etwa Preisliste HBSC, Stand 04.10.2023, Abschnitt V - Avale, Avalprovision: 3 % p.a.). Andererseits kann mit einer Laufzeit der Bürgschaft bis endgültigem Rechtskrafteintritt unterhalb von 5 Jahren gerechnet werden. Der Senat sieht es bei Gesamtabwägung deshalb als angemessen an, die Vollstreckungssicherheit im Wege der Schätzung auf einen aus Praktikabilitätsgründen auf 85.000,00 € gerundeten Betrag festzusetzen. Mit einer Vollstreckungssicherheit dieser Höhe erscheinen mögliche Vollstreckungsschäden der Beklagten auch dann hinreichend abgesichert, wenn berücksichtigt wird, dass die einmal gemäß § 718 ZPO getroffene Abänderungsentscheidung sodann gemäß § 318 ZPO bei laufender Instanz nicht nachträglich korrigiert werden kann.

  1. Kontext der Entscheidung

Zur Bemessung der Sicherheitsleistung bei einer Verurteilung zur Bauhandwerkersicherung gemäß § 650 f BGB bestehen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Differenzen. Vor Erhebung einer Klage sollte der zukünftige Kläger daher die Auffassung des für die Entscheidung zuständigen Oberlandesgerichts prüfen und bei Möglichkeit von einem Wahlrecht gem. § 35 ZPO Gebrauch machen, zumal Vorabentscheidungen der Berufungsgerichte über die vorläufige Vollstreckbarkeit unanfechtbar sind (§ 718 Abs. 2 ZPO). Denn teilweise wird die volle Höhe der vom Auftraggeber zu stellenden Sicherheit (zzgl. Aufschlag für Kosten und weitere Schäden) für maßgeblich gehalten (OLG Karlsruhe, Teilurt. v. 11.10.2016 - 8 U 102/16; OLG Hamm, Teilurt. v. 09.01.2019 - I-12 U 123/18). Diese Auffassung vernachlässigt, dass der Schuldner nicht zur Zahlung des von der Sicherheitsleistung erfassten Betrages verurteilt worden ist, sondern (lediglich) zur Stellung einer Sicherheit. Dementsprechend kann die obsiegende Gläubigerin nur gemäß § 887 Abs. 1 ZPO Hinterlegung gemäß den §§ 232 Abs. 1, 233 BGB beanspruchen und zugleich nach § 877 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des dafür erforderlichen Betrages verlangen (LG Hagen (Westfalen), Beschl. v. 30.11.2010 - 21 O 83/10, bestätigt – ohne weitere Begründung – durch OLG Hamm Beschl. v. 28.01.2011 - 19 W 2/11). Dies verbietet es, den Streitwert der Klage nach § 650f BGB mit der zu sichernden Forderung gleichzusetzen. Ebenso ist es nicht erlaubt, auf eine Sicherheitsleistung gänzlich zu verzichten (ausführlich dazu: Schwenker, jurisPR-PrivBauR 1/2024 Anm. 5). Angebracht erscheint statt dieser beiden Extrempositionen die Wahl eines Mittelwegs, den das OLG Hamburg gesucht gefunden hat (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15, dazu: Münch, jurisPR-PrivBauR 11/2016 Anm. 5). Dabei geht es von der Grunderwägung aus, dass, wenn die Befugnis des Gläubigers zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 709 Satz 1 ZPO von der Erbringung einer vorherigen Sicherheitsleistung abhängt, diese dem Interesse des Schuldners dient und ihm vollen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren soll, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Vollstreckung duldet, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann, wozu vor allem ein etwaiger Ersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners nach § 717 Abs. 2 ZPO gehört (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 -, Rn. 5). Zu berücksichtigen seien daher die Kosten des Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung der Sicherheitsleistung. Außerdem seien die Avalzinsen für eine Bürgschaft zu berücksichtigen, die mit 2% der Sicherheitssumme über einen Zeitraum von fünf Jahren anzusetzen seien, dem voraussichtlichen Zeitraum für das Herausgabeverfahren nebst Rechtsmittelverfahren. Außerdem sei ein Sicherheitszuschlag von 5% des ausgeurteilten Betrages gerechtfertigt. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass es im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu einer Vorschusszahlung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO komme und dass Gläubiger des Vollstreckungsgläubigers auf den Vorschussbetrag zugreifen könnten. Dieses – geringe – Risiko sei mit 5% der zu leistenden Bauhandwerkersicherung zu bewerten (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 - Rn. 7-9). Die Berechnungsweise durch das OLG Hamburg, der sich auch das OLG Celle angeschlossen hat (OLG Celle, Beschl. v. 20.06.2017 - 5 W 18/17 - Rn. 10), überzeugt grundsätzlich, wenn man auch über einzelne Bewertungen streiten mag. Im Grundsatz hat sich jetzt dem auch das Kammergericht angeschlossen. Danach ist die erstinstanzliche Verurteilung eines Werkbestellers zur Sicherheitsleistung nur gegen Sicherheitsleistung gemäß § 709 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Vollstreckungssicherheit gemäß § 709 ZPO ist nicht mit dem Betrag der Sicherheit gemäß § 650f BGB (evtl. mit einem Zuschlag) anzusetzen. Sie ist an den geschätzten Kosten zu orientieren, die dem Besteller durch die ausgeurteilte Sicherheitsleistung im Zeitraum ab Erlass des erstinstanzlichen Urteils bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sicherungsprozesses entstehen können (KG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2024 – 21 U 129/23).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Der Antrag des Unternehmers, die Höhe der Sicherheitsleistung heraufzusetzen, ist nach § 718 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Unternehmer nicht Rechtmittelführer ist. Der Antrag nach § 718 ZPO kann auch von dem Rechtsmittelgegner gestellt werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. Oktober 2022 - 6 U 131/22 -, Rn. 14; Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 718 ZPO Rn. 2). Seiner Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, wenn der Antrag vor Einreichung der Berufungsbegründung des Bestellers eingereicht wird . Soweit die Zulässigkeit eines Antrags nach § 718 ZPO von dem Vorliegen einer zulässigen Berufung abhängig gemacht wird (so Herget, aaO., § 718 ZPO Rn. 2), besteht keine Veranlassung, über die Zulässigkeit eines Abänderungsantrags des Berufungsklägers hinaus auch die Zulässigkeit eines Abänderungsantrags des Berufungsbeklagten von diesem Erfordernis abhängig zu machen. Denn der erstinstanzlich obsiegende Berufungsbeklagte hat schon vor dem Zeitpunkt, zu dem sich die Zulässigkeit der von seinem Gegner eingelegten Berufung abschließend beurteilen lässt, ein berechtigtes Interesse an der Herabsetzung einer zu seinem Nachteil überhöht festgesetzten Vollstreckungssicherheit. Sein Rechtsschutzinteresse hieran entfällt grundsätzlich nicht vor dem mit der unbeschränkten Vollstreckbarkeit verbundenen Eintritt der formellen Rechtskraft des angefochtenen Urteils (OLG Frankfurt, Teilurteil vom 16. Februar 2024 – 21 U 65/23 –, Rn. 19). Über den Antrag ist ohne mündliche Verhandlung (§ 718 Abs. 1 S. 2 ZPO) durch Teilurteil zu entscheiden, das unanfechtbar (§ 718 Abs. 2 ZPO) und durch die instanzabschließende Entscheidung des Berufungsgerichts in der Hauptsache auflösend bedingt ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. September 2017, 6 U 34/17; OLG Frankfurt, Urteil vom 16. Februar 2024, 21 U 65/23; OLG Brandenburg, Urteil vom 14. März 2024, 12 U 210/23; KG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2024 – 21 U 129/23).

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