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BGH: Zur anwaltlichen Fristenkontrolle
Auch bei einer elektronischen Kalenderführung bedarf es einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können.
BGH, Beschluss vom 26. September 2024 – III ZB 82/23
- Problemstellung
Wie die anwaltliche Fristenkontrolle bei einer elektronischen Kalenderführung organisiert sein muss, hatte der III. Zivilsenat zu klären.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin hat gegen das am 18. April 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts am 25. April 2023 Berufung eingelegt. Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2023 hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Berufungsbegründung eingegangen war. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Juli 2023 ihre Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat ihr Prozessbevollmächtigter ausgeführt, die Fristversäumung beruhe allein auf einem leichten Versehen zweier sehr zuverlässiger und ansonsten beanstandungsfrei arbeitender Kanzleimitarbeiter. Die Berufungsbegründungsfrist und die zugehörige Vorfrist seien aufgrund eines Datenverarbeitungsfehlers im Fristenkalender einer nicht mehr in der Kanzlei tätigen nichtanwaltlichen Mitarbeiterin eingetragen worden und nicht, wie alle anderen Fristen, im Kalender des damals sachbearbeitenden Rechtsanwalts K. Bei der Bearbeitung der Posteingänge seien durch die damalige Auszubildende die Fristen in der Fristerfassung der in der Kanzlei verwendeten Software (RA-Micro) eingetragen worden. Dabei werde durch die Eingabe der Aktennummer automatisch der zuständige Rechtsanwalt ausgewählt, der als Sachbearbeiter hinterlegt sei. Nach einer erneuten Überprüfung der Eintragung der Fristen habe sie in der E-Akte an dem Urteil einen elektronischen Aktenvermerk mit den jeweiligen Fristabläufen angebracht. Eine Überprüfung des Sachbearbeiterkürzels und der Fristeneintragung im Hauptkalender, in dem die für alle Anwälte laufenden Fristen eingetragen seien, sei ihrerseits nicht erfolgt. Anschließend habe ein weiterer Mitarbeiter eine erneute Kontrolle im System vorgenommen. Eine Kontrolle der Fristeneintragung im Hauptkalender habe er nicht vorgenommen. Er habe dies nicht für notwendig erachtet, weil es nach logischen Grundsätzen technisch ausgeschlossen sei, dass das System einen falschen Sachbearbeiter vorschlage. Zu einem Datenverarbeitungsfehler der vorliegenden Art sei es in der sechsjährigen anwaltlichen Tätigkeit von Rechtsanwalt K. nicht gekommen. Am 24. April 2023 habe dieser die Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung gestellt und anhand der Notiz überprüft, dass die Fristen eingetragen seien. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Berufungsbegründungs- und die zugehörige Vorfrist nicht in seinem Termin- und Fristenkalender erscheinen würden.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Die Klägerin habe weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumung unverschuldet erfolgt sei (§ 85 Abs. 2, §§ 233, 236 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe eine hinreichende Kontrolle der elektronischen Fristenführung durch eine entsprechende Büroorganisation nicht vorgetragen. Auch bei elektronischen Fristenkalendern müsse eine Kontrolle der Fristeneingabe gewährleistet sein. Da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dieser Kontrolle auch Datenverarbeitungsfehler ausgeschlossen werden sollten, müsse nach Abschluss der Fristeneintragung im System die korrekte Übertragung der Fristen in den Hauptkalender gewährleistet sein. Konkrete Anweisungen zur Kontrolle der Fristeneintragung im Hauptkalender seien nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausführe, dass eine solche Anweisung nicht erforderlich sei, weil allen Kanzleimitarbeitern bekannt sei, wie wichtig die korrekte Fristeneintragung im Hauptkalender sei, könne dem nicht gefolgt werden. Allein die Überprüfung der Fristeneintragung könne zwar mögliche Tippfehler oder Irrtümer über den Fristablauf ausschließen, Datenverarbeitungsfehler würden so aber nicht erkannt. Ein Verschulden des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergebe sich darüber hinaus daraus, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und ihre Eintragung im Hauptkalender nicht eigenverantwortlich überprüft habe, obwohl ihm die Akte zur eigenen Bearbeitung vorgelegen habe. Zwar habe er sich grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken können. Dies setze aber eine hinreichende Büroorganisation voraus, an der es hier - wie dargelegt - gefehlt habe.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten, insbesondere auch bei der Datenverarbeitung. Es bedarf daher auch bei einer elektronischen Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können. Danach ist die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob eine hinreichende Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt bereits dadurch sichergestellt ist, dass eine auf dem Markt als erprobt und zuverlässig angesehene Kanzleisoftware verwendet und die Eingabe der fristrelevanten Daten in die Fristerfassungsmaske (sowie deren abschließende Bestätigung) geschultem und zuverlässigem Personal überlassen wird, das sie nach dem "Vier-Augen-Prinzip" vorzunehmen hat, zum Nachteil der Klägerin bereits geklärt. Die Rechtsbeschwerde sieht selbst, dass hierdurch der in Rede stehende Verarbeitungsfehler nicht erkannt werden kann. Ihre Auffassung, ein Rechtsanwalt dürfe die Korrektheit der Datenverarbeitung ohne weiteren Kontrollschritt voraussetzen, ist mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Dabei bedarf es weiterhin keiner Entscheidung, wie diese Kontrolle im Einzelnen zu erfolgen hat, insbesondere ob es eines Kontrollausdrucks in Papierform bedarf. Denn die Klägerin hat vorgetragen, es sei überhaupt keine Kontrolle des Ergebnisses der Datenverarbeitung in Bezug auf die richtige Zuordnung zu dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgenommen worden. Soweit sie geltend macht, eine weitergehende Kontrolle sei nicht zumutbar, ergibt sich unter anderem aus dem vorgelegten Ausdruck der "Termine zur Akte", dass der für die Fristversäumung ursächliche Datenverarbeitungsfehler - die falsche Zuordnung des Sachbearbeiters - sich nicht nur im Fristenkalender ausgewirkt hat, sondern auch in der Aufstellung der Termine in der elektronischen Akte abgebildet und daher ohne weiteres erkennbar war.
- Kontext der Entscheidung
Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BGH darf die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, muss durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten. Dies kann durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III ZB 96/18 –, Rn. 13, mwN.). Werden die Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender und die anschließende Eingabekontrolle in zwar mehrstufigen, aber ausschließlich EDV-gestützten und jeweils nur kurze Zeit benötigenden Arbeitsschritten am Bildschirm durchgeführt, besteht eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Den Anforderungen, die an die Überprüfungssicherheit der elektronischen Kalenderführung zu stellen sind, wird durch eine solche Verfahrensweise nicht genügt ((BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III ZB 96/18 –, Rn. 16, mwN.). Die allgemeine Anordnung, einen Kontrollausdruck in die Handakte aufzunehmen, gewährleistet, dass der Rechtsanwalt, wenn ihm die Handakte vorgelegt wird, eine eigenverantwortliche Fristenkontrolle durchführen kann. Für eine Phase, in der eine Umstellung von einem herkömmlichen auf einen elektronisch geführten Fristenkalender vorgenommen wird, gelten dabei keine geringeren Sorgfaltsanforderungen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20 –, Rn. 8 - 9, mwN.).
- Auswirkungen für die Praxis
Werden Handakten in Papierform geführt, besteht weiterhin die Verpflichtung zur Fertigung von Kontrollausdrucken (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20 –, Rn. 12). Auch bei elektronischer Aktenführung ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die ordnungsgemäße Notierung von Fristen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Von der Anfertigung von Kontrollausdrucken darf deshalb allenfalls dann abgesehen werden, wenn andere Vorkehrungen getroffen werden, die ein vergleichbares Maß an Sicherheit ermöglichen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20 –, Rn. 13). Somit bedarf es auch bei elektronischer Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können, wie der Senat ausdrücklich betont (BGH, Beschluss vom 26. September 2024 – III ZB 82/23 –, Rn. 9). Ein etwaiger Wiedereinsetzungsantrag kann daher nur dann Erfolg haben, wenn die notwendige Fristenkontrolle dargelegt und glaubhaft gemacht werden kann.
Auskunft über Kostenvorschussverwendung
1. Die Voraussetzungen für das Auskunftsverlangen eines Werkunternehmers liegen vor, wenn der Kunde die Mängelbeseitigungsarbeiten, wegen der ihm ein Kostenvorschuss gem. § 637 Abs. 3 BGB zugesprochen worden war, vorgenommen hat.
2. Der Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB ist zweckgebunden und vom Kunden zur Mängelbeseitigung zu verwenden. Der Kunde muss seine Aufwendungen für die Mängelbeseitigung nachweisen, über den erhaltenen Kostenvorschuss Abrechnung erteilen und den für die Mängelbeseitigung nicht in Anspruch genommenen Betrag zurückerstatten. Es entsteht ein Rückzahlungsanspruch des Werkunternehmers in Höhe des nicht zweckentsprechend verbrauchten Vorschusses.
3. Dieser Anspruch ist kein Bereicherungsanspruch, sondern ein aus Treu und Glauben entwickelter Anspruch aus dem Vertragsverhältnis. Hat der Kunde die Mängelbeseitigung durchgeführt, so muss er den Vorschuss abrechnen. Ergibt die Abrechnung einen Überschuss für den Werkunternehmer, ist dieser an ihn zurückzuzahlen.
4. Der Auskunftsanspruch des Werkunternehmers ist nur dann durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB, wenn der Kunde ‒ um eine Prüfung durch den Werkunternehmer zu ermöglichen ‒ analog § 666 BGB die dortigen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Auskunftserteilung erfüllt hat.
5. Dazu muss der Kunde den Werkunternehmer über die Einzelheiten der Auftragsausführung in verkehrsüblicher Weise informieren und ihm die Übersicht über das Besorgte verschaffen in einer Weise, die dem Werkunternehmer die Überprüfung der Besorgung gestattet. Es gilt § 259 BGB, so dass erforderlichenfalls genauere Information durch Vorlage einer geordneten Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben geschuldet ist. Die Beweislast für die Richtigkeit der Abrechnung trägt dabei der Kunde, insbesondere für den Verbleib der Einnahmen und dafür, dass er über nicht mehr vorhandene Vermögenswerte gemäß dem Auftrag, nach Weisungen oder im Interesse des Werkunternehmers verfügt hat. Ergänzt mit der Kommentierung zu § 259 BGB erfordert die Rechenschaftslegung eine übersichtliche, in sich verständliche Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben. Die Ausgaben müssen so detailliert und verständlich dargestellt sein, dass der Werkunternehmer ohne fremde Hilfe in der Lage ist, seine Ansprüche und die gegen ihn gerichteten Ansprüche nach Grund und Höhe zu überprüfen. Bei Unvollständigkeit der Rechnung besteht ein Anspruch auf Ergänzung.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16. Oktober 2024 – 12 U 6/24
- Problemstellung
Mit den Anforderungen an den notwendigen Vortrag des Bestellers im Auskunftsprozess des Unternehmers nach Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung hatte sich das OLG Schleswig zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte verband mit der A. GmbH ein Werkvertrag, der die Lieferung und Verlegung von Dielen in einem von der Beklagten betriebenen Schuhladen zum Gegenstand hatte. Die Klägerin nimmt die Beklagte, deren Identität mit der A. GmbH streitig ist, auf Auskunft über die Verwendung eines Kostenvorschusses zur Beseitigung von Mängeln an Bodenverlegungsarbeiten in Höhe von 19.038,39 € in Anspruch. Des Weiteren verlangt sie Rückzahlung des sich daraus ergebenden unverbrauchten Restbetrags. Mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 19.07.2017 wurde die A. GmbH verurteilt, auf die Kosten zur Beseitigung von Mängeln ihrer Werkleistung einen Vorschuss in Höhe von 19.038,39 € zuzüglich Zinsen an die Beklagte zu zahlen. Da die Klägerin keine Zahlung leistete, leitete die Beklagte die Zwangsvollstreckung ein. Seitdem zahlt die Klägerin Raten auf den ausgeurteilten Betrag, wobei die Frage der vollständigen Zahlung zwischen den Parteien streitig ist. Zu den Mängelbeseitigungsarbeiten reichte die Beklagte die Rechnung vom 08.08.2016 über 10.829,-- € brutto sowie die Rechnung vom 19.09.2023 über 28.129,22 € brutto zur Akte. Umfang, Art und Weise sowie die Frage, ob diese Sanierung den Vorgaben des landgerichtlichen Urteils vom 19.07.2017 entspricht, sind streitig. Das Landgericht hat die Klage insgesamt mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ihre Identität mit der A. GmbH nachgewiesen habe. Diesbezüglich nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Vortrag der Klägerin hat es gem. § 296a ZPO zurückgewiesen.
Die Berufung der Klägerin, mit der sie nach wie vor Abrechnung und Zahlung des unverbrauchten Kostenvorschusses im Rahmen einer Stufenklage verlangt, hat in der 1. Stufe (Auskunft) Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunft über die Verwendung des von ihr geleisteten Kostenvorschusses von 19.038,39 €. Die Voraussetzungen für das Auskunftsverlangen der Klägerin liegen vor, da die Beklagte nach eigenem Vortrag die streitgegenständlichen Mängelbeseitigungsarbeiten am Fußboden ihres Ladengeschäfts vorgenommen hat. Der Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB ist zweckgebunden und vom Auftraggeber zur Mängelbeseitigung zu verwenden. Der Auftraggeber muss seine Aufwendungen für die Mängelbeseitigung nachweisen, über den erhaltenen Kostenvorschuss Abrechnung erteilen und den für die Mängelbeseitigung nicht in Anspruch genommenen Betrag zurückerstatten. Es entsteht ein Rückzahlungsanspruch des Auftragnehmers in Höhe des nicht zweckentsprechend verbrauchten Vorschusses. Dieser Anspruch ist kein Bereicherungsanspruch, sondern ein aus Treu und Glauben entwickelter Anspruch aus dem Vertragsverhältnis. Hat der Auftraggeber die Mängelbeseitigung durchgeführt, so muss er den Vorschuss abrechnen. Ergibt die Abrechnung einen Überschuss für den Auftraggeber, ist dieser an den Auftragnehmer zu zahlen. Die Klägerin ist mit der A. GmbH identisch und deshalb Gläubigerin des geltend gemachten Anspruchs. Dies ergibt sich aus dem von ihr vorgelegten Handelsregisterauszug, dessen Richtigkeit die Beklagte nicht bestritten hat. Die Verspätungsvorschriften des § 531 ZPO - hier § 531 Abs. 2 ZPO - hindern die Berücksichtigung nicht, weil der Vortrag der Klägerin nunmehr unstreitig ist.
Der Auskunftsanspruch der Klägerin ist auch nicht durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Zwar hat die Beklagte zwei Rechnungen über durchgeführte Bodenbelagsarbeiten zur Akte gereicht, die ihrer Ansicht nach eine Erfüllung darstellen. Dem folgt der Senat jedoch nicht. Vielmehr hat die Beklagte ‒ um eine Prüfung durch die Klägerin zu ermöglichen ‒ analog § 666 BGB die dortigen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Auskunftserteilung zu erfüllen. Danach muss der Beauftragte den Auftraggeber über die Einzelheiten der Auftragsausführung in verkehrsüblicher Weise informieren und ihm die Übersicht über das Besorgte verschaffen in einer Weise, die dem Auftraggeber die Überprüfung der Besorgung gestattet. Es gilt § 259 BGB, so dass erforderlichenfalls genauere Information durch Vorlage einer geordneten Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben geschuldet ist. Die Beweislast für die Richtigkeit der Abrechnung trägt dabei der Beauftragte, insbesondere für den Verbleib der Einnahmen und dafür, dass er über nicht mehr vorhandene Vermögenswerte gemäß dem Auftrag, nach Weisungen oder im Interesse des Auftraggebers verfügt hat. Demnach erfordert die Rechenschaftslegung eine übersichtliche, in sich verständliche Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben. Die Ausgaben müssen so detailliert und verständlich dargestellt sein, dass der Berechtigte ohne fremde Hilfe in der Lage ist, seine Ansprüche und die gegen ihn gerichteten Ansprüche nach Grund und Höhe zu überprüfen. Bei Unvollständigkeit der Rechnung besteht ein Anspruch auf Ergänzung.
Überträgt man diese Grundsätze auf die hier erforderliche Auskunft über die Verwendung des Kostenvorschusses, ist die Beklagte bislang ihrer Verpflichtung zur Abrechnung nicht vollständig nachgekommen. Die zuletzt vorgelegten Rechnungen reichen nicht aus, um der Klägerin eine Überprüfung zu ermöglichen. Zu den Positionen der Rechnung vom 19.09.2023 im Einzelnen:
- Pos. 1 (Vorhandene Ladeneinrichtung teilweise demontiert, verpackt und eingelagert): Hier fehlt eine Aufschlüsselung nach Anzahl, Stunden und Stundensatz.
- Pos. 2 (Massivholzboden demontiert und auf Paletten gelagert): s. Pos. 1
- Pos. 3 (145 qm Boden für Neuverlegung vorbereiten): Es ist unklar, was konkret unter der Vorbereitung des Bodens zu verstehen ist. Außerdem fehlt hinsichtlich der qm-Angabe eine Abgrenzung zu den bereits zuvor durchgeführten Teilarbeiten gem. Rechnung vom 18.08.2016.
- Pos. 4 (145 qm Boden neu liefern und verlegt): Es fehlen Angaben zu Art/Qualität des neu verlegten Bodens.
- Pos. 5 (Fugen verfüllt und Übergangsschienen montiert): s. Pos. 1
- Pos. 6 (Montage von Ladeneinrichtung inkl. Anlieferung): s. Pos. 1
- Pos. 7 (92 lfm Eichenfußleisten neu geliefert und montiert): Es fehlen Angaben zu Art/Qualität der verlegten Eichenfußleisten.
Da die Beklagte selbst ausführt, sie habe nicht die gleichen Dielen wie zuvor verlegt, weil dies zu teuer gewesen wäre und sie nicht erwarte, von der Klägerin zeitnah über den Vorschuss hinausgehende Mängelbeseitigungskosten erstattet zu bekommen, fehlt es für eine ordnungsgemäße Abrechnung zusätzlich an Vortrag dazu, dass die von ihr durchgeführten Mängelbeseitigungsarbeiten tatsächlich insgesamt günstiger waren, als wenn sie ‒ wonach der Kostenvorschuss berechnet ist ‒ Dielen der gleichen Art wie zuvor verlegt hätte.
- Kontext der Entscheidung
Prozesse, mit denen der Kostenvorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB zurückgefordert werden, sind bisher in der Vergangenheit relativ selten geführt worden. Der Unternehmer kann einen an den Besteller gezahlten Vorschuss auf die Mängelbeseitigungskosten zurückfordern, wenn feststeht, dass die Mängelbeseitigung nicht mehr durchgeführt wird. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Auftraggeber seinen Willen aufgegeben hat, die Mängel zu beseitigen. Ein Rückforderungsanspruch entsteht auch dann, wenn der Auftraggeber die Mängelbeseitigung nicht binnen angemessener Frist durchgeführt hat. Welche Frist für die Mängelbeseitigung angemessen ist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln, die für diese maßgeblich sind. Abzustellen ist auch auf die persönlichen Verhältnisse des Auftraggebers und die Schwierigkeiten, die sich für ihn ergeben, weil er in der Beseitigung von Baumängeln unerfahren ist und hierfür fachkundige Beratung benötigt. Der Vorschuss ist trotz Ablauf einer angemessenen Frist zur Mängelbeseitigung nicht zurückzuzahlen, soweit er im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zweckentsprechend verbraucht worden ist oder es feststeht, dass er alsbald verbraucht werden wird (BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – VII ZR 108/08; dazu: Krug, jurisPR-PrivBauR 5/2010 Anm. 1). Dass angesichts der Anforderungen, die der BGH an die Darlegungs- und Beweislast stellt, Rückforderungsprozesse selten sind, erstaunt nicht. Hinzu kam in der Vergangenheit, dass der auf Rückzahlung in Anspruch genommene Besteller gegen den Rückforderungsanspruch, sofern der Unternehmer dessen Voraussetzungen darstellen und beweisen kann, mit einem – nicht abrechenbaren – Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe aufrechnen konnte. Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats war der Besteller auch nach Empfang eines Kostenvorschusses grundsätzlich nicht gehindert, vor dessen bestimmungsgemäßer Verwendung Schadensersatz zu verlangen. Mit einem solchen Anspruch konnte er gegen die Forderung des Unternehmers auf Rückgewähr des Vorschusses aufrechnen (BGH, Urteil vom 24. November 1988 – VII ZR 112/88 –, Rn. 14). Durch die Änderung der Rechtsprechung zur Bemessung des Schadens nach den fiktiven Kosten der Mängelbeseitigung hat der Vorschussanspruch an Bedeutung gewonnen. Denn eine Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wird regelmäßig daran scheitern, dass dieser nicht mehr nach den Mängelbeseitigungskosten zu berechnen ist, nach denen sich der Kostenvorschuss richtet. Der Rückforderungsprozess verspricht daher für den Unternehmer – bzw. (ggf.) dessen Haftpflichtversicherer – größere Erfolgsaussichten, soweit die Voraussetzungen für die Rückforderung gegeben sind. Zu unterscheiden vom Vorschussanspruch des § 637 BGB ist der vom VII. Zivilsenat praeter legem kreierte Schadensersatzanspruch des Bestellers gegenüber dem Architekten wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, Rn. 67). Auch der vom Architekten zu zahlende Betrag ist zweckgebunden und abzurechnen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Abrechnung des Anspruchs gemäß § 637 Abs. 3 BGB sind auf die Abrechnung des Schadensersatzanspruchs auf Kostenvorschuss gegenüber dem Architekten ebenfalls anzuwenden (Einzelheiten bei: Rodemann, NZBau 2022, 713).
- Auswirkungen für die Praxis
Ob die Stufenklage auf Auskunft und (spätere) Zahlung zulässig ist, hat das OLG Schleswig nicht hinterfragt. Das Gericht geht vielmehr ohne weiteres davon aus, dass dem Unternehmer ein Auskunftsanspruch gemäß § 666 BGB analog zusteht (Rn. 23). Der Besteller wird aber nicht als Beauftragter des Unternehmers tätig wird, wenn er den Mangel beseitigt, sondern allein im eigenen Interesse, wenn er die Selbstvornahme wählt, zu deren Finanzierung der Kostenvorschussanspruch des § 637 Abs. 3 BGB dient. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 666 BGB sind daher nicht gegeben. Denn der Auftrag ist wegen seiner Unentgeltlichkeit ein Gefälligkeitsvertrag, gerichtet auf fremdnütziges Handeln des Beauftragten (Berger in: Erman, BGB, 17. Auflage 2023, § 662 Rn. 2 mwN.). Damit fehlt es an der notwendigen materiell-rechtlichen Grundlage für eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO. Wenn der Besteller über den Vorschuss nicht binnen angemessener Frist abrechnet, kann der Unternehmer den Vorschuss zurückfordern. Der Rückzahlungsanspruch wird fällig. Mangels Verwendungsnachweises war der Anspruch auf Rückzahlung des Vorschusses entstanden. Dieser Anspruch kann aber entfallen, wenn der Besteller prüfbar die Verwendung des Vorschusses nachweist. Der Unternehmer muss dann die Klage für erledigt erklären, um die negative Kostenfolge der Abweisung der Klage zu vermeiden.
BGH: Zum AGB-Transparenzgebot
Eine Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung, die dem Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalls die Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften aufgibt, verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
BGH, Urteil vom 25. September 2024 – IV ZR 350/22
- Problemstellung
Ob eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers in Allgemeinen Versicherungsbedingungen in jedem Fall so konkret gefasst werden muss, dass sie jede erdenkliche Situation in ihrem Anwendungsbereich genau beschreibt, um dem Transparenzgebot zu genügen, hatte der IV. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen nach einem Brandschaden an einem Wohngebäude. Widerklagend machen die beklagten Versicherer Ansprüche auf Rückzahlung geleisteter Vorschüsse geltend. In den Versicherungsvertrag sind die Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2014) Stand 2014 einbezogen, deren Abschnitt B auszugsweise lautet: "B § 8 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers 1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls - a) Vertraglich vereinbarte Obliegenheiten, die der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat, sind aa) die Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften (siehe A § 17)". § 17 VGB 2014 lautet auszugsweise: "A § 17 Vertraglich vereinbarte, besondere Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor dem Versicherungsfall, Sicherheitsvorschriften 1. Sicherheitsvorschriften Als vertraglich vereinbarte, besondere Obliegenheiten hat der Versicherungsnehmer …".
Im September 2018 zerstörte ein Brand Teile des Dachstuhls und der Fassade des versicherten Gebäudes. Ausgangspunkt des Brandes war ein vom Kläger an der Hausfassade errichteter und mit einer Holzkonstruktion ummantelter Pizzaofen. Die Beklagten zahlten zunächst einen Vorschuss auf die Versicherungsleistung von 100.000 €. Im Rahmen der weiteren Sachverhaltsaufklärung teilte der Kläger seiner Versicherungsmaklerin im November 2018 schriftlich mit, der Streithelfer der Beklagten, der zuständige Bezirksschornsteinfegermeister, habe den in Bau befindlichen Ofen besichtigt. Zu diesem Zeitpunkt seien die rechte und die hintere Seite der Holzummantelung des Ofens mit Dämmung montiert und ein Teil des Hohlraums zwischen Ummantelung und Ofen mit Sand verfüllt gewesen. Der Streithelfer habe dem Kläger Vorgaben zum Weiterbau des Ofens gemacht und erklärt, dass er den fertigen Ofen nicht noch einmal sehen wolle. Tatsächlich hatte der Streithelfer nicht auf eine erneute Besichtigung des Ofens vor Erteilung einer Abnahmebescheinigung verzichtet. Die Beklagten haben dem Kläger eine arglistige Obliegenheitsverletzung und einen vorsätzlichen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften durch die Inbetriebnahme des Ofens ohne die gemäß Landesbauordnung erforderliche Abnahme vorgeworfen. Mit seiner Klage hat der Kläger den Ersatz weiteren ihm entstandenen Schadens und die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für den darüberhinausgehenden Schaden begehrt. Widerklagend haben die Beklagten die Rückzahlung der von ihnen geleisteten Vorschüsse verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklagen antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat festgestellt, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt sei und die Sache für das Betragsverfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Widerklagen - an das Landgericht zurückverwiesen. Die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass der Kläger mit seinem Schreiben vom November 2018 eine vertragliche Obliegenheit durch wahrheitswidrige Angaben dahingehend verletzt habe, die Verkleidung des Ofens sei bei der Besichtigung durch den Streithelfer schon teilweise vorhanden gewesen und der Streithelfer habe diese Konstruktion nicht beanstandet. Aus den übrigen Angaben im Schreiben vom November 2018 folge keine arglistige Obliegenheitsverletzung. Zwar habe der Kläger eingeräumt, dass der Streithelfer anlässlich der Besichtigung nicht erklärt habe, den Ofen nicht noch einmal in Augenschein nehmen zu wollen, es fehle aber an Indizien dafür, dass der Kläger mit seiner Falschangabe das Regulierungsverhalten der Beklagten habe beeinflussen wollen. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung könne ebenfalls mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht festgestellt werden. Grobe Fahrlässigkeit werde zwar zulasten des Klägers vermutet, die Obliegenheitsverletzung sei aber weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich. Eine Verletzung der Obliegenheit aus B § 8 Nr. 1 a) aa) VGB 2014 komme nicht in Betracht. Die Klausel sei aufgrund ihrer für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer unüberschaubaren Reichweite intransparent und damit unwirksam.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das als Grundurteil bezeichnete Berufungsurteil ist in der Sache ein Teilurteil iSv. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil es jedenfalls die Feststellungsanträge des Klägers nicht umfasst. Als Teilurteil ist es unzulässig, weil die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen droht. Das Berufungsgericht hat auch eine Verletzung der Obliegenheit aus B § 8 Nr. 1 a) aa) VGB 2014 (im Folgenden: Klausel) mit nicht tragfähiger Begründung verneint. Ob eine Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die dem Versicherungsnehmer die Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften auferlegt, dem Transparenzgebot genügt, ist allerdings umstritten (Nachweise in Rn. 15 – 17). Nach richtiger Ansicht genügt die Klausel den Anforderungen des Transparenzgebots aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieses verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Diesem Bestimmtheitsgebot kommt bei der Vereinbarung von Obliegenheiten wegen der einschneidenden Wirkung der Leistungsfreiheit besondere Bedeutung zu. Die Versicherungsbedingungen müssen erkennen lassen, was der Versicherungsnehmer im Einzelnen zu tun oder zu unterlassen hat, um seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht zu gefährden. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht. Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist.
Gemessen daran ist die Klausel nicht intransparent. Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt der Klausel zunächst, dass er zum Erhalt seines Versicherungsschutzes vor Eintritt des Versicherungsfalls vertraglich vereinbarte Obliegenheiten zu erfüllen hat. Die Klausel verdeutlicht ihm, dass zu diesen vertraglich vereinbarten Obliegenheiten die Einhaltung bestimmter Sicherheitsvorschriften gehört, die verschiedenen Ursprungs, nämlich gesetzlicher, behördlicher und vertraglicher Natur, sein können. Keine Schwierigkeiten bereitet dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer das Verständnis der sich für ihn aus vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften ergebenden Rechte und Pflichten. Nähere Angaben zu solchen Sicherheitsvorschriften erwartet er schon nach dem Bedingungswortlaut und dem ihm erkennbaren Sinnzusammenhang im Versicherungsvertrag und damit in den diesem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Nimmt der Versicherungsnehmer, dem Verweis in der Klausel folgend, die Regelungen in A § 17 VGB 2014 in den Blick, bestätigt sich ihm aus Überschrift und Wortlaut dieser Klausel, dass dort vertraglich als Obliegenheit vereinbarte Sicherheitsvorschriften aufgeführt sind. Zweifel an der Reichweite dieser Bezugnahme ergeben sich für ihn nicht. Auch die Bezugnahme auf gesetzliche und behördliche Sicherheitsvorschriften in der Klausel ist nicht intransparent. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer sind gesetzliche und behördliche Sicherheitsvorschriften rechtlich verbindliche Anordnungen staatlichen Ursprungs, die gerade das versicherte Risiko vor einer versicherten Gefahr schützen sollen. Unter einer Vorschrift im Sinne der Bedingungen versteht er eine rechtlich verbindliche Anordnung einer zuständigen Stelle, die nicht lediglich den Charakter einer Ermahnung, einer Empfehlung oder eines Ratschlags hat. Sinnzusammenhang und erkennbarer Zweck der Bedingung verdeutlichen ihm darüber hinaus, dass die Obliegenheit nur solche Vorschriften umfasst, die dem Versicherungsnehmer bestimmte Verhaltensweisen zur Erhaltung seines Versicherungsschutzes vorschreiben, ihm also Handlungs- oder Unterlassungspflichten auferlegen.
Unter welchen Voraussetzungen eine rechtlich verbindliche Anordnung zu einer bedingungsgemäßen Sicherheitsvorschrift wird, ist für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ebenfalls ausreichend erkennbar. Der Wortteil "Sicherheit" zeigt dem Versicherungsnehmer, dass die von ihm zu beachtenden Vorschriften Schutzcharakter haben müssen. Nicht erfasst sind hierbei solche Schutzvorschriften, die in keinerlei Zusammenhang mit dem versicherten Risiko stehen. Erkennbarer Zweck der Obliegenheit ist vielmehr, den Eintritt des Versicherungsfalls zu verhindern oder zu erschweren. Der Versicherer und die Gemeinschaft der Versicherten sollen vor dem erhöhten Risiko geschützt werden, das im allgemeinen mit der Verletzung der Sicherheitsvorschriften verbunden ist. Unter Sicherheitsvorschriften versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer danach allein solche Anordnungen, die gerade das versicherte Risiko vor einer versicherten Gefahr schützen sollen. Das sind nur Vorschriften, die bezwecken, den Eintritt des Versicherungsfalls mindestens zu erschweren, und dazu bei abstrakter, vom Einzelfall losgelöster Betrachtung auch geeignet sind. Die Ausdrücke "gesetzlich" und "behördlich" verweisen den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auf einen öffentlich-rechtlichen Ursprung der Sicherheitsvorschriften. Ein Gesetz ist nach allgemeinem Sprachverständnis eine vom Staat erlassene, rechtlich bindende Vorschrift. Der Ausdruck "behördlich" bezeichnet aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ebenfalls staatliche Tätigkeiten. In diesem Verständnis sieht sich ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer durch den ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Obliegenheit bestätigt, mit der außervertragliche Normierungen vertraglich verbindlich gemacht werden sollen. Der Versicherer möchte sich erkennbar die Sachnähe und das Fachwissen öffentlicher Stellen zunutze machen. Damit verhindert er zugleich, dass die Versichertengemeinschaft anderenfalls für ein Verhalten des Versicherungsnehmers aufzukommen hätte, obwohl dieses von öffentlichen Stellen als gefährlich für das versicherte Risiko erkannt worden ist. Auch in zeitlicher Hinsicht bleibt nicht unklar, welche gesetzlichen oder behördlichen Sicherheitsvorschriften zu beachten sind. Zwar lässt der Wortlaut der Klausel offen, ob nur diejenigen gesetzlichen oder behördlichen Sicherheitsvorschriften erfasst sind, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags gegolten haben, oder ob auch nach Vertragsschluss eintretende Änderungen an bestehenden Vorschriften oder neu hinzukommende Sicherheitsvorschriften beachtet werden müssen. Dem Sinn und Zweck der Obliegenheit entnimmt ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer aber, dass es sich bei der Klausel um eine dynamische Verweisung handelt. Maßgebend sind die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls anwendbaren Sicherheitsvorschriften. Den bezweckten Schutz der versicherten Sache gewährt die Obliegenheit für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar nur dann lückenlos, wenn sie den Versicherungsnehmer auch zur Beachtung geänderter oder neu hinzukommender Sicherheitsvorschriften anhält. Ein Versicherer, der seine Leistungspflicht an das Einhalten gesetzlicher oder behördlicher Sicherheitsvorschriften knüpft, möchte für die versicherte Gefahr nur bei Beachtung der jeweils geltenden Anordnungen einstehen. Dies bestätigt den Versicherungsnehmer in seiner Annahme eines Gleichlaufs zwischen den für ihn geltenden öffentlich-rechtlichen Anordnungen und der vertraglichen Obliegenheit.
So verstanden ist der Inhalt der Obliegenheit ausreichend bestimmt. Die Verweisung auf Sicherheitsvorschriften außerhalb der Allgemeinen Versicherungsbedingungen steht der Bestimmtheit der Klausel nicht entgegen. Eine Verweisung auf andere Rechtsnormen ist dem geltenden Recht nicht fremd und auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nichts Ungewöhnliches. Eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers kann nicht in jedem Fall so konkret gefasst werden, dass sie jede erdenkliche Situation in ihrem Anwendungsbereich genau beschreibt. Ohne Verweisungen können allzu detaillierte, unübersichtliche, nur schwer durchschaubare oder auch unvollständige Klauselwerke entstehen, die ihrerseits den Interessen der Versicherungsnehmer abträglich wären. Auch eine - wie hier - dynamische Verweisung auf ein anderes Regelwerk stellt an sich keine unangemessene Benachteiligung dar. Sie muss allerdings eindeutig als solche erkennbar sein, weil mit ihr dem Vertragspartner das Risiko zukünftiger Rechtsänderungen aufgebürdet wird, so dass er den Umfang der auf ihn zukommenden Belastungen anhand der bei Vertragsschluss geltenden Vorschriften nicht ermitteln kann. Das ist hier der Fall. Wie ausgeführt entnimmt ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer dem mit der Klausel verfolgten Sinn und Zweck, dem Gleichlauf zwischen den für ihn geltenden öffentlich-rechtlichen Anordnungen und der vertraglichen Obliegenheit, dass ihm die Einhaltung der jeweils für ihn geltenden gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften abverlangt wird. Die Klausel führt dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch hinreichend deutlich vor Augen, welche Vorschriften er als gesetzliche oder behördliche Sicherheitsvorschriften zu beachten hat, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Bei richtigem Verständnis verbleibt ihm kein zur Intransparenz führender ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum. Ebenfalls erfolglos weist der Kläger darauf hin, dass der Versicherer die von der Klausel erfassten gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften durch einen ausdrücklichen Verweis auf brandschutzrechtliche Vorschriften der Landesbauordnungen oder die für das versicherte Gebäude geltenden Genehmigungen oder Brandschutzgutachten konkreter bezeichnen könnte. Einem etwaigen Gewinn an Klarheit für den Versicherungsnehmer stehen Rationalisierungsinteressen des Versicherers gegenüber. Wie die Beklagten zu Recht einwenden, ist es ihnen nicht möglich, sämtliche Sicherheitsvorschriften zum Schutz der versicherten Sache im Vorhinein aufzuzeigen oder in einer Weise zu konkretisieren, die dem Versicherungsnehmer einen Erkenntnisgewinn verschaffen könnte. Dies gilt insbesondere für behördliche Anordnungen gegenüber dem Versicherungsnehmer, die der Versicherer regelmäßig nicht kennt. Im Übrigen ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können.
Die Verweisung ist auch nicht deshalb intransparent, weil sich der Inhalt der in Bezug genommenen Sicherheitsvorschriften aus der Klausel selbst nicht ergibt. Grundsätzlich genügt es, dass der Text der Vorschrift, auf die verwiesen wird, für jedermann ohne weiteres zugänglich ist. Eine lediglich präzisierende Verweisung begründet deshalb regelmäßig keinen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Intransparent ist eine Klausel erst dann, wenn sich ihr Regelungsgehalt überhaupt erst aus der in Bezug genommenen Vorschrift erschließt oder die Verweisung dazu führt, dass die kundenbelastende Wirkung unter Berücksichtigung alternativer Gestaltungsmöglichkeiten mehr verschleiert als offengelegt und der Kunde deshalb an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert wird. So liegt es hier nicht. Zwar ergibt sich, der Inhalt der in Bezug genommenen Sicherheitsvorschriften nicht aus der Klausel. Um zu erkennen, wie er sich im Einzelfall zu verhalten hat, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden, muss der Versicherungsnehmer die in Bezug genommenen Sicherheitsvorschriften konsultieren. Das ist ihm aber möglich und zumutbar. Die Beklagten weisen zu Recht darauf hin, dass es sich um für den Versicherungsnehmer verbindliche Vorschriften handelt, deren Inhalt er entweder kennt oder kennen kann, weil sie ihn infolge gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ohnehin treffen. Das gilt insbesondere für allein an den Versicherungsnehmer gerichtete Anordnungen. Auch über den Inhalt von behördlichen Sicherheitsvorschriften für einen größeren Adressatenkreis oder von gesetzlichen Sicherheitsvorschriften kann er sich an geeigneter Stelle informieren. Zusätzlich den Abdruck oder die Aushändigung von Vorschriften zu verlangen, die der Versicherungsnehmer unschwer einsehen kann, überspannte dagegen die Anforderungen an das Verständlichkeitsgebot.
Die Nichtanwendung der Klausel stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Sie benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen entgegen Treu und Glauben im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel schränkt keine wesentlichen Rechte des Versicherungsnehmers in einer die Erreichung des Vertragszwecks gefährdenden Weise im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein. Nicht jede Beschränkung des Leistungsversprechens bedeutet eine Vertragszweckgefährdung. Sie liegt erst dann vor, wenn eine Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht. Das ist für das Leistungsversprechen in der Wohngebäudeversicherung nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Versicherungsschutz entfallen kann, wenn der Versicherungsnehmer Sicherheitsvorschriften zum Schutz des versicherten Gebäudes vor dem vereinbarten Risiko verletzt, die er kraft gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ohnehin zu beachten hat. Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht sonst unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Der Wohngebäudeversicherer hat ein schützenswertes Interesse daran, die vom Versicherungsnehmer ohnehin zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Pflichten als Obliegenheiten zum Mindestschutzstandard für das versicherte Risiko zu erheben. Die Belange des Versicherungsnehmers sind zudem durch das Erfordernis eines inneren Schutzzweckzusammenhangs zwischen der Verletzung der Vorschrift und dem Schaden hinreichend gewahrt. Es benachteiligt den Versicherungsnehmer schließlich nicht unangemessen, dass er bei einer Verletzung einer Sicherheitsvorschrift für den Fortbestand des Versicherungsschutzes fehlende grobe Fahrlässigkeit nachweisen oder den Kausalitätsgegenbeweis erbringen muss, denn dies entspricht dem gesetzlichen Leitbild in § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 und Abs. 3 Satz 1 VVG.
- Kontext der Entscheidung
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, nur im Rahmen des Möglichen besteht. Weder bedarf es eines solchen Grades an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können, noch ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 20. November 2019 – IV ZR 159/18). Intransparent sind insbesondere Klauseln, die die Rechtslage unzutreffend und deshalb irreführend darstellen. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sieht jedoch bereits im Wortlaut vor, dass sich aus einer nicht klaren und verständlichen Bestimmung eine unangemessene Benachteiligung (nur) ergeben kann, nicht aber immer ergibt oder ergeben muss (BGH, Urteil vom 12. September 2024 – IX ZR 65/23 –, juris). Da das Transparenzgebot lediglich eine Konkretisierung der Generalklausel des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, bewirkt ein Verstoß nur dann die Unwirksamkeit der Klausel, wenn damit Nachteile für den Vertragspartner verbunden sind. Fehlende Transparenz ist aber immer für den Vertragspartner von Nachteil, da er gehindert wird, Verhandlungsmöglichkeiten wahrzunehmen und seine Rechte und Pflichten zu erkennen (Lapp/Salamon in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 307 BGB (Stand: 02.09.2024), Rn. 170 mwN.).
- Auswirkungen für die Praxis
Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen (Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen), sind von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Die Freistellung von der Inhaltskontrolle gilt jedoch nur für Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistungspflichten, d.h. den Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 – VII ZR 266/17). Seit der Schuldrechtsnovellierung unterliegen auch „andere Bestimmungen“ – also Klauseln, die grundsätzlich nicht kontrollfähig sind – gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB der Transparenzkontrolle. Kontrollmaßstab ist, ob die Klausel nicht nur in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner verständlich ist, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 – IV ZR 202/16). Während für der Inhaltskontrolle unterworfene Klauseln bei einer Unwirksamkeit an deren Stelle die gesetzlichen Vorschriften treten, die durch die unwirksamen Klauseln abgeändert werden sollten (§ 306 Abs. 2 BGB), fehlt für die „anderen Bestimmungen“ naturgemäß Gesetzesrecht, so dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt werden muss, was die Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Intransparenz bewusst gewesen wäre.
BGH: Nachträgliche Zulassung der Berufung
Die nachträgliche Zulassung der Berufung aufgrund einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ist ausnahmsweise zulässig, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt, oder wenn das Erstgericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung bezogen auf die Zulassungsentscheidung das rechtliche Gehör des späteren Berufungsklägers verletzt hat.
BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 – VI ZB 115/21
- Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen ein Gericht aufgrund einer Anhörungsrüge nachträglich die Berufung gegen ein wegen nicht ausreichender Beschwer nicht berufungsfähiges Urteil zulassen kann, hatte der VI. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Pkw des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Der Kläger ließ das Fahrzeug reparieren. Die Rechnung weist die Position "Schutzmittel Corona" mit 15 € (netto) aus, zudem werden dort "Schutzmaßnahmen Corona" erwähnt. Der Beklagte regulierte die Rechnung abzüglich eines Betrages von 76,21 €. Mit seiner Klage macht der Kläger den Restbetrag von 76,21 € geltend, welchen er mit 58,81 € den "Schutzmaßnahmen Corona" und 17,40 € dem "Schutzmaterial Corona" zuordnet. Das Amtsgericht hat angeordnet, dass gemäß § 495a ZPO im vereinfachten Verfahren ohne mündliche Verhandlung schriftlich entschieden werden soll. Auf Antrag müsse mündlich verhandelt werden. Die beklagte Partei erhalte eine Frist, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich zu dem Vorbringen der Gegenseite Stellung zu nehmen. Eine Entscheidung, insbesondere auch ein Endurteil, gegen das ein Rechtsmittel von Gesetzes wegen nicht möglich sei, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, ergehe nach Ablauf gesetzter und gegebenenfalls noch zu setzender Fristen im vereinfachten Verfahren von Amts wegen ohne Bestimmung eines Verkündungstermins. Mit Urteil vom 12. April 2021 hat das Amtsgericht im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung ein Urteil erlassen und die Klage abgewiesen. Die Berufung hat es nicht zugelassen und dazu ausgeführt, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erforderlich machten. Auf die Anhörungsrüge des Klägers hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. Juni 2021 der Gehörsrüge abgeholfen und angeordnet, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Aufgrund der abweichenden Entscheidungen innerhalb des Amtsgerichts zu den in Rede stehenden Rechtsfragen solle im Sinne der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Berufung zugelassen werden. Es sei beabsichtigt, das Verfahren erneut durch Urteil zu entscheiden, dieses solle inhaltlich nur insoweit von dem ersten Urteil abweichen, als die Berufung zugelassen werde. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Urteil vom 30. Juli 2021 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und diese auch fristgerecht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung nach vorausgehendem Hinweis an den Kläger als unzulässig verworfen, da die auf die Anhörungsrüge hin ausgesprochene Zulassung der Berufung die Kammer nicht binde, weil sie unter Verstoß gegen die Bindung des Amtsgerichts aus § 318 ZPO erfolgt und unwirksam sei.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Gemäß § 511 Abs. 2 ZPO ist die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hatte. Das Landgericht ist hier zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass es bei dem Wert des Beschwerdegegenstandes von 76,21 € an einer wirksamen Zulassung der Berufung durch das Amtsgericht fehlt. Gemäß § 511 Abs. 4 Satz 2 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Zulassung der Berufung auch dann gebunden, wenn die seitens des Erstgerichts für maßgeblich erachteten Zulassungsgründe aus seiner Sicht nicht vorliegen. Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam. Das gilt auch für eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, die die Bindung des Gerichts an seine eigene Endentscheidung gemäß § 318 ZPO außer Kraft setzen würde. Eine nachträgliche Zulassung der Berufung kann jedoch ausnahmsweise auf eine zulässige und begründete Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erfolgen, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Berufung nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorgelegen hat. Die Anhörungsrüge stellt einen gesetzlich geregelten Rechtsbehelf eigener Art dar, durch den das Gericht von der Bindungswirkung des § 318 ZPO sowie von der formellen und materiellen Rechtskraft freigestellt wird. Das Rechtsmittelgericht ist jedoch nicht an die Begründung des unteren Gerichts gebunden, sondern hat dessen Entscheidung, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war. Bei dieser Prüfung ist das Berufungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass das Amtsgericht seine bewusste Entscheidung, die Berufung nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO geändert hat.
Die Anhörungsrüge des Klägers war zwar gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft, weil die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht wurde und das Amtsgericht die Berufung zunächst nicht zugelassen hatte. Auch hat der Kläger die Anhörungsrüge fristgerecht erhoben und eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ausgeführt. Zu Recht hat das Berufungsgericht aber die Anhörungsrüge des Klägers nicht für begründet erachtet. Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Die unterbliebene Zulassung der Berufung kann für sich genommen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Beteiligten wurde verfahrensfehlerhaft übergangen. Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Vortrags beruhen. Sein Schutzbereich ist auf das von dem Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet. Eine nachträgliche Zulassung der Berufung aufgrund einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ist deshalb nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt oder wenn das Erstgericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung bezogen auf die Zulassungsentscheidung das rechtliche Gehör des späteren Berufungsklägers verletzt hat. An letzterem fehlt es hier.
Anders als der Kläger meint, handelt es sich bei dem Urteil des Amtsgerichtes ohne Zulassung der Berufung vom 12. April 2021 nicht um eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht. Das Amtsgericht hat aber nicht gegen seine Hinweispflichten verstoßen. Es hat die Parteien vielmehr darauf hingewiesen, dass es im Verfahren nach § 495a ZPO entscheiden werde, dass für eine mündliche Verhandlung ein Antrag erforderlich sei und eine Entscheidung ergehen könne, gegen die es kein Rechtsmittel gebe. Für einen gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten war daraus ersichtlich, dass die Nichtzulassung der Berufung sehr wahrscheinlich ist, ohne dass das Amtsgericht ausdrücklich darauf hinweisen musste, dass es im konkreten Fall die Berufung nicht zulassen werde. Bereits die Entscheidung für ein Verfahren nach § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung musste ein deutliches Signal für den gewissenhaften Prozessbeteiligten sein, dass das Amtsgericht im Streitfall weder von einer grundsätzlichen Bedeutung noch der Notwendigkeit der Rechtsmittelzulassung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts ausgehen würde. Dies musste auch für den Kläger auf der Hand liegen, da auch die von ihm vorgelegten amtsgerichtlichen Entscheidungen zu Corona-Schutzmaßnahmen bzw. Desinfektionskosten überwiegend im Verfahren nach § 495a ZPO ohne Zulassung der Berufung ergangen waren. Der Beschluss vom 18. Januar 2021 enthielt weiter den Hinweis, dass ein Urteil ergehen könnte, gegen das ein Rechtsmittel von Gesetzes wegen nicht möglich ist.
Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass das Amtsgericht bei seinem ersten Urteil keinen auf die Zulassungsentscheidung bezogenen Vortrag der Parteien verfahrensfehlerhaft übergangen hat. Der Kläger hat bis zu diesem Urteil die aus seiner Sicht notwendige Zulassung der Berufung an keiner Stelle thematisiert. Er hat allerdings bereits in der Klageschrift seinen Rechtsstandpunkt zur Erforderlichkeit von Corona-Schutzmaßnahmen und deren Ersatzfähigkeit dargelegt und insbesondere auch eine insoweit zusprechende Entscheidung des AG München referiert. Er hat weitere zusprechende amtsgerichtliche Entscheidungen benannt und die Rechtsgrundsätze des BGH zum Werkstattrisiko referiert. Er hat in seiner Replik erneut zu den Positionen "Schutzmaßnahmen Corona" und "Schutzmaterial Corona" zusprechende amtsgerichtliche Entscheidungen benannt. Mit seiner Entscheidung hat das Amtsgericht diesen Vortrag des Klägers aber nicht übergangen, sondern lediglich nicht alle gebotenen rechtlichen Schlüsse gezogen. Das Amtsgericht hat sich nämlich mit den vom Kläger aufgeworfenen Fragen zu der Erforderlichkeit der Corona-Schutzmaßnahmen und der Erstattungspflichtigkeit der diesbezüglichen Kosten ausdrücklich befasst, seine Klageabweisung mit von der Rechtsauffassung des Klägers abweichenden Rechtsstandpunkten begründet und seinerseits für diese eine amtsgerichtliche und eine landgerichtliche Entscheidung angeführt. Ob diese Rechtsauffassung zutreffend war, ist für die Frage nach einer Gehörsverletzung dabei ohne Belang. Dass das Amtsgericht die - gebotene - Zulassung der Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erst auf die Anhörungsrüge des Klägers erwogen hat, stellt hier als solches keinen Gehörsverstoß, sondern einen einfachen Verfahrensfehler dar.
- Kontext der Entscheidung
Der Senat bestätigt seine bisherige Rechtsprechung. Danach kann eine nachträgliche Zulassung der Berufung ausnahmsweise auf eine zulässige und begründete Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erfolgen, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Berufung nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorgelegen hat. Denn die Anhörungsrüge stellt einen gesetzlich geregelten Rechtsbehelf eigener Art dar, durch den das Gericht von der Bindungswirkung des § 318 ZPO sowie von der formellen und materiellen Rechtskraft freigestellt wird. Das Rechtsmittelgericht ist jedoch nicht an die Begründung des unteren Gerichts gebunden, sondern hat dessen Entscheidung, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (BGH, Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 137/22 –, Rn. 19). Eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung ist jedoch unwirksam, weil sie die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung (§ 318 ZPO) außer Kraft setzen würde. Dies gilt auch, wenn das Beschwerdegericht seine Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO ändert. Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde als solche kann den rechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien ist verfahrensfehlerhaft übergangen worden. Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags beruhen. Sein Schutzbereich ist auf das von dem Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 – VII ZB 41/19 –, Rn. 13 - 14).
- Auswirkungen für die Praxis
Der Kläger hätte nach der Einleitung des Verfahrens nach § 495a ZPO den im Gesetz vorgesehenen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen müssen (§ 495a Satz 2 ZPO). Dadurch, dass er dies unterlassen hat, sondern sich passiv verhalten hat, hat er sich um die Möglichkeit gebracht, das Gericht von der Zulassung der Berufung zu überzeugen. Vergleichbar ist die Konstellation, dass der Rechtsbeschwerdeführer es im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, auf einen Hinweisbeschluss des Gerichts hin eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Dies führt zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes, der fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 – VI ZB 30/22 –, Rn. 12).
BGH: Anforderungen an die Fristenkontrolle
Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen.
BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 573/23
- Problemstellung
Der XII. Zivilsenat hatte sich mit den Anforderungen an die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags gegen den Ablauf einer Rechtsmittelfrist zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsgegner begehrt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist. Das Amtsgericht hat ihn in einem Verfahren nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG (sonstige Familiensache) verpflichtet, an die Antragstellerin, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, einen Betrag von 293.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 25. Juli 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 24. August 2023 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Mit einem am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 2. Oktober 2023 hat der Antragsgegner seine Beschwerde begründet. Das Amtsgericht hat den mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatz am 4. Oktober 2023 auf elektronischem Wege an das OLG weitergeleitet. Auf den Hinweis, dass beabsichtigt sei, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil eine Rechtsmittelbegründung nicht innerhalb der Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG eingegangen sei, hat der Antragsgegner Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin Frau E. seines Verfahrensbevollmächtigten ausgeführt, diese sei in der Kanzlei für die Fristenverwaltung zuständig. In den mehr als 20 Jahren ihrer Beschäftigung sei ihr bislang kein Fehler im Fristenkalender unterlaufen. Nach der Organisation des Büros werde zunächst eine Vorfrist von einer Woche eingetragen, wobei die Fristen sowohl in einem gesonderten Fristenkalender als auch digital in der Anwaltssoftware notiert würden. Neben der Vorfrist gebe es ferner die sogenannte Notfrist. Der Verfahrensbevollmächtigte kontrolliere regelmäßig die Einhaltung der Fristen. Sämtliche Mitarbeiter seien bei Aufnahme ihrer Tätigkeit über die Regelungen für die Fristenkontrolle und deren Bedeutung belehrt worden. Diese Belehrungen würden auch regelmäßig wiederholt, zuletzt am 4. August 2023. Der Verfahrensbevollmächtigte habe beim Diktat der Beschwerdeschrift explizit erklärt, dass die Frist für die Beschwerdebegründung einen Monat betrage und diese allerspätestens am 25. September 2023 beim OLG, hilfsweise beim AG Minden, einzugehen habe. Er habe ferner diktiert, dass ihm die Akte zur Vorfrist am 18. September 2023 vorgelegt werden solle, damit ausreichend Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibe. Tatsächlich habe Frau E. die Vorfrist aber versehentlich für den 18. Oktober 2023 und die Notfrist für den 25. Oktober 2023 eingetragen. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners sei dies nicht aufgefallen, da er auf die ordnungsgemäße Einhaltung und Beachtung der Fristen vertraut habe und aufgrund seiner Arbeitsbelastung eine Kontrolle nicht erfolgt sei.
Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners durch seine Büroorganisation grundsätzlich ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen getroffen habe. Er dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Bürokraft allgemeine Weisungen befolge, wenn nicht Umstände dazu Anlass geben würden, an der Umsetzung der Anweisung zu zweifeln. Allerdings habe der Verfahrensbevollmächtigte es entgegen seiner üblichen Büroorganisation unterlassen, die entsprechenden Fristen zu kontrollieren. Soweit er sich darauf stütze, dass die Kontrolle aufgrund der - allerdings nicht näher dargelegten - anwaltlichen Arbeitsbelastung unterlassen worden sei, könne dies den Antragsgegner nicht entlasten. Im Übrigen hätte spätestens die ihm unter dem 12. September 2023 erfolgte Übermittlung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens Anlass geben müssen, die notierten Fristen (erneut) zu prüfen. Dass die Nichtwahrung der Beschwerdebegründungsfrist auch auf anwaltlichem Verschulden beruhte, lege des Weiteren der Umstand nahe, dass die Begründungsschrift vom 2. Oktober 2023 an das hierfür unzuständige Amtsgericht gerichtet gewesen sei, ohne dass die zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichene Begründungsfrist aufgefallen sei.
Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Zwar meint die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass diese Ausführungen des Beschwerdegerichts nicht tragfähig sind. So führt die Gewohnheit eines Rechtsanwalts, in seinem Kanzleibetrieb über das gebotene Maß hinaus weitere Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen, nicht zu einer Verschärfung seiner Sorgfaltspflichten, weshalb dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners auch nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Fristen entgegen seiner sonst üblichen Büroorganisation nicht nach deren Eintragung im Fristenkalender anlasslos kontrolliert hat. Darüber hinaus hat die lediglich informatorische Mitteilung des zweitinstanzlichen Aktenzeichens keinen Anlass zu einer Bearbeitung der Akte gegeben, die eine Pflicht zur Prüfung der notierten Fristen hätte auslösen können. Auch lassen sich aus der nach dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgten Adressierung des Begründungsschriftsatzes an das für dessen Empfang nicht zuständige Amtsgericht (§ 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG) keine Rückschlüsse auf ein etwaiges Anwaltsverschulden hinsichtlich der damit vorliegend nicht in Zusammenhang stehenden Versäumung der Begründungsfrist ziehen. Auf all dies kommt es aber nicht entscheidend an. Vielmehr erweist sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis gleichwohl als zutreffend, weil die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist aus anderen Gründen auf einem Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten beruht, das sich der Antragsgegner zurechnen lassen muss. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG einzuhalten. Dabei muss der Wiedereinsetzungsantrag die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumung beruht. Besteht nach diesen von dem Beteiligten glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht.
Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners und die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin enthalten keine hinreichende Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein fehlendes Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten annehmen ließe. Ein Rechtsanwalt darf die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen darf. Zu den die Führung des Fristenkalenders betreffenden Aufgaben, die delegiert werden dürfen, gehört auch die Notierung von Vor- und Hauptfristen. Allerdings muss ein Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare tun, um die Wahrung von Fristen zu gewährleisten. So hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender notiert werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt. Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder als elektronische Akten geführt werden. Die anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht.
Gemessen hieran kann vorliegend die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers verschuldet war, nicht ausgeschlossen werden. Nach dem Vortrag des Antragsgegners hat sein Verfahrensbevollmächtigter beim Diktat der Beschwerdeschrift explizit auch erklärt, dass die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 25. September 2023 laufe und ihm die Akte zur Vorfrist am 18. September 2023 vorgelegt werden solle, damit ausreichend Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibe. Die bis dahin zuverlässige Mitarbeiterin habe aber versehentlich die Vorfrist für den 18. Oktober 2023 und die Notfrist für den 25. Oktober 2023 eingetragen. Mit dem Diktat der Beschwerdeschrift war diese fristgebundene Verfahrenshandlung indes nicht abgeschlossen. Vielmehr musste der Verfahrensbevollmächtigte noch die Endkontrolle des nach seinem Diktat gefertigten Schriftsatzes vornehmen, für diesen - hier in Form einer qualifizierten elektronischen Signatur - die Verantwortung übernehmen und die Versendung des Schriftsatzes veranlassen. Da zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden und erst danach ein entsprechender Vermerk in der Handakte erfolgt, hätten die Fristen anlässlich der Erledigung des Diktats der Beschwerdeschrift zuerst im Kalender notiert und sodann ein Vermerk in den Handakten angebracht werden müssen. Zu dem Zeitpunkt, als der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit der Endkontrolle der Beschwerdeschrift befasst war, hätte im Falle einer ordnungsgemäßen Büroorganisation die Handakte also durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lassen müssen, dass die Vorfrist und die Notfrist in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Es ist allerdings nicht dargelegt, dass in der Handakte die korrekten Fristen notiert wurden, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass dort dieselben falschen Fristen wie im Fristenkalender eingetragen worden sind. Dies hätte dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners anlässlich der Endkontrolle des Beschwerdeschriftsatzes auffallen müssen. Ebenso wenig ist dargelegt, wann der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Akten zur Erstellung der Beschwerdebegründung vorgelegt bekam oder wann er sie sich selbst zur Bearbeitung gezogen hat. Angesichts des Umstands, dass er am 2. Oktober 2023 den fehlerhaft an das Amtsgericht adressierten Begründungsschriftsatz elektronisch signiert hat, müssen ihm die Akten - aus welchem Grund auch immer - vor der im Fristenkalender für den 18. Oktober 2023 eingetragenen Vorfrist vorgelegen haben. Bei diesem Geschehensablauf ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass er die Akten auch schon so rechtzeitig zur Bearbeitung vorliegen hatte, dass er die Beschwerdebegründung noch fristwahrend hätte fertigen oder zumindest eine (erstmalige) Fristverlängerung hätte beantragen können. Es ist somit nicht auszuschließen, dass die fehlerhafte Eintragung der Fristen im Fristenkalender nicht kausal für die Fristversäumung war, sondern der Verfahrensbevollmächtigte, dem auch am 2. Oktober 2023 die bereits abgelaufene Beschwerdebegründungsfrist nicht aufgefallen ist, diese Frist durch ein eigenes Verschulden versäumt hat.
- Kontext der Entscheidung
Ein Rechtsanwalt hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder als elektronische Akten geführt werden. Denn wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender darf auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant (BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 483/21 –, Rn. 11, mwN.). Die Berechnung und Notierung von Fristen kann der Rechtsanwalt einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Dann hat er aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – XII ZB 9/22 –, Rn. 9, mwN.).
- Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis wichtig ist die Bestätigung einer älteren Entscheidung des BGH zu überobligationsmäßigen Sorgfaltsvorkehrungen des Rechtsanwalts. Trifft ein Rechtsanwalt über das gebotene Maß hinaus weitere Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen, führt dies nicht zu einer Verschärfung seiner Sorgfaltspflichten, wie das Beschwerdegericht gemeint hatte (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 573/23 -, Rn. 7). Mehr als eine lückenlose Kontrolle einer Frist kann von einem Rechtsanwalt nicht gefordert werden. Sorgfaltspflichten sind auch im Zusammenhang mit der Fristenkontrolle grundsätzlich für alle Rechtsanwälte gleich. Eine Gewohnheit, über das gebotene Maß hinaus weitere organisatorische Sicherungen anzuordnen und zu beachten, führt nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten. Selbst wenn der individuelle Kalender der persönlichen Sekretärin des Rechtsanwalts als doppelte Kontrolle der Fristen neben dem zentralen Fristenkalender gedacht sein sollte, könnte ein etwaiger Organisationsfehler auf dieser zweiten Kontrollebene dem Rechtsanwalts nicht vorgehalten werden. Es gibt keine Rechtfertigung, ihn schlechter zu stellen, als in dem Fall, dass neben einer ausreichenden Fristenkontrolle eine zusätzliche Überwachung der Fristen überhaupt nicht vorgesehen ist (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1991 – VII ZR 155/91 –, Rn. 7, mwN.).
BGH: Zum Gebot des sichersten Weges
Nach dem für Verjährungsfragen maßgeblichen "Gebot des sichersten Weges" hat der Rechtsanwalt bei einer unklaren Rechtslage, ob ein triftiger Grund vorliegt, das Verfahren nicht zu betreiben, im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Anspruchs des Mandanten sicher verhindert.
BGH, Urteil vom 19. September 2024 – IX ZR 130/23
- Problemstellung
Welche Verpflichtungen den Rechtsanwalt treffen, wenn die Rechtslage unklar ist, hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden. Dem Mandanten war nicht verdeutlich worden, dass die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens nach sechs Monaten zum Ende der durch Klageerhebung eingetretenen Verjährungshemmung führen könnte, wenn vom Gericht nicht ein triftiger Grund für die Zustimmung angenommen werden würde (§ 204 Abs. 2 BGB).
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger nimmt die Beklagten als seine vormaligen anwaltlichen Vertreter auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie nicht verhindert hätten, dass der ihm gegen seine frühere Ehefrau zustehende Zugewinnausgleichsanspruch verjährt sei. Die Ehe des Klägers ist seit dem 4. Juni 2004 rechtskräftig geschieden. Die Ehefrau des Klägers reichte am 8. Mai 2007 eine auf Zugewinnausgleich gerichtete Stufenklage bei dem Familiengericht Mannheim ein. Der Kläger beauftragte die Beklagten, einen Zugewinnausgleichsanspruch gegenüber seiner Ehefrau geltend zu machen, die am 31. Mai 2007 eine auf Ausgleich des Zugewinns gerichtete Klage vor dem Familiengericht Delmenhorst erhoben. Die Ehefrau des Klägers berief sich auf die Einrede der Verjährung. Nachdem sich sowohl das Familiengericht Delmenhorst als auch das Familiengericht Mannheim für die von dem Kläger erhobene Zugewinnausgleichsklage für unzuständig erklärten, bestimmte das OLG Oldenburg mit Beschluss vom 23. Oktober 2007 das Familiengericht Delmenhorst als zuständiges Gericht, das daraufhin den Parteien am 19. November 2007 das Ruhen des Verfahrens vorschlug; der Ausgang des Verfahrens in Mannheim solle abgewartet werden. Die Beklagten beantragten das Ruhen des Verfahrens; die Ehefrau des Klägers stimmte zu. Mit Beschluss vom 14. Januar 2008 ordnete das Familiengericht Delmenhorst das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss des Parallelverfahrens vor dem Familiengericht Mannheim an. Nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Klägers in dem in Mannheim betriebenen Verfahren riefen die Beklagten im November 2008 für den Kläger das Verfahren in Delmenhorst wieder auf. Die Ehefrau des Klägers erhob erneut die Einrede der Verjährung. Das Familiengericht Delmenhorst wies die Klage ab, weil im Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens bereits Verjährung eingetreten gewesen sei. Die von den Beklagten dagegen eingelegte Berufung wies das OLG Oldenburg mit gleicher Begründung zurück. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten hätten erkennen müssen, dass das Ruhen des Verfahrens die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zur Folge haben würde. Das OLG hat die Klage abgewiesen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 9. Juni 2023 – 4 U 35/22).
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts liegt eine Verletzung der den Beklagten aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsvertrags obliegenden Pflichten iSv. § 280 Abs. 1 BGB vor, weil nicht der sicherste Weg gewählt wurde, die Rechte des Klägers zu sichern und geltend zu machen, und der Kläger hierüber unzureichend beraten wurde. Die Beklagten haben die ihnen aus dem geschlossenen Anwaltsvertrag dem Kläger gegenüber obliegende Pflicht verletzt, den sichersten Weg zu wählen, die Rechte des Klägers zu sichern und geltend zu machen. Denn sie haben ihn weder über die mit einem Ruhen des Verfahrens verbundenen Risiken für ein Ende der Hemmung der Verjährung aufgeklärt noch Maßnahmen aufgezeigt oder ergriffen, um erhebliche Unsicherheiten über die drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu vermeiden. Die Beklagten haben das ruhend gestellte Verfahren über den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers nicht vor dem Ablauf der in § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB geregelten Frist von sechs Monaten wieder aufgerufen und auch nicht mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung getroffen.
Der Rechtsanwalt muss die Erfolgsaussichten des Begehrens seines Mandanten umfassend prüfen und den Mandanten hierüber belehren. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falls. Der Rechtsanwalt hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu begründeten Zweifeln Anlass, so muss der Rechtsanwalt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt.
Die Beklagten waren beauftragt, den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers geltend zu machen. Sie waren dabei auch verpflichtet, vermeidbare Nachteile für den Kläger als ihren Mandanten zu verhindern. Sie hatten deshalb dessen Anspruch vor der Verjährung zu sichern. Diese Pflicht haben sie schuldhaft verletzt. Die Beklagten haben keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um eine drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers rechtssicher auszuschließen. Die maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist des § 1378 Abs. 4 Satz 1 BGB (in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung) begann am 22. Juli 2004 mit der Kenntnis des Klägers von der Rechtskraft des Scheidungsurteils zu laufen. Durch die am 31. Mai 2007 erhobene Klage wurde die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Die Hemmung endete gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren in Stillstand, weil es die Parteien nicht betreiben, so tritt gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens. Mit Beschluss vom 14. Januar 2007 wurde das Ruhen des Verfahrens vor dem Familiengericht Delmenhorst angeordnet; das Verfahren geriet hierdurch in Stillstand (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dann mussten die Beklagten Rechnung stellen, dass im Regelfall die Hemmung der Verjährung des Anspruchs des Klägers sechs Monate später mit Ablauf des 14. Juli 2007 endete. Die zwischenzeitlich gehemmte Verjährung wäre dann wieder in Lauf gesetzt worden. Unter diesen Voraussetzungen wäre die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers bereits eingetreten gewesen, als die Beklagten im November 2007 das Verfahren wieder aufriefen. Denn zu diesem Zeitpunkt wären die von der dreijährigen Verjährungsfrist vor Eintritt der Hemmung noch verbliebenen 52 Tage abgelaufen gewesen. Die Beklagten haben die ihnen dem Kläger gegenüber obliegende Pflicht verletzt, vermeidbare Nachteile für den Kläger zu verhindern. Sie haben die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, indem sie nicht den sichersten und gefahrlosesten Weg gewählt haben, um den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers geltend zu machen. Insbesondere haben die Beklagten die rechtliche Beurteilung, wann die Hemmung der Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs endete, nicht an der zum Zeitpunkt der Beratung maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgerichtet. Ihnen musste einerseits bekannt sein, dass nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete. Andererseits musste sie wissen, dass gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens tritt, wenn das Verfahren in Stillstand gerät, weil die Parteien es nicht betreiben. Die Beklagten hatten die zum Zeitpunkt der Beratung maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu berücksichtigen. Sie durften deshalb nicht außer Acht lassen, dass die Rechtsprechung bereits im Jahr 2007 das Ruhen des Verfahrens als Stillstand iSd. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. einordnete und auch in den zur Zeit der rechtlichen Beratung gängigen Kommentaren auf dieses Problem hingewiesen wurde.
Der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten steht nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund iSd. § 204 Abs. 2 BGB für das Untätigbleiben der Beklagten zu 2 bestand. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen "Gebot des sichersten Weges" hatte die Beklagte zu 2 angesichts der im Streitfall unklaren Rechtslage bei der Beurteilung eines triftigen Grundes im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers jedenfalls sicher verhindert hätte. Demgemäß ist die Frage, ob im Streitfall ein triftiger Grund bestand, das Verfahren nicht zu betreiben, von drei Gerichten verneint, von dem Berufungsgericht jedoch bejaht worden. Bereits die unterschiedliche Beurteilung dieser Frage durch die Gerichte deutet darauf hin, dass die Beklagten insoweit nicht den sichersten Weg eingeschlagen haben. Ebenso wenig erfüllten die wechselseitig erhobenen Klagen auf Zugewinnausgleich zweifelsfrei in der Rechtsprechung oder nach der allgemeinen Meinung eine Fallgruppe eines triftigen Grundes. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass im maßgeblichen Zeitraum wechselseitige Zugewinnausgleichsklagen als Fall eines triftigen Grundes in der Rechtsprechung anerkannt waren. Schließlich muss ein Rechtsanwalt gerade in zweifelhaften Fällen in Rechnung stellen, dass ein Gericht eine andere rechtliche Einschätzung vornehmen kann. Die Beklagten hatten den Kläger über die Maßnahmen aufzuklären, die den Eintritt der Verjährung des Anspruchs zu verhindern vermochten. Mit Blick auf den Umstand, dass das Ruhen des Verfahrens die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers zur Folge haben konnte, hätten die Beklagten ihn über die damit verbundenen Vorteile und Risiken aufklären müssen. Insoweit hätten sie darauf hinweisen müssen, dass ein nicht zu vernachlässigendes Risiko bestand, dass das Gericht das Vorliegen eines triftigen Grundes abweichend beurteilen würde. Auch hätten sie dem Kläger aufzeigen müssen, dass trotz der Anregung des Gerichts von einer entsprechenden Antragstellung abgesehen werden konnte. Sie hätte den Kläger auf die mit der Durchführung des Verfahrens verbundenen Risiken, insbesondere die dadurch anfallenden Kosten hinweisen müssen. Ferner hätten die Beklagten dem Kläger auch vorschlagen können, mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung zu treffen. Soweit die Ehefrau des Klägers zu einer Vereinbarung nicht bereit gewesen wäre, hätten die Beklagten dem Kläger die dann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu verhindern, darstellen müssen.
- Kontext der Entscheidung
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsanwalt kraft des Anwaltsvertrags verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen. Er muss sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu ernstlich begründeten Zweifeln Anlass, so muss er auch in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt. Im Prozess ist er verpflichtet, den Versuch zu unternehmen, das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum seine Auffassung richtig ist. Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Falles (BGH, Urteil vom 23. September 2004 – IX ZR 137/03 –, Rn. 16). Bei Verstößen gegen die anwaltliche Beratungspflicht spricht zu Gunsten des Mandanten der Erfahrungssatz, dieser hätte sich bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten beratungsgemäß verhalten, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 – IX ZR 232/01). Ein Anscheinsbeweis kommt demnach nicht nur dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt eine bestimmte Empfehlung zu geben hatte. Hatte der Rechtsanwalt seinen Auftraggeber lediglich umfassend über die Rechtslage zu belehren, verblieb für den Mandanten aber bei vertragsgerechter Information nur eine sinnvolle Entscheidung, so liegt ebenfalls ein in gleicher Weise typischer Sachverhalt vor (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 – IX ZR 232/01 –, Rn. 23). Voraussetzung sind aber tatsächliche Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den rechtlichen Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten (BGH, Urteil vom 30. September 1993 – IX ZR 73/93). Besteht nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit, sondern kommen verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich bergen, ist grundsätzlich kein Raum für einen Anscheinsbeweis (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/01 -, Rn. 26).
- Auswirkungen für die Praxis
Ob die Entscheidung des BGH dem Kläger zum Sieg verhelfen wird, erscheint fraglich. Denn hätten die Beklagten den Kläger pflichtgemäß über die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten und deren Risiken aufgeklärt, wären für diesen mehrere Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen. Bestehen für den Mandanten aber eine Mehrzahl von Handlungsmöglichkeiten, so trifft ihn die Verpflichtung, den Weg darzulegen, für den er sich konkret entschieden hätte (BGH, Urteil vom 29. September 2005 - IX ZR 104/01). Zudem trifft ihn dann die volle Beweislast, weil der Anscheinsbeweis in einem solchen Fall nicht eingreift (BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 53/99). Demgemäß kommt dem Kläger eine solche Beweiserleichterung nicht zugute. Er hat lediglich behauptet, der ihm zustehende Zugewinnausgleichsanspruch wäre ihm zuerkannt worden, wenn die Beklagten pflichtgemäß tätig geworden wären. Im Hinblick auf die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten des Klägers genügt dieser Vortrag nicht einer hinreichenden Darstellung des Ursachenzusammenhangs zwischen der Fehlberatung der Beklagten und dem durch den Kläger geltend gemachten Schaden. Für den Kläger hätte die Möglichkeit bestanden, seinen Zugewinnausgleichanspruch trotz des durch seine frühere Ehefrau betriebenen Verfahrens selbst gerichtlich weiterzuverfolgen. Dann hätte er allerdings die dadurch entstehenden Kosten jedenfalls zunächst selbst zu tragen gehabt. Der Kläger hätte sich auch mit seiner früheren Ehefrau auf eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung verständigen können. Voraussetzung wäre insoweit aber gewesen, dass sich die frühere Ehefrau des Klägers mit dem Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung einverstanden erklärt hätte. Schließlich hätte sich der Kläger nach einer pflichtgemäßen Aufklärung über die Vorteile und Risiken mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklären können (BGH, Urteil vom 19. September 2024 – IX ZR 130/23 –, Rn. 27).
BGH: Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten
Fehlt es an einer abschließenden höchstrichterlichen Klärung der für die Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung maßgeblichen Frage, setzt eine zum Eingreifen des Anscheinsbeweises für ein beratungsgerechtes Verhalten des rechtsschutzversicherten Mandanten führende objektive Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung voraus, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten aus der maßgeblichen Sicht ex ante in jeder Hinsicht unzweifelhaft war.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 – IX ZR 38/23
- Problemstellung
Welche Auswirkungen die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers seines Mandanten auf den Regressanspruch gegen den Rechtsanwalt wegen Führung eines aussichtlosen Prozesses hat, musste der u.a. für die Anwaltshaftung zuständige IX. Zivilsenat (erneut) entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt den beklagten Rechtsanwalt aus übergegangenem Recht von neun ihrer Versicherungsnehmer auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass der Beklagte für die Versicherungsnehmer von vornherein aussichtslose Rechtsstreitigkeiten geführt habe. Die Versicherungsnehmer der Klägerin beteiligten sich im Jahr 2004 zum Zwecke der Kapitalanlage an der J. GmbH & Co. KG. Gründungskommanditistin der J. war die T. Die Versicherungsnehmer schlossen mit der T. einen Treuhandvertrag, aufgrund dessen diese zusätzlich zu ihrem eigenen Anteil weitere Kommanditanteile als Treuhänderin für die Versicherungsnehmer hielt. Bei der T. handelte es sich um eine Steuerberatungsgesellschaft; sie unterhielt deshalb eine Berufshaftpflichtversicherung. Deren Versicherungsbedingungen sahen Versicherungsschutz (auch) für eine Tätigkeit der T. als "nicht geschäftsführender Treuhänder" vor. Von der Deckung ausgeschlossen waren Haftpflichtansprüche aus Verstößen im Bereich des unternehmerischen Risikos. Die Beteiligungen der Versicherungsnehmer der Klägerin entwickelten sich nicht wie erwartet. Nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. eröffnet worden war, gab der Insolvenzverwalter den Deckungsanspruch der T. gegen deren Vermögensschadenhaftpflichtversicherer wegen möglicher Schadensersatzansprüche der Anleger gegen die T. aus der Masse frei. Die Versicherungsnehmer der Klägerin beauftragten den Beklagten mit der Prüfung eines Vorgehens gegen den Vermögensschadenhaftpflichtversicherer. Die Rechtsverfolgung blieb in allen Fällen erfolglos.
In zwei Urteilen vom 9. Juli 2013 nahm der II. Zivilsenat des BGH bezüglich anderer Fondsgesellschaften eine Haftung der T. gegenüber Anlegern unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne an (BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 – II ZR 193/11; BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 – II ZR 9/12). Die T. sei im Verhältnis zu den Anlegern als Altgesellschafterin anzusehen, deren Stellung sich nicht in dem treuhänderischen Halten von Beteiligungen der Treugeber erschöpft habe. Haftungserleichterungen für rein kapitalistische Anleger kämen ihr deshalb nicht zugute. Sie hafte unabhängig von ihrer Stellung als Treuhandkommanditistin auch als "normale" Gesellschafterin (dazu: Stuhlmann, jurisPR-HaGesR 1/2014 Anm. 3). Die Klägerin stützt ihre Schadensersatzansprüche auf die ihren Versicherungsnehmern durch eine (weitere) Rechtsverfolgung nach dem 9. Juli 2013 entstandenen Kostenschäden und verlangt von dem Beklagten Ersatz der von ihr aufgrund der erteilten Deckungszusagen in den Ausgangsverfahren erstatteten Kosten der Rechtsverfolgung. Sie wirft dem Beklagten vor, nicht pflichtgemäß über die (fehlenden) Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung aufgeklärt zu haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat ganz überwiegend Erfolg gehabt. Die Mandanten des Beklagten hätten im Falle einer zutreffenden Aufklärung über die Erfolgsaussichten von der Rechtsverfolgung abgesehen, so dass der geltend gemachte Kostenschaden nicht entstanden wäre. Für die insoweit beweisbelastete Klägerin streite ein Anscheinsbeweis, den der Beklagte nicht zu erschüttern vermocht habe. Die Rechtsverfolgung sei objektiv aussichtslos gewesen. Der in den Ausgangsverfahren streitgegenständliche Deckungsanspruch habe derart eindeutig nicht bestanden, dass jegliche Erfolgsaussicht eines rechtlichen Vorgehens gegen den Vermögensschadenhaftpflichtversicherer zu verneinen gewesen sei.
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Rechtsfehlerhaft ist die Feststellung des Berufungsgerichts, die Versicherungsnehmer der Klägerin hätten sich im Falle zutreffender Rechtsberatung gegen eine (weitere) Rechtsverfolgung entschieden. Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Belehrung durch den rechtlichen Berater verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beweisen hat. Zu Gunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten. Greift die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ein, so liegt hierin keine Beweislastumkehr, sondern ein Anscheinsbeweis, der durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden kann, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen. Der Anscheinsbeweis setzt voraus, dass ein Sachverhalt feststeht, auf dessen Grundlage die Schlussfolgerung gerechtfertigt ist, dass der Mandant bei zutreffender Beratung von einer Rechtsverfolgung abgesehen hätte. Ausgangspunkt ist die allgemeine Lebenserfahrung. Dies kann angesichts der Interessen eines rechtsschutzversicherten Mandanten, mit Hilfe seiner Rechtsschutzversicherung von Kostenrisiken befreit zu werden, erst dann bejaht werden, wenn das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung in jeder Hinsicht unzweifelhaft ist. Die Annahme der Aussichtslosigkeit unterliegt hohen Anforderungen. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Regelmäßig ist dies dann der Fall, wenn eine einschlägige Entscheidung ergangen ist. Auch dann können aber im Schrifttum geäußerte Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hat, Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht. Die niemals auszuschließende Möglichkeit einer zugunsten des Mandanten ergehenden Fehlentscheidung vermag die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung indes nicht auszuschließen. Geht es um die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen, muss klar sein, welcher Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung im jeweils maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung zugrunde zu legen ist. Fehlt es an einer höchstrichterlichen Klärung, muss sich der Sachverhalt zudem derart unter Rechtsvorschriften subsumieren lassen, dass das Ergebnis einer Auslegung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zweifelhaft sein kann. Eine Rechtsverfolgung kann auch in tatsächlicher Hinsicht objektiv aussichtslos sein. Das kommt in Betracht, wenn der dem Mandanten ohne jeden Zweifel obliegenden Darlegungs- und Beweislast offenkundig nicht genügt werden kann.
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verkannt. Die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises bei einwandfrei erteilter Deckungszusage sind nicht aufgrund einer höchstrichterlich geklärten Rechtslage gegeben. Die Frage des Deckungsanspruchs gegen den Vermögensschadenhaftpflichtversicherer der T. wegen Haftungsansprüchen gegenüber Anlegern der J. war höchstrichterlich nicht abschließend geklärt. Der II. Zivilsenat des BGH hatte mit beiden Urteilen vom 9. Juli 2013 nur über eine Haftung der T. gegenüber Anlegern entschieden, nicht über den hier maßgeblichen Deckungsanspruch der T. gegenüber dem Vermögensschadenhaftpflichtversicherer. Der IV. Zivilsenat hatte in einer Parallelsache über eine Nichtzulassungsbeschwerde entschieden und diese für unzulässig gehalten (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2015 – IV ZR 248/14). Lediglich nicht tragend und ohne nähere Begründung hatte er bemerkt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde auch unbegründet wäre, weil es an einem Zulassungsgrund fehlte. Das führte selbst dann nicht zu einer höchstrichterlichen Klärung der (einfachrechtlichen) Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen worden wäre. Die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet besagt im Ausgangspunkt nur, dass es an einem Zulassungsgrund fehlt, nicht aber, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts einfachrechtlich richtig ist.
Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für das Eingreifen eines Anscheinsbeweises bei einwandfrei erteilter Deckungszusage für den Fall einer fehlenden höchstrichterlichen Klärung gegeben. Insoweit stellt das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft zu geringe Anforderungen an das Eingreifen des Anscheinsbeweises. Im Streitfall geht es um die materiell-rechtliche Beurteilung des Deckungsschutzes aus einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung anhand der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen. Ob der Sachverhalt, insbesondere die vom Berufungsgericht für maßgeblich gehaltene Beteiligung der T. an der J. auch als Gründungskommanditistin in den maßgeblichen Zeitpunkten der Beratung der Versicherungsnehmer hinreichend klar war, ist nicht festgestellt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dies so war, wäre die Rechtsverfolgung nicht objektiv aussichtslos gewesen. Der Deckungsschutz bemaß sich nach den in den Vertrag über die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung einbezogenen Bedingungen. Diese waren im Blick auf die Auswirkungen der Beteiligung der T. als Gründungskommanditistin auf den Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit als Treuhandkommanditistin auslegungsbedürftig. Das Ergebnis der Auslegung war nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unzweifelhaft. Aus der maßgeblichen Sicht ex ante und unter Berücksichtigung der für die Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen maßgeblichen Grundsätze erschien es jedenfalls nicht unvertretbar, von einem Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit der T. als Treuhandkommanditistin auszugehen. Auf die ungewissen Erfolgsaussichten einer auf diese Auslegung gestützten Rechtsverfolgung musste der Beklagte die Versicherungsnehmer hinweisen. Eine Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung, die ein Eingreifen des Anscheinsbeweises zur Folge hätte, ergibt sich daraus jedoch nicht.
- Kontext der Entscheidung
Mit Urteil vom 16. September 2021 hat der Senat Grundsätze zum Eingreifen des Anscheinsbeweises im Falle pflichtwidriger Beratung über die Erfolgsaussichten eines rechtlichen Vorgehens bei bestehendem Deckungsanspruch aus einer Rechtsschutzversicherung oder bereits vorliegender Deckungszusage entwickelt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19). Danach besteht die Pflicht des Rechtsanwalts zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung unabhängig davon, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder nicht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19 -, Rn. 26). Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung aufzuklären, endet nicht mit deren Einleitung; verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19 -, Rn. 31). Ein bestehender Deckungsanspruch des Mandanten gegen seinen Rechtsschutzversicherer oder eine bereits vorliegende Deckungszusage können den Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten ausschließen; dies gilt nicht, wenn die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos war (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19 -, Rn. 38). In diesem Fall greift der Anscheinsbeweis nur ein, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war; ist das Kostenrisiko durch eine (versicherungs-)rechtlich einwandfrei herbeigeführte und daher bestandsfeste Deckungszusage weitestgehend ausgeschlossen, können schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 – IX ZR 38/23 –, Rn. 17).
- Auswirkungen für die Praxis
Ein pflichtwidriges Verhalten des Rechtsanwalts ist vom Mandanten darzulegen und zu beweisen, selbst soweit es dabei um negative Tatsachen geht (BGH, Urt. v. 09.06.2011 - IX ZR 75/10 -, Rn. 10). Somit muss der Mandant, will er den Rechtsanwalt wegen Führung eines aussichtlosen Prozesses in Anspruch nehmen, darlegen und beweisen, über die Risiken nicht aufgeklärt worden zu sein. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft (BGH, Urt. v. 11.10.2007 - IX ZR 105/06 -, Rn. 12, dazu: Geisler, jurisPR-BGHZivilR 2/2008 Anm. 1). Wenn den Rechtsanwalt auch keine Dokumentationspflicht trifft, empfiehlt es sich trotzdem für den anwaltlichen Berater, die dem Mandanten erteilten Ratschläge schriftlich in Vermerkform niederzulegen oder dem Mandanten die erteilte Aufklärung schriftlich zu bestätigen. Hierzu gehören auch Verweise auf negative Rechtsfolgen und mögliche (Kosten-)Risiken für den Fall des Prozessverlustes (Vyvers, jurisPR-VersR 10/2019 Anm. 5).
BGH: Zum Globalpauschalvertrag
1. Fordert der Besteller eine Werklohnvorauszahlung zurück, nachdem der Unternehmer Leistungen erbracht hat, muss der Besteller schlüssig die Voraussetzungen eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vortragen. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenübersteht. Der Besteller kann sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht. Hat der Besteller nach diesen Grundsätzen ausreichend vorgetragen, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten.
2. Welcher Vortrag vom Besteller im Fall der Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags ohne Detailpreisverzeichnis unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen verlangt werden kann, um eine Werklohnvorauszahlung zurückzufordern, richtet sich nach den Gesamtumständen, insbesondere nach dem Inhalt des Vertrags und vorvertraglicher Absprachen. Kennt der Besteller die Kalkulation des Unternehmers nicht und kann er nicht aufgrund anderer Umstände das vertragliche Preisniveau darstellen, obliegt dem Unternehmer insoweit die Darlegungslast.
3. Diese Darlegungslastverteilung gilt in einem Rechtsstreit zwischen dem Besteller und einem Bürgen, der sich verpflichtet hat, für einen Anspruch auf Rückzahlung der Werklohnvorauszahlung einzustehen, entsprechend. Der Bürge kann den Besteller nicht darauf verweisen, entsprechende Informationen beim Unternehmer einzufordern.
BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 – VII ZR 127/23
- Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, welcher Vortrag vom Besteller für die Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags ohne Detailpreisverzeichnis unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen verlangt werden kann, um eine Werklohnvorauszahlung zurückzufordern.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte hatte mit der M. GmbH einen Generalunternehmervertrag mit Pauschalpreisvereinbarung geschlossen, mit dem diese sich zur schlüsselfertigen Erstellung eines Lebensmittelmarkts verpflichtete. Die Vertragsparteien vereinbarten, dass die Beklagte eine "Vorauszahlung i.H. von 400.000 €, zu verrechnen am Ende der Bauzeit, Sicherung gegen Bürgschaft" leisten sollte. Unter dem 9. März 2017 übernahm die Klägerin für alle Ansprüche der Beklagten gegen die M. GmbH auf Rückgewähr der Vorauszahlung bis zu einem Betrag von 400.000 € eine selbstschuldnerische "Vorauszahlungsbürgschaft" mit der Maßgabe, dass die Zahlung auf erstes Anfordern zu erfolgen habe. Die Beklagte erbrachte die Vorauszahlung in vereinbarter Höhe und zahlte nach Baubeginn auf Abschlagsrechnungen der M. GmbH weitere 800.275 €. Über das Vermögen der M. GmbH wurde im November 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte kündigte den Generalunternehmervertrag und beauftragte ein Drittunternehmen mit der weiteren Bauausführung. In der Folge begehrte die Beklagte die Zahlung der Bürgschaftssumme von 400.000 € von der Klägerin. Das Landgericht Koblenz verurteilte die Klägerin zur Zahlung von 400.000 € und stützte seine Entscheidung darauf, dass bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern materielle Einwendungen gegen die Hauptforderung nicht im Anforderungsprozess, sondern im Rückforderungsprozess zu prüfen seien. Daraufhin zahlte die Klägerin an die Beklagte 400.000 €.
Mit Klage vom 29. November 2019 nahm die Klägerin die Beklagte auf Rückzahlung eines Teilbetrags der gezahlten 400.000 € in Höhe von 89.121,67 € mit der Begründung in Anspruch, jedenfalls in dieser Höhe bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 25. September 2020 verurteilte das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die Rückzahlung der weitergehend gezahlten 310.878,33 €. Sie trägt vor, die geleisteten Zahlungen der Beklagten an die M. GmbH hätten insgesamt den erbrachten Bauleistungen entsprochen, weshalb kein Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlung gegen die M. GmbH bestehe. Demgegenüber trägt die Beklagte vor, die M. GmbH habe nur Leistungen im Wert von 681.396,67 € brutto erbracht. Das ergebe sich aus dem vorgelegten Gutachten ihres Privatsachverständigen, der die erbrachten Leistungen nach dem Marktpreisniveau bewertet habe. Eine andere Preisermittlung sei ihr nicht möglich, da dem Generalunternehmervertrag keine Detaileinzelpreise zugrunde gelegen hätten. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht mit Beschluss zurückgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Rückzahlung von weiteren 310.878,33 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Im Rahmen dieser Anspruchsgrundlage müsse die Beklagte das Bestehen und die Fälligkeit der durch die Bürgschaft gesicherten Hauptforderung darlegen und beweisen, d.h. einen Rückzahlungsanspruch der Beklagten gegen die M. GmbH in Höhe von jedenfalls 310.878,33 €. Die Klausel "zahlbar auf erstes Anfordern" verweise den Bürgen mit seinen Einwendungen gegen den für die Bürgschaft maßgebenden Bestand der Hauptverbindlichkeit auf die Rückforderung. Die Verpflichtung des Bürgen zur Leistung sei vom Bestand der Hauptforderung abhängig (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB). Es fehle also an einer Leistungspflicht des Bürgen und damit am Rechtsgrund für die Bürgschaftsleistung, wenn und soweit materiell-rechtlich keine Hauptforderung - hier kein Rückzahlungsanspruch der Beklagten gegen die M. GmbH wegen Überzahlung von Werklohn - bestehe. Der Beklagten sei es nicht gelungen, einen Rückzahlungsanspruch in Höhe der Klageforderung gegen die M. GmbH darzulegen. Nach der Kündigung eines Pauschalpreisvertrags müssten zunächst die erbrachten Leistungen festgestellt und von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt werden. Für die erbrachten Leistungen sei ein anteiliger Werklohn anzusetzen. Dabei sei die Höhe der Vergütung nach dem Verhältnis des Wertes der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Pauschalpreisvertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Es müsse das Verhältnis der bewirkten Leistung zur vereinbarten Gesamtleistung und des Pauschalansatzes für die Teillieferung zum Pauschalpreis dargelegt werden. Der vereinbarte Pauschalpreis für die Gesamtleistung sei damit der Maßstab für die Bewertung der bewirkten Teilleistung. Diesen Anforderungen genüge der Vortrag der Beklagten unter Vorlage des Gutachtens des Privatsachverständigen schon deshalb nicht, weil die erbrachten Teilleistungen nicht nach dem Pauschalansatz für die Teillieferung, sondern nach dem Marktpreisniveau bewertet würden. Zu einer anderen Beurteilung führe nicht der Vortrag der Beklagten, dass eine andere Preisermittlung als im Gutachten des Privatsachverständigen nicht möglich sei, da dem Vertrag keine Detaileinzelpreise zugrunde gelegen hätten. Soweit zur preislichen Bewertung der erbrachten Leistungen Anhaltspunkte aus der Zeit vor Vertragsschluss nicht vorhanden oder nicht ergiebig seien, müsse im Nachhinein im Einzelnen dargelegt werden, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten seien, beispielsweise durch eine nachträgliche Kalkulation. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden. Das Berufungsgericht hat die Darlegungslast im Rahmen der Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung verkannt. Hat der Bürge aufgrund einer Bürgschaft auf erstes Anfordern gezahlt, kann er gegen den Gläubiger auf Rückzahlung seiner Leistung klagen. In diesem Rückforderungsprozess werden die materielle Berechtigung des Gläubigers und die vom Bürgen gegen den Bürgschaftsanspruch erhobenen Einreden und Einwendungen geprüft. Die Darlegungs- und Beweislast im Rückforderungsprozess entspricht dabei derjenigen im gewöhnlichen Bürgschaftsrechtsstreit. Im Bürgschaftsrechtsstreit folgt aus der Akzessorietät der Bürgschaft (§ 765 Abs. 1, § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB), dass zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger grundsätzlich dieselbe Darlegungs- und Beweislastverteilung gilt wie zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner. Deshalb hat der Gläubiger das Entstehen und die Fälligkeit der Hauptverbindlichkeit und damit den Grund für die Haftung des Bürgen aus dem Bürgschaftsvertrag darzulegen und zu beweisen. Dementsprechend gelten im Rückforderungsprozess des auf erstes Anfordern zur Sicherung einer Werklohnvorauszahlung erfolgreich in Anspruch genommenen Bürgen gegen den Besteller die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast im Prozess zwischen Besteller und Unternehmer über die Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung. Danach hat der Besteller in einem solchen Prozess, wenn der Unternehmer Leistungen erbracht hat, zur Begründung des vertraglichen Rückforderungsanspruchs schlüssig die Voraussetzungen eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vorzutragen. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenübersteht. Der Besteller kann sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht. Hat der Besteller nach diesen Grundsätzen ausreichend vorgetragen, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten.
Diese Rechtsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Es hat rechtsfehlerhaft der Beklagten die Darlegungslast für Umstände auferlegt, zu der sie nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen und damit ihrem Kenntnisstand keine Angaben machen kann. Welcher Vortrag vom Besteller im Fall der Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags ohne Detailpreisverzeichnis unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen verlangt werden kann, um eine Werklohnvorauszahlung zurückzufordern, richtet sich nach den Gesamtumständen, insbesondere nach dem Inhalt des Vertrags und vorvertraglicher Absprachen. Für die Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags müssen die erbrachten Leistungen dargelegt und von den nicht ausgeführten Leistungen abgegrenzt werden. Die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen ist nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Vertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Es muss deshalb der Preisansatz für die Teilleistung im Rahmen der vereinbarten Pauschalvergütung dargelegt werden. Soweit der Vertrag kein Detailpreisverzeichnis enthält und Anhaltspunkte aus der Zeit vor Vertragsschluss nicht vorhanden oder nicht ergiebig sind, muss im Nachhinein im Einzelnen dargelegt werden, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten sind. Die Preise müssen sich also aus der dem Vertrag zugrundeliegenden Kalkulation ableiten.
Nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vortrag der Beklagten hat sie ihrer Darlegungslast genügt. Durch Vorlage des Gutachtens ihres Sachverständigen hat sie die erbrachten Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt. Nach ihrem weiteren Vortrag hat sie mit der M. GmbH eine Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis geschlossen und auch ansonsten keine Kenntnis von der dieser Vereinbarung zugrundeliegenden Kalkulation der M. GmbH. Auf dieser Grundlage kann von der Beklagten nicht verlangt werden, zu dem Vertragspreisniveau der zu bewertenden Einzelleistungen des Bauvertrages vorzutragen. Das Berufungsgericht hätte deshalb der Beklagten nicht die Darlegungslast für diese Umstände auferlegen dürfen. Vielmehr oblag es der Klägerin, zu den aus der Kalkulation der M. GmbH und den sich daraus ergebenden Einzelpreisen vorzutragen.
- Kontext der Entscheidung
Ist der Besteller nach Erbringung der Bauleistung der Auffassung, dass der Unternehmer durch die erhaltenen Abschlagszahlungen überbezahlt ist, gilt für die Darlegungslast seiner Rückzahlungsklage folgendes: Der Besteller hat schlüssig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auszahlung eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vorzutragen. Dazu kann er sich auf eine vorhandene Schlussrechnung des Unternehmers beziehen und darlegen, dass sich daraus ein Überschuss ergibt oder nach Korrektur etwaiger Fehler ergeben müsste. Es ist dann Sache des Unternehmers, dieser Berechnung entgegenzutreten. Hat der Unternehmer in angemessener Frist keine Schlussabrechnung vorgelegt, kann der Besteller die Klage auf Zahlung eines Überschusses mit einer eigenen Berechnung begründen. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen eine entsprechende endgültige Vergütung des Unternehmers nicht gegenübersteht. Soweit dem Besteller eine nähere Darlegung dazu nicht möglich ist, kann er nicht auf die Möglichkeit einer Auskunftsklage verwiesen werden. Vielmehr kann er sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht. Es ist Sache des Unternehmers, mit einer endgültigen, den vertraglichen Anforderungen entsprechenden Abrechnung dem Anspruch entgegenzutreten. Diese Verteilung der Darlegungslast gilt auch nach einer Kündigung des Bauvertrages. Soweit die erbrachten Leistungen abgerechnet werden, ergeben sich gegenüber dem vollständig durchgeführten Vertrag keine Besonderheiten. Es hängt vom Einzelfall ab, inwieweit der Besteller in der Lage ist, selbst abzurechnen. Soweit es um die nicht erbrachten Leistungen geht, wird der Auftraggeber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in der Lage sein, die Abrechnung selbständig vorzunehmen, etwa wenn ihm die Kalkulation des Auftragnehmers bekannt ist. Rechnet der Unternehmer seinen Anspruch prüffähig ab, so ist der Besteller darlegungspflichtig für seine Behauptung, der Unternehmer habe höhere ersparte Aufwendungen (grundlegend: BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – VII ZR 399/97 –, Rn. 27 – 30 zum VOB/B-Vertrag).
- Auswirkungen für die Praxis
Die Baupraxis kennt neben dem Einheitspreisvertrag, bei denen für die jeweiligen Leistungsteile (Einheiten) ein Preis vereinbart wird und die Abrechnung nach der Menge der durch gemeinsames Aufmaß zu ermittelnden Einheiten richtet, den einfacher abzurechnenden Pauschalvertrag, bei dem ein Aufmaß nicht nötig ist. Schwierigkeiten bereitet der Pauschalvertrag jedoch, wenn infolge Kündigung nicht alle Teilleistungen erbracht worden sind und dem Unternehmer neben der Vergütung der erbrachten Leistungsteile der Anspruch aus § 648 Satz 2 BGB zusteht. Dabei ist die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Vertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Handelt es sich um einen sog. Detailpauschalvertrag, der durch Pauschalierung der Gesamtsumme aus einem vom Unternehmer mit Preisen versehenen Leistungsverzeichnis (Angebot) entstanden ist, kann für die Ermittlung der Vergütung für die erbrachten Leistungsteile und der Bewertung der nicht erbrachten Leistungsteile auf das Angebot des Unternehmers und die daraus ersichtliche Kalkulation zurückgegriffen werden. Schwierigkeiten bereitet dagegen die Abrechnung des sog. Globalpauschalvertrags, bei dem der Besteller die zugrundeliegende Kalkulation des Unternehmers nicht kennt. Haben die Vertragsparteien eine Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis geschlossen und hat der Besteller auch ansonsten keine Kenntnis von der dieser Vereinbarung zugrundeliegenden Kalkulation des Unternehmers, kann von ihm nicht verlangt werden, zu dem Vertragspreisniveau der zu bewertenden Einzelleistungen des Bauvertrages vorzutragen (BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 – VII ZR 127/23 –, Rn. 24), wie der Senat erneut betont. Er genügt seiner Darlegungslast auf jeden Fall mit der Ermittlung der Preise nach Marktpreisniveau. Es ist dann Sache des Unternehmers, davon abweichende Preisannahmen seiner Kalkulation darzulegen.
BGH: Zum Meistbegünstigungsgrundsatz
1. Zur Abgrenzung von sonstigen Familiensachen zu allgemeinen Zivilsachen ist im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint.
2. Der Meistbegünstigungsgrundsatz vermag keine Erweiterung des gesetzlichen Rechtsmittelzuges zu rechtfertigen. Das der tatsächlichen (inkorrekten) Entscheidungsform entsprechende Rechtsmittel ist folglich nur dann statthaft, wenn gegen eine formell richtige Entscheidung ein Rechtsmittel gegeben wäre.
BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 – XII ZR 63/23
- Problemstellung
Welche Auswirkungen es auf den Zugang zur Revisionsinstanz hat, wenn beide Tatsacheninstanzen eine Familiensache als allgemeine Zivilsache behandelt haben, hatte der XII. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des Antragsgegners, den sie nach Veräußerung eines im Miteigentum der Beteiligten stehenden landwirtschaftlichen Grundstücks und Ablösung gemeinsamer Verbindlichkeiten auf Rückzahlung eines von ihr behaupteten Darlehens in Höhe von 60.000 € in Anspruch nimmt. Im Jahr 2014 wurde die Ehe geschieden. Während der Ehe erwarben die Ehegatten zu hälftigem Miteigentum ein bebautes Grundstück zur landwirtschaftlichen Nutzung, das in erster Linie dem Landwirtschaftsbetrieb des Antragsgegners diente. Zuletzt lasteten auf dem Grundstück zur Absicherung verschiedener Bankkredite, für die auch die Antragstellerin haftete, Grundschulden in Höhe von insgesamt 210.000 €. Nach ihrer Trennung im Jahr 2009 verkauften die Beteiligten 2010 dieses Grundstück zum Preis von 120.000 €. Mit dem Verkaufserlös wurden die gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten vollständig abgelöst. Die Antragstellerin wurde aus der Mithaftung und aus einer übernommenen Bürgschaft entlassen. Die Antragstellerin behauptet, dass sie mit dem Verkauf zur Entschuldung einverstanden gewesen sei, aber darauf bestanden habe, „ihren“ Erlösanteil von 60.000 € zu einem späteren Zeitpunkt vom Antragsgegner ausgezahlt zu erhalten. Einstweilen solle der Betrag als Darlehen gewährt werden. Nachdem sie vom Finanzamt aufgefordert wurde, Steuern auf ihren Anteil am Gewinn aus dem Grundstücksverkauf zu zahlen, kündigte sie mit Schreiben vom 27. Januar 2021 den von ihr behaupteten Darlehensvertrag zum 30. April 2021.
Das Landgericht hat den Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin 60.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragsgegners wird als nicht statthaft verworfen. Die Vorinstanzen haben die Sache zu Unrecht als allgemeine Zivilsache und nicht als Familiensache behandelt. In Familiensachen ist ein Rechtsmittel gegen die zweitinstanzliche Entscheidung nur gegeben, wenn es - was hier nicht der Fall ist - in dieser Entscheidung zugelassen worden ist (§ 70 Abs. 1 FamFG). Eine Nichtzulassungsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor. Bei dem bisher als allgemeine Zivilsache behandelten Verfahren handelt es sich um eine sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt. Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert („Großes Familiengericht“). Damit sollten bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium dabei ist nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen. Dabei ist im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint.
Gemessen daran ist hier vom Vorliegen einer sonstigen Familiensache iSd. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auszugehen, weil der notwendige Zusammenhang zur Trennung und Scheidung der Beteiligten besteht. Das Grundstück, an dessen Verkaufserlös die Antragstellerin einen Anteil beansprucht, wurde von den Beteiligten während der Ehe zu hälftigem Miteigentum erworben. Der Verkauf des Grundstücks erfolgte kurze Zeit nach der Trennung der Beteiligten. Der Verkaufserlös wurde sogleich von den Beteiligten verwendet, um Verbindlichkeiten zurückzuführen, die sie während der Ehe gemeinschaftlich eingegangen sind. Dabei dienten die Kredite jedenfalls nach dem Vortrag des Antragsgegners nicht nur dessen landwirtschaftlichem Betrieb, sondern auch der gemeinsamen Lebensführung der Beteiligten während der Ehe. Für die von der Antragstellerin behauptete Darlehensgewährung stellt sich deshalb die Vorfrage, wer im Innenverhältnis der beiden Eheleute die Verpflichtungen aus den Kreditverträgen zu tragen gehabt hätte. Streitigkeiten wegen eines Gesamtschuldnerausgleichs zwischen Eheleuten im Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung einschließlich möglicher Freistellungsansprüche zählen jedoch zu den Verfahren, die typischerweise als sonstige Familiensache iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu qualifizieren sind, weil sie regelmäßig die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betreffen. Der notwendige Zusammenhang iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG fehlt auch nicht deshalb, weil die Antragstellerin den behaupteten Darlehensrückzahlungsanspruch erst im Jahr 2021 geltend gemacht hat, obwohl die Beteiligten sich bereits im Jahr 2009 getrennt haben und ihre Ehe im Jahr 2014 geschieden wurde. Eine feste zeitliche Grenze, ab der ein solcher Zusammenhang nicht mehr besteht, gibt es nicht. Jedenfalls steht die von der Antragstellerin behauptete Darlehensgewährung im Zusammenhang mit der Trennung der Parteien. Dass die Antragstellerin den Darlehensrückzahlungsanspruch erst im Jahr 2021 geltend gemacht hat, fällt dagegen nicht entscheidend ins Gewicht. Denn nach dem Vortrag der Antragstellerin sollte der Antragsgegner das Darlehen erst dann zurückzahlen, wenn er wieder „liquide“ sei. Einen konkreten Termin zur Rückzahlung des Darlehens hatten die Beteiligten demnach nicht vereinbart. Deshalb hat die vorliegende Streitigkeit durch den zeitlichen Abstand zwischen Trennung und Scheidung der Parteien ihren familienrechtlichen Bezug nicht verloren. Trennung und Scheidung der Parteien waren in tatsächlicher Hinsicht für die geltend gemachte Rechtsfolge jedenfalls ursächlich. Das Verfahren dient somit der wirtschaftlichen Entflechtung der mittlerweile geschiedenen Eheleute, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht nicht sachfremd erscheint.
Allerdings dürfen die Verfahrensbeteiligten dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlassen hat, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb grundsätzlich sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet in gleicher Weise Anwendung, wenn - wie hier - das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsform zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch in der Anwendung eines falschen Verfahrensrechts besteht. Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung gebietet es indessen nicht, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. Daher kann die Meistbegünstigung auch nicht zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzuges führen. Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich insoweit nicht herleiten, dass gegen eine inkorrekte Entscheidung auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel (hier: die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO) zum BGH statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des BGH aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens (hier: wegen des Fehlens einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG) nicht statthaft wäre. Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbst dann, wenn das Beschwerdegericht von einer Entscheidung über die Zulassung deshalb abgesehen hat, weil es aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen ist, dass ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist . Gemessen hieran ist ein Rechtsmittel zum BGH nicht statthaft. Formell richtig wäre es gewesen, wenn erstinstanzlich das Familiengericht durch Beschluss entschieden hätte und in zweiter Instanz ein Senat für Familiensachen des OLG als Beschwerdegericht. Im Beschwerdebeschluss hätte das OLG gemäß § 70 FamFG zwar auch darüber entscheiden müssen, ob es die Rechtsbeschwerde zulässt. Ohne eine solche Zulassung wäre aber ein weiteres Rechtsmittel, insbesondere eine Nichtzulassungsbeschwerde, nicht gegeben. Würde man also im vorliegenden Fall, in dem der Rechtsstreit fälschlich als Zivilsache behandelt und entschieden wurde, eine Nichtzulassungsbeschwerde für zulässig erachten, so würde man dem Beschwerdeführer ein Rechtsmittel eröffnen, das ihm bei richtiger Sachbehandlung nicht zustünde. Ohne dass es darauf ankommen würde, hat eine mit einer Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde vergleichbare Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts vorliegend auch bei der erfolgten Behandlung als Zivilsache stattgefunden. Das OLG hat sich als Berufungsgericht im Rahmen seines Beschlusses mit dem Vorliegen von Zulassungsgründen nach § 543 Abs. 2 ZPO und damit mit denselben Fragen beschäftigen müssen, wie sie für die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) von Bedeutung sind.
- Kontext der Entscheidung
Für die Prüfung, ob der zur Entscheidung anstehende Verfahrensgegenstand eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine Familiensache iSd. § 17a Abs. 6 GVG darstellt, kommt es nicht allein auf den Vortrag der Klägerseite, sondern ebenfalls auf das Verteidigungsvorbringen der Gegenseite an (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – XII ZR 87/17 –, Rn. 10 mwN.). In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein solcher inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 41/22 –, Rn.7 mwN.). Im Hinblick auf die umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte ist für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint (BGH, Beschluss vom 22. August 2018 - XII ZB 312/18 -, Rn.7 mwN.). Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich nicht herleiten, dass gegen eine unzutreffende Entscheidung der Vorinstanz auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel (Nichtzulassungsbeschwerde) zum Bundesgerichtshof statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des Bundesgerichtshofs aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens (Fehlen einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG) nicht statthaft wäre (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 41/22 –, Rn.11 mwN.). Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbst dann, wenn das Beschwerdegericht von einer Entscheidung über die Zulassung deshalb abgesehen hat, weil es aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen ist, dass ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 -, Rn.11 mwN.).
- Auswirkungen für die Praxis
Nach der für die Abgrenzung der gerichtlichen Zuständigkeiten in der streitigen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit maßgeblichen Vorschrift des § 17 a Abs. 5 und 6 GVG hat das Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Beschränkung der Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts bezieht sich nur auf die Prüfung der funktionellen Zuständigkeit der Instanzgerichte. Insoweit haben die Rechtsmittelgerichte die ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Entscheidung der Instanzgerichte über die eigene Rechtswegzuständigkeit als bindend hinzunehmen (BT-Drucks. 11/7030, 38). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, welche Verfahrensvorschriften das aufgrund der formalen Anknüpfung in § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG (Zuständigkeit für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Landgerichte) zuständige Oberlandesgericht dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen hat. Eine fehlerhafte, aber bindende Beurteilung des Rechtsweges hindert jedenfalls im Verhältnis zwischen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Familiensachen nicht daran, das Rechtsmittelverfahren nach den richtigen Verfahrensvorschriften zu führen. Denn der Grundsatz der Meistbegünstigung führt nicht dazu, dass das Rechtsmittelgericht auf dem vom unteren Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste, vielmehr hat es das Verfahren so weiterzubetreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2008 – XII ZB 125/06 –, Rn. 28).
Bemessung der Vergütung nach § 650f Abs. 5 S. 2 BGB
1. Kündigt der Unternehmer den Bauvertrag, nachdem er dem Besteller erfolglos eine Frist zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung gesetzt hat, steht ihm eine Vergütung für erbrachte Leistungen nur insoweit zu, als er die Leistung tatsächlich erfüllt, also mangelfrei erbracht hat.
2. Zum Kündigungszeitpunkt vorhandene Mängel beschränken (zunächst) den Umfang des dem Unternehmer für die erbrachten Leistungen zustehenden Vergütungsanspruchs. Er hat insoweit die Wahl, entweder die Mängel zu beseitigen und die volle Vergütung zu erlangen, oder, sich ohne Mängelbeseitigung auf eine gekürzte Vergütung zu beschränken.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. November 2023 – I-5 U 33/23
- Problemstellung
§ 650f Abs. 5 Satz 2 BGB (früher: § 648a Abs. 5 BGB) bestimmt, dass der Unternehmer nach Kündigung wegen nicht gestellter Sicherheit berechtigt ist, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Wie zum Kündigungszeitpunkt vorhandene Mängel bei der Bemessung der Vergütung zu berücksichtigen sind, hatte das OLG Düsseldorf zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Restwerklohn nach Kündigung für die Herstellung eines Wärmedämmverbundsystems an dem Mehrfamilienhaus des Beklagten in Gesamthöhe von 7.668,28 Euro. Nachdem der Beklagte eine ausstehende Sicherheit nicht geleistet hatte, setzte die Klägerin im September 2016 ihren Anspruch auf Sicherheitsleistung in Höhe von 5.500,00 Euro gerichtlich durch. Mit Schreiben vom 23.03.2017 kündigte die Klägerin sodann wegen der ausstehenden Sicherheitsleistung den Vertrag hinsichtlich etwaiger Restleistungen. Zugleich wies sie darauf hin, dass die Kündigung nicht die von dem Beklagten erhobenen Mängelrügen betreffe und auch nicht solche, welche während des Laufes der Gewährleistungsfrist noch auftreten könnten. Zugleich setzte die Klägerin dem Beklagten erneut eine Frist zur Stellung einer Sicherheit in Höhe von nunmehr 8.435,11 Euro. Nachdem der Beklagte diese nicht erbrachte, kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 20.04.2017 den Vertrag sodann auch hinsichtlich etwaiger Mängel- und Gewährleistungsansprüche. Sie ist der Ansicht gewesen, ihr stehe die volle Vergütung auch insoweit zu, als Mängel bestünden und sie letztlich nach ihrer zweiten, auf die Mängelbeseitigung bezogenen Kündigung keine Mängelbeseitigung mehr habe erbringen müssen und erbracht habe. Hierzu hat sie bestritten, aufgrund der nicht durchgeführten Arbeiten zur Mängelbeseitigung etwas erspart zu haben. Auch habe sie hierdurch keine Füllaufträge generieren können oder in ihren Auftragsbüchern bereits befindliche Aufträge vorziehen können. Vielmehr hätte sie die Mängelbeseitigung durch nicht ausgelastetes Personal durchführen lassen können. Bis auf Materialkosten in Höhe von insgesamt 430,00 Euro, die zudem auch nicht berechtigte Mängelrügen des Beklagten umfasst hätten, wäre die Mangelbeseitigung für sie kostenneutral gewesen. Der Beklagte hat in erster Instanz die Berechtigung der Klageforderung als solcher bestritten. Zudem hat er bestehende Mängel geltend gemacht und ist insoweit der Ansicht gewesen, dass jedenfalls die zur Mängelbeseitigung aufzuwendenden Kosten von einem eventuell ausstehenden Werklohn in Abzug zu bringen seien.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 6.198,28 Euro stattgegeben und sie wegen eines weiteren Betrages von 1.470,00 Euro abgewiesen. Die Klägerin müsse sich von dem ihr grundsätzlich gemäß § 648a Abs. 5 BGB a. F. vollständig zustehenden Werklohn in Höhe von 7.668,28 Euro wegen bestehender Mängel 1.470,00 Euro in Abzug bringen lassen. Sie habe den Vertrag nach Ablauf der zur Sicherheitsleistung gesetzten Frist gemäß § 648a Abs. 5 BGB a. F. wirksam gekündigt. Soweit sie eigentlich Leistungen zur Mängelbeseitigung geschuldet habe, seien diese nach der zweiten Kündigung nicht mehr zu erbringen gewesen; dies müsse sich die Klägerin gemäß § 648a Abs. 5 S. 2 a. F. BGB anrechnen lassen. Der Abzug bestehe, wenn eine Mängelbeseitigung möglich sei und nicht wegen unverhältnismäßig hoher Kosten verweigert werden könne, in Höhe des Aufwands, der für die Beseitigung des Mangels anfalle, ansonsten in Höhe des mangelbedingten Minderwerts des Werkes. Daher sei es nicht maßgeblich, ob die Klägerin etwaige anderweitige Füllaufträge akquiriert habe. Vielmehr müsse sich die Klägerin 1.470,00 Euro an objektiven Mangelbeseitigungskosten und als mangelbedingten Minderwert anrechnen lassen.
In der Berufungsinstanz beschränkt sich der Streit darauf, was im Rahmen einer Kündigung nach § 648a Abs. 5 BGB (jetzt: § 650f Abs. 5 BGB n. F.) bei bestehenden Mängeln nach erneutem erfolglosem Sicherheitsverlangen und hierauf gestützter weiterer Kündigung in Bezug auf zunächst bestehende Mängelrechte in Abzug zu bringen ist. Insoweit ist die Klägerin der Ansicht, es sei fehlerhaft, Abzüge in Höhe des mangelbedingten Minderwertes zu berücksichtigen. Berücksichtigungsfähig seien lediglich solche in Höhe der ersparten Aufwendungen sowie des anderweitigen (böswillig unterlassenen) Erwerbs. Diese Einschätzung teilt der Senat nicht. Der für bereits erbrachte Leistungen begründete Vergütungsanspruch bleibt bei Kündigung des Unternehmers nach § 648a Abs. 5 BGB durch im Kündigungszeitpunkt vorhandene Mängel beschränkt. Im Ergebnis gilt danach in Bezug auf die Vergütung des Unternehmers, dass zum Kündigungszeitpunkt vorhandene Mängel den Umfang seines ihm für die erbrachten Leistungen zustehenden Vergütungsanspruchs (zunächst) beschränken. Der Unternehmer hat insoweit die Wahl, entweder die Mängel zu beseitigen und die volle Vergütung zu erlangen oder sich aber ohne Mängelbeseitigung auf eine gekürzte Vergütung zu beschränken. Der Unternehmer kann auf diese Weise auch insoweit eine endgültige Abrechnung herbeiführen, als er seine Leistung mangelhaft erbracht hat. Umstritten ist, ob auch die Kürzung der Vergütung für die entfallene Mängelbeseitigung ihrerseits nach dem System des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB - respektive § 650f Abs. 5 S. 2 BGB - zu ermitteln ist. Begründet wird diese Ansicht insbesondere damit, dass hinsichtlich der Mängelrechte eine weitere Kündigung erfolgt und dementsprechend die Regelungen insoweit ein weiteres Mal zur Anwendung zu kommen hätten (Nachweise Rn. 28). Nach anderer Ansicht erfolgt eine Berechnung wie im Abrechnungsverhältnis. Diese Ansicht wird damit begründet, dass dem Unternehmer nach einer Vertragskündigung gemäß § 648a Abs. 5 BGB hinsichtlich des Teils der bereits erbrachten Werkleistungen lediglich insoweit eine Vergütung zustehen kann, soweit er die Leistung tatsächlich erfüllt - also mangelfrei erbracht - hat. Im Ergebnis bedeute das, dass der Vergütungsanspruch um den infolge des Mangels entstandenen Minderwert zu kürzen ist, wenn sich der Unternehmer dazu entscheide, keine Mängelbeseitigung zu erbringen (Nachweise Rn. 29).
Dieser letztgenannten Ansicht schließt der Senat sich an. Die Möglichkeit des Unternehmers, eine endgültige Abrechnung herbeizuführen, hat der BGH zu § 648a BGB entwickelt: "Würde dem Unternehmer der uneingeschränkte Anspruch auf Vergütung eingeräumt, führte das dazu, dass er die volle Vergütung erhielte, obwohl seine Leistung mangelhaft ist. Dieses Ergebnis ist unangemessen. ... Dem Interesse des Unternehmers wird vielmehr in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Systematik ausreichend Rechnung getragen, wenn er sich von seiner Verpflichtung lösen und die geminderte Vergütung verlangen kann. ... Dem Unternehmer muss die Wahl bleiben, ob er den vollen Werklohn durchzusetzen will oder ob er die geminderte Vergütung in Anspruch nimmt. Hat er eine angemessene Nachfrist gesetzt und ist diese fruchtlos abgelaufen, kann er allerdings nur noch die geminderte Vergütung geltend machen." (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 183/02 –, Rn. 22). Diese Erwägungen gelten nach der Änderung des § 648a BGB fort. Insoweit kann keine entsprechende Anwendung des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB in Betracht kommen, da dieser lediglich die Folgen für den infolge der Kündigung nicht erbrachten Leistungsteil nach Kündigung regelt, während demgegenüber vorliegend die Vergütung für erbrachte - aber mangelhafte - Leistungen in Frage steht. Soweit diese mangelhaft sind, sind sie weniger wert und entsprechend geringer zu vergüten. Entgegen der von der Klägerin angeführten Ansicht kann die Folge des "Wegkündigens" der Mängelansprüche damit weiterhin nicht darin liegen, dass der Unternehmer sich allein die ersparten Aufwendungen sowie (böswillig unterlassenen) anderweitigen Erwerb in Abzug bringen lassen muss. Begründet wird diese Ansicht damit, dass eine solche Rechtsfolge in § 648a Abs. 5 S. 2 BGB und dem Regelungszweck des Forderungssicherungsgesetzes, das den Unternehmer schützen solle, angelegt sei. Hierdurch sei die zu § 648a BGB in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung ergangene Rechtsprechung des BGH überholt. Diese Bewertung teilt der Senat nicht. Zutreffend ist insoweit, dass der vormals in § 648a BGB der damaligen Fassung enthaltene Verweis auf § 643 BGB nicht mehr herangezogen werden kann. Dies ändert indes nichts daran, dass § 648a Abs. 5 S. 2 BGB in der vorliegend maßgeblichen Fassung (wie auch im § 650f Abs. 5 S. 2 BGB in der aktuellen Fassung) Regelungen zu einer vereinbarten Vergütung verhält. Eine solche gibt es für die zunächst geschuldete und durch die zweite Kündigung nicht mehr zu erbringende Nachbesserung nicht. Entgegen der Ansicht, auf die die Klägerin sich stützt, kann daher nicht § 648a Abs. 5 S. 2 BGB einfach ein weiteres Mal angewendet werden mit einer aufgrund seines Wortlautes zwingenden Rechtsfolge. Vielmehr liegt eine Situation von, die rechtlich durch die Regelung des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB (und nun § 650f Abs. 5 S. 2 BGB) nicht unmittelbar erfasst ist. Nach Ansicht des Senats kommt eine entsprechende Anwendung nicht in Betracht. Die Wertung und damit die Regelung des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB ist nicht übertragbar auf zur Mängelbeseitigung geschuldete Leistungen, denen gerade keine weitere Vergütungspflicht gegenübersteht. Insbesondere kann der Gesetzesbegründung nicht entnommen werden, dass der Unternehmer für mangelhafte Leistungen dennoch eine nicht oder nur um seine ersparten Aufwendungen und seinen (böswillig unterlassenen) sonstigen Erwerb gekürzte Vergütung erhalten soll. Vielmehr heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 648a Abs. 5 BGB: "Durch die Änderungen des § 648a BGB soll die Bauhandwerkersicherung effektiver ausgestaltet werden. ... § 648a Abs. 5 BGB-E entspricht funktionell dem bisherigen Absatz 5. Die Regelung wird aber technisch neu gestaltet. Der bisherige Absatz 5 nimmt auf die §§ 643 und 645 BGB Bezug, die sich für den Unternehmer vor allem in der Situation nach der Abnahme als nicht praktisch erweisen. Der Unternehmer ist nach bisherigem Recht gezwungen, dem Besteller eine Frist zur Stellung der Sicherheit zu bestimmen. Wurde die Sicherheit nicht fristgerecht erbracht, galt der Vertrag nach § 643 Satz 2 BGB als aufgehoben. Das ist für den Unternehmer vor allem dann ungünstig, wenn er seine Werkleistung erbracht hat und der Besteller Mängel einwendet. Deshalb soll der Unternehmer die Wahl erhalten, ob er die Sicherheit trotz Fristablaufs weiterhin verlangt oder vom Vertrag zurücktritt. Im Falle des Rücktritts soll ihm ein dem § 649 BGB entsprechender Anspruch zustehen, der dem Unternehmer die vereinbarte Vergütung unter Anrechnung des Ersparten bzw. des durch anderweitigen Einsatz böswillig nicht Erzielten zuspricht. Diese Kündigungsfolgen im Gegensatz zu denen des § 643 BGB, der die Vergütung auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen beschränkt, sind angemessen." (Bundestagsdrucksache 17/511). Aus dieser Gesetzesbegründung wird deutlich, dass eine Neuregelung zum Schutz des Unternehmers angestrebt wurde, indem die bis dahin bestehende Beschränkung der Vergütung auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen ersetzt werden sollte. Dass darüber hinaus zugleich eine Änderung der vom BGH entwickelten Art der Berechnung der Vergütung für die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen herbeigeführt werden sollte, ist dagegen der Begründung nicht zu entnehmen. Eine solche Änderung erscheint dem Senat auch nicht angezeigt. Vielmehr behalten die wertenden Argumente, die der BGH für seine zur alten Rechtslage entwickelte Rechtsprechung herangezogen hat, ungeachtet der Regelung des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB/§ 650f Abs. 5 S. 2 BGB ihre Gültigkeit. Denn diese neue Vergütungsregelung betrifft die vereinbarte Vergütung für eigentlich geschuldete, aber aufgrund der Kündigung entfallene zukünftige Leistungen. Demgegenüber sind hier Mängelbeseitigungsansprüche bezüglich bereits erbrachter Leistungen zu bewerten, denen eben keine eigene Vergütung mehr gegenübersteht. Eine Übertragbarkeit der Regelung auf die vorliegende Interessenlage erschließt sich dem Senat damit nicht. Dies gilt umso mehr, als der von der Klägerin bemühte Sinn und Zweck des Forderungssicherungsgesetzes zwar darin besteht, den Unternehmer zu sichern und vor Forderungsausfall zu schützen. Dies beinhaltet es indes nicht, ihm für mangelhafte Leistungen einen ungekürzten oder allein um seine ersparten Aufwendungen und (böswillig unterlassenen) anderweitigen Erwerb gekürzten Werklohn zuzuerkennen. Die Mängelbeseitigung wäre mit dem Werklohn für die erbrachte Leistung auch abgegolten. Die durch die Gesetzesänderung gewollte Besserstellung des Unternehmers ergibt sich bereits daraus, dass der Unternehmer die Mängel der erbrachten Leistungen beseitigen kann, um für die bis zum Kündigungszeitpunkt erbrachten Werkleistungen den vollständigen Werklohn zu erhalten, ohne gezwungen zu sein, entweder noch weitere - ungesicherte Leistungen - hinsichtlich des gekündigten Teils des Werkvertrages zu erbringen oder aber den hierauf bezogenen Anteil seines Werklohns zu verlieren. Zudem kann der Unternehmer bis zu dem Zeitpunkt, in dem er seine Wahl trifft, jegliche Mängelbeseitigung verweigern, solange der Besteller weiterhin die Sicherheit nicht stellt. Hieraus ergibt sich indes kein Grund, dem Unternehmer für sein Werk als Folge seiner Wahl, die Mängel nicht zu beseitigen, den lediglich um seine ersparten Aufwendungen und seinen (böswillig) unterlassenen anderweitigen Erwerb gekürzten Werklohn zukommen zu lassen. Dies würde verkennen, dass anders als bezüglich des Teils der zukünftigen Leistungen nicht lediglich den Besteller der Vorwurf trifft, die Sicherheit nicht geleistet zu haben. Vielmehr hat zugleich der Unternehmer die Mängel seiner Leistung zu verantworten. Die Rechtsfolgen dennoch an § 648a Abs. 5 S. 2 BGB auszurichten, der allein das fehlende Stellen der Sicherheit durch den Besteller berücksichtigt und die ebenfalls vertragswidrige Leistung des Unternehmers nicht im Blick hat, erschiene nicht angemessen. Nach alledem sieht der Senat keinen Raum für die entsprechende Anwendung des § 648a Abs. 5 S. 2 BGB zur Bemessung der Abzüge für Mängel, gegen deren Beseitigung der Unternehmer sich entscheidet. Vielmehr ist wie auch sonst in Abrechnungsverhältnissen bezüglich bereits erbrachter, aber mangelhaft ausgeführter Leistungen der mängelbedingte Minderwert in Abzug zu bringen. Diesen schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO auf 1.470,00 Euro, die bereits das Landgericht in Abzug gebracht hat. Insoweit legt der Senat zugrunde, dass auch bei der Bemessung des Abzugs die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu berücksichtigten ist, wonach Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 Abs. 1 BGB nicht anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten bemessen werden darf. Indes hat der BGH klargestellt, dass in geeigneten Fällen der mangelbedingte Wertunterschied aus Gründen der Vereinfachung anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten gemäß § 287 ZPO geschätzt werden darf. Ausgeschlossen ist dies, wenn diese Kosten den Wertunterschied nicht mehr annähernd widerspiegeln. Vorliegend erscheint indes die Schätzung in Höhe von 1.470,00 Euro, die sich teilweise aus der Berücksichtigung fiktiver Mängelkosten und teilweise aus mangelbedingtem Minderwert zusammensetzt, auf der Basis der Ausführungen des Gutachters A. angemessen. Insbesondere hat der Gutachter differenzierend bezüglich der jeweiligen Mängel konkret ausgeführt, inwieweit die fiktiven Mängelbeseitigungskosten den Minderwert angemessen widerspiegeln und inwieweit diese demgegenüber den Minderwert übersteigen; insoweit hat bereits die Kammer lediglich einen Abzug für den Minderwert berücksichtigt. Dem schließt sich der Senat an.
- Kontext der Entscheidung
Das OLG Oldenburg ist – mit einem nach dem OLG Düsseldorf ergangenen Urteil - im entscheidenden Punkt anderer Auffassung: „Die Kündigungsvergütung gem. § 650 f Abs. 5 S. 2 BGB bemisst sich an der vereinbarten Vergütung abzüglich infolge der Vertragsaufhebung ersparter Aufwendungen. Deswegen sind von der vereinbarten Vergütung die Aufwendungen abzuziehen, welche sich der Kläger infolge der durch die Kündigung entfallenen Mängelbeseitigung erspart hat. Nur so wird ausreichend berücksichtigt, dass die Beklagte durch ihre Vertragsverletzung in Form der unterbliebenen Sicherheitsleistung das Vertragsverhältnis gestört hat. Soweit also Mängel an Leistungen aus dem Vertrag „Einbauleistungen“ festgestellt werden, hat der Kläger darzulegen, welche Selbstkosten der Mängelbeseitigung insoweit bei ihm angefallen wären. Erfüllt der Kläger diese Erstdarlegungslast, liegt im Falle des Bestreitens die Beweislast bei der Beklagten.“ (OLG Oldenburg, Urteil vom 5. März 2024 – 2 U 115/23 –, Rn. 65 - 66). Das OLG Düsseldorf nimmt eine grundsätzliche Bedeutung der Frage an, ob nach einer auf die Mängelbeseitigung bezogenen weiteren Kündigung des Bestellers wegen nicht geleisteter Sicherheit gemäß § 648a Abs. 5 BGB (§ 650f Abs. 5 BGB n. F.) die Vergütung um den mangelbedingten Minderwert der erbrachten Leistung zu kürzen ist oder lediglich ersparte Aufwendungen sowie (böswillig unterlassener) anderweitiger Erwerb des Unternehmers in Abzug zu bringen sind. Es hat deshalb die Revision zugelassen (BGH - VII ZR 236/23).
- Auswirkungen für die Praxis
Leistet der Besteller die vom Unternehmer geforderte Sicherheit nicht, kann er den Unternehmer nicht zwingen, die Kündigung zu erklären, um die Pattsituation aufzulösen. Er ist auf die eigene Kündigung gemäß § 648 BGB verwiesen. Kündigt keine der Parteien, gilt: Vor der Abnahme kann der Unternehmer nur Abschlagszahlung beanspruchen. Wegen Mängeln kann sich der Besteller auf § 320 BGB berufen. In der Situation nach der Abnahme, in der ebenfalls Sicherheit verlangt werden kann (§ 650f Absatz 1 Satz 3 BGB), kann sich der Besteller wegen Mängeln ebenfalls auf § 320 BGB berufen. Der Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 BGB kann der Unternehmer nicht entgegenhalten, wegen fehlender Sicherheit zur Leistung/Nacherfüllung nicht verpflichtet zu sein. Allerdings reduziert sich der Einbehalt auf die einfachen Mängelbeseitigungskosten. Will der Besteller das Leistungsverweigerungsrecht beseitigen, muss er nach § 650f Abs 5 Satz 1 BGB den Vertrag hinsichtlich der Mängelbeseitigung kündigen und dafür die aus Abs 5 Satz 2 folgenden Abzüge hinnehmen. Der Unternehmer hat somit die Wahl, entweder die Mängel zu beseitigen und die volle Vergütung zu erlangen oder aber ohne Mängelbeseitigung die um die Mängelbeseitigungskosten gekürzte Vergütung.
BGH: Zur formwirksamen Schriftsatzübermittlung per beA
Reicht ein Rechtsanwalt über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einen Schriftsatz, den ein anderer Rechtsanwalt verfasst, aber nicht qualifiziert elektronisch signiert hat, bei Gericht ein, ist dies nicht wirksam.
BGH, Beschluss vom 3. Juli 2024 – XII ZB 538/23
- Problemstellung
Wieder einmal (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23) hatte sich der BGH – diesmal der XII. Zivilsenat – mit den durch § 130a Abs. 3 ZPO gestellten Anforderungen an die formwirksame Übermittlung von Schriftsätzen zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsteller hat gegen den Teilbeschluss des Familiengerichts, mit dem sein Antrag auf Erteilung einer Auskunft über Einkünfte und Vermögen zur Geltendmachung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs im Wege der Stufenklage zurückgewiesen worden ist, fristgerecht Beschwerde eingelegt. Nach Ablauf der bis zum 9. August 2023 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist hat das OLG auf die Unzulässigkeit der Beschwerde mangels fristgerechter Begründung hingewiesen. Daraufhin hat der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und die Beschwerde zugleich begründet. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er - unter Beifügung entsprechender eidesstattlicher Versicherungen beider Rechtsanwälte - damit begründet, der Rechtsanwalt, den sein Verfahrensbevollmächtigter unter Hinweis auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 9. August 2023 um Übermittlung der Beschwerdebegründung an das OLG per beA gebeten habe, habe die Versendung vergessen. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass der Antragsteller die Beschwerde nicht innerhalb der mit dem 9. August 2023 abgelaufenen (verlängerten) Frist eingereicht hat. Ebenfalls im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung hält sich, dass das Beschwerdegericht dem Antragsteller auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist verweigert hat. Denn die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, die sich der Antragsteller nach dem über § 113 Abs. 1 FamFG anwendbaren § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Gemäß § 233 ZPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten, wobei ein Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten den Beteiligten zuzurechnen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Wiedereinsetzungsantrag die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumung beruht. Besteht nach diesen von dem Beteiligten glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers und die eidesstattlichen Versicherungen der beiden Rechtsanwälte enthalten keine Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein fehlendes Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten annehmen ließen. Denn sie lassen nicht erkennen, ob der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers dem von ihm herangezogenen anderen Rechtsanwalt am 9. August 2023 die Beschwerdebegründung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt hat. Nach § 130 a ZPO muss die Beschwerdebegründung als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130 a Abs. 4 ZPO einreichen. Ist der Verfahrensbevollmächtigte, der den Schriftsatz gefertigt und einfach signiert hat, nicht identisch mit der Person, die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender des elektronischen Dokuments ausgewiesen wird, ist das Dokument danach nicht wirksam eingereicht. In diesem Fall kann die als Absender ausgewiesene Person das Dokument nur dann wirksam einreichen, wenn sie es selbst qualifiziert elektronisch signiert und damit ihren unbedingten Willen zum Ausdruck bringt, auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten. Hat der Verfahrensbevollmächtigte dagegen den bestimmenden Schriftsatz mit einer qualifiziert elektronischen Signatur versehen und damit die Verantwortung für dessen Inhalt übernommen, steht es einer wirksamen Einreichung nicht entgegen, wenn bei der Übermittlung eine andere Person als Absender ausgewiesen wird.
Gemessen daran kann vorliegend die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Antragsteller beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, nicht ausgeschlossen werden. Der Verfahrensbevollmächtigte hat lediglich vorgetragen, er habe die Beschwerdebegründung am Vormittag des letzten Tags der Begründungsfrist fertiggestellt. Ob und in welcher Form er die Beschwerdebegründung signiert hat, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere lässt sich auch den Akten insoweit nicht entnehmen, dass die auf den 9. August 2023 datierte Beschwerdebegründung, die am 30. August 2023 qualifiziert elektronisch signiert und beim Beschwerdegericht eingereicht worden ist, zuvor schon einmal signiert worden wäre. Bei lediglich einfacher Signatur hätte die bloße Weiterleitung des Schriftsatzes durch den anderen Rechtsanwalt aber mangels Identität von verantwortendem und einreichendem Rechtsanwalt nicht zu einer wirksamen Einreichung der Beschwerdebegründung führen können. Ebenso wenig ist dargelegt, dass der Rechtsanwalt, der die Beschwerdebegründung für den Verfahrensbevollmächtigten übermitteln sollte, diese auch selbst qualifiziert elektronisch signieren sollte.
- Kontext der Entscheidung
Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO können Rechtsanwälte die in 130d ZPO angeordnete Nutzungspflicht bei der Übermittlung elektronischer Dokumente auf zwei Wegen erfüllen können: einmal kann das Dokument mit der qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) der verantwortenden Person versehen werden, zum andern reicht die einfache Signatur (= Unterschrift) der verantwortenden Person aus, wenn das Dokument auf einem sicheren Übertragungsweg eingereicht wird. Die qeS hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21). Bei der einfachen Signatur ( = Unterschrift) ist die Authentizität des Absenders dadurch sichergestellt, dass die Bundesrechtsanwaltskammer nach § 31a Abs. 3 Satz 1 BRAO für jedes Kammermitglied nach Überprüfung der Zulassung ein elektronisches Postfach führt, zu dem das Mitglied nur mittels Chipkarte und PIN Zugang erhält (Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130d Rn. 14). Neben diesen beiden „reinen“ Übermittlungsformen ist eine Mischung aus beiden zulässig (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23). In dem diesem Beschluss zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Verfasser des Schriftsatzes nur einfach signiert, d. h. durch maschenschriftliche Einfügung seines Namens mit dem Zusatz „Rechtsanwalt“ unterzeichnet, während die Übermittlung durch einen anderen Sozietätsangehörigen in der Art erfolgt ist, dass dieser die – nicht von ihm stammende – Berufungsbegründung qualifiziert signiert und aus seinem beA an das Berufungsgericht übermittelt hat. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für" seinen Partner tätig zu werden, fehlt, lässt sich der Unterzeichnung durch einen anderen Rechtsanwalt gleichwohl entnehmen, dass er an dessen Stelle die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats auftreten wollte, wie der BGH bereits für eine in Papierform eingereichte Berufungsschrift entschieden hat (BGH, Beschluss vom 14. März 2017 – XI ZB 16/16). Der dahinterstehende Gedanke, dass es sich für einen Rechtsanwalt im Zweifel von selbst versteht, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden, gilt genauso für elektronisch übermittelte. Auch insoweit bedarf es daher keines klarstellenden Zusatzes eines Vertretungsverhältnisses, insbesondere nicht der Verwendung des Worts "für" (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23 –, Rn. 13).
- Auswirkungen für die Praxis
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22 –, Rn. 13, mwN.). Auch bei Vorliegen eines bloßen Mitverschuldens der Partei, ihres gesetzlichen Vertreters oder ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung scheidet die Wiedereinsetzung aus (BGH, Beschluss vom 18. April 2000 – XI ZB 1/00 ). Beruht die Fristversäumung hingegen auf dem Verschulden eines Dritten, der weder selbst gesetzlicher Vertreter oder Prozessbevollmächtigter ist, steht das der Wiedereinsetzung nicht entgegen; § 278 BGB ist insoweit auch nicht entsprechend anwendbar (BeckOK ZPO/Wendtland, 53. Ed. 1.7.2024, ZPO § 233 Rn. 9). Im Übrigen würde es im besprochenen Fall dem Antragsteller (und seinem Verfahrensbevollmächtigten in einem sich anschließenden Regressprozess) im Ergebnis nicht helfen, wenn die formwirksame Einreichung der Beschwerdebegründung beabsichtigt gewesen wäre. Das schlichte Vergessen der Einreichung der Beschwerdebegründung wäre als Verschulden seines Unterbevollmächtigten zu werten wäre, das sich der Antragsteller wiederum nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2024 – XII ZB 538/23 –, Rn. 13).
BGH: Zum Hinweis nach § 522 II 1 ZPO
Der nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gebotene Hinweis auf die beabsichtigte Beschlusszurückweisung der Berufung kann im Hinblick auf den Anspruch des Berufungsklägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verfahrensordnungsgemäß erst nach dem Vorliegen der Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel erteilt werden.
BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 – XII ZR 92/22
(OLG München, 5. September 2022, 32 U 2545/22; LG München II, 26. April 2022, 12 O 592/22)
1. Das Problem:
Die Parteien – der Kläger ist der Bruder der Geschäftsführerin der Beklagten - streiten nach einem Erbfall um die Herausgabe eines Grundstücks. Das Landgericht hat seine klagestattgebende Entscheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2022 verkündet. Gegen das noch nicht mit Gründen versehene Urteil hat die Beklagte am 28. April 2022 „Berufung und Vollstreckungsschutzantrag“ eingelegt und beantragt, durch Vorabentscheidung das angefochtene Urteil in seinem Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit abzuändern und die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Das OLG hat mit Beschluss vom 27. Mai 2022 die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abgelehnt und mit einem im schriftlichen Verfahren erlassenen Teilurteil vom 23. Juni 2022 den Antrag auf Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit zurückgewiesen. Ebenfalls am 23. Juni 2022 hat das OLG einen Beschluss mit dem Hinweis auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung als offensichtlich aussichtslos erlassen. Die Beklagte hat die Berufung mit am 24. August 2022 eingegangenen Schriftsatz innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet. Im Anschluss daran hat das Berufungsgericht am 5. September 2022 seinen Zurückweisungsbeschluss erlassen.
2. Die Entscheidung des Gerichts:
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht mit seiner Verfahrensgestaltung vor dem Erlass des Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Das OLG hat seinen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu einem Zeitpunkt erlassen, als die Berufung noch nicht begründet war. Das in der Berufungsschrift enthaltene Vorbringen der Beklagten im Vollstreckungsschutzantrag vom 28. April 2022 hat zwar in der Sache auch kursorische Angriffe gegen einzelne Punkte enthalten, die in dem noch nicht schriftlich abgesetzten landgerichtlichen Urteil mutmaßlich nicht ausreichend berücksichtigt worden sein könnten, sich im Übrigen aber auf Ausführungen zu den der Beklagten durch die Herausgabevollstreckung drohenden Nachteilen und der Unauskömmlichkeit der festgesetzten Sicherheitsleistung beschränkt. Die Begründung der Berufung hat sich die Beklagte ausdrücklich vorbehalten. Zwar enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung dazu, zu welchem Zeitpunkt der Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erfolgen hat. Es ist aber evident, dass zumindest die Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen müssen, um dem Berufungsgericht überhaupt die Beurteilung zu ermöglichen, ob dem Rechtsmittel auch eine mündliche Verhandlung offensichtlich nicht zum Erfolg verhelfen kann. Nach diesen Grundsätzen hätte das OLG die Berufung der Beklagten nicht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen, ohne der Beklagten einen (nochmaligen) Hinweis zu erteilen, wonach sich seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und zur Nichterforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung auch nach Kenntnisnahme von den Berufungsgründen nicht verändert habe.
3. Konsequenzen für die Praxis:
Das Verfahren, in dem das Berufungsgericht zu dem Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO gelangt, ist in der Vorschrift vorgezeichnet. Es findet nach Eingang der Berufungsbegründung und vor Terminierung statt, wobei Terminierung einen anschließend ergehenden Beschluss nicht hindert (Heßler in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 Rn. 31). Dass Voraussetzung für das Verfahren nach § 522 ZPO das Vorliegen der Berufungsbegründung ist, ist von der Systematik der Norm her derart offensichtlich, dass die gängigen Kommentare diese Frage nicht problematisieren. Aus der Feststellung, dass neues Vorbringen zu berücksichtigen ist, soweit dieses nach §§ 529, 531 ZPO zulässig ist (Anders/Gehle/Göertz, 82. Aufl. 2024, § 522 Rn. 27), ergibt sich jedoch, dass die Berufungsbegründung erfolgt sein muss. Der in der Instanzrechtsprechung gelegentlich vertretenen Auffassung, der Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO setzte nicht nur das Vorliegen der Berufungsbegründung, sondern auch der Berufungserwiderung voraus (OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Februar 2003 – 10 U 883/02 –, juris), hat der BGH eine Absage erteilt. Das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht voraus, dass eine Berufungserwiderung eingegangen oder dem Berufungsbeklagten ergebnislos eine Frist zur Erwiderung gesetzt worden ist. Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich nichts anderes (BGH, Urteil vom 21. November 2017 – XI ZR 106/16 –, MDR 2018, 223).
4. Beraterhinweis:
Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird auch verletzt, wenn das Gericht eine dem Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung auf seinen Hinweisbeschluss mit seiner Entscheidung nicht abwartet, sondern bereits vor Ablauf der Frist die Berufung zurückweist (BGH, Beschluss vom 19. November 2019 – VI ZR 215/19 –, MDR 2020, 304). Ebenfalls wird der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn die vor Erlass einer Entscheidung vom Gericht gesetzte Frist zur Äußerung objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2018 – VI ZR 287/17 –, MDR 2018, 1014). Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden (BGH, Beschluss vom 01. Oktober 2014 – VII ZR 28/13 –, MDR 2015, 296). Auch im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO darf der durch einen notwendigen Hinweis nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasste Vortrag einer Partei nicht als verspätet zurückgewiesen werden (BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – MDR 2020, 55).
BGH: Zur Arglisthaftung beim Immobilienkauf
Als Wohnung verkaufte Räume im Souterrain eines Altbaus, die bei Gefahrübergang erhebliche Wandfeuchtigkeit aufweisen, sind regelmäßig weder für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung noch für die gewöhnliche Verwendung zum Wohnen geeignet und infolgedessen mangelhaft.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2024 – V ZR 79/23
- Problemstellung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Sachvortrag schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen (BGH, Urteil vom 26. Januar 2024 – V ZR 162/22 –, Rn. 8, mwN.). Welche Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vortrags bei behaupteter arglistiger Täuschung bei einem Kaufvertrag über Immobilien daraus folgen, hatte der V. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagten erwarben im Jahr 1999 zwei in dem Souterrain eines Altbaus gelegene Eigentumswohnungen, in deren Außenwände sie eine horizontale Sperre durch chemische Injektion einbringen ließen. Im September 1999 beschlossen die Wohnungseigentümer, dass die nach Durchführung von Sanierungsmaßnahmen entstehenden Feuchtigkeitsschäden in den Wohnungen von den jeweiligen Eigentümern zu tragen seien. Wegen erneut auftretender Feuchtigkeitsprobleme wurden in den Folgejahren immer wieder zusätzliche Sanierungsarbeiten durchgeführt. In einem 2017 von den Beklagten eingeholten Sanierungsangebot einer Fachfirma heißt es, dass sich im Sockelbereich der Wohnungen Feuchtigkeitsschäden zeigten, es keine Verbindung zwischen der Bodenabdichtung und den Wänden gebe und keine Horizontalabdichtung zu erkennen sei. Im selben Jahr boten die Beklagten die Wohnungen in einem Maklerexposé für 745.000 € zum Verkauf an. Darin wurde das Baujahr 1904 mitgeteilt, und die Wohnungen wurden als im Jahr 1999 kernsaniert bezeichnet. Weiter heißt es: „Sanierung Mauerwerksfeuchte: Eine Außenwand weist Feuchtemängel auf. Diese Kosten für die Behebung gehen zu Lasten des jeweiligen Eigentümers dieser Wohnung und nicht zu Lasten der Eigentümergemeinschaft. Die Durchführung dieser Sanierung müsste vom Käufer auf dessen Kosten vorgenommen werden. Diese Kosten sind bereits bei der Preisfindung berücksichtigt.“ Die Kläger besichtigten die Immobilie mehrfach mit einem Architekten. Zu diesem Zeitpunkt war der Oberboden in einem Schlafraum entfernt und im Wohnbereich teilweise geöffnet. Probebohrungen waren sichtbar. An den Außenwänden war der Putz teilweise entfernt und die Erde bis unterhalb der Drainage ausgegraben. Mit Vertrag vom 20. Februar 2018 erwarben die Kläger die Wohnungen sodann zu einem Preis von 675.000 € unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. In dem Vertrag heißt es u.a.: „Der Käufer kauft den Vertragsgegenstand im gegenwärtigen, gebrauchten Zustand. Er hat den Vertragsgegenstand eingehend mit einem Gutachter und einem Architekten besichtigt. Die Beteiligten treffen keine Beschaffenheitsvereinbarung zum Vertragsgegenstand (…). Dem Käufer ist der Feuchtigkeitsschaden an der Außenwand des hinteren großen Zimmers der Wohnung Nr. 1 bekannt. Dem Käufer ist ferner bekannt, dass das Gebäude im Jahre 1904 errichtet wurde und sich in unmittelbarer Rheinnähe befindet und einzelne Räume im Souterrain liegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Zukunft Probleme mit Feuchtigkeit auftreten. Dem Käufer ist bekannt, dass die Eigentümerversammlung vom 22. September 1999 folgenden Beschluss gefasst hat: >Nach Durchführung der in Auftrag gegebenen Sanierungsmaßnahmen entstehende Feuchtigkeitsschäden in den Wohnungen Nr. 1 und Nr. 2, ausgehend von konstruktiv- und bauartbedingten Mängeln, aufsteigende Feuchtigkeit, gehen zu Lasten der jeweiligen Eigentümer dieser Wohnungen und werden nicht von der Gemeinschaft getragen.<“
Die Kläger verlangen von den Beklagten Ersatz der für den Zeitraum vom 1. September 2018 bis zum 31. Dezember 2019 aufgewendeten Nettokaltmiete und der verbrauchsunabhängigen Nebenkosten für ihre alte Wohnung sowie der verbrauchsabhängigen Nebenkosten für die neuen Wohnungen in Höhe von insgesamt 32.551,08 € nebst Zinsen, weil sie wegen erforderlicher Arbeiten zur Beseitigung der Ursache der Feuchtigkeitsschäden nicht wie geplant am 1. September 2018 hätten einziehen können. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das OLG die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.
Die Revision der Kläger hat Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagten nach § 437 Nummer 3, § 281 Abs. 1 Satz 1, § 280 Abs. 1 und § 280 Abs. 3 BGB kann nicht verneint werden. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass ein Anspruch auf Schadensersatz nicht auf das Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB in der hier noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) gestützt werden kann. Für eine Vereinbarung der Parteien über die Freiheit der Wohnungen von Feuchtigkeit oder über das Vorhandensein eines hinreichenden baulichen Schutzes vor dem Eindringen von Feuchtigkeit enthält der Kaufvertrag keine Anhaltspunkte. In ihm ist im Gegenteil eine Beschaffenheitsvereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Beschreibung von Eigenschaften eines Grundstücks oder Gebäudes durch den Verkäufer vor Vertragsschluss, etwa – wie hier – in einem Exposé, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag findet, führt in aller Regel nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF. So ist es auch hier.
Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die Souterrainwohnungen entsprächen trotz der erheblichen Wandfeuchtigkeit der üblichen und zu erwartenden Beschaffenheit einer im Jahr 1904 errichteten Liegenschaft. Die im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestehende erhebliche Feuchtigkeit der Wohnungen stellt vielmehr einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BGB aF dar. Richtig ist zwar, dass in Häusern, die zu einer Zeit errichtet wurden, als Kellerabdichtungen noch nicht üblich waren, nicht jede Feuchtigkeit im Keller einen Sachmangel begründet, sondern es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Im Einzelnen ist von Bedeutung, ob das Haus in einem sanierten Zustand verkauft wurde, wie die Kaufsache genutzt wird, welcher Zustand bei der Besichtigung erkennbar war und wie stark die Feuchtigkeitserscheinungen sind. Der bei Altbauten übliche Standard ist aber dann nicht maßgebend, wenn die Parteien eine abweichende Beschaffenheit vereinbart haben oder wenn die Trockenheit der Räume für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (Nutzung des Kellers als Aufenthaltsraum) erforderlich ist. Vorliegend geht es ohnehin nicht um Kellerräume, sondern um als Wohnungen verkaufte Räumlichkeiten im Souterrain eines Wohngebäudes. Die vertraglich vorausgesetzte Verwendung einer Souterrainwohnung ist das Wohnen, weshalb der Käufer regelmäßig erwarten darf, dass die Wohnung trocken ist, auch wenn sie in einem Altbau gelegen ist. Die vertragsgemäße Verwendung (Wohnen) stimmt mit der üblichen Verwendung überein. Als Wohnung verkaufte Räume im Souterrain eines Altbaus, die bei Gefahrübergang erhebliche Wandfeuchtigkeit aufweisen, sind regelmäßig weder für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung noch für die gewöhnliche Verwendung zum Wohnen geeignet und infolgedessen mangelhaft.
Die Haftung der Beklagten wegen der Feuchtigkeit der Wohnungen kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht wegen des in dem Kaufvertrag vereinbarten allgemeinen Haftungsausschlusses abgelehnt werden. Hierauf könnten sich die Beklagten gemäß § 444 BGB nicht berufen, wenn sie den Mangel arglistig verschwiegen haben sollten. Das ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unter mehreren Aspekten nicht ausgeschlossen. Arglistig iSv. § 444 BGB handelt bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels, wer einen Sachmangel mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Sachmangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann zunächst ein arglistiges Verhalten der Beklagten durch eine aktive Täuschung nicht verneint werden. Die Kläger haben vorgetragen, die Beklagten hätten dem von den Klägern beauftragten Architekten mitgeteilt, dass „die anlässlich der Besichtigung der Wohneinheiten sichtbaren Feuchtigkeitsmängel die Ursache eines Mangels seien, welcher zwischenzeitlich seitens der Gemeinschaft behoben worden sei.“ Den dazu von den Klägern angebotenen Zeugenbeweis hat es nicht erhoben. Damit kommt in Betracht, dass die Beklagten zu dem Bestehen, zum Ausmaß und zu der Ursache der Feuchtigkeit falsche Angaben gemacht haben. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht von der Vernehmung des Zeugen abgesehen hat, hält den Angriffen der Revision nicht stand. Soweit das Berufungsgericht meint, die von den Beklagten gegenüber dem Architekten der Kläger abgegebene Erklärung habe nach ihrem objektiven Erklärungswert nur so verstanden werden können, dass 1999 eine Sanierung erfolgt sei, die angesichts der im Jahr 2017 erkennbaren und beschriebenen Schäden erfolglos gewesen sei, stellt dies eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar. Das Berufungsgericht durfte von der Beweisaufnahme nur dann absehen, wenn es den unter Beweis gestellten Vortrag der Kläger, die Beklagten hätten eine erfolgreiche Behebung des Feuchtigkeitsmangels behauptet, zu ihren Gunsten als wahr unterstellt. Das hat es aber nicht getan. Das Berufungsgericht verkehrt die behauptete Äußerung des Zeugen vielmehr in ihr Gegenteil, indem es ihr zu Lasten der Kläger entnimmt, die Beklagten hätten die Kläger über die Erfolglosigkeit der Sanierung aufgeklärt. Bei einer Wahrunterstellung darf die Behauptung der Partei aber nicht nur vordergründig als wahr unterstellt werden, sondern muss so übernommen werden, wie sie aufgestellt wurde. Ebenso wenig kann eine Arglist der Beklagten mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden, die Feuchtigkeit der Wohnungen sei für die Kläger erkennbar gewesen, so dass keine Offenbarungspflicht bestanden habe. Richtig ist allerdings, dass für Mängel, die einer Besichtigung zugänglich und damit ohne weiteres erkennbar sind, keine Offenbarungspflicht besteht. Der Käufer kann insoweit eine Aufklärung nicht erwarten, weil er diese Mängel bei der im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst wahrnehmen kann Wenn dem Verkäufer offenbarungspflichtige Tatsachen bekannt sind, ist ein arglistiges Verschweigen jedoch auch dann gegeben, wenn der wahre Umfang der aufklärungspflichtigen Tatsache nicht angegeben, sondern bagatellisiert wird. Das kann hier nicht ausgeschlossen werden. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Feuchtigkeitsschäden für die Kläger im Einzelnen nicht ersichtlich gewesen seien. Es meint, dass die Kläger gleichwohl aufgrund der bei der Besichtigung erkennbaren Bauteilöffnungen mit weiteren Feuchtigkeitsschäden hätten rechnen müssen. Auf welcher Grundlage das Berufungsgericht zu dieser Einschätzung kommt, legt es nicht dar. Dass die Feuchtigkeit an den geöffneten Stellen überhaupt erkennbar war, ist schon nicht festgestellt. Zu den Bauteilöffnungen und Probebohrungen haben die Kläger vorgetragen, die Beklagten hätten erklärt, ein vorheriger Kaufinteressent habe die Substanz der Immobilie untersuchen lassen, und die noch sichtbare Öffnung der Außenisolierung habe den potentiellen Käufern die Qualität der Außenabdichtung vor Augen führen sollen. Diese Erklärung ist geeignet, die Bedeutung der Bauteilöffnungen zu bagatellisieren. Auch die in dem Exposé und in dem Kaufvertrag enthaltenen Hinweise machten eine Aufklärung durch die Beklagten nicht entbehrlich. In dem Exposé wird nur der konkrete Feuchtigkeitsschaden an einer Außenwand genannt und die Wohnung als im Jahr 1999 kernsaniert bezeichnet. In dem Kaufvertrag wird lediglich auf den Feuchtigkeitsschaden an einer näher spezifizierten Außenwand hingewiesen. Die selektiven Hinweise waren geeignet, die Erwartung zu wecken, dass die Wohnungen abgesehen von dem konkreten Feuchtigkeitsschaden an einer Wand trocken sind. Der zusätzliche Hinweis in dem Kaufvertrag, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass in der Zukunft Probleme mit Feuchtigkeit auftreten, lässt ebenfalls den Schluss zu, dass jedenfalls in der Gegenwart und damit im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs mit Ausnahme der ausdrücklich genannten Feuchtigkeit an einer Wand keine Feuchtigkeit vorhanden ist. Er steht zudem im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Lage in Rheinnähe und der dadurch abstrakt bestehenden Gefahr hochwasserbedingter Feuchtigkeit, was zusätzlich geeignet ist, den sichtbaren Feuchtigkeitsschaden zu bagatellisieren.
- Kontext der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats handelt arglistig im Sinne von § 444 BGB bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels, wer einen Sachmangel mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Sachmangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGH, Urteil vom 25. Januar 2019 – V ZR 38/18 –, Rn. 22, mwN.). Arglist in diesem Sinne setzt nicht voraus, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 212/23 –, Rn. 12, mwN.). Das Tatbestandsmerkmal der Arglist in § 444 BGB erfasst nicht nur ein Handeln des Verkäufers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens und Inkaufnehmens“ reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss. Voraussetzung für ein vorsätzliches Verschweigen eines Mangels ist jedoch stets, dass der Verkäufer den konkreten Mangel kennt oder zumindest für möglich hält (BGH, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 18/11 –, Rn. 24, mwN.). Kennt auch der Käufer den Mangel, gilt § 442 Abs. 1 Satz 1, bei grobfahrlässiger Unkenntnis § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB (Grunewald in Erman, 17. Aufl. 2023, § 442 Rn. 10).
- Auswirkungen für die Praxis
Von Bedeutung für die Praxis ist der Hinweis des Senats auf die von den Beklagten eingewandte Verletzung der Schadensminderungspflicht der Kläger gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB, weil diese sich nicht schnellstmöglich um die Beseitigung des Feuchtigkeitsschadens gekümmert hätten. Die Beseitigung des Feuchtigkeitsmangels, der seine Ursache in der fehlenden Abdichtung und damit im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums hat, ist Aufgabe der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Der gegenteilige Beschluss der Wohnungseigentümer vom 22. September 1999, mit dem die Sanierung künftiger Feuchtigkeitsschäden dauerhaft auf die jeweiligen Sondereigentümer abgewälzt wird, ist mangels Beschlusskompetenz zweifelsfrei nichtig. Die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums ist Aufgabe der GdWE (für die Schäden aus den Jahren 2018 und 2019 noch maßgeblich: § 20 Abs. 1, § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG aF). Die Kläger waren allerdings gehalten, mittels entsprechender Anträge und ggf. einer Beschlussersetzungsklage auf den gesetzlich geforderten Beschluss der Wohnungseigentümer über die Instandsetzung hinzuwirken (§ 21 Abs. 4 und 8 WEG aF). Der für die notwendigen Entscheidungsprozesse erforderliche Zeitraum ist bei der Prüfung eines Mitverschuldens der Kläger einzubeziehen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2024 – V ZR 79/23 –, Rn. 29).
OLG Hamm: Elektr. Postfachpflicht für öbvS
Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind gem. § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, ein elektronisches Postfach zu eröffnen, das für die elektronische Zustellung von elektronischen Dokumenten durch das Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist.
OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24
- Problemstellung
Mit der Frage, ob auch Gerichtssachverständige zu den „sonstige(n) in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte(n) Personen“ des § 173 Abs. 2 ZPO gehören, die einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen haben, hat sich mit dem 22. Zivilsenat des OLG Hamm erstmalig ein Oberlandesgericht befasst.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Eine vom Senat beauftragte öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken verfügt nicht über ein elektronisches Postfach, das die Zustellung von elektronischen Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 173 ZPO durch die Justiz gestattet. Der Senat gibt ihr durch Beschluss auf, ein elektronisches Postfach einzurichten, das für die elektronische Zustellung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg iSv. § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist. Die Anordnung des Senats beruht auf § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach haben u.a. sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Öffentlich bestellte und vereidigte (öbuv) Sachverständige gehören zu diesem Personenkreis.
Der Gesetzgeber hat die Beurteilung, ob Sachverständige zu dem Personenkreis der in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligten Personen zählen, den Gerichten überlassen. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt, hat er in dieser nur beispielhaft ("nicht abschließend") Personen, Vereinigungen und Organisationen angeführt, die unter dem Tatbestandsmerkmal zu fassen sind. Bei öbuv. Sachverständigen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung von einer erhöhten Zuverlässigkeit auszugehen. Wie sich aus § 36 Abs. 1 GewO ergibt, bestehen besonders hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Personen, die als Sachverständige öffentlich bestellt werden dürfen. Mit der öffentlichen Bestellung wird einem Sachverständigen u.a. die persönliche Integrität bestätigt. Zudem gewährleistet die Aufsicht der Bestellungskörperschaften, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen - wie bei anderen berufsständisch gebundenen Personen auch - fortwährend die notwendige Zuverlässigkeit für die Zustellung von gerichtlichen Dokumenten gesichert ist.
Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind zudem in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligt. Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich unzweifelhaft, dass es zu einem wesentlichen Aufgabengebiet, also zum essentiellen Teil ihrer Profession zählt, an Gerichtsverfahren mitzuwirken. Es entspricht weiter auch Sinn und Zweck von § 173 Abs. 2 ZPO, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Verpflichtung einzubeziehen, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen. Die Regelung zielt darauf ab, Personen, Vereinigungen und Organisationen, die aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren, in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden. Das trifft auf öbuv. Sachverständige unzweifelhaft zu. Es gibt schließlich keine sonstigen Gründe, die durchgreifend gegen die Einbeziehung der öbuv. Sachverständigen in die unter § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Personengruppen sprechen. Die mit der Einrichtung und dem Betrieb der Postfächer zusammenhängenden Aufwände sind mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit für Gerichte verbunden und stellen - wie für andere Berufsgruppen auch - keinen der Anwendung des § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstehenden Grund dar. Sie sind verursacht durch eine Veränderung der technischen Umwelt und daraus resultierenden gesetzgeberischen Vorgaben, die eine hinzunehmende Rahmenbedingung für die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen.
- Kontext der Entscheidung
Nach Auffassung der Kommentarliteratur sollen seit dem 1.1.2024 zur Einrichtung eines sicheren Übermittlungswegs verpflichtet sein, wenn sie bei typisierender Betrachtung regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren und zugleich der Aufsicht durch berufsständische Kammern unterliegen. Hiervon kann nur bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und nicht lediglich typischerweise gelegentlicher Sachverständigentätigkeit ausgegangen werden (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 173 Rn. 10.11 mwN.). Fraglich erscheint, ob § 173 ZPO Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung an Sachverständige darstellt, ein elektronisches Postfach einzurichten, wie das OLG Hamm meint. Trotzdem geht der Beschluss in die richtige Richtung. Rechtsanwälte sind seit längerem gewohnt, Akten elektronisch zu führen. Ihnen in Papierform übersandte Gutachten stellen in diesem System einen Fremdkörper dar. Wünschenswert wäre ferner, wenn die Justiz selbst die Anforderungen elektronischer Kommunikation erfüllen würde, die sie an Rechtsanwälte und nun auch an Sachverständige stellt.
- Auswirkungen für die Praxis
Sachverständigen stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um ein elektronisches Postfach einzurichten. Sie können das kostenlose "Mein Justizpostfach" (MJP) nach dem OZG nutzen, das einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO eröffnet. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, das kostenpflichtige, aber dafür gegenüber dem MJP leistungsfähigere und nutzerfreundlichere besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) einzurichten, welches einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO begründet. Nach Auffassung des OLG sind Verwaltung und Gesetzgeber aufgerufen, durch die Optimierung der technischen Möglichkeiten und eine angemessene Berücksichtigung von durch die Nutzung des elektronischen Rechtverkehrs verursachten Mehrkosten bei der Vergütung ein Umfeld zu gewährleisten, welches die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen noch hinreichend attraktiv erscheinen lässt. Denn die Gerichte sind auf eine ausreichende Anzahl von hochqualifizierten Gerichtssachverständigen angewiesen, um die anstehenden, diesbezüglich beweisbedürftigen Verfahren zügig und qualitativ hochwertig erledigen zu können (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24 –, Rn. 21).
BGH: Kosten des selbständigen Beweisverfahrens
Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst.
BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23
- Problemstellung
Der V. Zivilsenat des BGH hatte zu entscheiden, wie die in der Praxis häufig vorkommende Konstellation gebührenrechtlich zu bewerten ist, dass einer von mehreren Antragsgegnern eines selbständigen Beweisverfahrens nicht Beklagter des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens wird, an diesem aber als Streithelfer beteiligt ist.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem selbstständigen Beweisverfahren war eine Antragsgegnerin - neben zwei weiteren Antragsgegnern - die Streithelferin der im anschließenden Hauptsacheverfahren Beklagten (im Folgenden: Streithelferin). Nach Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens setzte auf Antrag (nur) der Streithelferin das Landgericht den Klägern Frist zur Klageerhebung gemäß § 494a Abs. 1 ZPO. Nachdem die Kläger die Frist hatten verstreichen lassen, sprach das Landgericht durch Beschluss aus, dass die Kläger (dort Antragsteller) die der Streithelferin (dort Antragsgegnerin zu 3) im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu tragen haben. Auf den hierauf ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss zahlten die Kläger die festgesetzten Kosten von 3.172,62 € an die Streithelferin und erhoben sodann auf Grundlage des im selbstständigen Beweisverfahren vorgetragenen Sachverhalts Klage gegen die Antragsgegner zu 1 und 2. Die Streithelferin trat dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens den Klägern zu 55 % und den Beklagten zu 45 % auferlegt; außerdem hat es ausgesprochen, dass die Kläger die Kosten der Streithilfe zu 55 % zu tragen haben und im Übrigen die Streithelferin ihre Kosten selbst trage. Auf Antrag der Streithelferin hat das Landgericht ihren Kostenerstattungsanspruch gegen die Kläger auf 1.727 € festgesetzt, ohne hierbei die Kosten der Streithelferin im selbstständigen Beweisverfahren einzubeziehen. Den Antrag der Kläger, 45 % des aufgrund des im selbstständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses gezahlten Betrages (mithin 1.427,68 €) rückfestzusetzen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das OLG den Beschluss des Landgerichts abgeändert und den beantragten Erstattungsanspruch der Kläger gegen die Streithelferin festgesetzt. Zu den der Streithelferin im Hauptsacheverfahren auferlegten Kosten der Streithilfe zählten auch ihre Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren. Zu den Kosten des Klageverfahrens gehörten die gesamten Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens, selbst wenn in persönlicher oder sachlicher Hinsicht nur Teile daraus zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht worden seien. Dass das Prozessgericht die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens ausdrücklich in die von den Beklagten teilweise zu tragenden Kosten des Rechtsstreits einbezogen habe, wirke nach dem Grundsatz der Kostenparallelität auch zulasten der sie unterstützenden Streithelferin. Damit liege eine von dem Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren abweichende Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vor. Die streitige Frage nach der Auflösung dieses Konfliktes sei im Sinne eines Vorrangs der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem nur vorläufigen Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren zu entscheiden (OLG Hamm, Beschluss vom 28. September 2023 – I-25 W 234/23).
Die Rechtsbeschwerde der Streithelferin hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an der für eine Rückerstattung erforderlichen nachträglichen Änderung der Kostenregelung im selbstständigen Beweisverfahren. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das OLG an, dass gemäß § 91 Abs. 4 ZPO auch solche Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können, die die obsiegende Partei der unterlegenen auf der Grundlage einer nur vorläufigen Kostenentscheidung im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat. Die Partei, die auf der Grundlage einer vorläufigen Kostengrundentscheidung die Festsetzung ihrer Kosten im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren erreicht hatte, soll nach Änderung der Kostengrundentscheidung hinnehmen müssen, dass der Titel zu gleichen Bedingungen wieder rückgängig gemacht wird. Ein Erfolg des Rückfestsetzungsantrags der Kläger setzt - wie das OLG richtig erkennt - voraus, dass die Kosten der Streithelferin aus dem selbstständigen Beweisverfahren zu den Kosten der Nebenintervention im Hauptsacheverfahren gehören. Denn der die Rückfestsetzung ermöglichende § 91 Abs. 4 ZPO gilt nur für Zahlungen an die unterlegene Partei, die auf deren Kosten in dem Rechtsstreit erbracht worden sind.
Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Ansicht des OLG, die auf die Kosten der Streithelferin bezogene Kostengrundentscheidung in dem Urteil im Hauptsacheverfahren erfasse die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung zugunsten der Streithelferin und lasse diese entfallen. Es liegt keine abweichende nachträgliche Verteilung der den Klägern im selbstständigen Beweisverfahren auferlegten Kosten vor. Die im Klageverfahren hinsichtlich des Streithelfers ergangene Kostengrundentscheidung umfasst nicht die dem Streithelfer als Antragsgegner im vorausgegangenen selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten; dies gilt unabhängig davon, ob insoweit eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangen ist oder nicht. Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens gehören zwar zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens. Sie werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens aber nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst. Die nicht verklagten Antragsgegner können ihre Kosten stattdessen nach § 494a Abs. 2 ZPO geltend machen. Hinsichtlich der nicht verklagten Antragsgegner besteht keine Parteiidentität zwischen dem selbstständigen Beweisverfahren und dem Hauptsacheverfahren, so dass die außergerichtlichen Kosten dieser Antragsgegner nicht als Kosten des Hauptsacheverfahrens anzusehen sind. Das gilt unabhängig davon, ob der nicht verklagte Antragsgegner bereits einen Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu seinen Gunsten erwirkt hat. Denn wenn er nicht Partei des Hauptsacheverfahrens geworden ist, handelt es sich bei seinen im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten in keinem Fall um Kosten des Hauptsacheverfahrens. An der erforderlichen Parteiidentität fehlt es insbesondere dann, wenn der Antragsgegner eines selbstständigen Beweisverfahrens einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelfer auf Beklagtenseite beitritt. Der Streithelfer ist nur Gehilfe der unterstützten Partei, ohne selbst Partei des Verfahrens zu sein. An der erforderlichen Parteiidentität für eine Einbeziehung der Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens in die Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens fehlt es daher, wenn an Stelle des Antragstellers oder des Antragsgegners ein Streithelfer aus dem selbstständigen Beweisverfahren Partei des sich anschließenden Rechtsstreits wird.
Dies gilt gleichermaßen im umgekehrten Fall, wenn ein Antragsgegner im anschließenden Hauptsacheverfahren nicht Partei wird, sondern Streithelfer. Auch in diesem Fall führt die Nebenintervention nicht dazu, dass der Streithelfer hinsichtlich der Kosten zur Partei wird. Die Ersatzfähigkeit der Kosten der Nebenintervention richtet sich gemäß § 101 Abs. 1 iVm. §§ 91 ff. ZPO danach, inwieweit die unterstützte Hauptpartei unterlegen ist. Anders als bei einer gegen ihn selbst erhobenen Klage hat der Streithelfer seine Kosten daher unter Umständen auch dann zu tragen, wenn der Antragsteller ihn in das selbstständige Beweisverfahren einbezogen hatte, obwohl dem Antragsteller keine Ansprüche gegen den Antragsgegner zustehen. Zudem berühmt sich ein Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens, der letztlich eine andere Partei im Klageverfahren in Anspruch nimmt, zu Unrecht eines Anspruchs gegen den Antragsgegner und hat daher auch die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu tragen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein Antragsgegner so gestellt werden, als habe er obsiegt, wenn er im selbstständigen Beweisverfahren Kosten aufgewendet und ein günstiges Ergebnis erreicht hat und der Antragsteller danach von der Einleitung des Hauptprozesses gegen ihn absieht (BT-Drucks. 11/8283 S. 48). Wird ein Hauptsacheverfahren gegen einen Antragsgegner nicht erhoben, hat der Antragsteller keine Möglichkeit, eine prozessuale Kostenentscheidung zu seinen Gunsten zu erwirken. Denn im selbstständigen Beweisverfahren kann nur auf Antrag des Antragsgegners eine Kostenentscheidung ergehen, und zwar allein zu Lasten des Antragstellers. Da der Antragsteller nicht gehindert ist, im Anschluss an das Hauptsacheverfahren gegen die unterstützte Partei auch gegen den Streithelfer selbst noch Klage zu erheben, könnte es zudem zu widersprüchlichen Kostengrundentscheidungen hinsichtlich der ihm im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten kommen, würde über diese bereits als Teil der Kosten der Nebenintervention entschieden. Ein nicht verklagter Antragsgegner müsste außerdem auf einen Beitritt zum Hauptsacheverfahren gegen einen anderen Antragsgegner verzichten, um sich den Vorteil der vollen Kostenerstattung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu erhalten. Dies würde die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit entwerten, eine Hauptpartei zu unterstützen, und den nicht verklagten Antragsgegner insbesondere dort benachteiligen, wo ihm nach einer Streitverkündung die Prozessergebnisse aufgrund der Interventionswirkung nach § 74 Abs. 3 iVm. § 68 ZPO in Folgeprozessen entgegengehalten werden können.
Nach diesen Maßstäben umfasst die Kostengrundentscheidung in dem Urteil des Landgerichts nicht die durch Beschluss des LG im selbstständigen Beweisverfahren erfolgte Entscheidung über die Kosten der Streithelferin. Die Streithelferin war selbst Antragsgegnerin im selbstständigen Beweisverfahren, aber gegen sie ist nicht Klage erhoben worden. Die Kläger haben nur gegen die weiteren Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren das Hauptsacheverfahren eingeleitet. Die Streithelferin wurde lediglich durch ihren Streitbeitritt auf Seiten der Beklagten an dem Hauptsacheverfahren beteiligt und nicht als Partei. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus dem Grundsatz der Kostenparallelität, nach dem die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten entsprechend § 101 Abs. 1 ZPO in dem gleichen Maßstab zu verteilen sind wie die Kosten zwischen den Parteien. Denn die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin sind in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst. Der Umstand, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren im Hauptprozess verwertet worden ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Betrachtung. Der angefochtene Beschluss des OLG kann somit keinen Bestand haben. Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat die sofortige Beschwerde gegen den die Rückfestsetzung versagenden Beschluss des Landgerichts selbst zurückweisen.
- Kontext der Entscheidung
Der VII. Zivilsenat hat bereits den ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass ein Prozessvergleich, der die „Kosten des Rechtsstreits“ quotiert, keine Auswirkungen auf die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens hat, wenn über dessen Kosten bereits rechtskräftig durch Kostenfestsetzungsbeschluss entschieden ist. Dabei hat der VII. Zivilsenat es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob eine nachträglich im Hauptsacheverfahren vom Gericht getroffene Kostenentscheidung stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert und dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – VII ZB 7/21 –, Rn. 14). Der V. Zivilsenat führt in der besprochenen Entscheidung ebenso aus, es bedürfe entgegen den Ausführungen des Beschwerdegerichts keiner Entscheidung darüber, ob die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO im Verhältnis zur Kostenentscheidung im nachfolgenden Klageverfahren eine vorläufige Kostentscheidung darstellt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 6). Es erscheint fraglich, ob man die Auffassung des OLG Hamm mit dem Argument verteidigen kann, die ZPO enthalte anders als in § 344 ZPO für die Kosten der Säumnis keine Regelung, dass es bei der Kostenentscheidung auch bei abweichender Entscheidung in der Hauptsache bleiben solle, so dass der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung gegen die Endgültigkeit des Kostenbeschlusses spreche (so Koos IBR 2024, 54). Dass der Grundsatz der Kostenparallelität auf die in Frage stehende Konstellation gerade nicht anwendbar ist, hat der V. Zivilsenat festgestellt, weil die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst sind (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 14).
- Auswirkungen für die Praxis
Sollten die Parteien den Hauptsacheprozess durch Vergleich beenden wollen, ist außerordentliche Vorsicht bei der Formulierung des Vergleichs geboten, falls beabsichtigt ist, auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahren der späteren Streithelfer in den Vergleich einzubeziehen. Sollten die Prozessparteien die Einbeziehung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens in den Vergleich beabsichtigt haben, könnte den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit treffen. Ein gerichtlicher Vergleich stellt aufgrund seiner Doppelnatur auch einen materiell-rechtlichen Vertrag der Parteien dar. Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen. Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen und im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen (BGH, Urt. v. 16.12.2021 - IX ZR 223/20 Rn. 8).
BGH: Anforderungen an die Berufungsbegründung
Liegt dem Rechtsstreit ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2024 – VI ZB 44/22
- Problemstellung
Mit den Anforderungen an die Berufungsbegründung bei einheitlichem Streitgegenstand und mehreren Schadenspositionen hatte sich der VI. Zivilsenat zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das geleaste Fahrzeug des Klägers ist durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt worden. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Der Kläger beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens. Dieser ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 31.195,36 € netto und eine Wertminderung von 3.500 €. Er gab den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 31.932,77 € netto und den Restwert mit 18.060 € an. Der Kläger ließ mit Zustimmung der Leasingfirma das Fahrzeug für insgesamt 47.739,68 € brutto reparieren. Die Leasinggeberin ermächtigte den Kläger zur Geltendmachung der fahrzeugbezogenen Ansprüche im eigenen Namen. Mit der Klage hat der Kläger u.a. verlangt, ihn von Reparaturkosten der Kfz-Werkstatt, Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 sowie Rechtsanwaltskosten freizustellen, den Minderwert gegenüber der Leasinggesellschaft auszugleichen und ihm weitere Mietwagenkosten für den Zeitraum 21. März bis 30. Mai 2020 in Höhe von 1.318,46 € zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage bis auf die geforderte Freistellung von Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 und von anteiligen Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Schadensersatzpflicht der Beklagten habe auf Totalschadensbasis zu erfolgen und sei auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Freistellung von Reparaturkosten und Ausgleich des Minderwerts. Dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten für die Dauer der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs von 14 Tagen zu. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen, soweit der Kläger Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € und Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Berufungsbegründung hinsichtlich der geforderten Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € genüge bereits nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setze sich zwar mit der vom Landgericht verneinten Frage der Ersatzfähigkeit der den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten auseinander, es fehle aber jegliche Begründung hinsichtlich der im angekündigten Berufungsantrag enthaltenen Mietwagenkosten. Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung finde nicht statt. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Hinblick auf die geforderte Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 €. Soweit sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als unbegründet gewandt hat, hat der Senat diese mit Beschluss vom 28. Mai 2024 - VI ZR 199/22 zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Das ist vorliegend erfolgt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen und rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig. Liegt dem Rechtsstreit dagegen ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen.
Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung hinsichtlich der vom Landgericht versagten Erstattung weiterer Mietwagenkosten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es insoweit nicht an einer Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts. Der Kläger hat in der Berufungsbegründungsschrift einen Berufungsantrag angekündigt, mit dem er unter anderem die Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € begehrt. Er hat ausgeführt, dass er während der Reparatur mehrere Mietwagen habe anmieten müssen. Die Rechtsansicht des Landgerichts, dass im Streitfall nur der Wiederbeschaffungsaufwand, nicht aber die Reparaturkosten ersatzfähig seien, hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich angegriffen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Das Landgericht hat die Erstattung weiterer Mietwagenkosten aus demselben Grund versagt wie die geforderte Freistellung von Reparaturkosten, nämlich mit der Erwägung, dass der Anspruch des Klägers auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt sei. Der Berufungsangriff gegen die Begründung des Landgerichts, mit der es die Ersatzfähigkeit der Reparaturkosten verneint hat, erfasst daher auch die Abweisung der Klage auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht bereits, dass kein Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten besteht. Das Berufungsgericht hat, soweit es die Berufung teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat, bindend entschieden, dass die Ersatzpflicht der Beklagten auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt ist. Die Bindungswirkung ergibt sich für das Berufungsgericht aus § 318 ZPO. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Teilzurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zudem Rechtskraft eingetreten. Bei einer klageabweisenden Entscheidung, wie sie zu den geltend gemachten Reparaturkosten und zum Minderwert ergangen ist, ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass das Landgericht bei der Frage der ersatzfähigen Mietwagenkosten nur die im Sachverständigengutachten angegebene Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen zugrunde gelegt habe, ohne den Zeitraum bis zur Gutachtenerstellung und eine angemessene Überlegungszeit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dem Kläger auf der Grundlage etwaiger noch zu treffender Feststellungen einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten zusprechen wird.
- Kontext der Entscheidung
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 7, mwN.). Eine andere Beurteilung soll geboten sein, wenn es entscheidend auf eine Rechtansicht ankommt. Das Festhalten an einer im Urteil erster Instanz zurückgewiesenen Rechtsansicht führt auch dann nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden. Ein unzulässiger Verweis nur auf das Vorbringen erster Instanz liegt darin nicht. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen. Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist das verfassungsrechtliche Gebot abzuleiten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Das gilt auch für die Prüfung der Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 ZPO (BGH, Beschluss vom 07. Juni 2018 – I ZB 57/17 –, Rn. 10, kritisch dazu: Dastis, jurisPR-BGHZivilR 16/2018 Anm. 2).
- Auswirkungen für die Praxis
Ob der Berufungsführer nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weiteren Vortrag zur Begründung der Berufung hält, ist unerheblich. Eine unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – III ZB 50/20 –, Rn. 28, mwN.). Erst recht sind Ausführungen des Berufungsbeklagten in der Berufungserwiderung nicht geeignet, eine unzulängliche Berufungsbegründung zu heilen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 15). Eine (teilweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Dieses Rechtsinstitut setzt die Versäumung einer gesetzlichen Frist voraus. Von der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung kann aber nach der nächstliegenden Bedeutung des Gesetzeswortlauts und aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit - bei hinreichender Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Gegenpartei - nur die Rede sein, wenn die rechtzeitige Einreichung der Berufungsbegründung als solche unterblieben ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 – III ZR 285/95 –, Rn. 11).
BGH: Anforderungen an die Fristenkontrolle
Ein Rechtsanwalt hat seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Im Rahmen dieser gestuften Ausgangskontrolle hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird.
BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23
- Problemstellung
Der IV. Zivilsenat hatte sich zum wiederholten Male (vgl. zuvor: BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21) mit den Anforderungen an die allabendlich durchzuführende Fristenkontrolle des Rechtsanwalts zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegen ein am 2. Februar 2023 zugestelltes landgerichtliches Urteil hat der Kläger am 3. März 2023 Berufung eingelegt; mit am 6. April 2023 beim OLG eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Im Büro seiner Prozessbevollmächtigten erfolgten Aktenführung und Fristenkontrolle ausschließlich elektronisch mittels eines eingeführten Rechtsanwaltsprogramms. Im Falle eines eingehenden Urteils erster Instanz notiere die zuständige Mitarbeiterin die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist nebst entsprechenden Vorfristen im elektronischen Fristenkalender. Diese Tätigkeit führten ausschließlich geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte aus, deren Arbeit regelmäßig stichprobenartig kontrolliert werde. Die dem jeweiligen Rechtsanwalt zugeordnete Rechtsanwaltsfachangestellte habe zudem die Aufgabe, täglich vor Büro- beziehungsweise Dienstschluss dessen Kalender auf offene Fristen zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf die offene Frist hinzuweisen. Das vorliegende Verfahren sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zum Ablauf der Vorfrist vorgelegt worden, der die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist geprüft habe. Eine Bearbeitung sei zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich gewesen. Am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist habe der Rechtsanwalt sich auf die Büroorganisation verlassen und die Fristen nicht selbst überprüft. Die Frist sei versäumt worden, weil ihn die zuständige Mitarbeiterin nicht auf die offene Berufungsbegründungsfrist hingewiesen habe. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Gemäß § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Nach § 85 Abs. 2 ZPO ist der Partei ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet gewesen ist. So liegt es hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten beruht. Der Kläger hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten über eine den Anforderungen genügende Ausgangskontrolle verfügt.
Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb laufender Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck hat der Rechtsanwalt seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Im Rahmen dieser gestuften Ausgangskontrolle hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Ausgangskontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Der Abgleich mit dem Fristenkalender dient unter anderem der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben.
Gemessen daran hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seiner Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Nach seinem Vorbringen hatte die Kanzleimitarbeiterin im Rahmen der Fristenkontrolle täglich vor Büroschluss allein den Fristenkalender zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf offene Fristen hinzuweisen. Das genügt für eine ordnungsgemäße abendliche Ausgangskontrolle nicht. Die Kanzleiangestellte hätte auch bei ordnungsgemäßem Befolgen der Anordnung nicht nochmals, selbständig und abschließend kontrolliert, ob die fristgebundene Sache tatsächlich bearbeitet und ein fristwahrender Schriftsatz abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden ist. Die Anordnung einer solchen abendlichen Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle ist den Darlegungen des Klägers nicht zu entnehmen. Die fehlende Anordnung einer Ausgangskontrolle war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Im Rahmen einer nochmaligen, selbständigen und abschließenden Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle wäre die offene Berufungsbegründungsfrist im Terminkalender des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten aufgefallen. Darüber hinaus hätte die Ausgangskontrolle ergeben, dass die Sache noch nicht bearbeitet und die Berufungsbegründung oder ein Fristverlängerungsantrag weder abgesandt noch versandfertig gemacht worden war. Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der Beteiligten hätte in diesem Fall jedenfalls rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag an das Berufungsgericht übersandt werden können.
- Kontext der Entscheidung
Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21 –, Rn. 9). Zu der einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse sicherstellenden Organisation der Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Der Sinn und Zweck der allabendlichen Ausgangskontrolle liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Daher ist ein Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2019 – VIII ZB 103/18).
- Auswirkungen für die Praxis
Die im Fristenkalender vermerkten Fristen dürfen erst gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – I ZB 41/19 –, Rn. 10, mwN.). Zum anderen hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze durch einen Abgleich mit dem Fristenkalender dient zum einen der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Mit ihr soll zum anderen auch festgestellt werden können, ob in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung möglicherweise noch aussteht. Der Fristenkalender ist daher so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist. Eine solche zusätzliche Kontrolle ist schon deshalb notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – I ZB 41/19 –, Rn. 11, mwN.).
BGH: Zur Terminsgebühr nach RVG
Eine Terminsgebühr fällt an, wenn der Gegner eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Erklärung zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei entgegennimmt.
BGH, Urteil vom 20. Juni 2024 – IX ZR 80/23
- Problemstellung
Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit durch eine (telefonische) Besprechung zwischen den Bevollmächtigten der Prozessparteien eine Terminsgebühr entsteht, hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein Rechtsschutzversicherer verlangt von der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft die Rückzahlung einer im Wege des Vorschusses für ein Berufungsverfahren ihres Versicherungsnehmers an diese geleisteten Terminsgebühr nebst Umsatzsteuer (1.782,14 €). Die Klage des von der Beklagten vertretenen Versicherungsnehmers gegen eine Bank wegen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags war in erster Instanz abgewiesen, das Urteil am 6. Juli 2019 zugestellt worden. Die Beklagte legte am 6. August 2019 für den Versicherungsnehmer Berufung ein und begründete diese unter dem 8. Oktober 2019. Die Berufung wurde durch das OLG mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Klägerin verlangt die Rückzahlung von 1.782,14 € und ist der Ansicht, eine Terminsgebühr sei nicht entstanden. Die Beklagte behauptet, einer ihrer Geschäftsführer habe am 6. August 2019 sowie am 8. Oktober 2019 der Prozessbevollmächtigten der Bank telefonisch einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Diese habe jeweils die Weiterleitung der Vergleichsvorschläge an ihre Mandantin zugesagt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Die Beklagte könne bereits auf der Grundlage ihres Sachvortrags keine Terminsgebühr beanspruchen. Das erste Telefonat am 6. August 2019 habe keine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung beinhaltet, weil bereits zehn Minuten nach dem Gespräch Berufung eingelegt worden sei, obwohl der Vergleichsvorschlag noch von der gegnerischen Rechtsanwältin an die Bank habe weitergeleitet und besprochen werden müssen. Hinsichtlich des zweiten Telefonats am 8. Oktober 2019 sei maßgeblich, dass die Rechtsanwältin der Bank darin nach dem Klägervorbringen einerseits die Weiterleitung des Vergleichsvorschlags zugesagt, andererseits aber in dem - nur zwei Minuten dauernden - Gespräch erklärt habe, dass sie nicht davon ausgehe, dass Vergleichsbereitschaft bestehe. Jedenfalls für eine solche Fallgestaltung sei die Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass eine Terminsgebühr nicht allein dadurch anfalle, dass der Gegner die Weiterleitung des Vorschlags an seinen Mandanten zusage.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Erstattungsanspruch der Klägerin nicht bejahen. Es trifft allerdings zu, dass der Rechtsanwalt aus dem Anwaltsvertrag mindestens entsprechend §§ 675, 667 BGB verpflichtet ist, denjenigen Teil eines ihm geleisteten Vorschusses zurückzuzahlen, der die tatsächlich geschuldete Vergütung übersteigt. Zudem ist es richtig, dass im Fall eines rechtsschutzversicherten Mandanten der Rückzahlungsanspruch wegen eines nicht verbrauchten Gebührenvorschusses gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergeht, weil die Rechtsschutzversicherung eine Schadensversicherung ist und der Versicherer mit der Vorschussleistung an den Rechtsanwalt seinem Versicherungsnehmer im Sinne der Bestimmung "einen Schaden ersetzt". Hingegen kann der Anfall der Terminsgebühr mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneint werden. Nach § 2 Abs. 2 RVG, Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG verdient der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch durch die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung der Anwendungsbereich der Terminsgebühr erweitert werden; die Gebühr soll insbesondere bereits dann verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen mitwirkt, insbesondere, wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Einigung zielen. Dementsprechend stellt der Bundesgerichtshof an das Merkmal der - auch telefonisch durchführbaren - Besprechung keine besonderen Anforderungen und sieht die Terminsgebühr als entstanden an, wenn der Gegner die auf eine Erledigung des Verfahrens gerichteten Äußerungen zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei zur Kenntnis nimmt oder sich auch nur an Gesprächen mit dem Ziel einer Einigung interessiert zeigt. Dagegen genügt es nicht, wenn es in dem Gespräch nur um die grundsätzliche Bereitschaft oder abstrakte Möglichkeit einer Einigung oder um Verfahrensabsprachen wie beispielsweise um die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens geht. Verweigert der Gegner von vornherein ein sachbezogenes Gespräch oder eine gütliche Einigung, kommt eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung bereits im Ansatz nicht zustande. Die Voraussetzungen für die Auslösung einer Terminsgebühr durch eine außergerichtliche Besprechung können auch in einem Berufungsverfahren, in dem ein Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt wird, erfüllt sein, wenn die Besprechung bereits vor Erteilung des Hinweises geführt wurde.
An diesen Grundsätzen ist auch unter Berücksichtigung einer teilweise abweichenden und von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten instanzgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die bloße Erklärung des anderen Prozessbevollmächtigten, das Angebot an den Mandanten zur Prüfung weiterzuleiten, nicht genügen soll, festzuhalten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entstehung der Terminsgebühr führt zu einer einfachen, klaren und rechtssicheren Abgrenzung. Das Urteil ist danach aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird die angebotenen Beweise zum Inhalt der behaupteten beiden Telefonate zu erheben haben.
- Kontext der Entscheidung
Ein allgemeines Gespräch über die grundsätzliche Bereitschaft oder abstrakte Möglichkeit einer außergerichtlichen Erledigung löst nicht schon die 1,2-fache Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG VV aus (BGH, Beschl. v. 27.2.2007 - XI ZB 38/05 - Rn. 10). Vielmehr muss es sich gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Fall 3 RVG VV um eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung handeln. Mit der Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 3 Fall 3 RVG VV soll das ernsthafte Bemühen des Prozessbevollmächtigten um einen Abschluss des Verfahrens ohne Beteiligung des Gerichts honoriert und damit zugleich die außergerichtliche Streitbeilegung - auch zur Entlastung der Gerichte - gefördert werden, wie sich der. Begründung zum Gesetzentwurf eines Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (BT-Drucks. 15/1971, S. 148, 209) entnehmen lässt. So hat der BGH eine Terminsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 3 Alt. 3 RVG-VV zuerkannt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach Zustellung einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage dem Anwalt des Klägers in einem Telefongespräch anstelle der geforderten eine inhaltsähnliche, abgemilderte Unterlassungserklärung anbietet, und der Anwalt des Klägers zusagt, für den Fall der Abgabe der Unterlassungserklärung zu prüfen, ob der Rechtsstreit mit Blick auf diese Erklärung namens des Klägers in der Hauptsache für erledigt erklärt werden könne (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 – I ZB 14/09 –, Rn. 8). Eine auf eine Erledigung gerichtete Besprechung setzt als mündlicher Austausch von Erklärungen die Bereitschaft der Gegenseite voraus, überhaupt in Überlegungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Beendigung des Verfahrens einzutreten. Verweigert der Gegner von vornherein entweder ein sachbezogenes Gespräch oder eine gütliche Einigung, kommt eine Besprechung bereits im Ansatz nicht zustande. Im Unterschied dazu ist von einer Besprechung auszugehen, wenn sich der Gegner auf das Gespräch einlässt, indem er die ihm unterbreiteten Vorschläge zur Kenntnis nimmt und deren Prüfung zusagt. Da der Gebührentatbestand nicht an den Erfolg einer gütlichen Einigung anknüpft, sind an die mündliche Reaktion des Gegners über Kenntnisnahme und Prüfung des Vorschlags hinausgehende Anforderungen nicht zu stellen (BGH, Beschluss vom 20. November 2006 – II ZB 9/06 –, Rn. 8).
- Auswirkungen für die Praxis
Das Kostenfestsetzungsverfahren gem. §§ 103 ff. ZPO unterliegt nicht dem Amtsermittlungsgrundsatz, sondern dem allgemeinen Verhandlungs- und Beibringungsgrundsatz des Erkenntnisverfahrens. Darlegungs- und beweisbelastet ist im Allgemeinen der Kostengläubiger (BeckOK ZPO/Jaspersen, 53. Ed. 1.7.2024, ZPO § 104 Rn. 4 mwN.). Die Prozesspartei, die eine Terminsgebühr beansprucht, trägt daher die Darlegungs- und Beweislast für deren Entstehen. Demgemäß hat der BGH dem Berufungsgericht aufgegeben, die angebotenen Beweise zum Inhalt der behaupteten beiden Telefonate zu erheben (BGH, Urteil vom 20. Juni 2024 – IX ZR 80/23 –, Rn. 11. Zur Berücksichtigung eines Ansatzes genügt, dass er glaubhaft gemacht ist (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Auf jeden Fall hat eine Partei Anspruch auf Festsetzung einer Terminsgebühr, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Gebührentatbestandes zwischen den Parteien unstreitig sind. Erklärt die Prozessbevollmächtigte einer Partei ausdrücklich, mit dem Bevollmächtigten der anderen Partei eine fernmündliche Unterredung über eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits geführt zu haben, kann die beantragte Terminsgebühr nicht wegen der Beweisbedürftigkeit ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen unberücksichtigt bleiben (BGH, Beschluss vom 20. November 2006 – II ZB 6/06 –, Rn. 6). Ansonsten kann und muss ich der Rechtspfleger sämtlicher Beweismittel des § 294 Abs. 1 ZPO bedienen (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – XI ZB 38/05 –, Rn. 6).
BGH: Zum Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO
Der für die Bejahung des nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses ausreichenden Erwartung, der Beklagte werde bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten, steht es nicht entgegen, dass eine erneute gerichtliche Inanspruchnahme des Beklagten zur Durchsetzung der aus dem Feststellungsurteil resultierenden Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2024 – IV ZR 124/23
- Problemstellung
Bei der Feststellungsklage kann für die Bejahung des nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses die Erwartung ausreichen, der Beklagte werde bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten. Der IV. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob dem entgegensteht, dass eine erneute gerichtliche Inanspruchnahme des Beklagten zur Durchsetzung der aus dem Feststellungsurteil resultierenden Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Mutter auf von ihm per E-Mail und Telefax eingereichte Anträge Behandlungskosten zu erstatten hat. Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die aufgrund ihrer Satzung Fürsorgepflichten in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen erfüllt. Ab Anfang 2020 reichte der Kläger im Namen seiner Mutter Erstattungsanträge unter Verwendung des Antragsvordrucks der Beklagten jeweils per E-Mail mit einem Anhang im PDF-Format und per Telefax ein. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass eine Einreichung der Erstattungsunterlagen per E-Mail oder Telefax nicht zulässig sei und erbat eine Einreichung der Unterlagen mit einem mit Originalunterschrift versehenen Vordruck auf dem Postweg an ihre zentrale Posteingangsstelle oder elektronisch über die App "KVB Erstattung". Der Kläger ist der Auffassung, die Einreichung der Erstattungsanträge per E-Mail oder Telefax sei zulässig. Das Landgericht hat seine Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm im Hinblick auf die für seine Mutter eingereichten Erstattungsanträge Erstattungsbeträge zu gewähren und die festgesetzten Erstattungsbeträge an ihn auszuzahlen, abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Die Klage sei unzulässig. Dem Kläger fehle es jedenfalls an dem nach § 256 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse, weil ihm eine bessere Rechtsschutzmöglichkeit zustehe. Ihm sei die Klage auf Leistung möglich und zumutbar. Den eingereichten Erstattungsanträgen lägen konkrete Arzt- und Gebührenrechnungen zugrunde, aufgrund derer der geltend gemachte Zahlungsanspruch durch einfache Rechenoperation bestimmt werden könne. Ein Feststellungsinteresse bestehe auch nicht ausnahmsweise, weil von der Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erwarten sei, dass eine Erstattung auch ohne Leistungstitel erfolgen würde. Zwar sei grundsätzlich bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts von einer Erfüllungsbereitschaft nach einem rechtskräftigen Feststellungsurteil auszugehen. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsstreit wegen der Höhe der etwaigen Forderungen fortgesetzt werde.
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Die Feststellungsklage ist zulässig. Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Diese Voraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen sind, sind gegeben. Die vom Kläger begehrte Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm im Hinblick auf die im Klageantrag näher bezeichneten Erstattungsanträge die tarifgemäßen Leistungen zu gewähren, stellt ein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Gegenstand des Antrags ist nicht die abstrakte Vorfrage, ob die Einreichung der Erstattungsanträge per E-Mail oder Telefax nach den Satzungsbestimmungen der Beklagten zulässig war, bei der es sich für sich genommen um kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis handelt, sondern die Feststellung von Inhalt und Umfang der Leistungspflicht der Beklagten. Diese kann Gegenstand der Feststellung sein.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse sei nicht gegeben. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert entgegen seiner Auffassung nicht am Vorrang der Leistungsklage. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm zwar regelmäßig das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Die auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig. Eine allgemeine Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage besteht aber nicht. Vielmehr bleibt die Feststellungsklage dann zulässig, wenn ihre Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erwarten lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die beklagte Partei die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf; der Bundesgerichtshof hat das bereits mehrfach angenommen, wenn es sich bei der beklagten Partei um eine Bank, eine Behörde oder ein großes Versicherungsunternehmen handelt (Nachweise in Rn. 15). Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte diese Erwartung nicht ebenfalls rechtfertigt. Anders als das Berufungsgericht meint, steht es der genannten Erwartung insbesondere nicht entgegen, dass eine erneute gerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten zur Durchsetzung der aus dem Feststellungsurteil resultierenden Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann, weil sich die Parteien bislang zur Frage der Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen nicht erklärt haben. Es ist nicht festgestellt und auch nicht vorgetragen, dass sich in der Vergangenheit Streitigkeiten hinsichtlich der Höhe der tariflichen Erstattungen ergeben hätten. Den Parteien geht es vielmehr allein darum, die Frage geklärt zu wissen, ob die Beklagte die Erstattungsanträge zu bearbeiten und Leistungen zu erbringen hat, obwohl sie vom Kläger nebst den zugehörigen Belegen weder auf dem Postweg noch in einem von der Beklagten freigegebenen elektronischen Antragsverfahren eingereicht worden sind. Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Senatsurteil vom 13. April 2022 (BGH, Urteil vom 13. April 2022 – IV ZR 60/20 –, Rn. 16). Der Senat hat dort ausgeführt, dass die Zulässigkeit der gegen einen Versicherer erhobenen Feststellungsklage nicht mit der Erwartung bejaht werden kann, dieser werde auf ein entsprechendes Feststellungsurteil seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, wenn er ausdrücklich die Zulässigkeit der Klage in Abrede stellt und die Ansprüche der Höhe nach bestreitet. Diese Erwägungen lassen sich nicht auf Fälle übertragen, in denen - wie hier - ein künftiger Streit der Parteien über die Anspruchshöhe lediglich nicht ausgeschlossen werden kann. Entscheidend ist nicht, ob eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte zur Durchsetzung des Anspruchs nur möglich erscheint, sondern ob bereits ersichtlich ist, dass der Streit der Parteien zu einem weiteren Prozess - einer Leistungsklage des Klägers - führen muss. Es kommt demnach nicht darauf an, ob die Anspruchshöhe offensichtlich und ohne konkrete Anknüpfungspunkte für eine abweichende Beurteilung feststeht. Entscheidend ist vielmehr, ob die beklagte Partei die Erwartung rechtfertigt, die gerichtliche Entscheidung auch ohne den Zwang der Rechtskraft anzuerkennen und zum Anlass von Maßnahmen zu nehmen, die im Interesse des Feststellungsklägers liegen. Der vom Berufungsgericht angeführte Umstand, dass angesichts der Komplexität der Berechnung der Forderungshöhe mit zahlreichen nach dem Tarif der Beklagten zu berücksichtigenden Faktoren, ein Streit der Parteien über die Höhe der Forderung nicht ausgeschlossen werden könne, spricht daher nicht gegen, sondern für die Anerkennung eines Feststellungsinteresses. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob die Erhebung einer Feststellungsklage gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts - wie hier - ein sachgerechter Weg ist, ist auch zu berücksichtigen, dass die Formulierung eines Leistungsantrags mit dem Ziel, ein vollstreckungsfähiges Urteil zu erwirken - gerade auch in der hier zu beurteilenden Konstellation -, gewisse Schwierigkeiten bereitet.
Dass zwischen den Parteien ein grundsätzliches Zerwürfnis bestünde, welches Zweifel an einer Beilegung des Streits der Parteien auch ohne einen auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitel begründen könnte, ist nicht festgestellt, von der Beklagten nicht eingewandt und im Übrigen auch nicht ersichtlich. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger gehe es nicht lediglich um eine schnelle und effektive Durchsetzung der Forderungen, beruht auf Spekulationen, welche die erforderlichen Feststellungen nicht ersetzen können. Soweit das Berufungsgericht seine Annahme damit begründet hat, dass der Kläger an der von der Beklagten beanstandeten Form einer Einreichung der Erstattungsanträge in Kenntnis deren Rechtsauffassung festgehalten hat, obwohl ein anderes, auf schnelle und effektive Durchsetzung der Forderung gerichtetes Vorgehen für ihn ohne nennenswerte Aufwendungen möglich gewesen wäre, hat es zudem aus dem Blick verloren, dass der Kläger gerade die Möglichkeit einer eigenen Berechnung der Forderungshöhe mangels Kenntnis des seiner Mutter nach Satzung und Tarif der Beklagten anzuwendenden Erstattungsbetrages in Abrede gestellt hat. Da mithin bereits der vom Berufungsgericht angenommene Vorrang der Leistungsklage vor der Feststellungsklage nicht besteht, kann das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse auch nicht mit der Begründung verneint werden, der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, im Wege einer Stufenklage sogleich auf Leistung zu klagen.
- Kontext der Entscheidung
Der Senat grenzt sich ausdrücklich – und bereits im Leitsatz - von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Bisher galt: Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm zwar regelmäßig das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Die auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig. Eine allgemeine Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage besteht aber nicht. Trotz möglicher Leistungsklage kann das Feststellungsinteresse bejaht werden, wenn schon ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil der Beklagte erwarten lässt, dass er bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten wird. So kann von einem beklagten Versicherer erwartet werden, dass er auf ein entsprechendes rechtskräftiges Feststellungsurteil hin seinen rechtlichen Schadensersatzverpflichtungen nachkommt, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf. Die genannte Erwartung ist aber nicht gerechtfertigt, wenn der Beklagte ausdrücklich die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Abrede stellt und die Ansprüche der Höhe nach bestreitet (BGH, Urteil vom 13. April 2022 – IV ZR 60/20 –, Rn. 16, mwN.). Dies soll nicht mehr generell gelten. Das Berufungsgericht hatte die Zulässigkeit der Feststellungsklage daran scheitern lassen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Rechtsstreit wegen der Höhe der etwaigen Forderungen fortgesetzt werde (Rn. 9). Dem tritt der IV. Zivilsenat entgegen: „Anders als das Berufungsgericht meint, steht es der genannten Erwartung insbesondere nicht entgegen, dass eine erneute gerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten zur Durchsetzung der aus dem Feststellungsurteil resultierenden Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann, weil sich die Parteien bislang zur Frage der Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen nicht erklärt haben.“ (BGH, Urteil vom 22. Mai 2024 – IV ZR 124/23 –, Rn. 16). Es komme demnach - anders als das Berufungsgericht meint - nicht darauf an, ob die Anspruchshöhe offensichtlich und ohne konkrete Anknüpfungspunkte für eine abweichende Beurteilung feststehe. Entscheidend sei vielmehr, ob die beklagte Partei die Erwartung rechtfertigt, die gerichtliche Entscheidung auch ohne den Zwang der Rechtskraft anzuerkennen und zum Anlass von Maßnahmen zu nehmen, die im Interesse des Feststellungsklägers liegen (BGH, Urteil vom 22. Mai 2024 – IV ZR 124/23 –, Rn. 18). Das Reichsgericht, dessen Urteil vom 13. Mai 1930 diese Gedanken teilweise wörtlich entnommen sind, hat hinzugefügt: „In besonderem Maße sind diese Grundsätze wohlwollender Auslegung des § 256 ZPO dann zur Anwendung gelangt, wenn dem Beamten als Feststellungskläger das Reich, der Staat oder eine sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts als Prozesspartei gegenüber stand.“ (RG, Urteil vom 13. Mai 1930 – III 291/29 –, RGZ 129, 31ff., 34). Daraus wird deutlich, dass ein Sonderrechtsverhältnis der Prozessparteien Voraussetzung für die „wohlwollende Auslegung“ des § 256 ZPO ist. Nur wenn ein solches Sonderrechtsverhältnis der Parteien vorliegt, kann es entscheidend darauf ankommen, „ob eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte zur Durchsetzung des Anspruchs nur möglich erscheint, sondern ob bereits ersichtlich ist, dass der Streit der Parteien zu einem weiteren Prozess - einer Leistungsklage des Klägers - führen muss.“ (BGH, Urteil vom 22. Mai 2024 – IV ZR 124/23 –, Rn. 17). Ist ein Versicherer Prozessgegner, kann ein zur Zulässigkeit der Feststellungsklage führendes Sonderrechtsverhältnis nur angenommen werden, wenn der Versicherungsnehmer seinen Versicherer in Anspruch nimmt. Machen dagegen Dritte Schadensersatzansprüche gegen dem Versicherungsnehmer, dem der Versicherer Deckung zu gewähren hat, geltend oder besteht ein Direktanspruch des Dritten gegen den Versicherer, ist die Feststellungsklage weiterhin nicht zulässig, wenn Grund und Höhe der klägerischen Forderung streitig sind.
- Auswirkungen für die Praxis
Grundsätzlich fehlt zwar das Feststellungsinteresse, wenn dasselbe Ziel mit einer Leistungsklage erreicht werden kann. Ein Kläger muss aber die Klage nicht in eine Leistungs- und Feststellungsklage aufspalten, wenn ein Schaden schon bei Klageerhebung entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Denn es besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungs- gegenüber der Leistungsklage. Deshalb ist auch dann, wenn die Möglichkeit einer Leistungsklage besteht, eine Feststellungsklage zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Feststellungsklage in vollem Umfang erhoben werden kann, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Daher ist der Kläger nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen lediglich einen Schadensteil in diesem Sinne dar (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 –, mwN.).
Zur sog. Schwarzgeldabrede
Ist ein Zivilgericht aufgrund von Indizien davon überzeugt, dass die Parteien eine sog. Ohne-Rechnung-Abrede getroffen haben, hat es die daraus folgende Nichtigkeit gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG auch dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn die Parteien übereinstimmend vortragen, eine solche Abrede habe es nicht gegeben.
OLG Hamm, Urteil vom 6. März 2024 – I-12 U 127/22
Der Beklagte beabsichtigte, den Garten seines Grundbesitzes umzugestalten. Nach einer gemeinsamen Besichtigung des Grundstücks erstellte der Kläger, der einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb betreibt, einen Kostenvorschlag über 16.645 €, der keine Mehrwertsteuer auswies, und übermittelte diesen per E-Mail dem Beklagten. Der Beklagte erklärte sich damit per WhatsApp einverstanden. Die Arbeiten wurden nicht fertiggestellt, die Zusammenarbeit der Parteien beendet. Der Kläger erstellte eine Schlussrechnung über 21.843 € inkl. 16 % MwSt., die der Beklagte nicht beglich. Stattdessen erklärte dieser den Widerruf des Vertrages und bot an, den von ihm selbst ermittelten noch offenen Betrag von 1.700 € zu zahlen. Der Kläger nahm darauf den Beklagten gerichtlich auf Zahlung des Rechnungsbetrags in Anspruch. Der Beklagte verlangte widerklagend die Rückzahlung von angeblich ohne Quittung geleisteten Barzahlungen von 10.000 €. Das Landgericht hat sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen. Die Parteien hätten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine sog. Ohne-Rechnung-Abrede getroffen, die nach § 134 BGB iVm. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG die Nichtigkeit des gesamten Vertrages zur Folge habe.
Die Berufungen beider Parteien haben keinen Erfolg. Wechselseitige Ansprüche bestehen nicht, weil der Vertrag nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG nichtig war. Der Kläger hat gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen, indem er bereits bei Vertragsschluss beabsichtigt hatte, für die vereinbarte Vergütung keine Umsatzsteuer zu verlangen und abzuführen. Der Beklagte hatte dies von Anfang an erkannt und bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt, indem er mit dem Beklagten ein um den Umsatzsteueranteil verringertes Entgelt vereinbart hat. Dies war ausreichend, um einen zur Nichtigkeit des Vertrages führenden Verstoß gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG anzunehmen. Zwar haben die Parteien übereinstimmend vorgetragen, sie hätten keine Ohne-Rechnung-Abrede getroffen, womit die Voraussetzungen einer Nichtigkeit nicht mehr vorlägen. Nach einer Auffassung ist ein Zivilgericht unter der Geltung des Beibringungsgrundsatzes an die Behauptung der Parteien gebunden. Nach anderer Auffassung ist ein Zivilgericht trotz des übereinstimmenden gegenteiligen Vorbringens der Parteien, es sei keine Absprache zum Zweck der Steuerverkürzung getroffen worden, nicht an dermaßen "unstreitiges" Vorbringen gebunden. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Ist ein Zivilgericht aufgrund von Indizien davon überzeugt, dass die Parteien eine sog. Ohne-Rechnung-Abrede getroffen haben, hat es die daraus folgende Nichtigkeit auch dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn die Parteien übereinstimmend vortragen, eine solche Abrede habe es nicht gegeben. Die Dispositionsmaxime des Zivilrechts findet in den Fällen ihre Grenze, in denen die Parteien gemeinsam vorsätzlich gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen. Die Folgen dieses Verstoßes können nicht durch übereinstimmenden wahrheitswidrigen Parteivortrag umgangen werden. Es ist den Parteien nicht möglich, die Folgen des Gesetzes mit Hilfe zivilprozessualer Vorschriften nachträglich zu umgehen, wenn ein Zivilgericht von den Tatsachen überzeugt ist, die einen Verstoß gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG begründen.
Die Schaffung des Schwarzarbeitstatbestandes des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG führt dazu, dass die Verstöße gegen steuerrechtliche Pflichten bereits ohne Weiteres zur Nichtigkeit des gesamten zugrundeliegenden Werkvertrages führen (BGH, Urteil vom 01.08.2013 - VII ZR 6/13, MDR 2013, 1216). Die Nichtigkeit des Vertrages ist grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen das SchwarzArbG muss nicht immer ausdrücklich vorgetragen werden. Eine Häufung von Indizien kann dazu Anlass geben, einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsverbot auch dann anzunehmen, wenn sich keine Partei auf eine solche Abrede beruft. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, wie es zu bewerten ist, wenn die Parteien übereinstimmend vortragen, dass sie keine Schwarzgeldabrede getroffen haben. Nach Auffassung des Kammergerichts ist das Gericht unter der Geltung des Beibringungsgrundsatzes hieran gebunden, auch wenn es deutliche Indizien für das Gegenteil gibt (KG, Urt. vom 8.08.2017 – 21 U 34/15 –, MDR 2017, 1412). Nach Auffassung des OLG Oldenburg ist ein Zivilgericht trotz des übereinstimmenden gegenteiligen Vorbringens der Parteien, es sei keine Absprache zum Zweck der Steuerverkürzung getroffen worden, nicht an dermaßen „unstreitiges“ Vorbringen gebunden (OLG Oldenburg, Urt. V. 30.10.1996 – 2 U 151/96 –, juris). Dem schließt sich das OLG Hammmit überzeugender Begründung an. Die Dispositionsmaxime des Zivilrechts muss in den Fällen ihre Grenze finden, in denen die Parteien - wie hier - gemeinsam vorsätzlich gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen. Die Folgen dieses Verstoßes können nicht durch übereinstimmenden wahrheitswidrigen Parteivortrag umgangen werden. Die Parteien können nicht die Folgen des Gesetzes mit Hilfe zivilprozessualer Vorschriften nachträglich umgehen. Damit wird nicht der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Zivilprozess angewandt und vom Beibringungsgrundsatz abgewichen. Vielmehr soll es den Parteien nicht ermöglicht werden, die Folgen des Gesetzes mit Hilfe zivilprozessualer Vorschriften nachträglich zu umgehen, wenn ein Zivilgericht von den Tatsachen überzeugt ist, die einen Verstoß gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG begründen. Wer bewusst das im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz enthaltene Verbot missachtet, soll nach der Intention des Gesetzgebers schutzlos bleiben und veranlasst werden, das verbotene Geschäft nicht abzuschließen (BGH, Urt. v. 11.06.2015 - VII ZR 216/14, MDR 2015, 823). Dieses Ziel würde nicht ausreichend erreicht, wenn es in der Hand der Parteien läge, nachträglich durch offensichtlich wahrheitswidrigen Prozessvortrag die Nichtigkeitsfolgen ihres Vertrages zu umgehen. Letztlich zieht die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO dem Beibringungsgrundsatz eine letzte Grenze (Voit NJW 2017, 3792).
BGH: Identitätserfordernis beim beA-Versand
Ein elektronisches Dokument, das aus einem persönlich zugeordnetem beA (vgl. § 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt.
BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 – VI ZB 22/23
- Problemstellung
Mit den nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestehenden Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments hatte sich der VI. Zivilsenat zu befassen.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das die Klage teilweise abweisende Urteil des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, RA L., am 8. November 2022 zugestellt worden. Am 24. November 2022 ist aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des RA L. Berufung beim OLG eingelegt und diese mit am 14. Dezember 2022 wiederum vom beA des RA L. aus versandtem Schriftsatz begründet worden. Beide Schriftsätze waren nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern lediglich mit einer einfachen Signatur (maschinenschriftliche Namensangabe und grafische Wiedergabe der handschriftlichen Unterschrift) von RAin W. versehen, die nach den Angaben im Briefkopf angestellte Rechtsanwältin in der Kanzlei des RA L. ist. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen. Die innerhalb der Berufungsfrist elektronisch eingegangene Berufung sei nicht formwirksam eingelegt, da sie nicht den Anforderungen des § 130a ZPO entsprochen habe. Denn die Berufungsschrift sei weder qualifiziert elektronisch signiert noch von dem elektronischen Anwaltspostfach der verantwortenden Person versandt worden. Das gelte auch für die Berufungsbegründung vom 14. Dezember 2022.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die elektronische Einreichung der Berufungsschrift am 24. November 2022 nicht den Anforderungen des § 130a ZPO entsprach, so dass die Klägerin die am 8. Dezember 2022 abgelaufene einmonatige Berufungsfrist versäumt hat. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein beA nach den §§ 31a und 31b BRAO (§ 130 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO), einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht. Ein elektronisches Dokument, das - wie hier die Berufungsschrift - aus einem persönlich zugeordnetem beA (vgl. § 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt.
Nach diesen Grundsätzen ist die elektronisch übermittelte Berufungsschrift nicht formgerecht eingereicht worden. RAin W. hat das Dokument nicht mit einer qualifizierten, sondern nur mit einer einfachen elektronischen Signatur versehen. Dies genügte trotz der Übermittlung des Dokuments über ein beA den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO nicht, weil als Absender des Dokuments der Inhaber des beA - RA L. - und nicht die ausweislich der einfachen Signatur das Dokument verantwortende Person - RAin W. - ausgewiesen war. Allein aufgrund der Tatsache, dass das Dokument über das beA von RA L. übermittelt wurde, kann nach der Regelungssystematik des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht davon ausgegangen werden, dass er das Dokument nicht nur übermitteln, sondern auch die Verantwortung für seinen Inhalt übernehmen wollte, auch wenn er zur Vertretung der Klägerin berechtigt war. Von der auch bei einfacher Signatur durch einen anderen Rechtsanwalt bestehenden Möglichkeit, die Übernahme der Verantwortung für den Inhalt des über sein beA übermittelten elektronischen Dokuments durch Anbringung seiner eigenen elektronischen Signatur zum Ausdruck zu bringen, hat RA L. keinen Gebrauch gemacht.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auf die Erfüllung der nach § 130a ZPO bestehenden Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht deshalb verzichtet werden, weil sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschriftsleistung vergleichbare Gewähr für die Identifizierung des Urhebers der Verfahrenshandlung und dessen unbedingten Willen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen, ergeben würde. Entsprechende Umstände liegen hier nicht vor. Soweit die Klägerin darauf verweist, aus dem bisherigen Prozessverlauf sei klar zu erkennen, dass RAin W. die Verantwortung für die Berufungsschrift übernehmen wollte, mag RAin W. zwar durchgehend als alleinige Sachbearbeiterin in Erscheinung getreten sein. Damit steht hinsichtlich der Berufungsschrift angesichts deren Übermittlung über das beA von RA L. aber nicht zweifelsfrei fest, dass die Einreichung dieses Dokuments ihrem unbedingten Willen entsprach. Im Hinblick auf RA L. bietet der Umstand, dass er im Briefkopf der Berufungsschrift als Kanzleiinhaber und RAin W. als seine Angestellte ausgewiesen ist, keine der Unterschrift bzw. der sie gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO ersetzenden elektronischen Signatur vergleichbare Gewähr dafür, dass er die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernehmen wollte.
- Kontext der Entscheidung
§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass Rechtsanwälte die in 130d ZPO angeordnete Nutzungspflicht bei der Übermittlung elektronischer Dokumente auf zwei Wegen erfüllen können: einmal kann das Dokument mit der qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) der verantwortenden Person versehen werden, zum andern reicht die einfache Signatur (= Unterschrift) der verantwortenden Person aus, wenn das Dokument auf einem sicheren Übertragungsweg eingereicht wird. Die qeS hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21). Bei der einfachen Signatur ( = Unterschrift) ist die Authentizität des Absenders dadurch sichergestellt, dass die Bundesrechtsanwaltskammer nach § 31a Abs. 3 Satz 1 BRAP für jedes Kammermitglied nach Überprüfung der Zulassung ein elektronisches Postfach führt, zu dem das Mitglied nur mittels Chipkarte und PIN Zugang erhält (Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130d Rn. 14). Neben diesen beiden „reinen“ Übermittlungsformen ist eine Mischung aus beiden zulässig, wie der BGH ebenfalls bereits entschieden hat (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23). Dort hatte der Verfasser des Schriftsatzes nur einfach signiert, d. h. durch maschenschriftliche Einfügung seines Namens mit dem Zusatz Rechtsanwalt unterzeichnet, während die Übermittlung durch einen anderen Sozietätsangehörigen in der Art erfolgt ist, dass dieser die – nicht von ihm stammende – Berufungsbegründung qualifiziert signiert und aus seinem beA an das Berufungsgericht übermittelt hat. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für" seinen Partner tätig zu werden, fehlt, lässt sich der Unterzeichnung durch einen anderen Rechtsanwalt gleichwohl entnehmen, dass er an dessen Stelle die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats auftreten wollte, wie der BGH bereits für eine in Papierform eingereichte Berufungsschrift entschieden hat (BGH, Beschluss vom 14. März 2017 – XI ZB 16/16). Der dahinterstehende Gedanke, dass es sich für einen Rechtsanwalt im Zweifel von selbst versteht, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden, gilt genauso für elektronisch übermittelte. Auch insoweit bedarf es daher keines klarstellenden Zusatzes eines Vertretungsverhältnisses, insbesondere nicht der Verwendung des Worts "für". Noch nicht endgültig geklärt ist, ob für die einfache Signatur die Angabe „Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwältin“ ohne Angabe des Nachnamens ausreicht, wenn eine Identifizierung der verantwortlichen Person aus anderen Gründen möglich ist. Der BGH hat das für die Bezeichnung „Rechtsanwältin“ ohne weitere Namensangabe verneint, weil sich allein mit dieser Bezeichnung der Schriftsatz keiner bestimmten Person zuordnen lasse, die Verantwortung für seinen Inhalt übernommen hat. Eine eindeutige Zuordnung werde auch nicht dadurch hergestellt, dass im Briefkopf der Kanzlei nur eine einzige Rechtsanwältin neben anderen männlichen Rechtsanwälten aufgeführt ist. Denn dies schließe nicht aus, dass eine im Briefkopf nicht aufgeführte Rechtsanwältin die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22). Demgegenüber ist das BAG der Auffassung, dass bei einem nach dem Briefkopf als solchen ausgewiesene Einzelanwalt zu dessen Identifizierung regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit "Rechtsanwalt" ausreicht. Hierdurch werde ohne weiteres erkennbar, dass der Kanzleiinhaber Urheber der schriftlichen Prozesshandlung ist und die inhaltliche Verantwortung für das betreffende Dokument übernimmt (BAG, Beschluss vom 25. August 2022 – 2 AZN 234/22). Dem sichersten Weg entspricht es daher, stets den Nachnamen der verantwortlichen Person als Signatur zu verwenden, zumal Bedenken gegen die Auffassung des BAG bestehen (Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130a Rn. 12).
- Auswirkungen für die Praxis
Erstaunlicherweise geht der BGH nicht auf eine mögliche Wiedereinsetzung der Klägerin gegen den Ablauf der Berufungsfrist ein, die unter den Voraussetzungen des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch von Amts wegen gewährt werden kann. Zwischen dem Ablauf der Berufungsfrist und dem Eingang der unwirksamen Berufung beim OLG lagen hier 14 Tage. Eine Partei darf darauf vertrauen, dass der beim unzuständigen Gericht eingereichte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird, wenn dieser Schriftsatz so frühzeitig eingegangen ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann. Kommt das angerufene Gericht dem nicht nach, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (BGH, Beschl. v. 19.12.2012 - XII ZB 61/12 Rn. 9). Voraussetzung ist aber, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht nicht mehr im ordentlichen Geschäftsgang erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 15.06.2011 - XII ZB 468/10 Rn. 13). Das gilt auch deswegen, weil die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit erfordert (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17.01.2006 - 1 BvR 2558/05). Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs ist üblicherweise damit zu rechnen, dass ein an eine zentrale gerichtliche Annahmestelle gesandter Schriftsatz am nächsten Werktag auf der zuständigen Geschäftsstelle eingeht und dem zuständigen Richter an dem darauffolgenden Werktag vorgelegt wird (BGH, Beschl. v. 20.04.2023 - I ZB 83/22 Rn. 18). Reicht eine Partei eine Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Ausgangsgericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht am darauffolgenden Werktag ausführt (BGH, Beschl. v. 20.04.2023 - I ZB 83/22 Rn. 22). Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – I ZB 42/22). Diese Grundsätze sind auf den hier vorliegenden Fall übertragbar, dass die beim richtigen Gericht eingereichte Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß signiert ist. Jedoch ist das Berufungsgericht, wenn eine nicht auf dem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereichte Berufung nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, entsprechend den Grundsätzen über das Fehlen der Unterschrift lediglich im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs verpflichtet, die Partei darauf hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler vor Ablauf der Berufungsfrist zu beheben. Eine generelle Verpflichtung des Gerichts, die Formalien des als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, besteht nicht. Die Verpflichtung des Gerichts aus § 130a Abs. 6 ZPO, dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen, dass ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet ist, gilt für Signaturfehler nicht (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2023 – V ZB 28/22 Rn. 19).
BGH: Zulassung der Revision durch Einzelrichter
Der Einzelrichter, dem vom vollbesetzten Berufungsgericht ein Rechtsstreit gemäß § 526 Abs. 1 ZPO als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist, muss den Rechtsstreit nach § 526 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen, wenn sich die aus seiner Sicht gegebene grundsätzliche Bedeutung aus einer - nach der Übertragung auf ihn eingetretenen - wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt.
Grundsätzliche Bedeutung und damit ein Rückübertragungsgrund ist in einem weiten Sinn zu verstehen und erfasst jeden Revisionszulassungsgrund iSv. § 543 Abs. 2 ZPO und daher auch die Fälle der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
BGH, Urteil vom 25. April 2024 – VII ZR 109/23
- Problemstellung
Ob der Einzelrichter, dem vom vollbesetzten Berufungsgericht ein Rechtsstreit gemäß § 526 Abs. 1 ZPO als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zulassen darf, hatte der VII. Zivilsenat – erneut (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 297/21) - zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte hatte die Klägerin mit Betonbauarbeiten für einen Parkplatz unter Einbeziehung der VOB/B beauftragt. Nachdem die Beklagte Abschlagsrechnungen der Klägerin nicht bezahlte, forderte diese die Beklagte zur Leistung einer Sicherheit auf. Die Beklagte erbrachte die geforderte Sicherheit nicht, weshalb die Klägerin den Vertrag kündigte. In der Folgezeit stellte die Klägerin zwei Schlussrechnungen. Die erste Schlussrechnung vom 13. Dezember 2018 bezog sich auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen und endete mit einem Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe von 58.146,86 €. Unter dem 10. Januar 2019 erstellte die Klägerin eine weitere Schlussrechnung hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen. Diese Schlussrechnung endet mit einem Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe von 55.342,96 €. Aus der Schlussrechnung ergibt sich, dass die Klägerin die noch durchzuführenden Arbeiten unter Einbeziehung eines Nachunternehmers durchführen wollte. Mit ihrer Klage hat die Klägerin erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 113.467,93 € begehrt. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der ersten Schlussrechnung für erbrachte Leistungen in Höhe von 45.741,32 € stattgegeben. Hinsichtlich der zweiten Schlussrechnung über nicht erbrachte Leistungen hat das Landgericht zugunsten der Klägerin 14.741,71 € "gemäß der 5 %-Vermutungsregel nach § 648a Abs. 5 S. 3 BGB a.F." ausgeurteilt. Der Klägerin könne keine Vergütung anhand einer konkreten Abrechnung für den Einsatz eines Nachunternehmers gewährt werden, da ein solcher Einsatz nach § 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 2 VOB/B schriftlich von der Beklagten hätte genehmigt werden müssen, eine solche Genehmigung aber nicht vorgelegen habe.
Gegen das landgerichtliche Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, und zwar allein insoweit, als das Landgericht der Klage aus der zweiten Schlussrechnung nicht in Höhe von weiteren 28.050,99 € nebst Zinsen stattgegeben hat. Das Berufungsgericht hat den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hat hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob die Klägerin die Differenz zwischen dem Vertragspreis und etwaigen ersparten Nachunternehmerkosten auch dann in die Abrechnung der zweiten Schlussrechnung einstellen könne, wenn sie für den Einsatz entgegen § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B keine Genehmigung haben sollte, auf das Urteil des OLG Celle vom 14. Februar 2007 hingewiesen (OLG Celle, Urteil vom 14. Februar 2007 – 7 U 165/06 –, Rn. 51 f.). Aus dieser Entscheidung, die von der Literatur zustimmend aufgegriffen worden sei, ergebe sich, dass im Rahmen der Abrechnung § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B außer Betracht bleiben müsse. In ihrer Stellungnahme zu diesem Hinweis hat die Beklagte auf das Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 10. November 2022 hingewiesen, aus welchem folge, dass der Auftragnehmer bei der Berechnung ersparter Aufwendungen nicht auf die Weitergabe des Auftrags an einen Nachunternehmer abstellen könne, wenn die Übertragung der Leistung von der Zustimmung des Auftraggebers abhängig sei (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. November 2022 – 12 U 69/22). Mit Verfügung vom 3. März 2023 hat sich der Einzelrichter des Berufungsgerichts für den Hinweis bedankt und erklärt, das Urteil des OLG Brandenburg sei bislang nicht bekannt gewesen. In der Folgezeit hat der Einzelrichter des Berufungsgerichts den Rechtsstreit nicht dem vollbesetzten Senat zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte verurteilt, hinsichtlich der zweiten Schlussrechnung vom 10. Januar 2019 weitere 28.050,99 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Klägerin habe ihre Berechnung in der zweiten Schlussrechnung darauf aufbauen dürfen, dass die von ihr infolge der Kündigung nicht mehr zu erbringenden Werkleistungen durch einen Nachunternehmer ausgeführt worden wären. Dieser Vorgehensweise stehe nicht entgegen, dass der Klägerin für den Einsatz ihres Nachunternehmers entgegen § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B keine schriftliche Zustimmung der Beklagten vorgelegen habe. Zwar sei der Nachunternehmereinsatz durch die Beklagte nicht genehmigt gewesen, dies führe aber nicht zu Nachteilen bei der Kündigungsabrechnung. Es fehle an Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte bei Fortführung des Vertrags von der ihr zustehenden Möglichkeit, den Nachunternehmereinsatz nicht zu genehmigen und der Klägerin wegen eines gleichwohl durchgeführten Nachunternehmereinsatzes zu kündigen, Gebrauch gemacht hätte. Die Revision sei zuzulassen. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die entscheidungserhebliche Frage, ob die Vergütung wegen nicht erbrachter Leistungen auf der Grundlage eines Nachunternehmereinsatzes kalkuliert werden könne, wenn einem solchen nicht von Seiten des Bestellers zugestimmt worden sei, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt und werde in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantwortet.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Erlass des Berufungsurteils durch den Einzelrichter verletzt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das vollbesetzte Berufungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Mai 2022 gemäß § 526 Abs. 1 ZPO einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Der so ermächtigte Einzelrichter ist zur Entscheidung über die Berufung auch dann befugt, wenn er abweichend von der Mehrheit des Kollegiums (vgl. § 526 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) von vornherein die grundsätzliche Bedeutung der Sache angenommen hat. Er kann deshalb auch ohne Verfahrensverstoß die Revision zulassen. Der Einzelrichter muss den Rechtsstreit jedoch nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen, wenn sich die aus seiner Sicht gegebene grundsätzliche Bedeutung aus einer - nach der Übertragung auf ihn eingetretenen - wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt. Mit der Regelung des § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO soll es einem Berufungsgericht ermöglicht werden, einer sich veränderten Prozesssituation Rechnung zu tragen und eine sich im Nachhinein als unzutreffend erweisende Prognoseentscheidung bei der Einzelrichterübertragung durch eine Zurückübertragung zu korrigieren. Grundsätzliche Bedeutung und damit ein Rückübertragungsgrund ist deshalb in einem weiten Sinn zu verstehen und erfasst jeden Revisionszulassungsgrund im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO und daher auch die Fälle der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Diese Vorlagepflicht hat der Einzelrichter im Streitfall nicht beachtet. Er hat die Divergenz der Rechtsprechung des OLG Celle und des OLG Brandenburg als zulassungsrelevant angesehen. Diese Divergenz begründet den Revisionszulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO. Dieser Revisionszulassungsgrund ergab sich erst nach der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter mit Beschluss vom 24. Mai 2022, da das OLG Brandenburg sein, die Divergenz zum OLG Celle begründendes, Urteil am 10. November 2022 verkündete. Damit trat aus der maßgeblichen Sicht des Einzelrichters eine wesentliche Änderung der Prozesslage iSv. § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ein. Durch die Nichtbeachtung der Vorlagepflicht gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat der Einzelrichter die erneute Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Gleiches gilt für die Entscheidung in der Sache, da aus der Sicht des Einzelrichters eine Übernahme des Rechtsstreits durch das Kollegium gemäß § 526 Abs. 2 Satz 2 ZPO geboten gewesen wäre. Das Vorgehen des Einzelrichters stellt sich angesichts der widersprüchlichen gleichzeitigen Bejahung und (impliziten) Verneinung der Grundsatzbedeutung als objektiv willkürlich dar und verletzt daher das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Entscheidet der Einzelrichter - wie hier - unbefugt allein, ist der absolute Revisionsgrund der fehlerhaften Gerichtsbesetzung gemäß § 547 Nr. 1 ZPO gegeben. Das Berufungsurteil ist ohne Sachprüfung im Umfang seiner Anfechtung aufzuheben und die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht (Einzelrichter) zurückzuverweisen.
- Kontext der Entscheidung
Überträgt das vollbesetzte Berufungsgericht einen Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung, kann der so ermächtigte Einzelrichter, der zur Entscheidung über die Berufung auch dann befugt ist, wenn er abweichend von der Mehrheit des Kollegiums (vgl. § 526 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) von vornherein die grundsätzliche Bedeutung der Sache angenommen hat, ohne Verfahrensverstoß die Revision zulassen (BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 290/11 –, Rn. 11). Der Einzelrichter muss den Rechtsstreit jedoch nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen, wenn sich die aus seiner Sicht gegebene grundsätzliche Bedeutung aus einer - nach der Übertragung auf ihn eingetretenen - wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt (BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 297/21 –, Rn. 13). Anders ist die Rechtslage, wenn im Beschwerdeverfahren ein originärer Einzelrichter entscheidet. Das Beschwerdegericht entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (§ 568 Satz 1 ZPO). Im Beschwerdeverfahren hat der originäre Einzelrichter in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung das Verfahren auf die Kammer zu übertragen (§ 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Allein dieser Spruchkörper ist befugt darüber zu befinden, ob eine Sache grundsätzliche Bedeutung hat und deswegen die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist (BGH, Beschluss vom 10. November 2003 – II ZB 14/02). Fehlt es an einem Übertragungsbeschluss des originären Einzelrichters auf das Kollegium, ist eine Zulassung der Revision durch den vollbesetzten Spruchkörper verfahrensfehlerhaft, weil im Beschwerdeverfahren die Zivilkammer nicht befugt ist, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – VIII ZB 75/23).
- Auswirkungen für die Praxis
Der BGH gibt keinen Hinweis darauf, ob er der Rechtsauffassung des OLG Celle (OLG Celle, Urteil vom 14. Februar 2007 – 7 U 165/06) oder der des OLG Brandenburg (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. November 2022 – 12 U 69/22) zuneigt. Die gegen das Urteil des OLG Celle eingelegte Revision ist zurückgenommen worden (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2007 – VII ZR 38/07). Das OLG Brandenburg weist darauf hin, dass Werkverträge in aller Regel betriebsbezogen sind, so dass der Unternehmer die geschuldete Leistung grundsätzlich durch seinen eigenen Betrieb zu erbringen hat, dem das Vertrauen des Bestellers gilt. Diesen hat er personell und sachlich so zu organisieren, dass er den Anforderungen der geschuldeten Leistung gewachsen ist. Die Einschaltung von Subunternehmern bedarf i.d.R. der Gestattung durch den Besteller, es sei denn, dass der Unternehmer auf Leistungen dieser Art nicht eingerichtet ist und auch nicht eingerichtet zu sein braucht (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. November 2022 – 12 U 69/22 –, Rn. 25). Daher dürfe bei der Berechnung der ersparten Aufwendungen nicht auf die vertragswidrige Weitergabe des Auftrags an die Subunternehmerin abgestellt werden (aaO. Rn. 28). Demgegenüber betont das OLG Celle, dass die Weitergabe eines Auftrags an Subunternehmer, häufig auch mehrstufig (sog. Subunternehmerketten), im Baugewerbe üblich sei, insbesondere auch bei Großaufträgen (OLG Celle, Urteil vom 14. Februar 2007 – 7 U 165/06 –, Rn. 28). Der Einwand des Auftraggebers, der Auftragnehmer könne die Differenz zwischen dem ihm versprochenen Werklohn und dem Nachunternehmerwerklohn als entgangenen Gewinn deshalb nicht beanspruchen, weil dann der Verstoß gegen die Eigenleistungspflicht nicht sanktioniert würde, greift nach Auffassung des OLG Celle daher nicht durch (aaO. Rn. 51). Dem ist entgegengehalten worden, dass die Annahme des OLG Celle, die Offenbarungspflicht gemäß § 4 Nr. 8 VOB/B komme nur noch ausnahmsweise in Betracht kommt, fraglich sei. Eine derartige Übung habe sich im Baugewerbe noch nicht eingestellt (Praun, jurisPR-PrivBauR 12/2007 Anm. 2). Diese Anmerkung stammt allerdings aus dem Jahre 2017 und dürfte in diesem Punkt überholt sein. Das Kammergericht als Vorinstanz der besprochenen Entscheidung hat sich auch dem OLG Celle angeschlossen.
BGH: Vollmachtsnachweis gem. § 80 ZPO
Gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Wurde die Prozessvollmacht nicht unmittelbar von der Partei bzw. deren gesetzlichem Vertreter erteilt, muss die Vollmachtkette lückenlos in der Form des § 80 ZPO nachgewiesen werden. Dabei muss grundsätzlich auch die behauptete Generalvollmacht eines Bevollmächtigten zu den Gerichtsakten gegeben werden. Der Nachweis der schriftlichen Vollmacht kann nur durch Einreichung der Originalurkunde - gegebenenfalls in beglaubigter Form - geführt werden, die Vorlage von Kopien oder ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art genügen nicht.
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2024 – VI ZB 88/21
- Problemstellung
Da Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege besonderes Vertrauen genießen, darf sich das Gericht, nicht zuletzt im Interesse der Verfahrensvereinfachung, grundsätzlich auf ihre Erklärung verlassen, ihnen sei Verfahrensvollmacht erteilt worden (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 – V ZB 24/12 -, Rn. 10, mwN.). Den Mangel der Vollmacht hat das Gericht daher von Amts wegen nur zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (§ 88 Abs. 2 ZPO). Der Gegner kann jedoch den Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreits rügen (§ 88 Abs. 1 ZPO). In welcher Form eine Vollmachtskette nachzuweisen ist, hatte der VI. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, die von den Beklagten Schadensersatz wegen angeblich wahrheitswidriger Tatsachenbehauptungen und Falschaussagen in mehreren Vorverfahren begehrt, ist eine vermögenslose Gesellschaft portugiesischen Rechts mit Sitz auf der Insel Madeira. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch die Rechtsanwälte H., Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist hat sich Rechtsanwalt Dr. W. ebenfalls für die Klägerin bestellt und die Berufung mit Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Das Berufungsgericht hat die Klägerin gebeten mitzuteilen, durch wen sie gesetzlich vertreten wird und ihr eine Frist zur Vorlage der Prozessvollmachten für Rechtsanwalt Dr. W. und die Rechtsanwälte H. gesetzt. Diese haben daraufhin eine Fotokopie einer Vollmachtsurkunde vom 14. Dezember 2012 mit der Klägerin sowie deren damaligem Geschäftsführer V. als Vollmachtgebern und Rechtsanwalt Dr. W. und dessen Vater als - einzeln - Bevollmächtigten übersandt, die u.a. die Vertretung der Vollmachtgeber gegenüber Behörden, einschließlich Finanzbehörden und Gerichten umfasst, sowie eine Fotokopie einer Vollmachtsurkunde vom 30. September 2020, ausgestellt von Rechtsanwalt Dr. W. als Vertreter der Klägerin, mit der die Rechtsanwälte H. zur Prozessführung im anhängigen Verfahren bevollmächtigt werden. Das Berufungsgericht hat sodann Rechtsanwalt Dr. W. und die Rechtsanwälte H. unter Fristsetzung für die Beibringung der Genehmigung der Prozessführung gegen Sicherheitsleistung einstweilen zur Prozessführung zugelassen und darauf hingewiesen, die Erteilung wirksamer Prozessvollmachten habe mit den vorgelegten Schriftstücken nicht nachgewiesen werden können. Die - fotokopierte - Urkunde vom 14. Dezember 2012 stelle keine Prozessvollmacht (für Rechtsanwalt Dr. W) dar, da sie keinen konkreten Rechtsstreit bezeichne und die Führung eines Anwaltsprozesses nicht umfasse. Die Erteilung der Prozessvollmacht für die Rechtsanwälte H. durch Dr. W aufgrund der Generalvollmacht vom 14. Dezember 2012 sei unwirksam, da den Rechtsanwälten H. habe bewusst sein müssen, dass diese Vollmacht von Dr. W missbraucht worden sei, um einen weiteren, von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit gegen die Beklagten auf Kosten der offensichtlich vermögenslosen Klägerin und damit letztlich auch des Prozessgegners zu führen. Nachdem in der Folge Rechtsanwalt Dr. W. lediglich zwei von ihm selbst als "Generalbevollmächtigter" der Klägerin auf die Rechtsanwälte H. ausgestellte Prozessvollmachten im Original übersandt hatte, hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Eine wirksame Bevollmächtigung gemäß § 80 ZPO sei nicht nachgewiesen, die Prozessführung nicht genehmigt und die festgesetzte Sicherheit nicht geleistet worden.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil ein vollmachtloser Vertreter sie eingelegt hat und die Einlegung durch die Klägerin auch nicht genehmigt worden ist. Zwar hat die Klägerin das Original einer schriftlichen Bestätigung der nach ihrem Vortrag zunächst mündlich von Rechtsanwalt Dr. W. erteilten Prozessvollmacht vorgelegt, welche dieser im Rahmen seiner Generalvollmacht vom 14. Dezember 2012 für die Klägerin dem als Rechtsanwalt beim BGH zugelassenen Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. S. für die dritte Instanz erteilt habe. Auf den Hinweis des Senats, dass auch die Vollmacht vom 14. Dezember 2012 im Original vorzulegen sei, hat Prof. Dr. S. mitgeteilt, die der Erteilung der Prozessvollmacht zugrundeliegende Generalvollmacht der Klägerin für Dr. W. sei nicht mehr auffindbar. Es sei nur eine Kopie dieser Vollmacht gefunden worden. Auf dieser habe der damalige Geschäftsführer der Klägerin seine damals geleistete Unterschrift nunmehr wiederholt. Die Klägerin hat den Nachweis der Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten in dritter Instanz bereits nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erbracht, nachdem das Vorliegen einer wirksamen Prozessbevollmächtigung durch den Gegner gerügt worden und daher vom Senat zu prüfen ist.
Gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Wurde die Prozessvollmacht nicht unmittelbar von der Partei bzw. deren gesetzlichem Vertreter erteilt, muss die Vollmachtkette lückenlos in der Form des § 80 ZPO nachgewiesen werden. Dabei muss grundsätzlich auch die behauptete Generalvollmacht eines Bevollmächtigten zu den Gerichtsakten gegeben werden. Der Nachweis der schriftlichen Vollmacht kann nur durch Einreichung der Originalurkunde - gegebenenfalls in beglaubigter Form (§§ 415, 435 ZPO) - geführt werden, die Vorlage von Kopien oder ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art genügen nicht. Diesen Anforderungen entsprechen die zum Nachweis der Prozessvollmacht von RA Prof. Dr. S. für das Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht. Zwar liegt die Vollmacht, die ihm von RA Dr. W. erteilt wurde, im Original vor. Die für die Klägerin wirkende Vertretungsmacht des Dr. W., die im Rechtsbeschwerdeverfahren allein auf eine vom damaligen Geschäftsführer der Klägerin ausgestellte Vollmacht vom 14. Dezember 2012 gestützt wird, ist jedoch nicht in der von § 80 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Form durch Vorlage der Originalurkunde nachgewiesen worden. Die eingereichte weitere Kopie der Vollmachtsurkunde vom 14. Dezember 2012 genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Daran ändert die nachträglich auf der Kopie aufgebrachte und von einem portugiesischen Rechtsanwalt bestätigte Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Klägerin nichts. Ebenso wie die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, ein der Kopie zu Grunde liegendes Original unterzeichnet zu haben, führt auch die spätere schriftliche Bestätigung einer nur als Fotokopie vorliegenden Vollmachtsurkunde nicht dazu, dass diese als Originalurkunde anzusehen ist. Zwar kann die Bestätigung unter Umständen als Genehmigung im Sinne des § 89 ZPO gewürdigt werden, jedoch müssen hierfür dessen Voraussetzungen erfüllt sein. Hieran fehlt es jedoch, da der die Kopie der Vollmacht vom 14. Dezember 2012 bestätigende V. zum Zeitpunkt der Bestätigung nicht mehr Geschäftsführer der Klägerin war und daher keine diese bindenden Erklärungen abgeben konnte. Eine Genehmigung der Prozessführung durch den derzeitigen gesetzlichen Vertreter der Klägerin ist nicht erfolgt.
- Kontext der Entscheidung
Der Mangel der Vollmacht kann von dem Gegner in jeder Lage des Verfahrens gerügt werden (§ 88 Abs. 1 ZPO). Der Gegner hat auf diese Rüge die Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen und diese zu den Gerichtsakten abzugeben (§ 80 Abs. 1 ZPO). Der Nachweis der schriftlichen Vollmacht kann nur durch Einreichung der Originalurkunde - gegebenenfalls in beglaubigter Form (§ 80 Abs. 2 ZPO) - geführt werden, ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art genügt nicht. An einer solchen zweifelsfreien Feststellung der Bevollmächtigung besteht ein öffentliches Interesse und ein Interesse des Prozessgegners. Durch schriftliche Vollmacht nachzuweisen sind gegebenenfalls Haupt- und Untervollmacht (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2006 – III ZB 50/05 –, Rn. 9, mwN.). Zum Nachweis der Bevollmächtigung gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist das Original der Vollmachtsurkunde vorzulegen. Schriftstücke, die lediglich einen durch technische Übertragungsverfahren hergestellten Abdruck der Originalurkunde enthalten, reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art (BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2019 – IX ZR 37/19 –, Rn. 3, mwN.). Auch elektronische Übermittlung genügt trotz Transfer-Vermerk nicht (Althammer in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 80 Rn. 8). Ebenso wie die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, ein der Kopie zu Grunde liegendes Original unterzeichnet zu haben (BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2019 - IX ZR 37/19, Rn. 2 f.), führt auch die spätere schriftliche Bestätigung einer nur als Fotokopie vorliegenden Vollmachtsurkunde nicht dazu, dass diese als Originalurkunde anzusehen ist. Zwar kann die Bestätigung unter Umständen als Genehmigung iSd. § 89 ZPO gewürdigt werden, jedoch müssen hierfür dessen Voraussetzungen erfüllt sein (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2024 – VI ZB 16/22 –, Rn. 10). Genehmigt der Berechtigte, wird dadurch der Verfahrensmangel der nicht ordnungsgemäßen Vertretung von Anfang an geheilt (§ 89 Abs. 2 ZPO). Wegen ihrer Rückwirkung braucht die Genehmigung nicht innerhalb der Frist erklärt zu werden, die für die genehmigte Verfahrenshandlung gilt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 – X ZB 11/92 –,Rn. 12).
- Auswirkungen für die Praxis
Bei einer fehlenden wirksamen Bevollmächtigung sind die Prozesskosten grundsätzlich dem aufzuerlegen, der den nutzlosen Verfahrensaufwand veranlasst hat (sog. Veranlasserprinzip). Dies kann auch der vollmachtlose Vertreter sein. Er kommt als Veranlasser in der Regel dann in Betracht, wenn er den Mangel der Vollmacht kennt (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 – III ZB 60/16 –, Rn. 10, mwN.). Der VI. Zivilsenat hat aber die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Klägerin – und nicht ihrem Prozessbevollmächtigten – auferlegt. Denn der damalige Geschäftsführer der Klägerin hat bestätigt, dass er die - in Kopie vorgelegte - Vollmacht vom 14. Dezember 2012 für Rechtsanwalt Dr. W ausgestellt hat. Auch wenn dies zum Nachweis der Vollmacht in der von § 80 ZPO vorgeschriebenen Form nicht genügt, könne vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin die in ihrem Namen erfolgte Erteilung der Prozessvollmacht und die Einlegung der Rechtsbeschwerde (mit) veranlasst hat. Zudem könne nicht angenommen werden, dass der beim BGH zugelassene anwaltliche Vertreter der Klägerin oder Rechtsanwalt Dr. W bezüglich der Einlegung der vorliegenden Rechtbeschwerde im Bewusstsein des Fehlens einer wirksamen Vollmacht gehandelt hätten. Insoweit genügt es hier nicht, dass der Nachweis der Vollmacht nicht gemäß § 80 ZPO durch Vorlage des Originals der Bevollmächtigung von Dr. W vom 14. Dezember 2012 geführt werden konnte. Daraus lässt sich angesichts der vorhandenen Kopie nicht auf eine Kenntnis davon schließen, dass eine wirksame Bevollmächtigung von Rechtsanwalt Dr. W zur Erteilung einer Prozessvollmacht für die Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stattgefunden hatte (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2024 – VI ZB 88/21 –, Rn. 11).
BGH: Provisionsverbot beim Anwaltsvertrag
Vermittelt ein Dritter einem Rechtsanwalt den Auftrag eines Mandanten zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung und lässt er sich für die Leistung bezahlen, ist die dem zugrunde liegende Vereinbarung unwirksam.
BGH, Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23
- Problemstellung
Der IX. Zivilsenat hatte zu entscheiden, nach welchen Kriterien eine unzulässige Vermittlung von Anwaltsverträgen im Internet von zulässigen Informations- und Werbeplattformen abzugrenzen ist.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin betreibt ein Internetportal, über das sie Dienstleistungen für Betroffene anbietet, die einen Anhörungsbogen oder einen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften bei der Teilnahme am Straßenverkehr erhalten haben. Zur rechtlichen Überprüfung der erhobenen Vorwürfe und wegen der aus dem Prüfungsergebnis folgenden Handlungsmöglichkeiten arbeitet sie mit Partnerkanzleien zusammen, zu denen auch die Beklagte, eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung, gehörte. Im Zeitraum vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. Juni 2021 schaltete die Klägerin ihre Partnerkanzleien ein, nachdem die Betroffenen bei der Klägerin die erforderlichen Unterlagen eingereicht hatten, einschließlich einer auf die jeweilige Kanzlei lautenden Vollmacht. Die Partnerkanzleien übernahmen die rechtliche Betreuung der Betroffenen, prüften die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den Vorwurf eines Verkehrsrechtsverstoßes und erteilten entsprechenden Rat. Auf Wunsch der Betroffenen übernahmen sie auch die weitere Vertretung. Aus der rechtlichen Betreuung erwuchsen den Partnerkanzleien Vergütungsansprüche, die in vielen Fällen Rechtsschutzversicherer der Betroffenen deckten. Für ihre Leistungen stellte die Klägerin der Beklagten ausschließlich für Betroffene mit Rechtsschutzversicherung "Lizenzgebühren" in Höhe von insgesamt 235.056,98 € in Rechnung, und zwar in zwei Teilbeträgen zunächst bei Erteilung der Deckungszusage durch den Versicherer (114 €) und dann bei Endabrechnung des Mandats durch die Beklagte (76 €). Die Klägerin ist der Ansicht, bei den geforderten Gebühren handele es sich nicht um ein Entgelt für die Vermittlung von Aufträgen iSd. § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Entgolten werde vielmehr pauschaliert die Nutzung der von der Klägerin entwickelten digitalen Infrastruktur durch die Partnerkanzleien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien für nichtig gehalten. Die getroffene Vereinbarung verstoße gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Sie habe in der entgeltlichen Vermittlung von Mandaten bestanden, weil der jeweilige Fall erst an die Beklagte weitergeleitet worden sei, nachdem der Betroffene die Vollmacht eingereicht gehabt habe, und weil die Vergütung an das konkrete Mandat angeknüpft habe. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO sei die Nichtigkeit der Vereinbarung gemäß § 134 BGB. Die Klägerin könne Zahlung auch weder unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen noch habe sie einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss gegen die Beklagte (OLG Dresden, Urteil vom 6. April 2023 – 8 U 1883/22).
Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Klageanspruch seine Grundlage nicht in einer vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien findet. Nach dem Vortrag der Klägerin besteht die zwischen den Parteien getroffene Einigung offenkundig in der entgeltlichen Vermittlung konkreter Mandate. Darin liegt ein Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO. Nach § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist die Abgabe und Entgegennahme eines Teils der Gebühren oder sonstiger Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen, gleichviel ob im Verhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Dritten gleich welcher Art unzulässig. Das daraus folgende Verbot richtet sich damit sowohl gegen den Rechtsanwalt, der einen Teil der Gebühren abgibt oder einen sonstigen Vorteil gewährt, als auch gegen den Rechtsanwalt oder Dritten, der den Teil der Gebühren oder den sonstigen Vorteil entgegennimmt. Der Begriff des sonstigen Vorteils ist vor dem Hintergrund des Verbotszwecks weit zu verstehen. Es soll vermieden werden, dass Rechtsanwälte in einen Wettbewerb um den Ankauf von Mandaten treten. Die Anwaltschaft ist kein Gewerbe, in dem Mandate "gekauft" und "verkauft" werden. Ein Rechtsanwalt, dem ein Mandat vermittelt wird, darf hierfür den Vermittler nicht belohnen. Unter einem sonstigen Vorteil ist auch die Erbringung von berufsfremden Dienstleistungen zu verstehen, etwa die sofortige Bezahlung der Rechnungen von Kraftfahrzeugwerkstätten und Abschleppunternehmern durch den Rechtsanwalt für den Mandanten. Allerdings bedarf es eines besonderen Bezugs des Vorteils zum vermittelten Auftrag. Das Verbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO erfasst nur Provisionszahlungen für ein konkret vermitteltes Mandat. Die Vermittlung muss ursächlich für die Vorteilsgewährung sein. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Dass es aus dem Inhalt der von der Klägerin behaupteten Vertragsbeziehung zwischen den Parteien auf einen Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO geschlossen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte beschränkte sich nicht auf die Leistungen herkömmlicher Werbemedien, welche von § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO nicht erfasst werden. Über ein Bereitstellen einer Plattform ging die Tätigkeit der Klägerin weit hinaus. Sie mündete zielgerichtet in der Vermittlung eines auf einen konkreten Verkehrsrechtsverstoß bezogenen Mandats. Insbesondere wurden der Beklagten nicht nur mögliche Interessenten an ihrer anwaltlichen Tätigkeit benannt. Der Beklagten wurde nicht nur - zur Erleichterung ihrer eigenen Akquisetätigkeit - die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit potentiellen Mandanten verschafft. Die Klägerin übermittelte der Beklagten den jeweiligen Fall bereits mit unterzeichneter, auf diese lautender Vollmacht. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände lag darin zugleich der Auftrag an die Beklagte zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung gemäß § 675 BGB. Dass sich dieser zunächst auf die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den Vorwurf eines Verkehrsrechtsverstoßes beschränkte, ist ohne Bedeutung. Die Auftragserteilung beruhte auf dem zielgerichteten Einwirken der Klägerin auf die Nutzer ihres Internetportals und damit auf ihrer Vermittlungstätigkeit.
Die von der Klägerin beanspruchte Vergütung bezog sich auf die Vermittlungstätigkeit. Nach dem Vortrag der Klägerin bestand ein Anspruch gegen die Beklagte nur in den Fällen, in denen der Betroffene die Beklagte beauftragt hatte und die Rechtsschutzversicherung des Betroffenen eine Deckungszusage erteilte. Der Klage liegen demnach (ausschließlich) Entgelte zugrunde, die sich auf einzelne, der Beklagten vermittelte rechtsschutzversicherte Mandanten beziehen. Dem vom Berufungsgericht angenommenen Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO steht nicht entgegen, dass der Betrieb des Internetportals auch weitere Tätigkeiten der Klägerin erforderlich gemacht haben mag und diese zum Teil auch der Beklagten zugutegekommen sein mögen. Entscheidend ist, für welche Tätigkeit die Beklagte vereinbarungsgemäß bezahlen sollte. Das war die Vermittlung konkreter Mandate. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist die Nichtigkeit der behaupteten Vereinbarung gemäß § 134 BGB. § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO ist ein Verbotsgesetz im Sinne der Vorschrift.
Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der Klageanspruch auch nicht nur teilweise aus den §§ 812 ff BGB ergibt. Übersehen hat das Berufungsgericht allerdings, dass bereits die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB eingreift und es deshalb auf den Wert der von der Beklagten erlangten Leistungen gemäß § 818 Abs. 2 BGB nicht ankommt. Die Anwendung des § 817 Satz 2 BGB setzt voraus, dass der Leistende vorsätzlich verbotswidrig gehandelt hat. Dem steht es gleich, wenn er sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat. Dies beruht darauf, dass die Abwicklung nach Bereicherungsrecht nicht demjenigen, der eine gesetzwidrige Geschäftsbesorgung vornimmt, auf einem Umweg entgegen § 134 BGB doch eine Vergütung verschaffen soll. Die Abwicklung soll nur verhindern, dass der Empfänger der Leistungen daraus einen ungerechtfertigten Vorteil zieht; dies gilt vor allem dann, wenn die Nichtigkeit des Vertrags auch erlaubte Leistungen erfasst. § 817 Satz 2 BGB beugt einer Umgehung der Nichtigkeitsanordnung des § 134 BGB vor. Auf Seiten der Klägerin hat man sich dem Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO leichtfertig verschlossen. Die Klägerin kannte das Verbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO und hat sich nach eigenen Angaben intensiv und jahrelang mit dem Provisionsverbot beschäftigt. In Anbetracht der offensichtlich auf die Verschaffung konkreter Mandate ausgerichteten Tätigkeit musste es sich den für die Klägerin verantwortlich handelnden Personen aufdrängen, dass man den Partnerkanzleien nicht in der vorliegenden Art und Weise konkrete Mandate gegen Entgelt vermitteln durfte. Die Anwendung der Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB ist auch nicht unbillig im Sinne von § 242 BGB. Dies ist insbesondere nicht deshalb der Fall, weil die nach dem Vortrag der Klägerin ihrerseits gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BGB verstoßende Beklagte die ihr gewährten Leistungen nach Maßgabe der §§ 812 ff BGB unentgeltlich behalten darf. Es handelt sich um die vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene Rechtsfolge, die zudem geeignet ist, die Zielsetzung des Verbots des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO zu fördern. Ein Bereicherungsausgleich ist auch dann nicht gemäß § 242 BGB geboten, wenn der die Vermittlungsleistung entgegennehmende Rechtsanwalt überlegenes Wissen hat. Der Vermittelnde kann nur dann nach § 817 Satz 2 BGB keinen Bereicherungsausgleich verlangen, wenn er sich der Verbotswidrigkeit seines Handelns zumindest leichtfertig verschlossen hat. Geht die Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Rechtsanwalts noch darüber hinaus - etwa durch gezieltes Ausnutzen der dem leichtfertigen Handeln des Leistenden geschuldeten Wissenslage -, kann das einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen, nicht aber eine Korrektur des § 817 Satz 2 BGB nach Maßgabe der Grundsätze von Treu und Glauben.
Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus einem Verschulden bei Vertragsschluss verneint. Auf ein (überwiegendes) Mitverschulden kommt es allerdings nicht an. Es fehlt schon an einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten. Bereits für den Rechtszustand vor der Modernisierung des Schuldrechts war die Möglichkeit einer Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss anerkannt, wenn der geschlossene Vertrag unwirksam war und einer der Vertragspartner die Unwirksamkeit zu vertreten hatte. Die Aufgabe der Regelungen der §§ 309, 307 BGB aF hat daran im Grundsatz nichts geändert. Zu vertreten ist die Unwirksamkeit eines Vertrags etwa im Falle einer schuldhaften Aufklärungspflichtverletzung. Eine Aufklärungspflicht kommt in Betracht, wenn das Wirksamkeitshindernis der Sphäre einer Partei zuzurechnen ist. Dabei fehlt es an einer Aufklärungspflichtverletzung, wenn der Vertragsgegner das Wirksamkeitshindernis bereits kennt. Darf die objektiv aufklärungspflichtige Partei ohne Fahrlässigkeit davon ausgehen, der Vertragsgegner wisse um das Wirksamkeitshindernis, fehlt es am Verschulden. Nach diesen Grundsätzen kann der Beklagten keine schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin kannte diese das Wirksamkeitshindernis (§ 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO). Ersichtlich war man auf Seiten der Klägerin darum bemüht, das Internetportal ohne Verstoß gegen das Provisionsverbot zu betreiben. Damit bestand keine Aufklärungspflicht der Beklagten. Eine solche beschränkte sich auf das Wirksamkeitshindernis an sich, nicht auf Bedenken gegen die in Kenntnis des Provisionsverbots gewählte vertragliche Gestaltung. Es oblag der gewerblich tätigen Klägerin und nicht der Beklagten, eine vertragliche Gestaltung herbeizuführen, die einen Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO hinderte. Dazu hatte sie erforderlichenfalls rechtlichen Rat einzuholen. Die aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Aufklärungspflicht dient nicht dazu, die Klägerin von dieser Obliegenheit zu befreien. Eine andere Frage ist, ob die Beklagte eine Rücksichtnahmepflicht verletzte, weil sie die erkannte Unwirksamkeit des Vertrags für sich ausnutzte. Dazu ist jedoch nichts festgestellt.
- Kontext der Entscheidung
Der I. Zivilsenat hat für Beteiligung von Anwälten an einem telefonischen Beratungsdienst (Anwalts-Hotline) als Grundsatz festgestellt, dass der Wille der vertragschließenden Parteien im Zweifel auf eine den Vertragszweck nicht gefährdende Gestaltung gerichtet ist. Ein Geschäftsbesorgungsvertrag, mit dem ein Vertragspartner eine unzulässige Rechtsberatung verspricht, wäre nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig In aller Regel wollen die Vertragschließenden eine derartige, von ihrem Willen unabhängige Gefährdung des Vertragszwecks nicht in Kauf nehmen, so dass nur die Auslegung des Geschäftsbesorgungsvertrags nach beiden Seiten interessengerecht ist, die die Nichtigkeit des angestrebten Vertrags vermeide(BGH, Urteil vom 26. September 2002 – I ZR 44/00 –, Rn. 34 - 35). Einen Verstoß gegen das Provisionsverbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO hat der I. Zivilsenat nicht erkennen können. Der Rechtsanwalt, der sich an dem telefonischen Beratungsdienst beteiligt, schuldet dem Rechtsberatungshotline-Betreiber ein Entgelt für die von ihr erbrachte Vermittlungsleistung. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine nach § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO verbotene Provision. Die fragliche Vergütung wird nämlich unabhängig davon geschuldet, ob und wie viele Ratsuchende in der fraglichen Zeit anrufen. Die erfolgsunabhängige Vergütung ist daher mit der Raummiete, mit den Kosten der Telefonanlage oder mit den Kosten für einen Anwaltssuchdienst im Internet vergleichbar (BGH, Urteil vom 26. September 2002 – I ZR 44/00 –, Rn. 48).
- Auswirkungen für die Praxis
Wer den Abschluss eines nach § 138 Abs 1 BGB wegen Benachteiligung des anderen Teils sittenwidrigen Vertrages herbeiführt, kann wegen schuldhafter Verletzung der vorvertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf seinen Vertragspartner zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet sein, die dieser im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages tätigt (BGH, Urteil vom 12. November 1986 – VIII ZR 280/85 –, Rn. 15; Nassall in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 138 BGB (Stand: 22.05.2024), Rn. 72). Zu vertreten ist die Unwirksamkeit eines Vertrags etwa im Falle einer schuldhaften Aufklärungspflichtverletzung, die in Betracht kommt, wenn das Wirksamkeitshindernis der Sphäre einer Partei zuzurechnen ist. An einer Aufklärungspflichtverletzung fehlt es, wenn der Vertragsgegner das Wirksamkeitshindernis bereits kennt (BGH, Urteil vom 20. März 2008 – IX ZR 238/06 –, Rn. 13). Der Senat stellt dazu fest, dass nach diesen Grundsätzen der Beklagten keine schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Denn die Klägerin kannte das Wirksamkeitshindernis (§ 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO) und war ersichtlich darum bemüht, das Internetportal ohne Verstoß gegen das Provisionsverbot zu betreiben. Damit bestand keine Aufklärungspflicht der Beklagten. Eine solche beschränkte sich auf das Wirksamkeitshindernis an sich, nicht auf Bedenken gegen die in Kenntnis des Provisionsverbots gewählte vertragliche Gestaltung. Es oblag der gewerblich tätigen Klägerin und nicht der Beklagten, eine vertragliche Gestaltung herbeizuführen, die einen Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO hinderte. Die aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Aufklärungspflicht dient nicht dazu, die Klägerin von dieser Obliegenheit zu befreien (BGH, Urteil vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23 –, Rn. 35).
Bemessung der Sicherheitsleistung nach Verurteilung zur Leistung einer Bauhandwerkersicherung
Bei vorläufig vollstreckbarer Verurteilung des Bestellers in Leistung einer Bauhandwerkersicherheit (§ 650f BGB n.F./§ 648a BGB a.F.) bemisst sich die nach § 709 ZPO festzusetzende Sicherheitsleistung des Unternehmers für die Vollstreckung der Hauptsache grundsätzlich nicht nach der vollen Höhe der Bauhandwerkersicherheit, sondern nach den voraussichtlichen Aufwendungen des Bestellers für die Stellung einer Avalbürgschaft.
OLG Frankfurt, Teilurteil vom 16. Februar 2024 – 21 U 65/23
- Problemstellung
Wieder einmal musste sich ein Oberlandesgericht mit der Bemessung der Sicherheitsleistung nach Verurteilung des Bestellers zur Leistung einer Bauhandwerkersicherung befassen, nachdem der Besteller vom Landgericht zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit von 781.263,09 € verurteilt und diese Entscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 859.389,39 € für vorläufig vollstreckbar erklärt worden war. Nunmehr beantragt der Unternehmer, die Vollstreckbarkeitsentscheidung durch Herabsetzung der Sicherheit abzuändern. Das OLG Frankfurt hatte deshalb vorab darüber zu entscheiden, wie die Sicherheitsleistung zu bemessen ist.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gemäß § 648a BGB a.F. in Höhe einer Restvergütung von 781.263,09 € in Anspruch. Zur Höhe der von ihr im Obsiegensfall zu leistenden Vollstreckungssicherheit hat sie erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Sicherheitsleistung nach den voraussichtlichen Aufwendungen der Beklagten für Sicherheitsleistung durch Bürgschaft zu bemessen sei. Dabei seien in Anlehnung an § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. die üblichen Kosten einer solchen Bürgschaft, maximal aber 2 % p.a. anzusetzen, so dass die Sicherheitsleistung unter Ansatz von 2 % aus 781.263,09 € (= 15.625,26 €) bei einer geschätzten Laufzeit des weiteren Verfahrens von 5 Jahren bis zum Rechtskrafteintritt auf (5 x 15.625,26 € =) 78.123,31 € festgesetzt werden müsse. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der für die Bemessung der Sicherheitsleistung maßgebliche, nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähige Vollstreckungsschaden mit dem vollen Betrag der zugesprochenen Bauhandwerkersicherheit zuzüglich eines Aufschlags von 10 % für Kosten und weitere Schäden angesetzt werden müsse. Falls die Stellung einer Bürgschaft durch die Beklagte im Vollstreckungsverfahren unterbleibe, stehe der Klägerin die Möglichkeit offen, sich im Verfahren nach § 887 Abs. 1 ZPO und in Ausübung des auf sie übergegangenen Wahlrechts der Beklagten für Sicherheitsleistung durch Hinterlegung zu entscheiden. In diesem Fall könne sie einen Betrag in Höhe der Bauhandwerkersicherheit nach § 887 Abs. 2 ZPO als Vorschuss auf die Hinterlegungssumme festsetzen lassen und sodann bei der Beklagten beitreiben. Der beigetriebene Betrag könne sodann durch Vollstreckung von Gläubigern der Klägerin oder auf sonstige Weise verloren gehen, so dass dieser Schadensverlauf für die Bemessung der Sicherheit zugrunde gelegt werden müsse.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit von 781.263,09 € verurteilt und diese Entscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 859.389,39 € für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Sicherheit sei nach dem gemäß § 717 ZPO aus einer ungerechtfertigten Vollstreckung zu erwartenden Schaden des Schuldners zu bemessen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass ihre Höhe innerhalb der Instanz nach § 318 ZPO unabänderlich sei. Die Sicherheitsleistung dürfe daher auf keinen Fall zu niedrig angesetzt werden. Für die Bemessung der Sicherheitsleistung sei hier damit der Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheit nebst einem Zuschlag für Kosten und weitere Vollstreckungsschäden maßgeblich. Denn sofern der Gläubiger nach § 887 Abs. 1 ZPO vollstrecke, die Hinterlegung von Geld nach § 232 Abs. 1 BGB wähle und dafür einen Vorschuss nach § 887 Abs. 2 ZPO verlange, müsse der Schuldner den vollen Betrag der Bauhandwerkersicherheit als Vorschuss erbringen. Der mögliche Vollstreckungsschaden des Schuldners aus einem Zugriff von Gläubigern des Vollstreckungsgläubigers belaufe sich damit gleichfalls auf diesen Betrag.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klägerin hat beantragt, die Vollstreckbarkeitsentscheidung durch Herabsetzung der Sicherheit abzuändern. Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass das von ihm gesehene Risiko eines Zugriffs von Gläubigern der Klägerin auf einen gemäß § 887 Abs. 2 ZPO zu ihren Gunsten als Vorschuss für eine Hinterlegung ausgeurteilten Betrag in Höhe der in der Hauptsache ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheit nur entstehen könne, wenn die Beklagte trotz vorläufig vollstreckbar ausgeurteilter Verpflichtung zur Stellung einer Bauhandwerkersicherheit dieser Verpflichtung selbst nicht nachkomme, indem sie die Sicherheit in Form einer Bürgschaft stelle. Die Beklagte habe es somit selbst in der Hand, durch gesetzeskonformes Verhalten ihre Verurteilung in Zahlung eines Vorschusses nach § 887 Abs. 2 ZPO und in Höhe des Hinterlegungsbetrags abzuwenden. Lasse sie es dennoch dazu kommen, dass gegen sie im Vollstreckungsverfahren ein Vorschuss in Höhe der Bauhandwerkersicherheit ausgeurteilt werde, liege ein solcher von ihr selbst verursachter Schaden von vornherein außerhalb des Schutzzwecks des § 717 ZPO und müsse daher für die Bemessung der Sicherheitsleistung außer Betracht bleiben. Zudem könne nicht richtig sein, dass die Klägerin einerseits für die Durchsetzung einer vorläufig vollstreckbaren Verurteilung der Beklagten auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit und anderseits zugleich für eine eventuelle vorläufig vollstreckbare Verurteilung der Beklagten auf Zahlung der durch die Bauhandwerkersicherheit besicherten Werklohnforderung eine Sicherheit jeweils in Höhe von 110 % der offenen Werklohnforderung leisten müsse und damit insgesamt Sicherheit in Höhe von 220% der besicherten Forderung aufbringen müsse, um diese auf der Grundlage vorläufig vollstreckbarer Verurteilungen der Beklagten durchzusetzen. Das von dem Landgericht gesehene Schadensrisiko sei völlig theoretisch und müsse für die Bemessung der Vollstreckungssicherheit außer Betracht bleiben. Richtigerweise dürfe die vorläufige Vollstreckung einer Verurteilung in Stellung einer Bauhandwerkersicherheit im Gegenteil von vornherein nicht von einer Sicherheitsleistung des Unternehmers abhängig gemacht werden. Dies folge aus der Erwägung, dass die Verurteilung in Stellung einer Bauhandwerkersicherheit dem Unternehmer zusätzliche Liquidität verschaffen wolle. Ferner ziele sie darauf, dem Auftragnehmer ein Druckpotenzial im Verhältnis zum Auftragnehmer zu verschaffen. Die Verurteilung werde somit von vornherein entwertet, wenn der Unternehmer für ihre Durchsetzung eine Vollstreckungssicherheit stellen und damit weitere Liquidität opfern müsse. Das Urteil müsse hinsichtlich der Hauptsachenentscheidung ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Der Antrag der Klägerin hat nur teilweisen Erfolg. Die Gestattung einer vorläufigen Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht. Das erstinstanzliche Gericht entscheidet im Fall des § 709 ZPO iVm. § 108 ZPO über die Höhe der Sicherheitsleistung von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dieses Ermessen unterliegt im Rahmen eines Antrags nach § 718 ZPO der Nachprüfung durch das Berufungsgericht. Gegenstand dieser Prüfung ist lediglich, ob die Regelungen der §§ 708 ff. ZPO zur Bemessung der Vollstreckungssicherheit zutreffend angewendet worden sind. Eine Beurteilung der Hauptsache findet nicht statt, auch keine summarische Überprüfung der Erfolgsaussichten der Berufung. Vielmehr ist für die Berechnung des durch die Sicherheitsleistung abzudeckenden Vollstreckungsschadens zu unterstellen, dass der für vorläufig vollstreckbar erklärte Titel zu Unrecht ergangen ist. Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich als ermessensfehlerhaft dar, weil es von unzutreffenden Maßstäben für die Festsetzung der Sicherheitshöhe ausgegangen ist. Die Höhe der nach § 709 ZPO festzusetzenden Sicherheit ist so bestimmen, dass der Schuldner vor Schaden aus ungerechtfertigter Vollstreckung (vgl. § 717 Abs. 2 ZPO) geschützt wird. Die damit maßgebliche Höhe des Vollstreckungsschadens ist gemäß § 709 iVm. § 108 ZPO durch Schätzung zu ermitteln, wobei eine Glaubhaftmachung der maßgeblichen Tatsachen genügt. Auf welche Höhe in Fällen der vorläufig vollstreckbaren Verurteilung des Bestellers in Leistung einer Bauhandwerkersicherheit nach diesen Grundsätzen die von dem Unternehmer zu leistende Vollstreckungssicherheit bemessen werden soll, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.
Nach der für den obsiegenden Unternehmer günstigsten Auffassung ist die Hauptsachenentscheidung einer Verurteilung auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Dafür wird geltend gemacht, dass es von vornherein widersprüchlich erscheine, wenn Sicherheit für die Leistung einer Sicherheit geleistet werden müsse. Zudem werde dem Auftragnehmer das Druckpotential genommen, das mit der Verpflichtung des Bestellers zur Stellung einer Bauhandwerkersicherheit angezielt werde, falls er die Vollstreckung einer solchen Verurteilung nur durch Sicherheitsleistung und damit unter Inkaufnahme gerade derjenigen Liquidität erlangen könne, die ihm der Gesetzgeber mit der Bauhandwerkersicherheit verschaffen wollte (Nachweise in Rn. 27). Nach der in umgekehrter Richtung für den unterlegenen Besteller günstigsten Gegenauffassung ist die nach §§ 709, 108 ZPO von dem Unternehmer zu leistende Vollstreckungssicherheit auf den vollen Betrag der ausgeurteilten Sicherheit zuzüglich eines prozentualen Aufschlags im Bereich von 10 % für Vollstreckungskosten und Zinsen zu bemessen. Bei Verurteilung zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gehe grundsätzlich das dem Besteller zustehende Wahlrecht, ob er die nach § 650f BGB geschuldete Sicherheit durch Stellung einer Bürgschaft oder Hinterlegung von Geld leisten will, in entsprechender Anwendung der §§ 262, 264 Abs. 1 BGB auf den Unternehmer als Vollstreckungsgläubiger über, falls der Besteller der ausgeurteilten Verpflichtung nicht freiwillig nachkommt. Dieser kann deshalb gemäß § 232 Abs. 1 BGB die Sicherheitsleistung durch Hinterlegung von Geld fordern und nach § 887 Abs. 2 ZPO die Vorauszahlung des hierfür erforderlichen Geldbetrags verlangen. Es bestehe damit die Möglichkeit, dass der gegen den Besteller nach § 887 Abs. 2 ZPO in Höhe der Sicherheitsleistung ausgeurteilte Vorschuss von dem Unternehmer als Vollstreckungsgläubiger vereinnahmt, aber sodann etwa deshalb nicht zugunsten des Besteller hinterlegt werde, weil darauf von Gläubigerin des Unternehmers zugegriffen wird oder auf sonstige Weise verloren geht. Auf die Wahrscheinlichkeit eines solchen Hergangs komme es schon deshalb nicht an, da nach der Konzeption des § 709 ZPO die Höhe der zu leistenden Sicherheit unbeschadet der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalles bestimmt werden müsse (Nachweise in Rn. 28). Nach einer weiteren, zwischen diesen Auffassungen vermittelnden Auffassung ist die Höhe der Vollstreckungssicherheit für die Hauptsache bei Verurteilung in die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit nach den voraussichtlich zu erwartenden Aufwendungen des Bestellers für die Beschaffung einer Bürgschaft zu bemessen. Dabei wird der Ansatz der tatsächlich zu erwartenden Kosten für die Beschaffung einer solchen Sicherheitsleistung, also die für ihre voraussichtliche Laufzeit zu erwartenden Avalprovisionen zuzüglich eines prozentualen Aufschlags für Nebenkosten, in Vorschlag gebracht. In ähnliche Richtung weist auch der Vorschlag, die Höhe der Sicherheit nach dem in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. für die Erstattung der Kosten der Sicherheitsleistung vorgesehenen Höchstsatz von 2 % p.a. zu bemessen (Nachweise in Rn. 30).
Der Senat sieht die zuletzt genannte, vermittelnde Auffassung als zutreffend an. Für ihre Richtigkeit sprechen die folgenden Erwägungen: Der Auffassung, wonach die Natur einer Verurteilung auf Sicherheitsleistung es ausschließe, die Vollstreckung einer solchen Verpflichtung ihrerseits von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, lässt unberücksichtigt, dass auch die Verurteilung in Leistung einer Sicherheit einen nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden auslösen kann. Es stellt sich dann nicht als widersprüchlich dar, die vorläufige Vollstreckung einer solchen Verurteilung ihrerseits von einer Sicherheitsleistung nach § 709 ZPO abhängig zu machen. Soweit geltend gemacht wird, dass der Schutz der von § 648a Abs. 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 1 BGB n.F. angezielten Liquiditätsinteressen des Unternehmers vereitelt werde, wenn die vorläufige Vollstreckung einer solchen Verurteilung von der Leistung einer Vollstreckungssicherheit abhängig gemacht werde, vermag auch diese Erwägung nicht zu überzeugen. Die Regelungen über den Anspruch des Unternehmers auf Bauhandwerkersicherheit sind von dem Gesetzgeber mehrfach geändert worden, ohne dass er in diesem Zusammenhang eine Veranlassung gesehen hätte, die Durchsetzung einer Verurteilung auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit auch in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht etwa durch entsprechende Erweiterung des Katalogs des § 708 ZPO zu privilegieren. Zudem lässt die Regelung des § 648a BGB a.F./§ 650f BGB n.F. auch in sonstiger Hinsicht, etwa durch die in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. geregelte Verpflichtung des Unternehmers zur Erstattung der dem Auftraggeber aus der Stellung der Bauhandwerkersicherheit entstandenen Kosten erkennen, dass ein unbedingter Vorrang der Liquiditätsinteressen des Unternehmers vor den Belangen des Bestellers vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, sondern er auf einen beiderseits interessengerechten Kompromiss zwischen dem Liquiditätsinteresse des Unternehmers und den gegenläufigen Interessen des Unternehmers abgezielt hat. Wird die Vollstreckungssicherheit nach den voraussichtlichen banküblichen Kosten einer Bürgschaft bemessen, steht nicht zu befürchten, dass die von dem Gesetzgeber mit dem Anspruch auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherheit allein angezielte Absicherung der noch offenen Werklohnforderung des Unternehmers gegen eine mögliche Zahlungsunfähigkeit des Bestellers durchgreifend entwertet wird. Ebenso wenig vermag der Einwand zu überzeugen, dass der Unternehmer bei Erwirkung einer vorläufig vollstreckbaren Verurteilung des Bestellers in Zahlung des offenen Werklohns auch dafür eine Sicherheit mindestens in Höhe des Werklohns zu erbringen haben wird und demzufolge mit einer doppelten Sicherheitsleistung für einen aus wirtschaftlicher Sicht identischen Anspruch belastet werde. Da der Unternehmer mit der Durchsetzung einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung auf Leistung einer Bauhandwerkersicherheit zusätzlich eine Sicherheit für die offene Werklohnforderung erlangt, ist es nicht unangemessen, dies von der Leistung einer entsprechenden Vollstreckungssicherheit abhängig zu machen. Andererseits kann nicht der Auffassung gefolgt werden, wonach die Vollstreckungssicherheit von vornherein auf die volle Höhe der Bauhandwerkersicherung bemessen werden müsse. Soweit dafür geltend gemacht wird, dass die Höhe der zu leistenden Sicherheit schon nach allgemeinen Grundsätzen und entsprechend der Konzeption des § 719 ZPO unbeschadet der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalls bemessen werden müsse, lässt sich gerade nicht feststellen, dass die Vollstreckungssicherheit im Anwendungsbereich des § 709 ZPO von vornherein ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit bemessen werden muss, mit der ein Eintritt des in Frage stehenden und nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden bei dem Vollstreckungsschuldner zu erwarten steht. Der von § 709 ZPO abzusichernde Sicherungsfall liegt in dem nach § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähigen Schaden des Bestellers, der bei diesem für den Fall einer späteren Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung eintreten kann. Es handelt sich damit um einen Schaden, der nur mit einer durch die Abänderung der vollstreckbaren Entscheidung bedingten Wahrscheinlichkeit eintreten kann. Zwar hat die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Abänderung der Entscheidung dabei außer Betracht zu bleiben. Jedoch ändert dies nichts daran, dass sich auch der Schaden, der dem Vollstreckungsschuldner im Falle einer künftigen Abänderung der Entscheidung entstehen kann, nur im Wege einer prognostischen Beurteilung des künftigen Verlaufs bestimmen lässt und ein Wahrscheinlichkeitsurteil erfordert. Für die Prognose wird dabei auch im sonstigen Anwendungsbereich des § 709 ZPO nicht der für den Vollstreckungsschuldner denkbar ungünstigste Verlauf der Vollstreckung, sondern allein der regelmäßig und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Schaden für die Bemessung der Sicherheit herangezogen. Geht es um die vorläufige Vollstreckung einer Geldforderung, so liegt dem dort üblichen Aufschlag von 10 % bis 20 % auf die Hauptforderung maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass bis zur erfolgreichen Beitreibung durch den Gläubiger gewisser weiterer Zeitraum vergehen wird, innerhalb dessen für den Vollstreckungsschuldner weitere Zinsen und Kosten auflaufen können. Dass der Vollstreckungsschaden des Schuldners im denkbar ungünstigsten Fall durchaus auch mehr als diesen pauschalen Aufschlag ausmachen kann, wird als fernliegend außer Betracht gelassen. Wird entsprechend diesen Grundsätzen für die Bemessung der Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit auf den daraus mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Schaden des Auftraggebers abgestellt, liegt ein Schaden in Höhe des vollen Betrags der ausgeurteilten Sicherheit für den Regelfall fern. Denn selbst dort, wo der Besteller auf Zahlung eines Vorschusses nach § 887 Abs. 2 ZPO verurteilt worden ist, bleibt es ihm unbenommen, der ausgeurteilten Verpflichtung auch jetzt noch durch Stellung einer Bürgschaft nachzukommen. Die von der Beklagten geltend gemachte Gefahr, dass sie mangels Stellung einer Bürgschaft in Zahlung eines Vorschusses auf einen Hinterlegungsbetrag in Höhe der ausgeurteilten Sicherheit verurteilt wird, und sodann Gläubiger der Klägerin auf den Vorschuss zugreifen, bevor er an die Hinterlegungsstelle ausgezahlt worden ist, hat deshalb zur Voraussetzung, dass es der Beklagten weder bis zur Verurteilung zur Vorschusszahlung noch danach gelungen war, die von ihr geschuldete Sicherheit in Form einer Bürgschaft zu erbringen. Die für die Höhe des ihr drohenden Vollstreckungsschadens glaubhaftmachungspflichtige Beklagte hat zudem weder aufgezeigt, dass sie voraussichtlich außerstande wäre, sich eine solche Bürgschaft zu verschaffen, noch sind von ihr konkrete Gesichtspunkte dargelegt und glaubhaft gemacht worden, die einen Zugriff von Gläubigern der Klägerin auf den Vorschussbetrag als wahrscheinlich erscheinen lassen würden.
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die Höhe der Sicherheitsleistung im Wege einer Schätzung gemäß § 709, 108 ZPO auf einen Betrag von 85.000,00 € zu bemessen. Dem liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Auf die in § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F./§ 650f Abs. 3 Satz 1 BGB festgelegte Obergrenze der erstattungsfähigen Aufwendungen des Auftragnehmers bei 2 % p.a. kann für die Bemessung der Vollstreckungssicherheit nicht abgestellt werden. Diese Vorschrift betrifft allein die Frage, bis zu welcher Obergrenze der Besteller dem Unternehmer die Kosten der von diesem gestellten Sicherheit kraft Gesetzes und ohne Hinzutreten weiterer Umstände zu erstatten hat. Ihre seit 1991 inhaltlich unveränderte Festlegung auf 2 % p.a. hat der Gesetzgeber seinerzeit mit den damals banküblichen Avalprovisionen einer Bandbreite von 0,5 bis 3 % p.a. mit Schwerpunkt bei 2 % p.a begründet und darauf hingewiesen, dass die Ersatzfähigkeit weitergehender Schäden des Bestellers aus der Stellung einer Bauhandwerkersicherheit von dieser Pauschalierungsregelung unberührt bleibt (BT-Drs. 12/1836, 10). Im Rahmen der Bemessung einer Vollstreckungssicherheit nach § 709 ZPO ist damit richtigerweise allein auf die nach § 717 ZPO als Schaden ersatzfähigen und tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen des Schuldners aus der Beschaffung einer Bürgschaft als Bauhandwerkersicherheit abzustellen. Diese sind nach den jeweils derzeit banküblichen Avalprovisionen zu bemessen, sofern der Schuldner keine Anhaltspunkte aufgezeigt hat, die darüber liegende Aufwendungen erwarten lassen. Nach dem nunmehr absehbaren Ende der zurückliegenden Niedrigzinsphase erscheint ein Ansatz von 3 % p.a. realistisch und ausreichend (vgl. etwa Preisliste HBSC, Stand 04.10.2023, Abschnitt V - Avale, Avalprovision: 3 % p.a.). Andererseits kann mit einer Laufzeit der Bürgschaft bis endgültigem Rechtskrafteintritt unterhalb von 5 Jahren gerechnet werden. Der Senat sieht es bei Gesamtabwägung deshalb als angemessen an, die Vollstreckungssicherheit im Wege der Schätzung auf einen aus Praktikabilitätsgründen auf 85.000,00 € gerundeten Betrag festzusetzen. Mit einer Vollstreckungssicherheit dieser Höhe erscheinen mögliche Vollstreckungsschäden der Beklagten auch dann hinreichend abgesichert, wenn berücksichtigt wird, dass die einmal gemäß § 718 ZPO getroffene Abänderungsentscheidung sodann gemäß § 318 ZPO bei laufender Instanz nicht nachträglich korrigiert werden kann.
- Kontext der Entscheidung
Zur Bemessung der Sicherheitsleistung bei einer Verurteilung zur Bauhandwerkersicherung gemäß § 650 f BGB bestehen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Differenzen. Vor Erhebung einer Klage sollte der zukünftige Kläger daher die Auffassung des für die Entscheidung zuständigen Oberlandesgerichts prüfen und bei Möglichkeit von einem Wahlrecht gem. § 35 ZPO Gebrauch machen, zumal Vorabentscheidungen der Berufungsgerichte über die vorläufige Vollstreckbarkeit unanfechtbar sind (§ 718 Abs. 2 ZPO). Denn teilweise wird die volle Höhe der vom Auftraggeber zu stellenden Sicherheit (zzgl. Aufschlag für Kosten und weitere Schäden) für maßgeblich gehalten (OLG Karlsruhe, Teilurt. v. 11.10.2016 - 8 U 102/16; OLG Hamm, Teilurt. v. 09.01.2019 - I-12 U 123/18). Diese Auffassung vernachlässigt, dass der Schuldner nicht zur Zahlung des von der Sicherheitsleistung erfassten Betrages verurteilt worden ist, sondern (lediglich) zur Stellung einer Sicherheit. Dementsprechend kann die obsiegende Gläubigerin nur gemäß § 887 Abs. 1 ZPO Hinterlegung gemäß den §§ 232 Abs. 1, 233 BGB beanspruchen und zugleich nach § 877 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des dafür erforderlichen Betrages verlangen (LG Hagen (Westfalen), Beschl. v. 30.11.2010 - 21 O 83/10, bestätigt – ohne weitere Begründung – durch OLG Hamm Beschl. v. 28.01.2011 - 19 W 2/11). Dies verbietet es, den Streitwert der Klage nach § 650f BGB mit der zu sichernden Forderung gleichzusetzen. Ebenso ist es nicht erlaubt, auf eine Sicherheitsleistung gänzlich zu verzichten (ausführlich dazu: Schwenker, jurisPR-PrivBauR 1/2024 Anm. 5). Angebracht erscheint statt dieser beiden Extrempositionen die Wahl eines Mittelwegs, den das OLG Hamburg gesucht gefunden hat (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15, dazu: Münch, jurisPR-PrivBauR 11/2016 Anm. 5). Dabei geht es von der Grunderwägung aus, dass, wenn die Befugnis des Gläubigers zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 709 Satz 1 ZPO von der Erbringung einer vorherigen Sicherheitsleistung abhängt, diese dem Interesse des Schuldners dient und ihm vollen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren soll, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Vollstreckung duldet, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann, wozu vor allem ein etwaiger Ersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners nach § 717 Abs. 2 ZPO gehört (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 -, Rn. 5). Zu berücksichtigen seien daher die Kosten des Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung der Sicherheitsleistung. Außerdem seien die Avalzinsen für eine Bürgschaft zu berücksichtigen, die mit 2% der Sicherheitssumme über einen Zeitraum von fünf Jahren anzusetzen seien, dem voraussichtlichen Zeitraum für das Herausgabeverfahren nebst Rechtsmittelverfahren. Außerdem sei ein Sicherheitszuschlag von 5% des ausgeurteilten Betrages gerechtfertigt. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass es im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu einer Vorschusszahlung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO komme und dass Gläubiger des Vollstreckungsgläubigers auf den Vorschussbetrag zugreifen könnten. Dieses – geringe – Risiko sei mit 5% der zu leistenden Bauhandwerkersicherung zu bewerten (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 - Rn. 7-9). Die Berechnungsweise durch das OLG Hamburg, der sich auch das OLG Celle angeschlossen hat (OLG Celle, Beschl. v. 20.06.2017 - 5 W 18/17 - Rn. 10), überzeugt grundsätzlich, wenn man auch über einzelne Bewertungen streiten mag. Im Grundsatz hat sich jetzt dem auch das Kammergericht angeschlossen. Danach ist die erstinstanzliche Verurteilung eines Werkbestellers zur Sicherheitsleistung nur gegen Sicherheitsleistung gemäß § 709 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Vollstreckungssicherheit gemäß § 709 ZPO ist nicht mit dem Betrag der Sicherheit gemäß § 650f BGB (evtl. mit einem Zuschlag) anzusetzen. Sie ist an den geschätzten Kosten zu orientieren, die dem Besteller durch die ausgeurteilte Sicherheitsleistung im Zeitraum ab Erlass des erstinstanzlichen Urteils bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sicherungsprozesses entstehen können (KG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2024 – 21 U 129/23).
- Auswirkungen für die Praxis
Der Antrag des Unternehmers, die Höhe der Sicherheitsleistung heraufzusetzen, ist nach § 718 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Unternehmer nicht Rechtmittelführer ist. Der Antrag nach § 718 ZPO kann auch von dem Rechtsmittelgegner gestellt werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. Oktober 2022 - 6 U 131/22 -, Rn. 14; Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 718 ZPO Rn. 2). Seiner Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, wenn der Antrag vor Einreichung der Berufungsbegründung des Bestellers eingereicht wird . Soweit die Zulässigkeit eines Antrags nach § 718 ZPO von dem Vorliegen einer zulässigen Berufung abhängig gemacht wird (so Herget, aaO., § 718 ZPO Rn. 2), besteht keine Veranlassung, über die Zulässigkeit eines Abänderungsantrags des Berufungsklägers hinaus auch die Zulässigkeit eines Abänderungsantrags des Berufungsbeklagten von diesem Erfordernis abhängig zu machen. Denn der erstinstanzlich obsiegende Berufungsbeklagte hat schon vor dem Zeitpunkt, zu dem sich die Zulässigkeit der von seinem Gegner eingelegten Berufung abschließend beurteilen lässt, ein berechtigtes Interesse an der Herabsetzung einer zu seinem Nachteil überhöht festgesetzten Vollstreckungssicherheit. Sein Rechtsschutzinteresse hieran entfällt grundsätzlich nicht vor dem mit der unbeschränkten Vollstreckbarkeit verbundenen Eintritt der formellen Rechtskraft des angefochtenen Urteils (OLG Frankfurt, Teilurteil vom 16. Februar 2024 – 21 U 65/23 –, Rn. 19). Über den Antrag ist ohne mündliche Verhandlung (§ 718 Abs. 1 S. 2 ZPO) durch Teilurteil zu entscheiden, das unanfechtbar (§ 718 Abs. 2 ZPO) und durch die instanzabschließende Entscheidung des Berufungsgerichts in der Hauptsache auflösend bedingt ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. September 2017, 6 U 34/17; OLG Frankfurt, Urteil vom 16. Februar 2024, 21 U 65/23; OLG Brandenburg, Urteil vom 14. März 2024, 12 U 210/23; KG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2024 – 21 U 129/23).
BGH: Anforderungen an die Mängelanzeige nach § 377 HGB
Die Mängelanzeige gemäß § 377 Abs. 1 HGB muss den Verkäufer in die Lage versetzen, aus seiner Sicht und Kenntnis der Dinge zu erkennen, in welchen Punkten und in welchem Umfang der Käufer die gelieferte Ware als nicht vertragsgemäß beanstandet. Ferner soll sie dem Verkäufer ermöglichen, die Beanstandungen zu prüfen und gegebenenfalls abzustellen, und ihn gleichzeitig gegen ein Nachschieben anderer Beanstandungen durch den Käufer schützen. Aus diesen Gründen muss die Mängelanzeige Art und Umfang der Beanstandungen zumindest in allgemeiner Form benennen.
BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – VIII ZR 35/23
- Problemstellung
Bei Kauf- und Werklieferungsverträgen, die für beide Vertragsparteien ein Handelsgeschäft sind, muss der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige machen (§ 377 Abs. 1 HGB). Unterlässt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, dass es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war (§ 377 Abs. 2 HGB). Welche Anforderungen an eine wirksame Mängelrüge zu stellen sind und aus wessen Sicht zu beurteilen ist, ob die vom Käufer dem Verkäufer mit der Rüge übermittelten Informationen ausreichend sind, hatte der VIII. Zivilsenat zu entscheiden.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte ihr am 2. und 21. August sowie am 20. September 2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten). Während der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Klägerin kurz vor Abschluss der Produktion am 13. Oktober 2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Noch am selben Tag teilte sie der Beklagten in einem Telefonat mit, dass "in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten" seien und die Ware deshalb nicht verkehrsfähig sei, und übersandte der Beklagten Fotos per E-Mail. Im Text der Nachricht heißt es unter dem Betreff "Fremdkörper": "anbei die Fotos zur Fremdkörper-Reklamation. Bitte geben Sie mir dazu ein kurzes Feedback". Die beigefügten Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben "GE805", Produktionsdatum 8. November 2016, Mindesthaltbarkeitsdatum 8. November 2018 und einer "Lot Nr. M2261108" sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20. September 2017, Mindesthaltbarkeitsdatum 8. November 2018 und Chargennummer 201709020-1701655. Die Klägerin sperrte die bereits produzierten und noch bei ihr befindlichen Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine von ihr veranlasste Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. Mit E-Mail vom 16. Oktober 2017 bestätigte die Beklagte den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Bei einer kurz danach stattfindenden Krisensitzung besprachen die Parteien den Sachverhalt und die Möglichkeit der kurzfristigen Bereitstellung anderer Jalapeños-Rohware. Am 26. Oktober 2017 teilte die Beklagte unter Bezugnahme auf die "Reklamation der von uns gelieferten GE805 - Jalapeños grün in Scheiben" in einer E-Mail an die Klägerin mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne.
Mit der Klage hat die Klägerin Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets und der Kosten für die sachverständige Untersuchung des Kunststoffteils sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware in Höhe von insgesamt 158.579,69 € verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag bereits deshalb nicht zu, weil er gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Selbst wenn unterstellt werde, dass die Rügefrist erst mit der Entdeckung des Fremdkörpers am 13. Oktober 2017 begonnen habe und unter Berücksichtigung des anschließenden Wochenendes bis zum 17. Oktober 2017 gelaufen wäre, fehle es an einer hinreichend bestimmten Mängelrüge der Klägerin. Hierfür müssten Art und Umfang des Mangels wenigstens in allgemeiner Form so genau dargelegt werden, dass der Verkäufer das Vorhandensein des behaupteten Mangels prüfen, Beweise sichern und gegebenenfalls Abhilfe schaffen könne. Die Mitteilung vom 13. Oktober 2017 genüge diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der übermittelten Fotos nicht. Es sei denkbar, dass sich die Beanstandung auf lediglich einen einzelnen - den abgebildeten - Karton, auf alle Kartons mit der "Lot Nr. M2261108", auf die gesamte am 20. September 2017 erfolgte Lieferung, auf sämtliche Ware mit der (vorangestellten) Nummer "K5409" aus allen drei Lieferungen oder aber auf die gesamte Ware aus allen drei Lieferungen beziehe. Welche Mangelbehauptung die Klägerin nun konkret erhoben habe, habe ein Empfänger in der Person der Beklagten anhand der Mängelanzeige nicht feststellen können. Das sei hier auch bedeutsam, weil die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihrer Lieferantin und der Nachforschung bei dieser davon abhängig sei, in welchem Umfang ihr gegenüber Mängel angezeigt würden. Unter anderem die Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer sei der Grund für das Bestimmtheitserfordernis.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat deren Vorbringen in einem zentralen Punkt - der Frage einer ordnungsgemäßen Mangelanzeige gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB - gehörswidrig übergangen. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Als grundrechtsgleiches Recht soll es sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In den Entscheidungsgründen müssen die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu würdigen und in den Entscheidungsgründen hierzu Stellung zu nehmen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde.
Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Beklagte als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Klägerin bis zum 17. Oktober 2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, diesbezügliche eigene Nachforschungen anstellen und ihre eigene Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. Das Berufungsgericht hat dementsprechend bei seiner Würdigung maßgeblich auf die Verständnismöglichkeit der Beklagten als Empfängerin der Rüge abgestellt. In diesem Zusammenhang kam dem - vom Berufungsgericht (sogar) als unstreitig gewerteten - Vortrag der Klägerin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Beklagte mit der E-Mail vom 26. Oktober 2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Darin teilt die Beklagte mit, dass sie aufgrund der Reklamation zu den gelieferten "GE805 - Jalapeños" ihren Lieferanten kontaktiert und von diesem eine - erste, aus ihrer Sicht nicht ausreichende - Stellungnahme zur angezeigten Verunreinigung erhalten habe. Sie habe dem Produzenten deshalb für eine substantiellere Stellungnahme Proben des Fremdkörpers zur Analyse überlassen und sich im Falle einer wiederum nicht zufriedenstellenden Antwort die Beauftragung eigener Untersuchungen vorbehalten. Ferner werde sie ihren gesamten Lagerbestand bei demselben Unternehmen wie die Klägerin scannen lassen und bitte zudem um Mitteilung des der Klägerin vorliegenden Befundes. Schließlich hat die Beklagte erklärt, dass sie einen Eintrag weiterer Fremdkörper in den Lieferungen (Folgechargen) nicht ausschließen könne. Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Beklagten hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen sowie zu den von ihr auf dieser Grundlage veranlassten Untersuchungen, Nachforschungen und möglichen Abhilfen ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Klägerin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Beklagten auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei und - im allgemeinen - die Möglichkeit zur Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer der Grund für das rechtliche Bestimmtheitserfordernis sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das Berufungsgericht das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags.
- Kontext der Entscheidung
Die Mängelanzeige gemäß § 377 Abs. 1 HGB muss den Verkäufer in die Lage versetzen, aus seiner Sicht und Kenntnis der Dinge zu erkennen, in welchen Punkten und in welchem Umfang der Käufer die gelieferte Ware als nicht vertragsgemäß beanstandet. Ferner soll sie dem Verkäufer ermöglichen, die Beanstandungen zu prüfen und gegebenenfalls abzustellen, und ihn gleichzeitig gegen ein Nachschieben anderer Beanstandungen durch den Käufer schützen. Aus diesen Gründen muss die Mängelanzeige Art und Umfang der Beanstandungen zumindest in allgemeiner Form benennen. Sinn der dem Käufer vom Gesetzgeber auferlegten Obliegenheit zur Mängelanzeige ist auch, den Verkäufer angesichts der Beweisnot, in die er mit zunehmendem Zeitablauf zu geraten droht, in die Lage zu versetzen, möglichst bald den Beanstandungen durch den Käufer nachzugehen, gegebenenfalls Beweise sicherzustellen und zudem zu prüfen, ob er - vor allem, wenn die gesetzlichen Gewährleistungsrechte zugunsten eines Nachlieferungs- und Nachbesserungsrechts abbedungen sind - den als sicher oder möglicherweise berechtigt erkannten Beanstandungen nachzukommen und damit einen etwaigen Rechtsstreit zu vermeiden. Es bedarf aus diesem Grunde nicht so sehr der Aufdeckung der Ursachen des Fehlers als vielmehr seiner Beschreibung (BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – X ZR 75/94 –, Rn. 14). Welche Anforderungen an die Bestimmtheit einer Mängelrüge zu stellen sind, kann letztlich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden. Der Käufer, der seine Gewährleistungsansprüche wahren möchte, muss nicht eine in alle Einzelheiten gehende, genaue und fachlich richtige Bezeichnungen verwendende Rüge formulieren. Es genügt vielmehr, wenn ihr der Verkäufer aus seiner Sicht, ohne dass es auf die Verständnismöglichkeit eines außenstehenden Dritten ankäme, entnehmen kann, in welchem Punkt der Käufer mit der gelieferten Ware - als nicht vertragsgemäß - nicht einverstanden ist. Maßgebende Richtschnur ist dabei der Sinn der dem Käufer vom Gesetzgeber auferlegten Obliegenheit zur Mängelrüge. Gleichzeitig soll er gegen ein Nachschieben anderer Beanstandungen durch den Käufer geschützt werden (BGH, Urteil vom 18. Juni 1986 – VIII ZR 195/85 –, Rn. 18; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1987 – VIII ZR 324/86 -, Rn. 19).
- Auswirkungen für die Praxis
Der Verkäufer kann jederzeit - auch stillschweigend - auf die Rechtsfolgen aus § 377 Abs. 2 und 3 HGB verzichten. Ein solcher Verzicht kann dann angenommen werden, wenn der Verkäufer die beanstandeten Waren vorbehaltslos zurückgenommen oder vorbehaltslos Nachbesserung versprochen oder den Einwand der verspäteten Mängelanzeige nicht erhoben hat. In der bloßen Aufnahme von Verhandlungen über die vom Käufer gerügten Mängel ist allerdings in der Regel noch kein derartiger Verzicht zu sehen, da hierin auch nur der Wunsch des Verkäufers liegen kann, zunächst eine gütliche Beilegung des Streits über die Mängel zu versuchen. Eine andere Beurteilung würde zudem im Handelsverkehr dazu führen, dass jede Verhandlungsbereitschaft - auch aus Kulanzgründen - für den Verkäufer die Gefahr mit sich brächte, den Verspätungseinwand zu verlieren. Ebenso lässt sich aus dem Umstand, dass der Verkäufer den Verspätungseinwand erst im zweiten Rechtszug erhoben hat, noch nicht ein vorangegangener Verzicht entnehmen (BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 – VIII ZR 149/90 –, Rn. 20). Da ein stillschweigender Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist, müssen eindeutige Anhaltspunkte vorliegen, die der Käufer als Aufgabe des Rechts durch den Vertragspartner verstehen darf (BGH, Urteil vom 16. November 2022 – VIII ZR 383/20 –, Rn. 31).
BGH: Zulässigkeitsvoraussetzungen für Teilentscheidung
1. Eine Teilentscheidung ist nur zulässig, wenn der betroffene Teil des Streitstoffes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu der Entscheidung über die übrigen Teile des Streitstoffes auftreten kann.
2. Der Aufteilung des Schmerzensgelds auf Primärschäden einerseits und Sekundärschäden andererseits steht der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes entgegen. Er gebietet es, die Höhe des Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen.
BGH, Beschluss vom 27. März 2024 – VI ZB 50/22
I. Problemstellung
Der VI. Zivilsenat hatte in einem Arzthaftungsprozess zu entscheiden, ob das Berufungsgericht die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin auf Schmerzensgeld, Ersatz des Haushaltsführungsschadens und von Behandlungskosten in Primär- und Sekundäransprüche aufspalten und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts teilweise als unzulässig verwerfen, teilweise durch Beschluss als unbegründet zurückweisen durfte.
II. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte zu 1 ist Zahnärztin. Sie befundete zwei Weisheitszähne der Klägerin als kariös und überwies sie an den Beklagten zu 2, einen Mund- und Kieferchirurgen. Dieser entfernte die Zähne. Im Anschluss wurde die Klägerin aufgrund zahlreicher, vermeintlich auf der Extraktion beruhender Beschwerden von verschiedenen anderen Ärzten behandelt. Mit ihrer Klage verlangt sie Schmerzensgeld (mindestens 20.000 €), Haushaltsführungsschaden (27.000 €), Behandlungskosten (8.398,04 €) sowie Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Den Beklagten könne weder ein Behandlungsfehler noch ein sonstiges zum Schadensersatz verpflichtendes Versäumnis angelastet werden. Im Ergebnis könne aber sogar dahinstehen, ob ein Behandlungsfehler und/oder ein Aufklärungsdefizit vorliege. Die Klägerin habe nämlich nicht nachgewiesen, dass sich hieraus ein anderes Ergebnis in Bezug auf ihren Gesundheitszustand ergeben hätte. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht - nach vorherigen Hinweisen - durch Beschluss als unzulässig verworfen, soweit die Klägerin "das klageabweisende Urteil hinsichtlich der behaupteten Sekundärschäden der zahnärztlichen bzw. kieferchirurgischen Behandlung angreift" (mindestens 16.000 € Schmerzensgeld, 27.000 € Haushaltsführungsschaden, Behandlungskosten in den Folgejahren, anteiliger Feststellungsanspruch). Im Ausgangspunkt begründeten der Schmerzensgeld- und der Schadensersatzanspruch einen einzigen umfassenden Streitgegenstand. Dieser sei jedoch teilbar in den Bereich des Primärschadens und den Bereich des Sekundärschadens. Die Berufung habe es versäumt, hinsichtlich der zahlreichen behaupteten Sekundärschäden die Argumentation des Landgerichts anzugreifen, es fehle an der haftungsausfüllenden Kausalität. Primär- und Sekundärschäden seien einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zugänglich. Die Berufung beziffere die Primärschäden mit 2.000 € (Schmerzensgeld) pro Zahn. Ein erfolgreicher Angriff gegen die Ausführungen des Landgerichts zur Haftung dem Grunde nach und zur Haftung der Höhe nach auf Schmerzensgeld (Eingriff und Verlust der Zähne) nehme der Begründung des Landgerichts nicht die Tragfähigkeit. Dass bei einem Erfolg der Berufung der Schmerzensgeldbetrag differierte, weil nur der Primärschaden in die Schmerzensgeldbemessung einzustellen wäre, wäre nur logischer Reflex der Begrenzung der Haftungsfolgen, nicht aber die unnatürliche Aufspaltung einer einheitlichen Schmerzensgeldbemessung. Eine Friktion ergäbe sich auch nicht in Bezug auf die geltend gemachten materiellen Schäden (Haushaltsführungsschaden, Folgekosten der Behandlung) sowie in Bezug auf den Feststellungsanspruch, da trennscharf zwischen Folgekosten aus Anlass des Primärschadens sowie aus Anlass der Sekundärschäden unterschieden werden könnte. Im Übrigen - "Schmerzensgeld für den Primärschaden (2.000 € pro Weisheitszahn, anteiliger Feststellungsanspruch)" - ist die Berufung durch denselben Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen worden. Eine Haftung - so das Berufungsgericht - scheide bereits dem Grunde nach aus.
Die gegen die Teilverwerfungsentscheidung eingelegte Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie beanstandet, dass der Streitgegenstand aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht teilbar sei, ist unbegründet. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen die Teilzurückweisung der Berufung hat der Senat bereits zurückgewiesen. Die Klägerin ist durch die Teilverwerfung der Berufung als unzulässig in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin nicht teilweise als unzulässig verwerfen dürfen. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Im Falle einer umfassenden Anfechtung muss die Berufungsbegründung zudem geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig. Liegt dem Rechtsstreit dagegen ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig.
Eine Teilentscheidung ist nur zulässig, wenn der betroffene Teil des Streitstoffes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu der Entscheidung über die übrigen Teile des Streitstoffes auftreten kann. Dies gilt auch für Entscheidungen nach § 522 ZPO. Nach diesen Grundsätzen stellt die Berufungsbegründung der Klägerin das landgerichtliche Urteil insgesamt in Frage. Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Aufteilung in Primär- und Sekundärschäden unzulässig. Der Aufteilung des Schmerzensgelds auf Primärschäden einerseits und Sekundärschäden andererseits steht bereits der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes entgegen. Er gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Verlangt ein Geschädigter - wie im Streitfall - uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann. Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten sind und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar ist, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden muss und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von dem Klageantrag nicht umfasst. Danach müssten sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Schäden - unterstellt die Kausalität zwischen einem etwaigen Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler und diesen könnte festgestellt werden - im Rahmen eines einheitlichen Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigt werden. Abweichendes ergibt sich nicht daraus, dass die Ablehnung der Kausalität eine unabhängige Erwägung des landgerichtlichen Urteils darstellt. Denn diese bezieht sich - was auch das Berufungsgericht erkannt hat - nur auf die behaupteten Sekundärschäden. Sie ist gerade nicht geeignet, den einheitlichen Schmerzensgeldanspruch, der die geltend gemachten Primär- und Sekundärschäden erfasst, insgesamt und selbständig tragend abzulehnen.
Darüber hinaus ist eine Teilverwerfung auch hinsichtlich der materiellen Schadensersatzansprüche und des Feststellungsbegehrens aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Verlauf unterschiedlicher Rechtsmittelzüge unzulässig. Denn bei einer erfolgreichen Rechtsbeschwerde gegen die Teilverwerfungsentscheidung müsste erneut über einen etwaigen Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler entschieden werden.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn die Berufung der Klägerin ist nach der bindenden Entscheidung des Berufungsgerichts insgesamt unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Rahmen der teilweisen Zurückweisung der Berufung als unbegründet bindend entschieden, dass mangels eines Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehlers der Beklagten eine Haftung dem Grunde nach nicht besteht. Die Bindungswirkung ergibt sich für das Berufungsgericht bereits aus § 318 ZPO. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Teilzurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zudem Rechtskraft eingetreten. Sowohl die Bindungswirkung als auch die Rechtskraft beschränken sich zwar grundsätzlich auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet, den das Gericht aus dem Sachverhalt durch dessen Subsumtion unter das objektive Recht erschlossen hat. Bloße Urteilselemente erwachsen danach nicht in Rechtskraft. Bei einer klageabweisenden Entscheidung - wie im vorliegenden Fall - ist jedoch der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund ebenfalls Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht bindend entschieden, dass mangels eines Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehlers der Beklagten eine Haftung bereits dem Grunde nach nicht besteht. Danach ist die Berufung insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
III. Kontext der Entscheidung
Nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats erfolgt bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (BGH, Urteil vom 13. September 2011 – VI ZR 144/10 –, Rn. 8). Allerdings finden die Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern grundsätzlich nur Anwendung, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsverletzungen (Primärschäden) in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist. Hinsichtlich der Haftung für Schäden, die durch eine (einfach oder grob fehlerhaft) unterlassene oder verzögerte Befunderhebung entstanden sein könnten, gilt nichts anderes (BGH, Urteil vom 2. Juli 2013 – VI ZR 554/12 –, Rn. 12).
IV. Auswirkungen für die Praxis
Für die forensische Praxis von Bedeutung ist der Hinweis des Senats darauf, dass das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers einer Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch zu seinen Ungunsten in Fällen wie dem vorliegenden nicht entgegensteht (Rn. 15). Denn im Fall der Aufhebung und Zurückverweisung müsste das Berufungsgericht die Berufung - insgesamt - als unbegründet zurückweisen. Die Prozessökonomie erfordert, dass bereits das Rechtsbeschwerdegericht selbst eine solche Sachentscheidung trifft, wenn das Rechtsmittel aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben kann und die Sache in diesem Sinne zur Endentscheidung reif ist. In diesem Falle beruht die Beschwerdeentscheidung nicht auf der in der Beurteilung des Rechtsmittels als unzulässig liegenden Gesetzesverletzung (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – XI ZB 16/18 –, Rn. 17).
BGH: Schwarzgeldabrede beim Grundstückskaufvertrag
1. Wird der Kaufpreis bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrags in der Absicht, Steuern zu hinterziehen, niedriger angegeben als mündlich vereinbart (sog. Schwarzgeldabrede), ist der Vertrag in der Regel nicht nichtig. Anders liegt es nur, wenn die Steuerhinterziehungsabsicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Rechtsgeschäfts ist; dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall, wenn der Leistungsaustausch, d.h. die Verpflichtung des Verkäufers zur Übertragung des Grundstücks und die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises, ernstlich gewollt ist.
2. Die Erwägungen, die im Falle eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Dienst- oder Werkvertrags führen, sind auf Schwarzgeldabreden im Rahmen von Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar.
BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 115/22
Problemstellung
Nach der neueren Rechtsprechung des VII. Zivilsenats führen Verstöße gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Vertrags über Werk- oder Dienstleistungen (vgl. dazu: Geisler, jurisPR-BGHZivilR 17/2013 Anm. 1; Nassall, jurisPR-BGHZivilR 12/2014 Anm. 2). Der V. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob entsprechend eine Schwarzgeldabrede auch bei einem Grundstückskaufvertrag zur Nichtigkeit des Vertrags führt.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte verkaufte der Klägerin eine Wohnung; in dem Vertrag erklärten die Parteien zugleich die Auflassung. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 120.000 € beurkundet. Tatsächlich vereinbart war ein Preis von 150.000 €. Den Differenzbetrag von 30.000 € hatte die Klägerin dem Beklagten bereits vor dem Beurkundungstermin in bar gezahlt. Nach Zahlung des restlichen Kaufpreises von 120.000 € an den Beklagten wurde die Klägerin als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Nachdem der Beklagte gegenüber dem Finanzamt eine Selbstanzeige erstattet und das Finanzamt die Grunderwerbsteuer für den gesamten Kaufpreis festgesetzt hatte, führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags und dessen Rückabwicklung. Im Zuge dessen beantragte und bewilligte die Klägerin auf Verlangen und zu Gunsten des Beklagten die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch. Der Beklagte überwies daraufhin 120.000 € auf das Treuhandkonto eines Notars, der den Betrag an die Klägerin auszahlte, obwohl der Beklagte noch nicht wieder als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden war. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das Landgericht hat den Kaufvertrag als nichtig angesehen und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten verurteilt, der Löschung des Widerspruchs zuzustimmen. Der Anspruch der Klägerin ergebe aus § 894 BGB. Die Klägerin sei durch die Auflassung und Eintragung in das Grundbuch Eigentümerin der Wohnungs- und Teileigentumseinheit geworden; der Beklagte habe die Eintragung des Widerspruchs zu Unrecht erwirkt. Zwar sei der beurkundete Kaufvertrag wegen der bewusst falschen Kaufpreisangabe nach § 117 Abs. 1 BGB als Scheingeschäft nichtig. Das verdeckte Rechtsgeschäft, der mündlich geschlossene Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 150.000 €, sei aber wirksam. Durch die Auflassung und Eintragung der Klägerin in das Grundbuch sei der Formmangel gemäß § 313b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt worden. Der Kaufvertrag verstoße nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten (§§ 134, 138 Abs. 1 BGB), da die mit der falschen Kaufpreisangabe einhergehende Hinterziehung von Grunderwerbsteuer nicht Hauptzweck des Vertrags gewesen sei. Vielmehr hätten die Parteien den vertraglich vereinbarten Leistungsaustausch ernstlich gewollt. Die Rechtsprechung des VII. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs zu sogenannten „Ohne-Rechnung-Abreden“ bei Werkverträgen lasse sich auf Immobilienkaufverträge nicht übertragen.
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht nimmt rechtsfehlerfrei an, dass die Klägerin von dem Beklagten die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs verlangen kann, weil sie rechtswirksam Eigentümerin geworden und das Grundbuch somit in Bezug auf den eingetragenen Widerspruch unrichtig ist. Das Berufungsgericht leitet den Grundbuchberichtigungsanspruch der Klägerin zutreffend aus § 894 BGB ab. Gläubiger des aus dieser Norm folgenden Berichtigungsanspruchs ist zwar gewöhnlich der nicht eingetragene wahre Berechtigte, Schuldner der zu Unrecht eingetragene Buchberechtigte. Die Vorschrift gilt aber entsprechend für den eingetragenen wahren Berechtigten, der die Löschung eines Widerspruchs erreichen möchte, dessen Eintragung der vermeintliche Berechtigte (materiell) zu Unrecht erwirkt hat. Die Klägerin ist Eigentümerin der Wohnungs- und Teileigentumseinheit und damit wahre Berechtigte iSv. § 894 BGB, denn sie hat mit der Auflassung und Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch gemäß § 873 Abs. 1, § 925 Abs. 1 BGB das Eigentum an der Einheit erworben. Anders läge es nur, wenn der Kaufvertrag nichtig wäre und der Wirksamkeitsmangel auch die Auflassung als dingliches Erfüllungsgeschäft erfasste. Bereits ersteres verneint das Berufungsgericht zurecht. Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist wirksam.
Der Kaufvertrag ist nicht formunwirksam. Zwar war der beurkundete Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 120.000 € nicht gewollt und als Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, während der gewollte, lediglich mündlich geschlossene Vertrag mit einem Kaufpreis von 150.000 € gemäß § 117 Abs. 2, § 311b Abs. 1 Satz 1, § 125 Satz 1 BGB zunächst formnichtig war. Der Formmangel wurde aber durch die in dem notariellen Vertrag erklärte Auflassung und die Eintragung der Klägerin in das Grundbuch gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt. Der Kaufvertrag ist nicht nach §§ 134, 138 Abs. 1 BGB nichtig. Weder verstößt der Grundstückskaufvertrag selbst gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten noch führt eine etwaige isolierte Nichtigkeit der Abrede über die Unterverbriefung, d.h. die Nichtbeurkundung eines Teils des Kaufpreises in Höhe von 30.000 €, nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags.
Die Schwarzgeldabrede führt aber nicht wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unmittelbar zur Nichtigkeit des Kaufvertrages. Mangels abschließender Feststellungen ist für die Revisionsinstanz zugunsten des Beklagten davon auszugehen, dass die Unterverbriefung dazu diente, den Finanzbehörden einen geringeren Kaufpreis vorzuspiegeln, um hierdurch Steuern zu hinterziehen. Wird der Kaufpreis bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrags in der Absicht, Steuern zu hinterziehen, niedriger angegeben als mündlich vereinbart (sog. Schwarzgeldabrede), ist der Vertrag in der Regel nicht nichtig. Anders liegt es nur, wenn die Steuerhinterziehungsabsicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Rechtsgeschäfts ist; dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall, wenn der Leistungsaustausch, d.h. die Verpflichtung des Verkäufers zur Übertragung des Grundstücks und die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises, ernstlich gewollt ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung zwischenzeitlich ergangener Entscheidungen des VII. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs zu Verstößen gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) fest. Diese zum Werkvertragsrecht ergangenen Entscheidungen sind auf Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar. Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist ein unter den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes fallender Vertrag ohne weiteres in seiner Gesamtheit nichtig, wenn darin Regelungen enthalten sind, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich auf Grund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. In subjektiver Hinsicht reicht es dafür aus, dass der Unternehmer vorsätzlich gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt. Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit des Vertrags tritt dabei unabhängig von dem verfolgten Hauptzweck des Vertrags ein (BGH, Urteil vom 1. August 2013 - VII ZR 6/13, Rn. 12 ff.; BGH, Urteil vom 10. April 2014 - VII ZR 241/13, Rn. 12; BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - VII ZR 216/14, Rn. 10; BGH, Urteil vom 16. März 2017 - VII ZR 197/16, Rn. 18). Die Erwägungen, die im Falle eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Dienst- oder Werkvertrags führen, sind auf Schwarzgeldabreden im Rahmen von Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar. Das Verbotsgesetz, gegen das durch eine solche Abrede verstoßen wird, hat eine andere Zielrichtung. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 aF (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nF) SchwarzArbG verbietet unmittelbar den Abschluss von Verträgen, die auf die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gerichtet sind. Dies beruht darauf, dass das Ziel des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes gemäß § 1 Abs. 1 SchwarzArbG die Bekämpfung von Schwarzarbeit ist. Zur Erreichung dieses Zwecks will das Gesetz nicht nur den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit eindämmen, sondern im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung und des redlichen Wettbewerbs den zu Grunde liegenden Rechtsgeschäften ihre rechtliche Wirkung nehmen. Nur so kann der Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern schlechthin unterbunden werden. Eine entsprechende Regelung existiert für Schwarzgeldabreden beim Abschluss eines Grundstückskaufvertrags nicht. Eine solche Abrede kann zwar, wenn sie mit der Absicht getroffen wird, Steuern zu hinterziehen, gegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) verstoßen. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Der Schutzzweck dieser Norm liegt aber - anders als beim Verbot der Schwarzarbeit - nicht (auch) in dem Schutz des redlichen Wettbewerbs, etwa dem Schutz anderer Kaufinteressenten, sondern allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens. Dieser Zweck erfordert es nicht, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen. Darin liegt ein entscheidender Unterschied zu Zweck und Zielrichtung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes.
Allerdings hat die Vereinbarung der Falschangabe des Kaufpreises zum Zwecke einer nachfolgenden Steuerhinterziehung rechtlich etwas Anstößiges. Sie schlägt aber auf den gesamten Vertrag nur durch und lässt diesen selbst nur dann als rechtlich anstößig erscheinen, wenn die verbotene Steuerhinterziehung den von den Parteien beabsichtigten Hauptzweck des Vertrags bildet. Nur dann widerspricht das gesamte Rechtsgeschäft den der Rechtsordnung selbst innewohnenden rechtsethischen Werten und Prinzipien und ist wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Ist der Leistungsaustausch - Grundstückseigentum gegen Kaufpreis - ernstlich gewollt und die Steuerhinterziehung nur Nebenzweck, besteht nach der Zielrichtung des § 370 AO über die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung, so sie denn tatsächlich erfolgt, und die Beitreibung der hinterzogenen Steuern hinaus kein Grund dafür, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen. An der somit fortgeltenden Senatsrechtsprechung gemessen ist der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag nicht nach §§ 134, 138 Abs. 1 BGB nichtig. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lag der Hauptzweck des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags nicht in der Hinterziehung von Steuern begründet. Stattdessen war der Leistungsaustausch von den Parteien durch die Begründung rechtsverbindlicher Verpflichtungen ernstlich gewollt und wurde sodann auch vollzogen. Während dem Beklagten durch die Unterverbriefung kein Steuervorteil entstanden ist, lag die Ersparnis bei der - erst durch den Erwerbsvorgang angefallenen - Grunderwerbsteuer für die Klägerin bei 1.500 € und trat damit ersichtlich hinter ihrem Erwerbsinteresse zurück.
Da die Schwarzgeldabrede schon nicht zur Unwirksamkeit des Kaufvertrags führt, kann dahinstehen, ob sie darüber hinaus zur Nichtigkeit der Auflassung geführt hätte. Dies erscheint allerdings fraglich. Denn der Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen ein Verbotsgesetz oder gegen die guten Sitten führt, abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des § 138 Abs. 2 BGB, grundsätzlich nur zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts, nicht auch zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts. Anders liegt es nur, wenn das Verbotsgesetz gerade auch das Erfüllungsgeschäft verhindern will oder wenn der Verstoß gegen die guten Sitten auch im Erfüllungsgeschäft selbst liegt. Die Regelung in § 370 AO schützt indes (allein) den staatlichen Steueranspruch, d.h. das rechtzeitige und vollständige Steueraufkommen jeder einzelnen Steuerart; ihr Ziel ist es nicht, die - für sich genommen nicht anstößige - Übertragung von Grundeigentum zu verhindern.
Kontext der Entscheidung
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass ein Grundstückskaufvertrag wirksam ist, auch wenn er falsche Angaben zum Kaufpreis enthält (wie etwa die Aufspaltung des Gesamtaufwandes in einen Kaufpreis und einen angeblichen Werklohnanspruch wegen tatsächlich nicht beabsichtigter Sanierungsarbeiten), wodurch die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen getäuscht werden sollen. Die Absicht einer Steuerhinterziehung lässt einen Vertrag nur dann nichtig sein, wenn diese Absicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Rechtsgeschäft ist. So verhält es sich bei fehlerhaften Angaben in einem Kaufvertrag über ein Grundstück nicht, sofern die Begründung der Verpflichtung zur Übertragung des Grundstücks und die Verpflichtung zur Bezahlung des Kaufpreises ernstlich gewollt sind (BGH, Urteil vom 5. Juli 2002 – V ZR 229/01 –, mwN.). Die Heilung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB beschränkt sich jedoch auf derartige Formmängel. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass ein etwaiger Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nicht nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt wäre, denn die Heilung nach dieser Vorschrift bezieht sich nur auf eine zunächst bestehende Formnichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags. Andere Nichtigkeitsgründe, insbesondere die der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB, werden von der Vorschrift nicht erfasst (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 115/22 –, Rn. 10). Dieses Ergebnis entspricht dem maßgeblichen Zweck des § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB, der in dem Gedanken der Erfüllung zu sehen ist. Einem (im Übrigen wirksam geschlossenen) Vertrag soll, nachdem die Verfügung erfolgt ist, allein wegen des Formmangels nicht weiterhin die Wirksamkeit versagt werden. Anerkanntermaßen erstreckt sich die Heilungswirkung daher nicht auf weitere Nichtigkeitsgründe, die dazu führen, dass die Rechtsordnung dem nunmehr formwirksamen Rechtsgeschäft die Wirksamkeit versagt, wie etwa die fehlende Geschäftsfähigkeit, Verstöße gegen §§ 134, 138 BGB oder das Fehlen erforderlicher Genehmigungen. Ebenso wenig soll § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB bewirken, dass ein Vertrag entsteht, wenn die hierfür nach allgemeinem Vertragsrecht erforderlichen Voraussetzungen fehlen (BGH, Urteil vom 13. Mai 2016 – V ZR 265/14 –, Rn. 30, mwN.).
Auswirkungen für die Praxis
Nach § 16a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) kann bei Rechtsgeschäften, die auf den Kauf oder Tausch von inländischen Immobilien gerichtet sind, eine geschuldete Gegenleistung nur mittels anderer Mittel als Bargeld, Kryptowerten, Gold, Platin oder Edelsteinen bewirkt werden. Zwar hatte es im entschiedenen Fall für sich genommen keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrages, dass der nicht beurkundete Kaufpreisanteil in bar gezahlt wurde. Das Barzahlungsverbot des § 16a Abs. 1 Satz 1 GwG findet auf einen - wie hier - vor dem 1. April 2023 geschlossenen Vertrag keine Anwendung (§ 59 Abs. 11 GwG). Der Senat hält jedoch den Hinweis eines obiter dictums für würdig, es könne dahinstehen, ob sich aus dem Barzahlungsverbot des § 16a Abs. 1 Satz 1 GwG etwas anderes ergeben könnte (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 115/22 –, Rn. 12). Dies deutet darauf hin, dass bei nach dem 1. April 2023 geschlossenen Kaufverträgen über inländische Immobilien Verstöße gegen das Barzahlungsgebot zur Unwirksamkeit des Kaufvertrages führen können, so dass eine Heilung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr möglich ist.
BGH: Oldtimer-Kaufvertrag
1. Haben die Parteien eines Kaufvertrags (ausdrücklich oder stillschweigend) eine Beschaffenheit der Kaufsache im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF vereinbart, ist ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für Mängel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF gelten soll.
2. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt beim Kauf eines (hier fast 40 Jahre alten) Gebrauchtwagens auch dann nicht in Betracht, wenn die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils (hier: Klimaanlage) den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet. Insbesondere rechtfertigen in einem solchen Fall weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass sich ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung erstrecken soll.
3. Haben die Parteien die "einwandfreie" Funktionsfähigkeit eines typischerweise dem Verschleiß unterliegenden Fahrzeugbauteils im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF vereinbart, liegt ein Sachmangel vor, wenn sich dieses Bauteil bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs in einem Zustand befindet, der seine einwandfreie Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Das gilt unabhängig davon, ob insoweit ein "normaler", das heißt ein insbesondere nach Alter, Laufleistung und Qualitätsstufe nicht ungewöhnlicher, die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigender Verschleiß vorliegt - der nach der Senatsrechtsprechung einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF nicht begründet - und/oder ob bei objektiver Betrachtung jederzeit mit dem Eintreten einer Funktionsbeeinträchtigung dieses Bauteils zu rechnen war.
BGH, Urteil vom 10. April 2024 – VIII ZR 161/23
Problemstellung
Der VIII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte schaltete Anfang des Jahres 2021 als privater Verkäufer auf einer Onlineplattform eine Anzeige über den Verkauf eines erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. Die Fahrzeugbeschreibung enthielt u.a. folgende Angaben: "[…] Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung." Nachdem die Parteien eine gemeinsame Probefahrt durchgeführt hatten, schlossen sie am 5. März 2021 einen schriftlichen Kaufvertrag über das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 25.000 €. Darin heißt es: "Das Kraftfahrzeug wird unter Ausschluss der Sachmängelhaftung verkauft." Nach Übernahme des Fahrzeugs stellte der Kläger im Mai 2021 fest, dass die Klimaanlage nicht funktionierte. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers mit Schreiben vom 3. Juni 2021 zurückgewiesen hatte, ließ der Kläger die Klimaanlage instand setzen und verlangte anschließend die Erstattung der Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 3.506,35 € von dem Beklagten. Er behauptet, der Klimakompressor sei bereits zum Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs defekt gewesen.
Die auf Zahlung der Hälfte der genannten Reparaturkosten (1.753,17 €) gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch stehe der wirksam vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegen. Dieser erstrecke sich auch auf den vom Kläger gerügten Mangel an der Klimaanlage. Das Amtsgericht habe zu Recht auf der Grundlage der Internetanzeige eine Beschaffenheitsvereinbarung über die Funktionsfähigkeit der Klimaanlage zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe an den Kläger angenommen. Daraus folge indes nicht zugleich die gewährleistungsrechtliche Einstandspflicht des Beklagten. Bei einem rund 40 Jahre alten Fahrzeug müsse angesichts der unvermeidlichen und teils gebrauchsunabhängigen Alterung einzelner Bauteile stets mit dem Auftreten von Instandsetzungs- oder Überholungsbedarf gerechnet werden (LG Limburg, Urteil vom 30. Juni 2023 – 3 S 124/22).
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 437 Nr. 3 BGB, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB (in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung - im Folgenden: aF -; nunmehr § 434 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 BGB), § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB wegen des gerügten Mangels an der Klimaanlage nicht verneint werden. Gemäß § 437 Nr. 3 BGB kann der Käufer nach den Vorschriften der §§ 280, 281 BGB Schadensersatz verlangen, wenn die Sache mangelhaft ist. Von diesen Bestimmungen zum Nachteil des Käufers abweichende Abreden sind im Grundsatz zulässig, sofern es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt (vgl. § 476 Abs. 1 BGB aF). Dabei sind Inhalt und Umfang derartiger Vereinbarungen nach den allgemeinen Regeln durch Auslegung zu ermitteln. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Beklagte sich danach nicht mit Erfolg auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen. Denn dieser Ausschluss erstreckt sich nicht auf einen etwaigen Mangel an der Klimaanlage. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings - wenn auch unausgesprochen - angenommen, dass der im Streitfall vereinbarte allgemeine Gewährleistungsausschluss für Sachmängel wirksam ist. Denn es handelt sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag weder um einen Verbrauchsgüterkauf, bei dem Regelungen, die die kaufrechtliche Haftung des Verkäufers einschränken oder ausschließen, gemäß § 476 Abs. 1 BGB aF unzulässig sind, noch bestehen Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des vertraglich vereinbarten Ausschlusses der Sachmängelhaftung aus anderen Gründen.
Mit Rechtsfehlern behaftet ist die weitere Annahme des Berufungsgerichts, auch der Umstand, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Funktionsfähigkeit der Klimaanlage im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF getroffen haben, schließe es nicht aus, dass der Beklagte sich mit Erfolg auf den vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss gegenüber einem etwaigen Anspruch des Klägers wegen des seinerseits gerügten Defekts an der Klimaanlage berufen könne. In den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit iSv. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF ist ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für Mängel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF gelten soll. Denn andernfalls wäre die gleichrangig neben dem Gewährleistungsausschluss stehende Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer - außer im Fall der Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1 BGB) - ohne Sinn und Wert. Danach steht der Gewährleistungsausschluss einer Haftung des Beklagten wegen des vom Kläger behaupteten Mangels an der Klimaanlage nicht entgegen. Denn das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Parteien über die Funktionsfähigkeit der Klimaanlage eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben. Eine von den zuvor genannten Grundsätzen abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Parteien über die Funktionsfähigkeit der Klimaanlage eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben, lässt einen Rechtsfehler auch nicht erkennen. Eine Beschaffenheitsvereinbarung iSv. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF setzt voraus, dass der Verkäufer in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen. An das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs.1 Satz 1 BGB aF sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine solche Vereinbarung kommt nur in eindeutigen Fällen in Betracht. Ob danach im Einzelfall eine Beschaffenheitsvereinbarung zu bejahen ist, ist eine Frage der Vertragsauslegung. Das betrifft auch die Frage, ob die Parteien die in einer Internetanzeige enthaltenen Angaben zu der Kaufsache - die für sich betrachtet als öffentliche Äußerung über Eigenschaften der Kaufsache iSv. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB aF gelten, welche das Gesetz zu der gewöhnlichen Beschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aF zählt - (stillschweigend) in den Vertrag einbezogen und auf diese Weise zum Inhalt einer Beschaffenheitsvereinbarung gemacht haben. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, die Parteien hätten die in der Internetanzeige enthaltene Angabe "Klimaanlage funktioniert einwandfrei" (stillschweigend) in den Vertrag einbezogen und auf diese Weise zum Inhalt einer dahingehenden Beschaffenheitsvereinbarung gemacht, dass das Fahrzeug mit einer funktionsfähigen Klimaanlage ausgestattet sei.
Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, einem etwaigen Anspruch des Klägers stehe gleichwohl - trotz des Vorliegens einer diesbezüglichen Beschaffenheitsvereinbarung - der vertraglich vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegen, ist indes von grundlegenden Rechtsfehlern beeinflusst. Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige unmittelbar im Anschluss an die Angabe "Klimaanlage funktioniert einwandfrei" erklärt hat, dass der Verkauf "unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung" erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die in der Internetanzeige enthaltene, stillschweigend in den Vertrag einbezogene Erklärung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige Sachmängel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF aufzufassen. Nur ein solches Verständnis genügt dem Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls - außer im Fall der Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1 BGB) - ohne Sinn und Wert wäre. Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem - wie hier - die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass sich ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung erstrecken soll. Die gegenteilige Sichtweise des Berufungsgerichts beruht auf einer Vermengung von verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten, die richtigerweise einer getrennten Betrachtung bedürfen. So können die vom Berufungsgericht herangezogenen vorgenannten Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) zwar unter bestimmten Umständen für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit eines Gebrauchtwagens, mithin für die Frage des Vorliegens eines Sachmangels, von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch keine Rolle für die davon zu unterscheidende Frage, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss hat, insbesondere ob er auch für das Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Vielmehr beansprucht der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, unabhängig sowohl von der Art und den spezifischen Merkmalen der Kaufsache als auch von dem Inhalt der Beschaffenheitsvereinbarung Gültigkeit. Er findet mithin auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat. Denn auch in einer solchen Konstellation wäre die Beschaffenheitsangabe für den Käufer andernfalls - außer bei Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1 BGB) - sinn- und wertlos. Für den Streitfall bedeutet dies, dass der Beklagte sich gegenüber den geltend gemachten Ansprüchen des Klägers wegen der gerügten Funktionsuntüchtigkeit der Klimaanlage nicht mit Erfolg auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann, und zwar unabhängig von deren Alter und deren aus technischer Sicht zu erwartenden Lebensdauer.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sind weder das Vorliegen eines Sachmangels im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF noch die Erfüllung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Schadensersatzanspruchs des Klägers ausgeschlossen. Ein Sachmangel in Gestalt einer Abweichung von einer vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF) läge im Streitfall vor, wenn die Klimaanlage sich bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs in einem Zustand befunden haben sollte, der ihre einwandfreie Funktionsfähigkeit beeinträchtigte. Auch dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass es sich bei der Kaufsache um ein Fahrzeug handelt, das zum Zeitpunkt der Übergabe fast 40 Jahre alt war, und dass es sich bei der Klimaanlage um eine Einrichtung des Fahrzeugs handelt, die typischerweise dem Verschleiß unterliegt. Indem das Berufungsgericht die Verneinung einer Gewährleistungspflicht des Beklagten wegen eines etwaigen Fehlens der vereinbarten Funktionsfähigkeit der Klimaanlage maßgeblich damit begründet hat, dass der Kläger angesichts des hohen Alters der Klimaanlage sowie des Umstands, dass es sich bei der Klimaanlage um ein dem Verschleiß und der Alterung unterliegendes Bauteil handelt, jederzeit mit deren Ausfall und anschließendem Instandsetzungsbedarf habe rechnen müssen, hat es irrigerweise den Maßstab herangezogen, der für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit beim Kauf eines Gebrauchtwagens im Hinblick auf Verschleißerscheinungen gilt, wenn und soweit die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen haben. Danach begründet beim Kauf eines Gebrauchtwagens ein "normaler", das heißt ein insbesondere nach Alter, Laufleistung und Qualitätsstufe nicht ungewöhnlicher, die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigender Verschleiß einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF nicht. Da es den Parteien eines Kaufvertrags unbenommen ist, eine Beschaffenheit der Kaufsache zu vereinbaren, die über die Sollbeschaffenheit iSv. § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF hinausgeht, stehen diese Grundsätze der Bejahung eines Sachmangels aber nicht entgegen, wenn - wie hier - die Funktionsbeeinträchtigung eines typischerweise dem Verschleiß unterliegenden Bauteils in Rede steht, dessen (einwandfreie) Funktionsfähigkeit die Parteien vereinbart haben. Vielmehr liegt in einer solchen Konstellation stets ein Sachmangel vor, wenn die vereinbarte Funktionsfähigkeit des betreffenden Bauteils bei Gefahrübergang nicht gegeben ist. Ein Sachmangel wäre daher zu bejahen, wenn die Klimaanlage sich bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs in einem Zustand befunden haben sollte, der ihre einwandfreie Funktionsfähigkeit beeinträchtigte. Dies hat das Berufungsgericht bislang offengelassen. Ein Sachmangel käme aber auch dann in Betracht, wenn der Funktionsausfall des Klimakompressors erst nach Gefahrübergang eingetreten sein sollte, dieser Defekt seinerseits aber auf eine Ursache zurückzuführen wäre, die eine vertragswidrige Beschaffenheit des Fahrzeugs darstellt und die bei Gefahrübergang bereits vorhanden war. Eine vertragswidrige Beschaffenheit in diesem Sinne wäre zu bejahen, wenn die gegebene Ursache bedeutete, dass die Klimaanlage - in Anbetracht ihres Alters und ihrer Qualitätsstufe - als nicht "einwandfrei funktionsfähig" anzusehen wäre.
Kontext der Entscheidung
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer vertraglich (ausdrücklich oder stillschweigend) getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung iSv. § 434 Abs. 2 Satz 1 BGB ein daneben vereinbarter Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für Mängel nach § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB gelten kann (zu § 434 Abs. 1 BGB aF: BGH, Urteil vom 29. November 2006 - VIII ZR 92/06, Rn. 31; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - VIII ZR 96/12, Rn. 19; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - VIII ZR 117/12, Rn. 15). Denn ansonsten wäre die gleichrangig neben dem Gewährleistungsausschluss stehende Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer - außer im Falle der Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1 BGB) - ohne Sinn und Wert. Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht auf öffentliche Äußerungen über Eigenschaften der Kaufsache im Sinne von § 434 Abs. 3 Satz 2 b) BGB übertragen. Das Gesetz hat diese Äußerungen nicht mit einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 2 Satz 1 BGB gleichgesetzt, sondern zählt sie zu der Beschaffenheit nach § 434 Abs. 3 Nr. 2 BGB, also zu der Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann (BT-Drucks 14/6040, S. 214). Hinsichtlich einer gesetzlich geschuldeten Beschaffenheit kann der Verkäufer seine Haftung durch eine vertragliche Vereinbarung grundsätzlich ausschließen. Denn in solchen Fällen stehen nicht zwei vertragliche und damit - zumindest aus Sicht des Käufers - gleichrangige Vereinbarungen (Beschaffenheitsvereinbarung; Gewährleistungsausschluss) nebeneinander, deren innerer Widerspruch im Wege einer interessengerechten Auslegung aufzulösen ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen rein gesetzlichen Haftungstatbestand. Damit treffen nicht zwei gleichrangige, sich inhaltlich widersprechende vertragliche Vereinbarungen aufeinander, sondern es existiert nur eine vertragliche Regelung, nämlich die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für Gewährleistungsansprüche. Im Hinblick auf dieses Rangverhältnis der beiden Regelungen ist eine einschränkende Auslegung eines umfassenden Gewährleistungsausschlusses in diesen Fällen nicht geboten (zu § 434 BGB aF: BGH, Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 271/16 –, Rn. 24 - 25).
Auswirkungen für die Praxis
Für die Abgrenzung zwischen Verbraucher- und Unternehmerhandeln ist grundsätzlich die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts entscheidend. Dabei kommt es maßgeblich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Parteien bei Vertragsschluss an. Bei dem Ankauf einer beweglichen Sache gemäß § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB als Verbrauchsgüterkauf ist hierbei darauf abzustellen, zu welchem Zweck der Käufer diese zu benutzen beabsichtigt. Das rechtsgeschäftliche Handeln einer natürlichen Person ist mit Rücksicht auf den Wortlaut des § 13 BGB grundsätzlich als Verbraucherhandeln anzusehen; eine Zuordnung entgegen dem mit dem rechtsgeschäftlichen Handeln objektiv verfolgten Zweck kommt nur in Betracht, wenn die dem Vertragspartner bei Vertragsschluss erkennbaren Umstände eindeutig und zweifelsfrei darauf hinweisen, dass die natürliche Person in Verfolgung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (BGH, Urteil vom 07. April 2021 – VIII ZR 49/19; BGH, Urteil vom 07. April 2021 – VIII ZR 191/19).
BGH: Zu spät ist zu spät (Anschlussberufung)
1. Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
2. Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Für eine solche Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz bedarf es weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.
BGH, Urteil vom 23. Februar 2024 – V ZR 111/23
1. Problemstellung
Der V. Zivilsenat hatte die bisher von ihm offengelassene Frage (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 27) zu entscheiden, ob die Zulassung einer verspäteten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG dann geboten sein kann, wenn nach dem bisherigen Prozessverlauf bis zum Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung auch ein kundiger und gewissenhafter Berufungsbeklagter nicht damit rechnen konnte, dass das ihm günstige erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben wird und er den Verlust des Rechtsstreits nur durch eine Anschlussberufung vermeiden kann.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien sind Eigentümer mehrerer aneinandergrenzender und von ihnen jeweils bewirtschafteter Grundstücke, deren Grenzen nicht durch verbindliche Grenzzeichen markiert sind. Im Jahr 2018 führte das Vermessungsamt eine Vermessung der Grenzverläufe durch. Die ermittelten Grenzpunkte werden von den Beklagten nicht anerkannt, weil sie von den Bewirtschaftungsgrenzen abweichen. Mit der Klage hat der Kläger erstinstanzlich zunächst die Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Feststellungen des Vermessungsamtes beantragt. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines Gutachtens durch eine Vermessungssachverständige. Auf den Hinweis des Landgerichts, dass sich auf Grundlage des Sachverständigengutachtens kein exakter Grenzverlauf feststellen lasse und daher die Grenzscheidung (§ 920 BGB) beantragt werden müsse, hat der Kläger seine Klage geändert. Dem zuletzt gestellten Antrag auf Grenzscheidung entlang der im Sachverständigengutachten festgestellten Grenzpunkte hat das Landgericht stattgegeben. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Hinweis des Landgerichts nicht zutreffend gewesen sei und das Klageziel nur mit einer Grenzfeststellungsklage (Feststellung des Eigentums an dem Grundstück in näher bezeichneten Grenzen) erreicht werden könne. Daraufhin hat der Kläger erneut seinen ursprünglichen Klageantrag auf Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Ermittlungen der Sachverständigen gestellt. Das Berufungsgericht hat unter Änderung des Tenors des landgerichtlichen Urteils nach Maßgabe dieses Klageantrags die Berufung zurückgewiesen (OLG Nürnberg, Urteil vom 9. Mai 2023 – 6 U 1035/22). Es ging davon aus, dass in der Berufungsinstanz eine Klageänderung erklärt worden sei. Zwar sei die Berufungserwiderungsfrist, bis zu deren Ablauf der Kläger Anschlussberufung hätte einlegen können, zum Zeitpunkt der Klageänderung bereits abgelaufen gewesen. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist in direkter oder analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO komme nicht in Betracht. Die Klageänderung sei aber wegen des Verstoßes gegen die Prozessleitungspflicht aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Landgericht nach § 533 ZPO zulässig. Der Verstoß liege darin, dass der Kläger seinen ursprünglich gestellten Grenzfeststellungsantrag erst auf den Hinweis des Landgerichts in einen Grenzscheidungsantrag abgeändert, diesen auf Bitten des Landgerichts nicht als Hilfsantrag aufrechterhalten und erst auf den Hinweis des Berufungsgerichts wieder gestellt habe. Im Übrigen sei die Zulassung der mit dem Klageänderungsschriftsatz konkludent eingelegten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dem Kläger könne nicht vorgeworfen werden, dass er nicht entgegen dem Hinweis des Landgerichts hilfsweise an seinem Grenzfeststellungsantrag festgehalten oder fristgerecht Anschlussberufung eingelegt habe. Dem kundigen, anwaltlich vertretenen und gewissenhaften Rechtsuchenden könne nicht abverlangt werden, das Recht besser zu kennen als das Gericht. Zudem müsse er das mit einem Hilfsantrag verbundene Kostenrisiko nicht eingehen. Der Feststellungsantrag sei begründet. Der Kläger habe den Grenzverlauf durch das Sachverständigengutachten bewiesen.
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Allerdings rügt die Revision zu Recht, dass ausgehend vom prozessualen Standpunkt des Berufungsgerichts der in der Berufungsinstanz geänderte Klageantrag hätte abgewiesen werden müssen. Wäre für die Änderung des Klageantrags eine Anschlussberufung erforderlich gewesen, wäre diese wegen Versäumung der Anschlussberufungsfrist unzulässig gewesen. Die Berufungserwiderungsfrist lief bis zum 28. Juli 2022; der den geänderten Klageantrag enthaltende Schriftsatz ist am 19. Oktober 2022 bei Gericht eingegangen. Richtig ist weiter, dass eine Wiedereinsetzung in die Anschlussberufungsfrist in direkter oder analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO von vornherein nicht in Betracht kommt. Selbst wenn der den Klageantrag ändernde Schriftsatz vom 19. Oktober 2022 als konkludent eingelegte Anschlussberufung verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszulegen sein sollte, wäre eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung nicht möglich.
Rechtsfehlerhaft sind aber beide Begründungen, mit denen das Berufungsgericht die nach seiner Ansicht erklärte Klageänderung trotz Ablaufs der Anschlussberufungsfrist (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) als zulässig erachtet. Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist. Selbst dann, wenn das Landgericht gegen die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstoßen hätte, was auf der insoweit maßgeblichen Grundlage seiner materiell-rechtlichen Würdigung nicht der Fall war, so ergäbe sich hieraus kein Grund, die Wahrung der Anschlussberufungsfrist als entbehrlich anzusehen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich auch nicht unmittelbar aus den Verfahrensgrundrechten (z.B. Art. 103 Abs. 1 GG) eine Grundlage dafür, nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eine Anschlussberufung einzulegen. Der Senat hatte bisher zwar offengelassen, ob die Zulassung einer verspäteten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG dann geboten sein könnte, wenn nach dem bisherigen Prozessverlauf bis zum Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung auch ein kundiger und gewissenhafter Berufungsbeklagter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht damit rechnen konnte, dass das ihm günstige erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben wird und er den Verlust des Rechtsstreits nur durch eine Anschlussberufung vermeiden kann (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 27). Diese Erwägung ist aber überholt, weil der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden hat, dass der von § 233 ZPO nicht erfasste Fall der versäumten Frist zur Einlegung der Anschlussberufung auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20, Rn. 37 ff.). Da die verfassungskonforme Auslegung der prozessualen Fristvorschriften nicht zur Zulassung einer (unverschuldet) verspätet eingelegten Anschlussberufung führt, kann sich eine Zulassung erst recht nicht unmittelbar aus den Verfahrensgrundrechten ergeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Einlegung einer Anschlussberufung ohnehin nicht erforderlich ist. Ein Anschluss an die fremde Berufung ist erforderlich, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil nicht nur verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern oder einen neuen, in erster Instanz nicht vorgebrachten Anspruch geltend machen will. Der Kläger muss also eine Anschlussberufung einlegen, wenn er die vor dem erstinstanzlichen Gericht erfolgreiche Klage in der Berufungsinstanz - durch Änderung des Klageantrags und/oder Lebenssachverhalts - gemäß § 263 ZPO ändern oder gemäß § 264 Nr. 2 ZPO erweitern will, indem er z.B. zusätzlich einen Hilfsantrag stellt, der in dem ursprünglichen Antrag nicht bereits als Minus enthalten ist oder mit dem er ein anderes Klageziel als mit dem Hauptantrag verfolgt. Eine Anschlussberufung ist andererseits aber nur zulässig, wenn das Begehren des Anschlussberufungsklägers auf mehr gerichtet ist, als ihm das angefochtene Urteil zugesprochen hat, damit also mehr erreicht werden soll als die Zurückweisung der Berufung. Unzulässig ist daher die Anschließung mit einem Antrag, der dem bereits in erster Instanz zuerkannten Klageantrag entspricht. Sie kommt nicht in Betracht für die mit einem Übergang von einem Leistungs- zu einem Feststellungsantrag verbundene Antragsbeschränkung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO, eine Antragsanpassung gemäß § 264 Nr. 3 ZPO, eine Antragsumstellung auf Zahlung an den Zessionar oder eine Erweiterung um einen Hilfsantrag, mit dem der Kläger in anderen Worten dasselbe Klageziel wie mit dem Hauptantrag verfolgt (Nachweise in Rn. 12). Bei Anwendung dieser Maßstäbe musste der Kläger keine Anschlussberufung einlegen. Denn mit dem im Berufungsverfahren gestellten Grenzfeststellungsantrag wollte der Kläger nichts erreichen, was über seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung hinausgeht. Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen - wie hier - jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Zwar hat der Kläger seine Klage von einer Gestaltungsklage auf eine Feststellungsklage umgestellt. Während die Grenzfeststellungsklage auf die (deklaratorische) Feststellung des Eigentums an der streitigen Grundstücksfläche gerichtet ist, handelt es sich bei der auf eine (konstitutive) Begründung originären Eigentums gerichteten Grenzscheidungsklage um eine auf den Erlass eines Gestaltungsurteils gerichtete Klage. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat der Kläger nicht nur verschiedene Feststellungsanträge „angepasst“. Er hat zwar auch seinen auf § 920 BGB gestützten Grenzscheidungsantrag unter Verwendung des Begriffs „Feststellung“ formuliert; dies macht den Antrag aber nicht zu einem Feststellungsantrag.
Anders als die Beklagten meinen, führt jedoch allein die Änderung des Klageantrags nicht zu einer Klageerweiterung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO. Es stellt eine bloße Abwandlung des Klageantrages dar, wenn der neue Antrag sich auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht, d.h. bei gleichbleibendem Klagegrund nur weitergehende Rechtsfolgen aus diesem hergeleitet werden. Nach diesem Maßstab begehrt der Kläger mit dem im Berufungsverfahren gestellten Grenzfeststellungsantrag nicht mehr als mit der erstinstanzlich zuletzt beantragten Grenzscheidungsklage. Der Kläger stützt die Grenzfeststellungsklage auf denselben Klagegrund wie die Grenzscheidungsklage. Die von dem Kläger vorgetragenen Tatsachen und die Anknüpfungstatsachen für das Sachverständigengutachten sind genauso unverändert geblieben wie das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, das sich der Kläger zu eigen gemacht hat. Der Kläger zieht hieraus lediglich andere rechtliche Schlüsse. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der unterschiedlichen Darlegungslast einer Grenzfeststellungsklage im Vergleich zu einer Grenzscheidungsklage (§ 920 BGB). Zwar mag der zugrundeliegende Lebenssachverhalt insoweit unterschiedlich sein, als für die Erhebung einer Grenzscheidungsklage ein Sachvortrag mit der Behauptung, die richtige Grenze lasse sich nicht ermitteln, erforderlich ist, wohingegen für eine schlüssige Grenzfeststellungsklage eine bestimmte Grenzlinie behauptet werden muss. Der Kläger hat aber seinen Vortrag sowohl erstinstanzlich als auch in der Berufungsinstanz darauf gestützt, dass der Grenzverlauf eindeutig festgestellt werden könne. Er hat - auch auf den Hinweis des Landgerichts - seinen Klageantrag gerade nicht damit begründet, dass sich der Grenzverlauf nicht ermitteln lasse. Seine erstinstanzliche Antragsänderung beruhte allein auf einer Beweiswürdigung des Landgerichts, nicht jedoch auf einem von dem Kläger geänderten Sachvortrag. Für eine solche Änderung des Klageantrags, die keine Klageerweiterung iSv. § 264 Nr. 2 ZPO enthält, bedarf es in der Berufungsinstanz weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.
3. Kontext der Entscheidung
Das Urteil schließt an den im ersten Leitsatz zitierten Beschluss des VIII. Zivilsenats an (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20). Gemäß § 233 Satz 1 ZPO findet die Wiedereinsetzung (nur) im Falle der unverschuldeten Versäumung einer Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag statt. Die dem Berufungsbeklagten gemäß § 521 Abs. 2 ZPO gesetzte Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anschließung zulässig ist, ist keine Notfrist iSd. § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO und wird auch nicht bei den sonstigen Fristen in § 233 ZPO aufgeführt. Bei Versäumung der Anschlussberufungsfrist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch in analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO nicht in Betracht, da sich nicht feststellen lässt, dass die fehlende Erwähnung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung in der Vorschrift des § 233 S. 1 ZPO auf einer planwidrigen Regelungslücke beruht (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20, Rn. 23). Weder der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Anspruch der Partei auf wirkungsvollen Rechtsschutz noch das von Art. 103 Abs. 1 GG garantierte Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern bei Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung eine generelle Ausdehnung des vom Gesetzgeber nur beschränkt eröffneten Anwendungsbereichs der Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der prozessualen Waffengleichheit für beide Parteien (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – VIII ZR 359/20 –, Rn. 37).
4. Auswirkungen für die Praxis
Auch im Verfahrensrecht kann der Gedanke des § 140 BGB (Umdeutung) herangezogen werden. So ist eine unzulässige Hauptberufung in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudeuten, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird. In aller Regel wird eine Partei eine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung retten wollen (BGH, Beschl. v. 02.02.2016 - VI ZB 33/15 Rn. 7). Auch eine eigene, aber wegen Fehlens einer ordnungsgemäßen Begründung unzulässige Berufung kann als Anschlussberufung aufrechterhalten werden, sofern sie fristgerecht in der Anschlussfrist begründet worden ist (BGH, Beschl. v. 30.10.2008 - III ZB 41/08). Steht die Umdeutung eines Rechtsmittels in ein anderes in Rede, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen des Rechtsmittels, in das umgedeutet werden soll, erfüllt sind (Nassall in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 140 BGB (Stand: 18.05.2022), Rn. 61 mwN.). Eine bei einem unzuständigen Gericht eingereichte Beschwerde kann deshalb nicht in eine Rechtsbeschwerde beim BGH umgedeutet werden (BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – XII ZB 27/02).
BGH: Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO
1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht.
2. Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen.
BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – V ZB 2/23
1. Problemstellung
§ 130d Satz 1 ZPO bestimmt, dass Rechtsanwälte Gerichtsschriftsätze als elektronisches Dokument übermitteln müssen. Nur wenn dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 ZPO). Mit den Anforderungen an die erforderlich Glaubhaftmachung hatte sich der V. Zivilsenat zu befassen.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Dem Kläger ist das klageabweisende Urteil des Landgerichts am 18. August 2022 zugestellt worden. Mit einem per Telefax am 4. Oktober 2022 an das OLG übermittelten dreiseitigen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, seit dem 8. September habe der beA-Account seines Prozessbevollmächtigten nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfrage bei der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter bislang noch keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den am 17. September 2022 gefertigten Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Sein Prozessbevollmächtigter habe deshalb Frau Rechtsanwältin J. gebeten, bis zum 19. September 2022 (Montag) den Schriftsatz über ihren beA-Account zu versenden. Erst am 20. September 2022 habe diese mitgeteilt, dass sie die Übersendung wegen einer plötzlichen Erkrankung ihres Kindes nicht habe vornehmen können. Sein Prozessbevollmächtigter habe in der Folgezeit beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin J. um die Versendung des Wiedereinsetzungsantrags zu bitten. Allerdings sei sie am 4. Oktober 2022 in ihrer Kanzlei nicht erreichbar gewesen. Der Telefonanschluss eines weiteren bekannten Rechtsanwalts, den sein Prozessbevollmächtigter um Übersendung habe bitten wollen, sei stets besetzt gewesen. Daher sei die Übermittlung des Wiedereinsetzungsantrags per Telefax erfolgt. Allerdings habe das Telefaxgerät technische Probleme gehabt, so dass sein Prozessbevollmächtigter nur den Wiedereinsetzungsantrag ohne die Berufungsschrift per Telefax versendet habe. Am Abend des 4. Oktober 2022 habe auch keine Gelegenheit mehr bestanden, einen Anwaltskollegen um den Versand zu bitten.
Am 7. Oktober 2022 ist bei dem OLG der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist vom 4. Oktober 2022 nebst einem nicht unterzeichneten Berufungsschriftsatz vom 17. September 2022 in Papierform eingegangen. Das OLG hat die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht versagt das Berufungsgericht dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Für die Wiedereinsetzung ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen. Hat es der Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist versäumt, eine wirksame Rechtsmittelschrift zu übermitteln, hat er dies somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist formgerecht nachzuholen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf derselben Form wie die versäumte Prozesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Die Wiedereinsetzungsfrist bei der Versäumung der Berufungsfrist beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen und beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist. Die Wiedereinsetzungsfrist endete deshalb spätestens am 4. Oktober 2022, weil der Kläger am 20. September 2022 erfahren hat, dass Rechtsanwältin J. den Berufungsschriftsatz nicht wie verabredet an das Berufungsgericht übermittelt hatte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit dem am 4. Oktober 2022 per Fax übersandten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist weder die versäumte Prozesshandlung wirksam nachgeholt noch einen formwirksamen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.
Es kann dahinstehen, ob angesichts des Wiedereinsetzungsantrags eine ausdrückliche Nachholung der Berufungseinlegung trotz § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO entbehrlich war, weil sich nach der für das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten offensichtlichen Verfahrens- und Interessenlage zweifelsfrei ergab, dass der Kläger sich nicht mit dem erstinstanzlichen Urteil abfinden, sondern Berufung einlegen und den Prozess weiterbetreiben wollte und bei dieser Sachlage der Wiedereinsetzungsantrag zugleich als Berufungsschrift auszulegen ist. Selbst wenn in dem Wiedereinsetzungsantrag zugleich die Einlegung der Berufung zu erblicken wäre, hätte der Kläger die versäumte Prozesshandlung nicht in der für sie vorgeschriebenen Form nachgeholt. Sein Prozessbevollmächtigter hat den Schriftsatz dem Berufungsgericht nicht als elektronisches Dokument übermittelt. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO ab dem 1. Januar 2022 als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen. Ein Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 1 ZPO sind vorliegend nicht erfüllt, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dem Berufungsgericht nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt hat, sondern nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 130, 131 ff. ZPO) per Telefax (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO). Da sich die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 1 ZPO nach den Vorschriften richtet, die für die versäumte Prozesshandlung gelten, hätte auch der Wiedereinsetzungsantrag als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.
Die Übermittlung per Telefax war als Ersatzeinreichung nicht ausnahmsweise gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausreichend. Ist eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung gemäß § 130d Satz 2 ZPO nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die eng auszulegende Ausnahmevorschrift bezweckt, dem Rechtsuchenden auch bei technischen Ausfällen eine wirksame Einreichung von Schriftsätzen zu ermöglichen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass eine Ausnahme von der zwingenden Benutzung eines elektronischen Übermittlungsweges nur dann gelten soll, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Wege erreichbar ist, gleichviel ob die Ursache dafür in der Sphäre des Gerichts oder des Einreichenden zu suchen ist. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird klargestellt, dass professionelle Einreicher hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Der Gesetzgeber wollte nur Fälle erfassen, in denen einer Übermittlung des Schriftsatzes in elektronischer Form rein technische Gesichtspunkte entgegenstehen, nicht dagegen in der Person des Einreichers liegende Gründe. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.
Dem Kläger ist es nicht gelungen, bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen nach § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Glaubhaft zu machen ist daher die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, sein beA-Account habe seit dem 8. September 2022 nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfragen bei der Bundesnotarkammer habe er bis zum Fristablauf keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Den höchstrichterlichen Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit iSd. § 130d Satz 3 ZPO wird die der Ersatzeinreichung beigegebene Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht, weil aus den Ausführungen nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob er die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Der beA-Account war nach seinem Vortrag funktionsunfähig. Zwar führt etwa eine Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs sowie der temporäre Ausfall der Netzwerkkarte grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit. Der zur Glaubhaftmachung gehaltene Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt aber gerade offen, ob die Funktionsunfähigkeit auf einer technischen Störung beruhte oder auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte zurückzuführen war. Von Letzterem geht das Berufungsgericht aus. Zu den erforderlichen technischen Einrichtungen, die ein professionelle Einreicher für die Übermittlung elektronischer Dokumente vorzuhalten hat, gehört nicht nur ein entsprechendes Endgerät, sondern auch die erforderliche gültige beA-Karte. Mangelt es an der notwendigen Ausstattung, beruht eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht auf technischen Gründen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Möglichkeit des Ablaufs der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte als Störungsursache nicht ausgeräumt. Er hat sich in seiner Glaubhaftmachung nicht dazu geäußert, ob er im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung überhaupt eine gültige beA-Karte vorgehalten hat oder ob und gegebenenfalls wann deren Gültigkeitsdauer abgelaufen war. Er ist auch nicht darauf eingegangen, wann er Kenntnis vom Ablauf der Gültigkeitsdauer erhalten konnte, und er hat nicht dargelegt, dass er rechtzeitig eine neue Karte beantragt hat. Sein Verweis auf die mehrmalige Nachfrage bei der Bundesnotarkammer genügt zur Glaubhaftmachung einer technischen Unmöglichkeit nicht, solange nicht dargelegt ist, dass er alle Anstrengungen unternommen hat, um rechtzeitig über eine gültige beA-Karte zu verfügen. Fehlt - wie hier - die Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO, so ist die Ersatzeinreichung unwirksam, so dass der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers unzulässig ist.
3. Kontext der Entscheidung
Der V. Zivilsenat kann sich auf die Rechtsprechung anderer Zivilsenate des BGH stützen. So hat bereits der XII. Zivilsenat, den der V. Zivilsenat im Leitsatz zitiert, bereits entschieden, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war. Dies ist der Fall, wenn als Ursache für die Fristversäumung nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Rechtsanwältin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23 –, Rn. 19). Zwar muss ein Rechtsanwalt nicht in jedem Einzelfall dazu vorzutragen und glaubhaft machen, dass die technischen Einrichtungen zur elektronischen Übermittlung ursprünglich gegeben und funktionstüchtig waren. Doch jedenfalls in den Fällen, in denen auf der Grundlage des Vorbringens des Rechtsanwalts davon auszugehen ist, dass Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bestand, diese jedoch unterblieben ist, muss der Rechtsanwalt darlegen, dass die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente ursprünglich vorhanden und einsatzfähig waren. Ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag verlangt nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22 –, Rn. 13).
4. Auswirkungen für die Praxis
Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11). Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11). Eine Prozesspartei muss es sich als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) zurechnen lassen, wenn dieser sich nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 20).
BGH: Von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die Zustellung eines Versäumnisurteils und die Fristwahrung eines dagegen gerichteten Einspruchs ist gemäß § 341 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen. § 531 Abs. 2 ZPO ist insoweit nicht anwendbar.
BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23
1. Problemstellung
Ob Vortrag einer Partei zu von Amts wegen zu überprüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Zustellung eines Versäumnisurteils wegen Verspätung zurückgewiesen werden darf, hatte der XII. Zivilsenat zu entscheiden.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte ist durch Versäumnisurteil zur Zahlung von 60.000,00 € verurteilt worden. Gegen dieses - nach der Zustellungsurkunde an V. N. (erster Vorname und Familienname des Beklagten) adressierte und am 14. Mai 2022 in den „zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung“ eingelegte - Versäumnisurteil hat der Beklagte am 1. Juni 2022 Einspruch eingelegt. Das Landgericht hat den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen. Die Berufung des Beklagten hat das OLG durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der Zustellungsurkunde sei bewiesen, dass dem Beklagten das Versäumnisurteil am 14. Mai 2022 durch Einwurf in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden sei. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde hinsichtlich des Adressaten sei nur dann aufgehoben, wenn aufgrund der Bezeichnung unklar bleibe, an welche von mehreren gleichnamigen Personen zugestellt sein solle. Es sei aber nicht ersichtlich, dass eine zweite Person mit dem im Adressfeld der Zustellungsurkunde angegebenen Namen an der Zustelladresse wohne. Die bloße Gleichheit des Nachnamens N. führe nicht zur Unklarheit darüber, an wen zugestellt sei. Der Beklagte habe die Beweiskraft der Zustellungsurkunde mit seinem erstinstanzlichen Vorbringen auch nicht entkräftet. Sein Vortrag, das Versäumnisurteil habe sich erst am 28. oder 29. Mai 2022 in seinem mit dem Nachnamen und seinem zweiten Vornamen B. beschrifteten Briefkasten befunden, es sei möglicherweise vom Zusteller in einen der beiden anderen unter derselben Anschrift angebrachten Briefkästen mit der Beschriftung N. eingelegt und dann von dem anderen Hausbewohner dieses Namens bei ihm eingeworfen worden, habe lediglich die Möglichkeit eines anderen als des beurkundeten Ablaufs aufgezeigt. In welchen anderen Briefkasten das Schreiben zuvor eingeworfen worden sein sollte und warum es erst am 28. oder 29. Mai 2022 in den Briefkasten des Beklagten gelangt sei, habe dieser im landgerichtlichen Verfahren dagegen nicht vorgetragen. Der Beklagte habe sich insoweit auch nicht in Beweisnot befunden, weil er die namensgleichen Nachbarn hätte befragen und dann Beweis antreten können. Soweit der Beklagte - auf den Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO - im Berufungsverfahren vorgetragen habe, seine Ermittlungen hätten ergeben, dass die Mitbewohnerin seines Nachbarn mit dem Namen V. V. N. das Schreiben Mitte Mai 2022 in dessen Briefkasten gefunden und dem Nachbarn ausgehändigt habe, der seinerseits das Schreiben Ende Mai 2022 auf den Briefkasten gelegt habe, wo ein anderer Nachbar es gefunden und in seinen - des Beklagten - Briefkasten eingeworfen habe, sei dies nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Der Vortrag sei neu, weil es sich hierbei nicht lediglich um eine Konkretisierung des erstinstanzlichen Vorbringens handele, und die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung neuen Vortrags lägen nicht vor.
Auf die Revision des Beklagten wird der Beschluss des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Beklagte beanstandet zu Recht, dass er durch die angefochtene Entscheidung in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Nichtberücksichtigung erheblichen Sachvortrags oder hierfür erbrachter Beweisangebote verstößt dabei gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn diese im Prozessrecht keine Stütze findet. Die Schwelle einer solchen grundrechtsrelevanten Gehörsverletzung kann bei der Verwerfung eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil als verfristet eher überschritten sein, als dies üblicherweise der Fall ist. Denn hiermit ist stets eine Präklusion des Verteidigungsvorbringens verbunden, durch die der Beklagte in seiner Möglichkeit zur Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren einschränkt ist.
Liegen die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung einer Klage oder eines Versäumnisurteils nicht vor, ist der Beklagte durch die Annahme einer wirksamen Zustellung in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Entsprechendes gilt für ein Urteil, mit dem der Einspruch des Beklagten gegen ein solches Versäumnisurteil verworfen wird, und für eine Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der die Berufung des Beklagten gegen das den Einspruch verwerfende Urteil des Gerichts des ersten Rechtszugs zurückgewiesen wird. Denn durch derartige Entscheidungen wird die Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör perpetuiert, weil diesem die wirksame Möglichkeit einer Überprüfung des Versäumnisurteils auf dessen sachliche Richtigkeit genommen ist.
Daran gemessen ist der Beklagte durch die angefochtene Entscheidung in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Die Verwerfung des Einspruchs des Beklagten gegen das Versäumnisurteil als verfristet findet im Prozessrecht keine Stütze und hält daher rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das OLG hätte den erst im Berufungsverfahren eingeführten Vortrag des Beklagten zum genauen Weg der Sendung nach deren Einwurf in einen der Briefkästen an der Zustelladresse nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen. Denn auf die gemäß § 341 Abs. 1 ZPO von Amts wegen gebotene Prüfung der Zustellung eines Versäumnisurteils und der Fristwahrung des dagegen gerichteten Einspruchs ist § 531 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar. Ungeachtet dessen hätte das OLG den vom Beklagten erst auf den Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag zum Weg der Sendung nach deren Einwurf in einen Briefkasten an der Zustelladresse auch deshalb nicht als verspätet zurückweisen dürfen, weil die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen. Das Vorbringen erst im Berufungsverfahren beruht jedenfalls nicht auf einer Nachlässigkeit des Beklagten (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), weil der Beklagte entgegen der Ansicht des OLG im landgerichtlichen Verfahren nicht zu weiteren Nachforschungen verpflichtet gewesen wäre. Der Verstoß des OLG gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Oberlandesgericht ohne die Gehörsverletzung keine Überzeugung von der Zustellung des Versäumnisurteils am 14. Mai 2022 hätte bilden können, es gemäß § 189 ZPO einen Beginn der Einspruchsfrist erst mit dem vom Beklagten behaupteten tatsächlichen Zugang des Versäumnisurteils am 29. Mai 2022 angenommen und den am 1. Juni 2022 eingegangenen Einspruch demzufolge als rechtzeitig angesehen hätte.
Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Insbesondere wäre dem Beklagten nicht unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens versagt, sich auf einen Zustellungsmangel zu berufen. Zwar kann die Geltendmachung eines Zustellungsmangels treuwidrig und damit rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mangel bewusst und zielgerichtet herbeigeführt worden ist. Hierfür ist indes vorliegend nichts ersichtlich. Insoweit ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der Briefkasten des Beklagten mit dem Namen B. N. beschriftet war, sich an der Zustellungsadresse zwei weitere Briefkästen anderer Bewohner befanden, die ebenfalls mit dem Nachnamen N. gekennzeichnet waren, und die Sendung vom Zusteller in den Briefkasten eines gleichnamigen Nachbarn des Beklagten eingelegt wurde. Dass die Sendung in einen der nicht der Wohnung des Beklagten zuzuordnenden Briefkästen eingelegt wurde, würde unter diesen Umständen maßgeblich darauf beruhen, dass das Landgericht den in der Klageschrift genannten zweiten Vornamen des Beklagten nicht in das Adressfeld des Postzustellungsauftrags aufgenommen hat, und läge damit in der Sphäre des Gerichts.
3. Kontext der Entscheidung
Zustellurkunden, die zum Nachweis der Zustellung auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen sind, haben nach § 182 Absatz 1 Satz 2 ZPO die Beweiskraft des § 418 ZPO. Sie begründen somit vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Inwiefern äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung, wie § 419 ZPO bestimmt. Es erfolgt eine freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Der Mangel schließt die Beweisregeln der §§ 415ff. ZPO aus, nimmt der Urkunde aber nicht schlechthin jede Beweiskraft, sondern stellt den Grundsatz der freien Beweiswürdigung wieder her, so dass zu prüfen ist, welche Schlüsse unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 286 ZPO aus der Urkunde zu ziehen sind (Feskorn in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 419 Rn. 3 mwN.). Der Senat weist daher ausdrücklich darauf hin, dass das das Oberlandesgericht nach freier Überzeugung zu beurteilen haben wird, ob die Beweiskraft der Zustellungsurkunde hinsichtlich der Person des Zustellungsadressaten (§§ 182 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1, 418 Abs. 1 ZPO) - auch in Anbetracht der Beschriftung der Briefkästen an der Zustelladresse - ganz oder teilweise dadurch gemindert oder aufgehoben ist, dass im Adressfeld der Zustellungsurkunde nicht der vollständige Name des Beklagten angegeben war (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 – XII ZR 65/23 –, Rn. 15).
4. Auswirkungen für die Praxis
Grundsätzlich beginnt der Lauf einer Rechtsmittelfrist für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der Entscheidung. Etwas anderes gilt jedoch für Entscheidungen, bei denen die Verkündung durch die Zustellung ersetzt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1994 – XII ZB 90/94 –, Rn. 13). Bei einem Versäumnisurteil, das nach § 331 Abs. 3 ZPO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Vorverfahren ergeht, wird die Verkündung durch die Zustellung des Urteils ersetzt, wie § 310 Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt. Im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergangene Versäumnisurteile sind an Verkündungs statt zuzustellen und werden erst durch die Zustellung an beide Parteien existent, so dass die Einspruchsfrist erst mit der letzten der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen in Lauf gesetzt wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – IV ZR 14/08 –, Rn. 9). Die Einspruchsfrist beginnt somit nicht vor Ausführung der Amtszustellung des Urteils an beide Parteien, selbst dann, wenn die Zustellung an den obsiegenden Kläger der Zustellung an den Beklagten nachfolgt (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 339 Rn. 4).
BGH: Verjährung des Eigentumsverschaffungsanspruchs
Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs. Für den Anspruch des Käufers auf Eigentumsverschaffung an einem Grundstück, der nach den vertraglichen Bedingungen nicht sofort fällig ist, beginnt die Verjährungsfrist nicht schon mit Vertragsschluss, sondern erst mit der Fälligkeit. Erst dann ist der Eigentumsverschaffungsanspruch im Sinne von § 200 BGB entstanden.
BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22
1. Problemstellung
Der V. Zivilsenat hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann die Verjährungsfrist für den Eigentumverschaffungsanspruch beim Grundstückkaufvertrag beginnt, wenn der Vertrag vorsieht, dass der Anspruch nicht sofort fällig ist.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger verkaufte der Beklagten mit notariellem Vertrag vom 20. August 2004 ein Grundstück zu einem Kaufpreis von 216.000 €. In dem Vertrag erklärten die Parteien die Auflassung und wiesen den Notar an, den Antrag auf Vollzug der Auflassung bei dem Grundbuchamt erst zu stellen, wenn der Kläger dem schriftlich zustimmt oder wenn die Beklagte bestätigt hat oder wenn dem Notar in anderer Weise nachgewiesen ist, dass der geschuldete Kaufpreis bezahlt ist; die Beklagte verzichtete auf ihr Recht, selbst den Antrag auf Eigentumsumschreibung zu stellen. Von dem Kaufpreis sollte ein Teilbetrag von 80.000 € sofort auf das Anderkonto des Notars gezahlt werden, um die Lastenfreistellung des Grundstücks zu erreichen. Der Kläger beabsichtigte, mit einem Teil des Kaufpreises ein Ersatzobjekt zu erwerben; er sollte sich um den Erwerb bemühen, und die Beklagte sollte ihn hierbei unterstützen. Für den Fall, dass bis zum 1. September 2007 kein Ersatzobjekt gefunden wurde, sollte ein Mietvertrag für das gesamte Objekt abgeschlossen werden. Im Hinblick auf diese Regelungen wurde für den restlichen Kaufpreis vereinbart: „Der verbleibende Kaufpreisrest ist innerhalb von 10 Tagen zu bezahlen, nachdem der Verkäufer den Käufer zur Zahlung schriftlich aufgefordert hat. Die Aufforderung ist erst möglich nach Vorliegen der Auszahlungsvoraussetzungen vom vorgenannten Anderkonto. Bei Aufforderung hat der Verkäufer dem Käufer die ganze oder teilweise Verwendung des Betrages zur Finanzierung des vom Verkäufer zu erwerbenden Ersatzobjekts glaubhaft zu machen. [...] Der Kaufpreisrest ist jedenfalls mit dem Ableben des Verkäufers fällig. Der Verkäufer tritt bereits heute den Anspruch auf Zahlung des Kaufpreisrestbetrages an seine Tochter (…) ab." Die Beklagte zahlte den Teilbetrag des Kaufpreises von 80.000 € auf das Anderkonto des Notars. Zu ihren Gunsten wurde im September 2004 eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Der Erwerb eines Ersatzgrundstücks war dem Kläger nicht möglich. Er forderte die Beklagte nicht zur Zahlung des Restkaufpreises auf; die Eigentumsumschreibung ist bis heute nicht erfolgt.
Gestützt auf die Verjährung des Übereignungsanspruchs der Beklagten verlangt der Kläger mit der im November 2021 erhobenen Klage von der Beklagten die Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung. In der Folge hinterlegte die Beklagte den restlichen Kaufpreis in Höhe von 136.000 € zu Gunsten der Tochter des Klägers. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger könne gemäß § 886 BGB die Beseitigung der Auflassungsvormerkung verlangen, da der durch die Vormerkung gesicherte Übereignungsanspruch der Beklagten verjährt sei. Die Verjährungsfrist von zehn Jahren (196 BGB) beginne gemäß § 200 BGB mit Entstehung des Anspruchs. Entstanden sei der Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden könne. Voraussetzung sei zwar grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs. Als bereits entstanden, obwohl im Einzelfall noch nicht fällig, gelte aber auch ein Anspruch aus einem gegenseitigen Vertrag, der mit der ausstehenden Gegenleistung synallagmatisch verknüpft sei, und dem daher - wie hier - die Einrede des nicht erfüllten Vertrages entgegengehalten werden könne. Damit habe die Verjährungsfrist mit Abschluss des Kaufvertrages am 20. August 2004 zu laufen begonnen, und Verjährung sei mit Ablauf des 20. August 2014 eingetreten. Die Verjährung sei nicht gemäß oder entsprechend § 205 BGB durch die im Kaufvertrag vereinbarte Vorlagesperre gehemmt worden. Bei dieser handele es sich nicht um ein Stillhalteabkommen, aufgrund dessen der Kläger vorübergehend berechtigt gewesen wäre, die Leistung zu verweigern. Die Vereinbarung führe lediglich die Wirkung des gesetzlichen Leistungsverweigerungsrechts des § 320 BGB zu Gunsten des Klägers fort, um einen Eigentumsübergang auf der Grundlage der in dem Kaufvertrag erklärten Auflassung zu verhindern, ohne ein eigenständiges vertragliches Leistungsverweigerungsrecht zu begründen. Der Beklagten als Gläubigerin des Eigentumsübertragungsanspruchs habe es zudem freigestanden, den Restkaufpreis gemäß § 271 Abs. 2 BGB auch vor dessen Fälligkeit zu zahlen und den Notar zum Vollzug der Auflassung zu veranlassen.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Übereignungsanspruch der Beklagten sei verjährt, ist rechtsfehlerhaft. Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück verjähren gemäß § 196 BGB in zehn Jahren. Die Verjährung beginnt nach § 200 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Ein Anspruch ist sowohl im Sinne von § 200 BGB als auch im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. Dafür genügt es nicht, dass der Schuldner die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat. Vielmehr ist darüber hinaus grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs erforderlich, da erst von diesem Zeitpunkt an (§ 271 Abs. 2 Halbs. 1 BGB) der Gläubiger mit Erfolg die Leistung fordern und nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung durch Klageerhebung hemmen kann. Nichts anderes gilt für die synallagmatisch verknüpften vertraglichen Ansprüche auf Leistung und Gegenleistung bei einem Grundstückskaufvertrag. Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs. Zwar ist auch bei einem Kaufvertrag im Grundsatz der Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Entstehung des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung iSv. §§ 199, 200 BGB und damit für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebend. Das folgt aus der gesetzlichen Leistungszeitbestimmung des § 271 Abs. 1 BGB. Etwas anderes gilt aber dann, wenn - sei es auf Grund gesetzlicher Regelung oder wegen einer von vornherein getroffenen vertraglichen Abrede - der Anspruch nicht mit Vertragsabschluss, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird. Die Vorschrift des § 271 BGB enthält subsidiäre Regelungen. Sie greift nur ein, wenn eine Leistungszeit nicht in anderer Weise bestimmt ist. Ein auf die Übereignung eines Grundstücks gerichteter kaufvertraglicher Anspruch wird regelmäßig nicht bereits mit Vertragsschluss fällig. Denn üblicherweise werden in einem Grundstückskaufvertrag abweichende Regelungen zur Fälligkeit des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung getroffen, um den Verkäufer davor zu schützen, dass er das Eigentum an seinem Grundstück verliert, ohne den Kaufpreis zu erhalten. Solche Regelungen zur Sicherung des Verkäufers können dazu führen, dass der Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst mit dem Nachweis der Kaufpreiszahlung fällig wird. Dann hat der Käufer seine Leistung in Gestalt der Kaufpreiszahlung zu erbringen, ohne sich insoweit auf § 320 BGB berufen zu können. Er kann vor Erfüllung der Vorleistungspflicht nicht erfolgversprechend auf Übertragung des Eigentums klagen, auch nicht mit dem Ziel, eine Zug-um-Zug-Verurteilung zu erreichen. Eine derartige Klage wäre vielmehr mangels Fälligkeit als derzeit unbegründet abzuweisen. Dagegen reicht es, anders als das Berufungsgericht offenbar meint, für den Beginn der Verjährungsfrist nicht aus, dass der Käufer berechtigt wäre, jederzeit den restlichen Kaufpreis zu zahlen (§ 271 Abs. 2 BGB) und damit die Fälligkeit des Eigentumsverschaffungsanspruchs herbeizuführen. Andernfalls liefe die auf den Eigentumsverschaffungsanspruch bezogene Fälligkeitsvereinbarung ins Leere; nicht fällige Ansprüche können aber nicht verjähren. Für den Anspruch des Käufers auf Eigentumsverschaffung an einem Grundstück, der nach den vertraglichen Bedingungen nicht sofort fällig ist, beginnt die Verjährungsfrist nicht schon mit Vertragsschluss, sondern erst mit der Fälligkeit. Erst dann ist der Eigentumsverschaffungsanspruch im Sinne von § 200 BGB entstanden. Ob der Beklagten - was nach den vertraglichen Regelungen zweifelhaft erscheint - überhaupt ein Recht zur Vorleistung nach § 271 Abs. 2 BGB zugestanden hätte, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
Auf die von dem Berufungsgericht herangezogene Vorschrift des § 205 BGB kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. § 205 BGB betrifft nur nachträglich vereinbarte vorübergehende Leistungsverweigerungsrechte. Damit sind Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner gemeint, die die Fälligkeit einer Forderung nachträglich hinausschieben, also nach dem Entstehen im Sinne der §§ 199, 200 BGB während der laufenden Verjährungsfrist getroffen werden (z.B. Stillhalteabkommen). Nicht erfasst werden von vornherein getroffene Abreden des Inhalts, dass die Forderung später fällig sein soll, denn die Verjährung beginnt ohnehin erst mit der Fälligkeit zu laufen. Ist mangels Fälligkeit ein einklagbarer Anspruch noch nicht iSd. §§ 199, 200 BGB entstanden, bedarf es einer Hemmung der Verjährung schon aus diesem Grund nicht. Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch der Beklagten auf Eigentumsverschaffung im Sinne des § 200 BGB nur dann entstanden, wenn er fällig geworden ist. Dazu hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Zugunsten der Beklagten ist deshalb für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass ihr Übereignungsanspruch nicht fällig geworden ist. Dann konnte die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen. Dem Kläger steht infolgedessen die Einrede der Verjährung nicht zu, und er kann die Beseitigung der Vormerkung nicht verlangen (§ 886 BGB).
3. Kontext der Entscheidung
Der erkennende Senat hat im Jahre 2006 entschieden, dass ein Schuldner die Einrede des nicht erfüllten Vertrages auch nach der Verjährung seines Anspruchs erheben kann, wenn dieser vor dem Eintritt der Verjährung entstanden und mit dem Anspruch des Gläubigers synallagmatisch verknüpft war; dass sich bereits Ansprüche in unverjährter Zeit fällig gegenübergestanden haben, sei nicht erforderlich. Der Auflassungsanspruch eines Käufers entstehe grundsätzlich mit dem Abschluss eines wirksamen Grundstückskaufvertrages, nur seine Fälligkeit werde in aller Regel von der Zahlung des Kaufpreises abhängig gemacht (BGH, Urteil vom 19. Mai 2006 – V ZR 40/05 –, Rn. 12). Diese Entscheidung ist – auch vom Berufungsgericht in dieser Sache - dahin verstanden worden, dass für Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag die Verjährung immer bereits mit Vertragsschluss beginnt, ohne dass es auf die Fälligkeit ankäme (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 199 Rn. 3). Zu dem Entstehen von Ansprüchen iSv. §§ 199, 200 BGB als Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist verhält sich aber, wie der Senat ausdrücklich klarstellt (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22 –, Rn. 12), die Entscheidung aus dem Jahre 2006 nicht, sondern nur zu § 390 Satz 2 BGB a.F. und der Frage, wann ein Anspruch im Hinblick auf eine Aufrechnungslage entstanden ist. Sie ist auf das Verjährungsrecht nicht übertragbar (so bereits sehr knapp: BGH, Beschluss vom 29. Juni 2023 – V ZR 137/22 –, Rn. 2). Die Verjährungsfrist für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis beginnt erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs.
4. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat gibt dem Berufungsgericht auf zu prüfen, wann der Eigentumsverschaffungsanspruch der Beklagten fällig werden sollte (BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 224/22 –, Rn. 19). Es spreche vieles dafür, dass Fälligkeit nicht schon mit Vertragsschluss eingetreten ist. Nach den Regelungen in dem Kaufvertrag konnte der Antrag auf Vollzug der Auflassung nämlich erst gestellt werden, wenn der Kläger dem zustimmt oder er bestätigt hat oder wenn dem Notar in anderer Weise nachgewiesen ist, dass der geschuldete Kaufpreis gezahlt ist. Die Zahlung des Kaufpreisrestes sollte erst erfolgen, wenn der Kläger die Beklagte zur Zahlung auffordert und dabei die ganze oder teilweise Verwendung des Betrages zur Finanzierung des von ihm zu erwerbenden Ersatzobjekts glaubhaft macht. Für das Verjährungsrecht ist anerkannt, dass dann, wenn die Fälligkeit des Anspruchs von einem Verhalten des Gläubigers abhängt, die Verjährung erst mit Fälligkeit dieses Anspruchs beginnt (std. Rspr., vgl zuletzt: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 – I ZR 141/21 –, Rn. 30, mwN.). Dem steht der Zweck der Verjährung - Wahrung des Rechtsfriedens, Schutz des Schuldners vor Beweisschwierigkeiten, alsbaldige Klärung von Ansprüchen - nicht entgegen. Ein allgemeiner Grundsatz, wonach bei Ansprüchen mit hinausgeschobener, von der Disposition des Gläubigers abhängiger Fälligkeit die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Gläubiger die Fälligkeit selbst hätte herbeiführen können, besteht nicht und kann auch nicht aus den eng auszulegenden Ausnahmevorschriften der §§ 199, 200 BGB hergeleitet werden (BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 19. Dezember 1990 – VIII ARZ 5/90 –, Rn. 19, mwN.).
BGH: Fristgerechter Eingang bei Gericht bei falschem Az.
1. Das Berufungsgericht darf eine Berufung nicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückweisen, ohne zuvor über den rechtzeitig eingegangenen Antrag des Berufungsführers auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO entschieden zu haben .
2. Dem fristgerechten Eingang des Fristverlängerungsantrags bei Gericht steht es nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz irrtümlich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen versehen ist. Allein entscheidend ist, dass er vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt ist.
BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22
1. Problemstellung
Ob die vom Gericht einer Partei eingeräumte Stellungnahmefrist auch dann gewahrt ist, wenn die Stellungnahme der Partei am letzten Tag der Frist unter Angabe eines nicht mehr zutreffenden Aktenzeichens bei Gericht eingeht, hatte der VIII. Zivilsenat zu entscheiden.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte hat gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist zunächst beim 7. Zivilsenat des OLG geführt und sodann dem 9. Zivilsenat desselben Gerichts übertragen worden. Der 9. Zivilsenat hat darauf hingewiesen, dass er die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO beabsichtige, und der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme bis zum 7. Oktober 2022 gesetzt. Mit einem am 6. Oktober 2022 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit der Begründung, aufgrund einer kurzen Auslandsreise des Sachbearbeiters habe die notwendige Erörterung mit der Beklagten noch nicht stattfinden können, um Verlängerung der Stellungnahmefrist um zwei Wochen gebeten. Der Schriftsatz enthält irrtümlich das Aktenzeichen des vormals zuständigen 7. Zivilsenats. Eine Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag ist nicht ergangen. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2022 hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es, dass die Beklagte innerhalb der eingeräumten Frist keine Stellungnahme abgegeben habe. Am 21. Oktober 2022 ist beim Berufungsgericht eine - mit dem zutreffenden Aktenzeichen versehene - Stellungnahme der Beklagten zum Hinweisbeschluss eingegangen. Das Berufungsgericht hat auf die zwischenzeitlich ergangene abschließende Entscheidung hingewiesen und eine nachfolgend erhobene Anhörungsrüge der Beklagten als unzulässig verworfen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, ohne zuvor über den rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO entschieden zu haben. Hierdurch hat es der Beklagten die Möglichkeit genommen, auf den weiteren Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung des Berufungsgerichts Einfluss zu nehmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht nur dann verletzt, wenn das Gericht sofort entscheidet, ohne eine angemessene Frist abzuwarten, innerhalb deren eine eventuell beabsichtigte Stellungnahme unter normalen Umständen eingehen kann, oder wenn es eine den Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung mit seiner Entscheidung nicht abwartet oder wenn die gesetzte Frist objektiv nicht für eine sachlich fundierte Äußerung zum Sachverhalt und zur Rechtslage ausreicht. Vielmehr liegt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich auch dann vor, wenn das Gericht einen fristgerecht eingegangenen Antrag auf Verlängerung der zu einer Stellungnahme gesetzten Frist übergeht und seine den Rechtszug abschließende Entscheidung erlässt, ohne über den Fristverlängerungsantrag entschieden zu haben.
Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Es hat die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, ohne über deren rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist zum Hinweisbeschluss entschieden zu haben. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat das Berufungsgericht oder der Vorsitzende die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Möglichkeit, auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen, dient dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren. Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht beabsichtigten Zurückweisung seines Rechtsmittels zu äußern und dem Berufungsgericht Gesichtspunkte zu unterbreiten, die seiner Auffassung nach eine Beschlusszurückweisung hindern. Das schließt die Möglichkeit ein, vom Berufungsgericht für unzureichend erachtetes Vorbringen zu ändern und durch weiteren Sachvortrag zu ergänzen oder neue Angriffs- und Verteidigungsmittel - soweit berücksichtigungsfähig - geltend zu machen. Dabei verbürgt die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG dem Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern. Diese Möglichkeit der Einflussnahme auf das weitere Verfahren und den Inhalt der Entscheidung hat das Berufungsgericht der Beklagten genommen, indem es die Berufung ohne vorherige Verbescheidung des Fristverlängerungsantrags zurückgewiesen hat. Der von der Beklagten erstmals gestellte und mit einem erheblichen Grund - einer aufgrund einer Auslandsreise des Sachbearbeiters noch nicht erfolgten Erörterung mit der Partei - begründete Fristverlängerungsantrag war, bereits am 6. Oktober 2022 und damit innerhalb der noch laufenden Stellungnahmefrist beim Berufungsgericht eingegangen.
Dem fristgemäßen Eingang steht nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz fälschlicherweise mit dem Aktenzeichen des vormals zuständigen 7. Zivilsenats - und nicht mit dem des nunmehr zuständigen 9. Zivilsenats - des Berufungsgerichts versehen war und deshalb der Geschäftsstelle des 9. Zivilsenats erst nach Ablauf der Stellungnahmefrist vorlag. Denn unter Berücksichtigung der weiteren Angaben in dem lediglich aus zwei Sätzen bestehenden Schriftsatz - insbesondere der namentlichen Bezeichnung der Parteien, der Nennung des betreffenden Hinweisbeschlusses mit Datum und Ende der gesetzten Frist sowie der Angabe des (vormaligen) Aktenzeichens - ergab sich eindeutig, dass sich der Antrag auf das von den Parteien nunmehr vor dem 9. Zivilsenat geführte Berufungsverfahren bezog. Für den fristgerechten Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird. Das Gesetz schreibt die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Diese soll lediglich die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Für den fristgerechten Eingang des Fristverlängerungsantrags der Beklagten war deshalb allein entscheidend, dass dieser vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Berufungsgerichts gelangt war. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht vor seiner abschließenden Entscheidung über die Berufung der Beklagten über die rechtzeitig beantragte Verlängerung der Stellungnahmefrist befinden müssen. Verzögerungen bei der Weiterleitung des Fristverlängerungsantrags innerhalb des Gerichts können unter den hier gegebenen Umständen nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob den Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Hinblick auf die Angabe des unzutreffenden Aktenzeichens ein Verschulden trifft und ob er mit einer rechtzeitigen Gewährung der beantragten Fristverlängerung rechnen durfte. Denn es geht hier nicht um eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
3. Kontext der Entscheidung
Nach dem im Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verankerten Grundsatz, dass der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden darf, ist der Bürger berechtigt, die ihm vom Gesetz eingeräumten prozessualen Fristen auszuschöpfen (BGH, Urteil vom 25. November 2004 – VII ZR 320/03 –, Rn. 20, mwN.). Dieser Grundsatz darf nicht dadurch ausgehebelt werden, dass der Rechtsuchende sich für die Ausschöpfung der Frist rechtfertigen muss. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn die vor Erlass einer Entscheidung vom Gericht gesetzte Frist zur Äußerung objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Aus diesem Grunde ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur dann verletzt, wenn das Gericht eine den Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung mit seiner Entscheidung nicht abwartet, sondern auch dann, wenn das Gericht sofort entscheidet, ohne eine angemessene Frist abzuwarten, innerhalb deren eine eventuell beabsichtigte Stellungnahme unter normalen Umständen eingehen kann. Gleiches gilt, wenn die vom Gericht gesetzte Frist objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen (BGH Beschl. v. 15.Mai 2018 – VI ZR 287/17 – Rn. 8, mwN.).
4. Auswirkungen für die Praxis
Für den rechtzeitigen Eingang fristgebundener Schriftsätze ist allein entscheidend, dass diese vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangen. Das Gesetz schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO - die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind - die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Das gilt grundsätzlich auch für den Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2003 – VIII ZB 126/02 –, Rn. 16). Die Folgen durch fehlendes Aktenzeichen verzögerter Zustellung an den Gegner treffen jedoch den Absender (Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130 Rn. 2). Dies gilt etwa für die Schriftsatzfristen der §§ 132 Abs. 1 und 2 ZPO, deren Berechnung auf die Zustellung beim Gegner abstellt.
BGH: Anspruch auf Bauhandwerkersicherung
Im Interesse des Bestellers, der davor geschützt werden muss, eine Sicherheit leisten zu müssen, welche das Sicherungsbedürfnis des Unternehmers übersteigt, kann der Unternehmer die Bauhandwerkersicherung in Fällen des § 650f Abs. 5 Satz 2 und 3 BGB nur bezogen auf die Nettovergütung verlangen, wenn er eine Belastung mit Umsatzsteuer nicht schlüssig darlegen kann.
BGH, Urteil vom 18. Januar 2024 – VII ZR 34/23
1. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte sich mit der Bemessung des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung unter Zugrundelegung der Vermutung des § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB zu befassen.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Am 23. April 2021 schlossen die Parteien einen Generalübernehmervertrag für die schlüsselfertige Errichtung eines Gesundheitscampus zu einem Pauschalfestpreis von 9.340.000 € brutto. Auf die erste Abschlagsrechnung über 520.000 € für Planungsleistungen und Projektentwicklung bezahlte die Beklagte am 25. Mai 2021 einen Teilbetrag in Höhe von 270.000 €. Mit Schreiben vom 27. Mai 2021 verlangte die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 9. Juni 2021 eine Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB in Höhe von 9.977.000 €. Nachdem diese nicht gestellt wurde, kündigte die Klägerin am 10. Juni 2021 den Generalübernehmervertrag aus wichtigem Grund. Mit Schreiben vom 16. Juni 2021 erklärte die Beklagte ihrerseits die fristlose Kündigung des Generalübernehmervertrags und begründete diese unter anderem mit der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Kündigungsmöglichkeit nach § 650f BGB. Das Landgericht hat der auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung in Höhe von 498.850 € gerichteten Klage in Höhe von 216.700 € stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Eine Bauhandwerkersicherung gemäß § 650f Abs. 1 BGB könne auch nach Kündigung des Bauvertrags verlangt werden, denn der Sicherungsanspruch sei bereits mit Abschluss des Bauvertrags entstanden und bestehe dem Grunde nach nach der Kündigung des Vertrags fort. Die Klägerin habe berechtigt nach § 650f Abs. 5 Satz 1 BGB gekündigt, weil die Beklagte den wirksam entstandenen Anspruch der Klägerin auf Gestellung einer Bauhandwerkersicherung pflichtwidrig nicht erfüllt habe. Mit der Kündigung durch die Klägerin sei das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet worden. Die spätere Kündigung der Beklagten sei deshalb nicht mehr von Bedeutung, weil ein durch eine wirksame Kündigungserklärung bereits umgestaltetes Vertragsverhältnis nicht durch eine weitere Kündigungserklärung erneut umgestaltet werden könne. Die Kündigung wirke sich auf die Höhe der zu sichernden Forderung im Zeitpunkt des Sicherungsverlangens aus. Der Unternehmer müsse die Höhe der ihm nach der Kündigung zustehenden Vergütung auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung schlüssig darlegen. Dazu müsse er grundsätzlich eine Abrechnung der erbrachten und nicht erbrachten Leistungen, regelmäßig durch eine Schlussrechnung, vornehmen. Der Unternehmer müsse sich nach § 650f Abs. 5 BGB auf die vereinbarte Vergütung dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages erspart habe. Werde ein Pauschalpreisvertrag gekündigt, sei die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Pauschalvertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Der Unternehmer müsse deshalb das Verhältnis der bewirkten Leistungen zur vereinbarten Gesamtleistung und des Preisansatzes für die Teilleistungen zum Pauschalpreis darlegen. Sofern der Unternehmer die Höhe der ersparten Aufwendungen nicht (schlüssig) darlege oder darlegen könne, streite für ihn die Vermutung des § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB, wonach ihm 5 Prozent der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vertraglich vereinbarten Vergütung zustehe. Zwar habe die Klägerin erbrachte und nicht erbrachte Leistungen nicht voneinander abgegrenzt und keine Schlussrechnung erstellt. Dies sei zur schlüssigen Darlegung der zu sichernden Forderung ausnahmsweise nicht erforderlich, weil sich deren Höhe ohne Weiteres aus den gesetzlichen Regelungen in Verbindung mit der vertraglich vereinbarten Pauschalfestpreisvergütung ergebe. Mit der Klage verlange die Klägerin für die erbrachten Leistungen zulässigerweise lediglich eine Sicherung in Höhe eines Teilvergütungsanspruchs von 5 %. Die Vorlage einer Schlussrechnung mit der Unterscheidung der Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen sei für die schlüssige Darlegung des Sicherungsverlangens nicht erforderlich. Einer weitergehenden Individualisierung der mit der Klage verlangten Sicherungsforderung bedürfe es nicht, weil es sich bei den geltend gemachten 5 % der nicht erbrachten Leistungen und dem Anteil von 5 % der erbrachten Leistungen lediglich um unselbständige Rechnungsposten einer einheitlichen Forderung und nicht um selbständige prozessuale Ansprüche handele. Die Klägerin mache 5 % des vereinbarten Pauschalpreises, bestehend aus der gesetzlich vermuteten Pauschale von 5 % für die nicht erbrachten Leistungen und einen Teil des Werklohns von 5 % für die erbrachten Leistungen geltend. Die Vermutung eines Anspruchs von 5 % der vereinbarten Vergütung bestehe zwar für die Vergütung erbrachter Leistungen nicht. Die Klägerin mache aber für die erbrachten Leistungen von der Vergütung im Umfang von 100 %, die sie im Sicherungsprozess verlangen könnte, lediglich einen Teil von 5 % geltend. Dem Werkunternehmer stehe es frei, zunächst eine Sicherheit lediglich für einen Teil seines gesamten Vergütungsanspruchs zu verlangen. Der Anspruch der Klägerin auf Sicherheitsleistung bestehe in Höhe von 216.700 €. Die von der Klägerin verlangte Sicherung in Höhe von 5 % der vereinbarten Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen zuzüglich eines Anteils von 5 % der vereinbarten Vergütung für die erbrachten Leistungen, rechnerisch 5 % der vertraglich vereinbarten Gesamtpauschalfestpreisvergütung von 9.340.000 €, belaufe sich auf 467.000 €. Hierauf habe die Beklagte eine Teilzahlung von 270.000 € geleistet, so dass insoweit kein Sicherungsbedürfnis mehr bestehe. Zu den verbleibenden 197.000 € seien 10 % für Nebenforderungen hinzuzurechnen (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. Januar 2023 – 10 U 91/22).
Die Revision der Beklagten hat nur teilweise, nämlich insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht die Beklagte zur Leistung einer den Betrag von 134.680,68 € übersteigenden Sicherheit verurteilt hat. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch gemäß § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB darauf hat, dass die Beklagte ihr eine Bauhandwerkersicherung für die vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen stellt, deren Höhe sich als Rechtsfolge der durch die Klägerin wirksam erklärten außerordentlichen Kündigung nach § 650f Abs. 5 Satz 2 und 3 BGB bestimmt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB sind erfüllt, denn die Klägerin begehrt Sicherheit für noch nicht gezahlte Vergütung aus einem Bauvertrag nach § 650a Abs. 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin auf eine Bauhandwerkersicherung scheitert nicht daran, dass der Bauvertrag gekündigt ist. Eine auf § 650f Abs. 5 Satz 1 Fall 2 BGB gestützte Kündigung des Unternehmers beeinflusst den Anspruch auf Gestellung einer Sicherheit gemäß § 650f Abs. 1 BGB dem Grunde nach nicht, sondern nur dessen Höhe. Die vorzeitige Beendigung eines Bauvertrags lässt das Sicherungsbedürfnis des Unternehmers nicht entfallen, weil dessen Anspruch auf die vereinbarte und nicht gezahlte Vergütung weiterhin der Sicherheit bedarf. Dies gilt auch für den Fall, dass der Unternehmer den Bauvertrag nach § 650f Abs. 5 BGB gekündigt hat, weil der Besteller seinem berechtigten (ersten) Verlangen nach einer Bauhandwerkersicherung nicht nachgekommen ist.
Es bestehen keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten am 16. Juni 2021 ausgesprochenen Kündigung habe keine Rechtswirkungen mehr entfalten können. Zutreffend hat das Berufungsgericht diese als unbeachtlich behandelt, weil das Vertragsverhältnis bei Ausspruch dieser Kündigung bereits anderweitig umgestaltet war. Denn die Klägerin hatte den Generalübernehmervertrag zuvor wirksam außerordentlich gekündigt. Hierzu war sie gemäß § 650f Abs. 5 Satz 1 Fall 2 BGB berechtigt, weil die Beklagte ihrem Sicherungsverlangen nicht fristgerecht entsprochen hatte. Dem Sicherungsverlangen standen keine durchgreifenden Einwendungen entgegen. Eigene Vertragstreue ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 650f Abs. 5 Satz 1 Fall 2 BGB. Es stellt keine unzulässige Rechtsausübung und keinen Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot dar, wenn dem Sicherungsverlangen des Unternehmers auch andere Motive als die bloße Erlangung einer Sicherheit zugrunde liegen. Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin könne sich auf die Rechtsfolgen ihrer eigenen außerordentlichen Kündigung nach § 242 BGB nicht berufen, sind die dazu vorgetragenen Tatsachen streitig und deshalb einer Klärung durch Beweisaufnahme im vorliegenden Sicherungsprozess nicht zugänglich.
Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Bestimmung der Höhe des sicherbaren Anspruchs. Dieser besteht unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlung der Beklagten nur in Höhe von 134.680,68 €. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine Sicherung nicht mehr bezogen auf die ursprünglich vertraglich vereinbarte Vergütung gemäß § 631 Abs. 1 BGB, sondern nur noch bezogen auf die Vergütung in der Höhe verlangt werden kann, die die Klägerin als Rechtsfolge der wirksam erfolgten außerordentlichen Kündigung für sich reklamiert. Der Unternehmer muss die Höhe des Sicherheitsverlangens seinem ihm nach der Kündigung verbleibenden Vergütungsanspruch anpassen. Als Folge der wirksamen Kündigung der Klägerin bestimmt sich die Höhe des sicherbaren Anspruchs gemäß § 650f Abs. 5 Satz 2 und 3 BGB. Gemäß § 650f Abs. 5 Satz 2 BGB kann der Unternehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erspart oder böswillig zu erwerben unterlässt. Im Sicherungsprozess muss der Unternehmer die Höhe des zu sichernden Vergütungsanspruchs schlüssig darlegen. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach § 650f Abs. 5 BGB bedarf es grundsätzlich der schlüssigen Darlegung der vereinbarten Vergütung, der Abgrenzung erbrachter Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen sowie der Darlegung, welche Kosten der Unternehmer erspart hat und welchen anderweitigen Erwerb er sich anrechnen lassen muss. Haben die Parteien einen Pauschalpreisvertrag geschlossen, bestimmt sich die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistungen zum Wert der vereinbarten Gesamtleistung. Der Unternehmer muss deshalb das Verhältnis der bewirkten Leistungen zur vereinbarten Gesamtleistung und des Preisansatzes für die Teilleistungen zum Pauschalpreis darlegen.
Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass der Vortrag der Klägerin für die Bemessung der Sicherheit gleichwohl schlüssig ist. Die Klägerin begehrt die Sicherung einer Vergütung gemäß § 650f Abs. 5 Satz 2 und 3 BGB in Höhe von insgesamt 5 % des vereinbarten Pauschalpreises. Bezogen auf die nicht erbrachten Leistungen stützt sie sich auf die gesetzlich vermutete Pauschale nach § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB. Als Sicherheit für die erbrachten Leistungen verlangt sie nicht die Vergütung in voller Höhe, sondern macht auch diesbezüglich nur 5 % der vereinbarten Vergütung gestützt auf die Pauschalierung nach § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB geltend. Das Vorbringen der Klägerin zur Berechnung ihrer Vergütung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb unschlüssig, weil die Klägerin die von ihr bereits erbrachten Leistungen nicht von den noch ausstehenden Leistungen abgegrenzt und, wie für Pauschalpreisverträge notwendig, die entsprechende Vergütung dem erbrachten und nicht erbrachten Leistungsteil zugeordnet hat. Zwar bedarf es zur Ermittlung der kündigungsbedingt geschuldeten Vergütung aus einem Pauschalpreisvertrag grundsätzlich einer solchen Darlegung. Diese war jedoch entbehrlich, weil die Klägerin, in Kenntnis, dass sie keine solche Aufstellung erstellt hat, bezogen auf die erbrachten Leistungen nicht die darauf entfallende volle Vergütung, sondern lediglich einen fünfprozentigen Anteil geltend macht. Der Beklagten erwächst kein Nachteil, wenn die Klägerin mit ihrer Forderung hinter dem zurückbleibt, was sie als Vergütung für erbrachte Leistungen tatsächlich fordern könnte. Der Unternehmer kann sein Sicherungsverlangen auf einen Teilbetrag beschränken. Die Klägerin macht als Teil des Sicherungsverlangens für erbrachte Leistungen lediglich die kündigungsbedingte Vergütung in der Höhe geltend, welche sie beanspruchen könnte, wenn sie keinerlei Leistungen erbracht hätte. Eine solche Vergütung steht ihr ausgehend von der Vermutungsregelung des § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB in jedem Fall zu.
Der Schlüssigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin keine Angaben zu einem anderweitigen Erwerb iSv. § 650f Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 Fall 2 BGB gemacht hat. Zugunsten der Klägerin gilt die Vermutungsregel des § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB, die gerade eine Vereinfachung für Unternehmer ermöglicht, die wie die Klägerin Schwierigkeiten haben, die kündigungsbedingt geschuldete Vergütung nach § 650f Abs. 5 Satz 2 BGB schlüssig darzustellen.
Das Vorbringen ist auch ohne Vorlage einer Schlussrechnung schlüssig. Die Angaben, die üblicherweise zur Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags in die Schlussrechnung einfließen, sind kein Selbstzweck, sondern dienen dem Informations- und Kontrollinteresse des Bestellers. Benötigt dieser keine weiteren Informationen, um die Forderungsberechnung nachzuvollziehen, kann die Vorlage einer Schlussrechnung entbehrlich sein. Diese für die Geltendmachung der Vergütung entwickelten Überlegungen können auf die Bestimmung der Höhe des Sicherungsverlangens übertragen werden. Weiterer Angaben oder der Vorlage einer Schlussrechnung bedarf es nicht, wenn sich die Höhe des Sicherungsverlangens ohne weiteres aus dem Gesetz und der vertraglich vereinbarten Pauschalfestpreisvergütung ergibt. Dies ist der Fall, denn die Höhe der geforderten Sicherheit, die die Klägerin auf die Mindestvergütung beschränkt hat, die ihr zustehen würde, hätte sie keinerlei Leistungen erbracht, kann ohne Abgrenzung der erbrachten von den nicht erbrachten Leistungsteilen dem Gesetz entnommen und anhand des vereinbarten Pauschalbetrags ermittelt werden.
Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass der Unternehmer auf den Teil der Vergütung, der für noch nicht erbrachte Leistungen geltend gemacht wird, keine Umsatzsteuer berechnen darf. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin nur eine Sicherheit für die geschuldete Nettovergütung beanspruchen kann. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass der Vergütungsanspruch im Sicherungsprozess lediglich summarisch geprüft werde und es deshalb nicht darauf ankomme, wie die spätere Abrechnung erfolgt, ist unzutreffend. Die Bemessung der Höhe der Sicherheit knüpft materiell-rechtlich an die Vergütung an, die der Unternehmer im Zeitpunkt des Sicherungsverlangens noch verlangen kann und die er darum schlüssig darzulegen hat. Grundsätzlich hat der Unternehmer Anspruch auf den vereinbarten Nettowerklohn zuzüglich Umsatzsteuer, mit der Folge, dass der Bruttobetrag für die Bemessung der Sicherheit maßgeblich ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Unternehmer nicht Umsatzsteuerschuldner ist, weil dann kein Sicherungsbedürfnis hinsichtlich des Umsatzsteuerbetrags besteht. Besteht der zu sichernde Vergütungsanspruch nur in Höhe des Nettobetrags, kann der Unternehmer nur in diesem Umfang Sicherheit verlangen. Kann der Unternehmer eine Belastung mit Umsatzsteuer nicht schlüssig darlegen, muss die Klage auf Gestellung einer Sicherheit bezogen auf den Umsatzsteueranteil abgewiesen werden. Weil die Klägerin die erbrachten Leistungen und die Höhe der hierfür beanspruchten Vergütung nicht schlüssig dargelegt hat, kann auch die Höhe der hierauf zu zahlenden Umsatzsteuer nicht bestimmt werden. Im Interesse der Beklagten, die davor geschützt werden muss, eine Sicherheit leisten zu müssen, welche das Sicherungsbedürfnis der Klägerin übersteigt, kann die Klägerin darum die Sicherheit insgesamt nur bezogen auf die Nettovergütung verlangen. Ausgehend hiervon berechnet sich die Höhe der zu leistenden Sicherheit nach der vertraglich vereinbarten Gesamtpauschalfestpreisvergütung von 9.340.000 € brutto, was einem Nettobetrag von 7.848.739,50 € entspricht. Der von der Klägerin verlangte Sicherungsbetrag bezogen auf fünf Prozent der vereinbarten Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen und eines Anteils von fünf Prozent der vereinbarten Vergütung für die erbrachten Leistungen beläuft sich rechnerisch auf fünf Prozent der Nettovergütung und damit auf 392.436,98 €. Hiervon ist die geleistete Teilzahlung in Höhe von 270.000 € abzuziehen. Dem danach verbleibenden Restbetrag von 122.436,98 € sind zehn Prozent für Nebenforderungen hinzuzurechnen, so dass sich eine zu sichernde Vergütung in Höhe von 134.680,68 € ergibt.
3. Kontext der Entscheidung
Der Anspruch auf eine Sicherheit nach § 650f BGB besteht auch nach einer Kündigung. Das Gesetz enthält insoweit keine Beschränkungen. Diese sind auch nicht deshalb veranlasst, weil nach einer Kündigung regelmäßig keine Vorleistungen des Unternehmers mehr ausstehen. Denn es kommt seit der Neufassung der Vorgängervorschrift des § 648a BGB durch das zum 1. Januar 2009 geltende Forderungssicherungsgesetz nicht mehr darauf an, ob der Unternehmer noch Vorleistungen erbringen muss. Das Gesetz stellt sei der der Neufassung des § 648a BGB a.F. und auch in § 650f BGB konsequent auf das Sicherungsinteresse des Unternehmers ab, das solange besteht, wie sein Vergütungsanspruch nicht befriedigt worden ist. Es reicht daher für einen Anspruch des Unternehmers gegen den Besteller auf Leistung einer Sicherheit aus, dass dem Unternehmer noch ein Vergütungsanspruch zusteht (BGH, Urteil vom 6. März 2014 – VII ZR 349/12 –, Rn. 14). Zur Geltendmachung dieses Anspruchs muss der Unternehmer die ihm nach einer Kündigung zustehende Vergütung nur schlüssig darlegen (BGH, Urt. v. 06. März 2014 - VII ZR 349/12, Rn. 29). Ist im Rahmen einer Sicherungsklage gemäß § 650f Abs. 1 BGB die Höhe der Unternehmervergütung zwischen den Parteien umstritten, ist es zulässig und in aller Regel auch geboten, dass das Gericht die Sicherheitsleistung, zu der es den Besteller verurteilt, in freier Überzeugung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO festsetzt (BGH, Urteil vom 17. August 2023 – VII ZR 228/22 –, Rn. 31). Sind die tatsächlichen Voraussetzungen der Berechnung des dargelegten Vergütungsanspruchs streitig, ist dem Unternehmer für seine schlüssig dargelegte Vergütung eine Sicherheit ohne Klärung der Streitfragen zu gewähren. Anderes gilt, wenn die Klärung der Streitfragen nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt (dazu im Einzelnen: Schwenker NJW 2014, 2189).
4. Auswirkungen für die Praxis
Der VII. Zivilsenat hat entschieden, dass die gemäß § 649 Satz 2 BGB a.F. (heute: § 648 Abs. 2 BGB) nach freier Kündigung eines Bauvertrages zu zahlende Vergütung nur insoweit Entgelt im Sinne von § 10 Abs. 1 UStG und damit Bemessungsgrundlage für den gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsatz ist, als sie auf schon erbrachte Leistungsteile entfällt. Der Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB a.F. stelle eine Entschädigung dar und sei kein Entgelt und damit kein Bestandteil der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer (BGH, Versäumnisurteil vom 22. November 2007 – VII ZR 83/05 -, Rn. 17). Dies gilt genauso für den Anspruch des Unternehmers nach § 650f Abs. 5 Satz 2 BGB, der § 648 Satz 2 BGB nachgebildet ist. Bemessungsgrundlage für den Mindestanspruch nach § 650f Abs. 5 Satz 3 BGB kann daher nur die Nettovergütung des Unternehmers sein. Die entgegenstehenden und kaum nachzuvollziehenden Überlegungen des Berufungsgerichts sind daher mit der Rechtsprechung des BGH nicht in Übereinstimmung zu bringen. Ob die Auffassung des VII. Zivilsenats zum Entschädigungscharakter des Anspruchs aus §§ 648 Satz 2, 650f Abs. 5 Satz BGB die Billigung des BFH findet, steht jedoch nicht fest, sodass der für die Rechtsverfolgung einzuschlagende sicherste Weg einen entsprechenden ergänzenden Feststellungsantrag vorsehen sollte.
BGH: Vertragstrafeklausel im EP-Vertrag
Die vom Auftraggeber in einem Einheitspreisvertrag verwendeten Vertragsstrafenklausel "Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung ... der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen: 0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer; Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt." ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 42/22
1. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob eine vom Auftraggeber in einem Einheitspreisvertrag gestellte Vertragsstrafenklausel der Inhaltskontrolle standhält, die auf 5 % der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme begrenzt ist.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Restwerklohn. Sie gab im Rahmen einer auf Einheitspreisen basierenden Ausschreibung der Beklagten am 23. März 2016 ein Angebot ab, das auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/B, Ausgabe 2012, und auf die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) der Beklagten Bezug nahm. Die Vertragsbedingungen sahen einen Auftragsbeginn zum 18. Juli 2016 und eine abnahmereife Fertigstellung zum 30. November 2017 vor. Die BVB-VOB enthielten in Ziffer 2 folgende Vertragsklausel zur Vertragsstrafe: "2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B) - 2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen: 0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer; (…) - 2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt. - 2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet."
In einem Bietergespräch, in dem über die Vertragsstrafe nicht verhandelt wurde, wurde die Klägerin aufgefordert, ein überarbeitetes Angebot einzureichen. Unter Bezugnahme auf dieses Bietergespräch gab die Klägerin mit Schreiben vom 20. April 2016 ein "aktualisiertes Angebot" mit einem Kurz-Leistungsverzeichnis ab, das keine Bezugnahme auf die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Anlagen, darunter auch die BVB-VOB, enthielt. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Erschließung von 1.583 Hausanschlüssen mit Glasfaserkabeln gemäß ihrem Angebot vom 20. April 2016 für die Angebotssumme in Höhe von 5.680.275,54 € netto zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer. Die Werkleistungen der Klägerin waren am 8. August 2018 fertig gestellt und wurden von der Beklagten am 26. September 2018 abgenommen. Den in der Schlussrechnung für die beauftragten Leistungen sowie für Nachträge abgerechneten Betrag von insgesamt 5.126.412,10 € netto (6.100.430,40 € brutto), zahlte die Beklagte mit Ausnahme eines Betrags von 284.013,78 €, den sie gegenüber der Klägerin als Vertragsstrafe geltend macht.
Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 284.013,78 € sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, stattgegeben. Die Parteien hätten eine Vertragsstrafe nicht vereinbart, weil der Vertrag nach dem Auftragsschreiben der Beklagten vom 1. Juni 2016 auf der Grundlage des Angebots vom 20. April 2016 geschlossen worden sei, das eine Bezugnahme auf Ziffer 2 der BVB-VOB der Beklagten nicht enthalte; das frühere Angebot vom 23. März 2016 sei hierdurch erloschen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht sei unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten zu der Annahme gelangt, dass die Vertragsstrafe nicht vereinbart worden sei. Soweit es angenommen habe, das Angebot der Klägerin vom 23. März 2016 sei durch das Angebot vom 20. April 2016 gemäß §§ 146, 150 BGB erloschen, habe das Landgericht aber Vortrag der Beklagten übergangen, wonach die Klägerin nach Ziffer 4 des ersten Angebots bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist (= Bindefrist) an dieses gebunden gewesen sei. Aus den erstinstanzlichen Feststellungen ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte das Angebot vom 23. März 2016 abgelehnt habe. Entgegen der Annahme des Landgerichts sei die Vertragsklausel über die Vereinbarung der Vertragsstrafe nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Höhe der Vertragsstrafe von maximal 5 % könne auf die Angebotssumme bezogen werden, weil diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei einem Einheitspreisvertrag sicher feststehe. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliege, weil offen sei, was zur späteren Abrechnungssumme gehöre.
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Landgerichts. Der als solcher unstreitigen Restwerklohnforderung der Klägerin kann die Beklagte von vorneherein keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Überschreitung der Frist für die Vollendung gemäß Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB entgegenhalten, insbesondere mit einem solchen Anspruch nicht die Aufrechnung erklären. Denn diese Vertragsklausel hält bei Verwendung durch den Auftraggeber einer Inhaltskontrolle nicht stand. Sie ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Es kann daher dahinstehen, ob die Vertragsstrafenregelung überhaupt in den Vertrag der Parteien einbezogen wurde und worauf die Verzögerung der Vollendung beruhte. Die Vertragsstrafenklausel in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB. Verwenderin im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte, deren Ausschreibung die BVB-VOB enthielt. Nach Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung, wie eine Auslegung dieser Bestimmungen ergibt, auf insgesamt 5 % der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Eine solche Regelung über die Bezugsgröße der Vertragsstrafe beeinträchtigt bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, den Auftragnehmer als Vertragspartner des Verwenders nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive Auslegung ist in erster Linie ihr Wortlaut. Nach diesen Grundsätzen ist zunächst davon auszugehen, dass die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung darstellt, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt ist. Als solche kann sie einer eigenen Inhaltskontrolle unterzogen werden. Die Auslegung des Begriffs der "im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)" in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB führt nach dem eindeutigen Wortlaut dazu, dass sich die Höhe der Vertragsstrafe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richtet. Zwar ist der Begriff der "Auftragssumme" als solcher grundsätzlich unterschiedlichen Deutungen zugänglich. Hierunter kann - nach den jeweiligen Gegebenheiten - einerseits die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein, andererseits aber auch derjenige Wert, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst. Vorliegend ist allerdings durch die ausdrückliche Anknüpfung an die "im Auftragsschreiben genannte[n]" Netto-Auftragssumme zweifelsfrei klargestellt, dass als Bezugsgröße der Wert gemeint ist, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Vergütung der Klägerin bemisst. Im Zeitpunkt der schriftlichen Auftragserteilung steht bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mengen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet werden, nur diese Vergütung fest.
Ausgehend von diesem Klauselverständnis ist die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Ziffer 2.1, 2.2 der BVB-VOB bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Eine in AGB des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen, wenn sie eine Höchstgrenze von mehr als 5 % der Auftragssumme bei Überschreiten des Fertigstellungstermins vorsieht (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01, Rn. 58 ff.). Diese Rechtsprechung knüpft maßgeblich an die mit der Strafe verfolgte Druckfunktion an, den Auftragnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Leistungen anzuhalten. Zugleich soll sie den Auftraggeber in den Stand setzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten jedenfalls bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten. Allerdings müssen auch die Interessen des Auftragnehmers berücksichtigt werden, insbesondere, dass die für die Überschreitung eines Termins vereinbarte Vertragsstrafe unter Berücksichtigung ihrer Druck- und Kompensationsfunktion in einem angemessenen Verhältnis zum Werklohn steht, den der Auftragnehmer durch seine Leistung verdient. Die Druckfunktion erlaubt dabei zwar durchaus eine spürbare Vertragsstrafe, es ist aber darauf zu achten, dass sich die Vertragsstrafe in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen hält. Gemessen daran ist eine Vertragsstrafe von über 5 % der Auftragssumme zu hoch. Der Auftragnehmer wird typischerweise durch den Verlust von mehr als 5 % seines Vergütungsanspruchs unangemessen belastet Diesen Wirksamkeitsanforderungen wird die in Rede stehende Klausel bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, nicht gerecht. Maßgebliche Bezugsgröße für die vorgenannte Grenze von 5 % des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers ist die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe. Das folgt aus der Orientierung des Grenzwerts an dem tatsächlichen "Verdienst" des Auftragnehmers, der typischerweise durch den Verlust von über 5 % der Vergütungssumme in vielen Fällen nicht nur seinen Gewinn verliert, sondern einen spürbaren Verlust erleidet. Dem entspricht es, dass für einen möglichen Schaden des Auftraggebers, den die Vertragsstrafe widerzuspiegeln hat, gleichfalls nicht die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte, sondern die an den Auftragnehmer tatsächlich zu zahlende Vergütung bestimmend ist. Bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, kann bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-)Auftragssumme im Falle einer - aus unterschiedlichen Gründen (etwa durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Mengen) nicht bloß theoretisch denkbaren - nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von 5 % seines Vergütungsanspruchs - unter Umständen erheblich - übersteigt. Die damit verbundene, den Auftragnehmer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligende und damit zur Unwirksamkeit der Klausel führende Privilegierung des Auftraggebers wird innerhalb der Regelung nicht anderweit, etwa durch einen dem gegenüberstehenden Vorteil für den Auftragnehmer, ausgeglichen. Die Klausel enthält insbesondere auch keine Vorkehrungen (beispielsweise durch einen Vorbehalt oder in anderer geeigneter Weise), durch die der Gefahr einer Überschreitung der für die Vertragsstrafe maßgeblichen Grenze angemessen Rechnung getragen wird. Die Erwägung des Berufungsgerichts, es bestehe ein praktisches Bedürfnis für die Anknüpfung an die im Vertrag vereinbarte Auftragssumme, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Dass im Zeitpunkt des Auftragsschreibens die endgültige Abrechnungssumme noch nicht feststeht, begründet entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht die Gefahr, dass eine Regelung unklar wäre, die auf die endgültige Vergütung abstellte, weil sie Auslegungsspielräume dafür eröffne, was zur späteren Abrechnungssumme gehöre. Den Parteien ist bei Vereinbarung eines Prozentsatzes im Gegensatz zu einem festen Betrag klar, dass die Höhe der Vertragsstrafe kein feststehender Betrag ist. Besteht Streit darüber, welche Vergütung der Auftragnehmer zu Recht beanspruchen kann, muss dies gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden.
3. Kontext der Entscheidung
Die Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hat anhand einer generalisierenden Betrachtungsweise zu erfolgen. Sie setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Vertragspartner voraus. Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle ist zu überprüfen, ob die Obergrenze der Vertragsstrafe generell und typischerweise für die Art von Verträgen, für die sie vorformuliert wurde, angemessen ist (Marie Herberger in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 339 BGB (Stand: 19.03.2024), Rn. 108 mwN.). Dabei kommt es darauf an, ob allgemein bei Verträgen der von den Parteien geschlossenen Art Nachteile zu erwarten sind, welche die Ausgestaltung der Vertragsstrafe angemessen erscheinen lassen. Fälle einer besonders ungünstigen Schadensentwicklung müssen unberücksichtigt bleiben (BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01 –, Rn. 59). Auf dieser Grundlage hat der VII. Zivilsenat entschieden, dass eine Obergrenze einer Vertragsstrafe für die Überschreitung eines Fertigstellungstermins von über 5 % der Auftragssumme zu hoch ist (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01 -, Rn. 56; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 133/11 –, Rn. 19). Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt (so bereits: BGH, Urteil vom 12. März 1981 – VII ZR 293/79 –, Rn. 17).
4. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat hat in der Vergangenheit eine Klausel, nach der der Auftragnehmer bei Überschreitung der Ausführungsfrist eine Vertragsstrafe von 0,3 % der Auftragssumme pro Werktag des Verzuges zu zahlen hat, für unwirksam erklärt, weil der Begriff der Auftragssumme im Kontext der Klausel mehrere Deutungen zulässt und daher zu unbestimmt ist. Unter "Auftragssumme" kann zunächst die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein. Die "Auftragssumme" kann jedoch auch als ein Wert verstanden werden, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst. Bestehen zwei verschiedene gleichwertige Möglichkeiten, den Begriff "Auftragssumme" auszulegen, führt diese Unklarheit dazu, dass die Rechte und Pflichten der Beklagten in der Klausel nicht so klar und präzise wie nötig umschrieben sind (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – VII ZR 28/07 –, Rn. 13 - 14). Heute würde man auf das in § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB seit der Schuldrechtsmodernisierung normierte Transparenzgebot zurückgreifen. Dieses verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dazu gehört nicht nur, dass die einzelne Regelung für sich genommen klar formuliert ist; sie muss auch im Kontext mit dem übrigen Klauselwerk verständlich sein. Die Klausel muss die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für einen durchschnittlichen Vertragspartner so weit erkennen lassen, wie dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach den Umständen gefordert werden kann. Der Vertragspartner des Verwenders muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was ggf. „auf ihn zukommt“. Eine Vertragsgestaltung, die objektiv dazu geeignet ist, den Vertragspartner bezüglich seiner Rechtsstellung in die Irre zu führen, verstößt gegen das Transparenzgebot (BGH, Urteil vom 23. Januar 2024 – VI ZR 357/22 –, Rn. 9, mwN.).
BGH: Voraussetzungen einer Terminsverlegung
1. Eine Terminsverlegung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt, nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen.
2. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben.
BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 47/23
1. Problemstellung
Mit den Anforderungen an den Parteivortrag bezüglich einer unverschuldeten Säumnis bei Erlass eines zweiten Versäumnisurteils hatte sich der VIII. Zivilsenat zu befassen.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klage ist vom LG Aachen durch Versäumnisurteil abgewiesen worden. Auf den Einspruch des Klägers hat das Landgericht Termin auf den 9. Dezember 2022, 13.00 Uhr bestimmt. In diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers bis um 13.20 Uhr nicht erschienen, sondern hat über seine Kanzlei mitteilen lassen, er befinde sich derzeit noch "im Gerichtsgebäude in Essen" und werde nicht vor 14.30 Uhr zu dem Einspruchstermin erscheinen. Daraufhin hat das LG den Einspruch des Klägers durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Einer der Rechtsanwälte der aus drei Mitgliedern bestehenden Sozietät habe an dem Sitzungstag einen unaufschiebbaren Termin gegen 12.00 Uhr vor dem Amtsgericht Marl wahrgenommen. Aufgrund der unerwarteten Erkrankung eines weiteren Mitglieds der Sozietät habe der dritte Sozietätskollege vertretungsweise zwei auf 11.00 Uhr und 11.15 Uhr anberaumte Termine in Essen vor dem dortigen LG und dem AG wahrnehmen müssen. Nachdem der erste vorgenannte Termin, in dem lediglich Anträge hätten gestellt werden sollen, aus unvorhergesehenen Gründen bis 11.30 Uhr gedauert habe, habe der vorgenannte, in Essen befindliche Rechtsanwalt sein Büro gebeten, das LG Aachen über seine voraussichtliche Verspätung zu informieren und gegebenenfalls um eine Verlegung des dortigen Termins zu ersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass der zweite Termin in Essen aufgrund des einfachen Sachverhalts und der Kürze der dort in Augenschein zu nehmenden Videoaufzeichnung nicht länger als 20 Minuten dauern und er bei einer Fahrtzeit von Essen nach Aachen von circa eineinviertel Stunden allenfalls mit einer Verspätung von 15 Minuten nach Terminsaufruf vor dem LG Aachen erscheinen werde. Vollkommen überraschend und unvorhersehbar sei die zweite Sitzung in Essen jedoch erst um circa 13.00 Uhr beendet worden. Auf Nachfrage, ob der Termin vor dem Landgericht antragsgemäß verschoben worden sei, habe er von seinem Büro die Mitteilung erhalten, dass eine diesbezügliche Rückmeldung noch nicht vorliege. Er habe sein Personal daher gebeten, dort noch einmal nachzufragen. Vorsorglich sei er dennoch zum Landgericht gefahren. Dort sei er um 14.30 Uhr angekommen, habe im Sitzungssaal aber niemanden mehr angetroffen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung - nach einem entsprechenden Hinweis - durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zu einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin nicht schlüssig vorgetragen, so dass die Berufung unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht ausreichend dargelegt, aus seiner Sicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Termin vor dem Landgericht wahrnehmen zu können. Schon bei Beginn der zweiten Verhandlung um 11.30 Uhr in Essen habe der Sitzungsvertreter nicht mehr von seiner rechtzeitigen Ankunft in Aachen ausgehen können. Wie seine eigenen Anweisungen am Sitzungstag belegten, habe er nach einem Sitzungsende um 13.00 Uhr erst mit einer Ankunft nach 14.30 Uhr gerechnet. Selbst wenn jedoch bei dem Prozessbevollmächtigten zunächst die Vorstellung bestanden haben sollte, von Essen aus so rechtzeitig aufbrechen zu können, dass eine Wahrnehmung des Termins in Aachen noch zu gewährleisten gewesen wäre, hätte er doch im Laufe der Sitzung in Essen erkennen müssen, dass dies nicht mehr möglich sein werde. Es hätte daher an ihm als bloßem Vertreter des erkrankten Kollegen gelegen, auf eine Vertagung der Verhandlung in Essen zu drängen. Dies gelte umso mehr, als ihm bewusst gewesen sein müsse, dass in Aachen über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil verhandelt werden würde und die konkrete Gefahr bestanden habe, dass seine Säumnis zum Erlass eines zweiten Versäumnisurteils - wie geschehen - führe.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger nicht schlüssig dargetan, dass sein Prozessbevollmächtigter den Einspruchstermin am 9. Dezember 2022 ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt hat. Eine Partei ist iSd. §§ 330 ff. ZPO säumig, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bestimmung eines notwendigen Termins zur mündlichen Verhandlung nach Aufruf der Sache am hierzu bestimmten Ort nicht erscheint, bei notwendiger Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten ist oder nicht zur Sache verhandelt. Nicht schuldhaft ist die Säumnis, wenn die Partei beziehungsweise ihr Prozessvertreter, dessen Verschulden sich die Partei zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins gehindert war und der Termin deshalb hätte verlegt (§ 227 ZPO) oder vertagt (§ 337 Satz 1 ZPO) werden müssen.
Gemessen hieran war der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ohne Verschulden gehindert war, an der Sitzung vor dem Landgericht in Aachen am 9. Dezember 2022 teilzunehmen. Der Prozessbevollmächtigte war ordnungsgemäß zu diesem Termin geladen worden war und ist dort bis zum Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht erschienen. Die Säumnis war auch nicht aufgrund der Wahrnehmung von Gerichtsterminen in Essen für den erkrankten Sozietätskollegen unverschuldet. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung weder schlüssig dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter "überraschend und unvorhersehbar" aufgrund der Dauer des erst um 11.30 Uhr beginnenden Termins vor dem AG Essen bis um 13.00 Uhr an der Wahrnehmung des Einspruchstermins in Aachen gehindert gewesen sei, noch, dass wegen einer (absehbaren) Kollision des zweiten in Essen anberaumten Verhandlungstermins mit dem Einspruchstermin der zuletzt genannte Termin hätte verlegt werden müssen. Eine Terminsverlegung oder -vertagung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt oder vertagt wird (§ 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO), nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Erhebliche Gründe iSv. § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen oder zu vertagen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben. Ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung oder -vertagung und damit eine unverschuldete Säumnis können vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist und das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen.
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon zu Beginn der zweiten Verhandlung in Essen um 11.30 Uhr bei Wahrnehmung dieses Termins nicht mehr von einer rechtzeitigen Ankunft beim LG Aachen ausgehen durfte. Denn der Prozessbevollmächtigte konnte weder von einem pünktlichen Beginn der Sitzung vor dem AG Essen um 11.15 Uhr noch von einer maximal 20minütigen Dauer der dortigen Verhandlung sicher ausgehen. Allein das Vorbringen in der Berufungsbegründung, wonach in der vorhergehenden Verhandlung vor dem LG Essen lediglich Anträge hätten gestellt und in der nachfolgenden Verhandlung vor dem Amtsgericht in Essen bei einem dem Verfahren zugrundeliegenden "einfachen" Sachverhalt nur eine Videoaufzeichnung mit einer Dauer von weniger als zwei Minuten in Augenschein habe genommen werden sollen, rechtfertigte nicht die Annahme, dass die Sitzung vor dem AG Essen zu dem in der Ladung angegebenen Zeitpunkt um 11.15 Uhr beginnen und dann binnen 20 Minuten beendet werden würde. Denn der zeitliche Verlauf einer Sitzung lässt sich - wie der tatsächliche Beginn der Sitzung um 11.30 Uhr und deren Dauer von anderthalb Stunden zeigen - erfahrungsgemäß grundsätzlich nicht zuverlässig voraussagen. Ein Prozessbevollmächtigter muss daher bei seiner Zeitplanung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Ihm ist zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei den Gerichten grundsätzlich zuzumuten, sich während einer - nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmenden - angemessenen Zeit über den in der Ladung vorgesehenen Verhandlungsbeginn hinaus bei Gericht bereitzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers musste deshalb nicht nur einen späteren Beginn der zweiten Sitzung in Essen - von hier lediglich einer Viertelstunde -, sondern auch eine längere Verhandlungsdauer vorsorglich einplanen. Für ihn war deshalb spätestens um 11.30 Uhr absehbar, dass er schon bei einer (einzukalkulierenden) geringfügigen Überschreitung der von ihm angesetzten Verhandlungsdauer selbst unter Berücksichtigung einer möglichen Wartezeit von etwa 15 Minuten nach Aufruf der Sache vor dem LG Aachen, innerhalb derer der gegnerische Prozessbevollmächtigte kein Versäumnisurteil erwirken würde, nicht mehr rechtzeitig in dem Einspruchstermin würde erscheinen können. Allein mit dem späteren Beginn und der tatsächlichen Dauer der Verhandlung vor dem AG Essen konnte der Prozessbevollmächtigte deshalb sein Fernbleiben in dem Einspruchstermin nicht entschuldigen, zumal er auch während der Verhandlung in Essen gegebenenfalls Maßnahmen zur Verhinderung seiner Säumnis hätte ergreifen können und müssen.
Das Landgericht war auch nicht gehalten, den Einspruchstermin wegen der (absehbaren) Kollision mit dem Verhandlungstermin in Essen auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu verlegen. Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer Partei aufgrund eines bereits zuvor anberaumten kollidierenden Verhandlungstermins kann einen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung darstellen. Eine Kollision setzt voraus, dass die Wahrnehmung beider Termine zeitlich nicht möglich ist. In die Entscheidung über die Terminsverlegung sind alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls einzubeziehen, beispielsweise die Art des kollidierenden Gerichtstermins und des Zeitpunkts seiner Bestimmung, die Besonderheiten der Mandatsbeziehung, die Möglichkeit, den kollidierenden Termin zu verlegen oder einen der Termine durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen. Ausnahmsweise kann auch ein später anberaumter Termin Vorrang vor einem früher bestimmten Termin genießen, etwa wenn ein Verhandlungstermin bereits verlegt worden ist, prozessuale Gründe die Durchführung dieses Termins gebieten, es sich um einen Termin zur Durchführung einer aufwendigen Beweisaufnahme oder ein besonders eilbedürftiges Verfahren handelt. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger bereits einen erheblichen Grund iSv. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verlegung des Einspruchstermins in Aachen nicht schlüssig dargelegt. Der Berufungsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass der zunächst auf 11.15 Uhr bestimmte Gerichtstermin in Essen vor dem Einspruchstermin anberaumt worden ist oder besondere Gründe eine Verlegung des Termins in Aachen erforderlich gemacht hätten. Vielmehr hat der Kläger selbst vorgetragen, dem in Essen verhandelten Rechtsstreit habe ein einfach gelagerter Sachverhalt zugrunde gelegen und es habe lediglich eine kurze Videoaufnahme in Augenschein genommen werden sollen. Zudem war der Prozessbevollmächtigte nicht Sachbearbeiter dieses Verfahren, sondern hat die Sitzung lediglich als Vertreter für seinen erkrankten Sozietätskollegen wahrgenommen. Das Berufungsgericht hat deshalb jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Verlegung des Einspruchstermins aufgrund des von dem Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Sachverhalts nicht in Betracht kam.
Es kommt vor diesem Hintergrund auch nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - schon um 11.30 Uhr seine Mitarbeiter gebeten hat, das Landgericht in Aachen über seine voraussichtliche Verspätung aufgrund des Gerichtstermins in Essen zu informieren und um eine Terminsverlegung zu ersuchen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zu Recht als unerheblich angesehen. Es hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen durfte, seinem (behaupteten) Verlegungsantrag werde entsprochen. Denn (allein) der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins - ohne Darlegung eines erheblichen Grunds - entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind.
3. Kontext der Entscheidung
Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlichen garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 13 - 14, mwN.). Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat. Eine darüber hinausgehende Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts besteht nicht. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann folglich nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19 –, Rn. 11 – 12). Gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts findet die Revision nach § 565 Satz 1 iVm. § 514 Abs. 2 ZPO ohne Zulassung und ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstands statt (BGH, Urteil vom 08. Oktober 2015 – III ZR (Ü) 1/15 –, Rn. 7). Das folgt aus § 565 ZPO. Diese Norm erklärt hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Versäumnisurteilen die Vorschriften des Berufungsverfahrens für entsprechend anwendbar. Im Hinblick auf § 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedeutet dies, dass wie die Berufung (§ 511 Abs. 2 ZPO), auch die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes oder eine Zulassung zulässig ist (BGH, Beschluss vom 03. März 2008 – II ZR 251/06 –, Rn. 3).
4. Auswirkungen für die Praxis
Terminsverlegungsanträgen muss im Regelfall stattgegeben werden, wenn ein erheblicher Grund glaubhaft gemacht wird. Werden Kollisionen mit schon anberaumten anderen gerichtlichen Terminen vorgebracht, sind diese durch Vorlage der Ladung zu dem anderen Termin glaubhaft zu machen. Weiterhin ist, sofern der Terminsverlegung beantragende Rechtsanwalt nicht als Einzelanwalt tätig ist, zu begründen, warum die Wahrnehmung des Termins, dessen Verlegung beantragt wird, nicht durch einen anderen Rechtsanwalt aus der Kanzlei des Antragstellers möglich ist. Bei Terminen, die in den Zeitraum vom 1. Juli – 31. August fallen, braucht, sofern nicht einer der Ausnahmefälle des § 227 Abs. 3 Satz 2 ZPO betroffen ist, ein Terminsverlegungsantrag nicht begründet zu werden, wenn er innerhalb einer Frist von einer Woche nach Zugang der Ladung gestellt wird (§ 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die persönliche Verhinderung des Prozessbevollmächtigten wegen anderweitiger Verpflichtungen, insbesondere wegen beruflich wahrzunehmender Termine, ist regelmäßig ein erheblicher Grund iSd. § 227 Abs. 1 ZPO, weil die vertretene Partei erwarten darf, im Termin von demjenigen Anwalt vertreten zu werden, der die Sachbearbeitung des Mandats übernommen hat und ihr Vertrauen genießt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 22). Die Erkrankung der anwaltlich vertretenen Partei selbst - bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans - zwingt nicht zu einer Terminsverlegung, wenn nicht gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen (BGH, Urteil vom 14. September 2023 – IX ZR 219/22).
BGH: Anwaltliche Sorgfaltspflichten beim beA-Versand
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) verlangen, dass der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anweist, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren ist. Die Kontrollpflichten erstrecken sich zudem unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie ob die richtige Datei übermittelt wurde.
BGH, Beschluss vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22
1. Problemstellung
Der VIII. Zivilsenat hatte den Umfang der anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätze mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu klären.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Ihr Antrag auf Verlängerung der am 1. September 2022 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist ist erst am Folgetag bei dem Berufungsgericht eingegangen. Den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht ebenso wie den Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung zurückgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei unbegründet, da die Klägerin nicht ohne das ihr zuzurechnende Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) an der Wahrung dieser Frist gehindert gewesen sei. Zwar seien die Angestellten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin angewiesen, zweimal am Tag zu prüfen, ob die gefertigten Schriftsätze von den Rechtsanwälten mit einer digitalen Signatur versehen worden seien, die Schriftsätze danach unverzüglich über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zu versenden und sich von der erfolgreichen Zustellung zu überzeugen. Hinsichtlich des Schriftsatzes, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt worden sei, habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ferner an eine Kanzleiangestellte eine Einzelanweisung zum Versand erteilt. Jedoch stelle sich die seitens der Klägerin dargelegte Organisation zum Versand fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten verschuldet als nicht ausreichend dar, was zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt habe. Es wäre ein Fristenkalender zu führen gewesen, in dem eine zu wahrende Frist eingetragen und erst dann gestrichen werde, wenn die erforderliche Handlung auch tatsächlich ausgeführt worden sei. Anhand einer abendlichen Kontrolle des Fristenkalenders wäre zu überprüfen gewesen, ob die an dem Tag ablaufenden Fristen als erledigt anzusehen seien. Es sei nicht erkennbar, dass diese Sorgfaltspflichten eingehalten worden seien. Es sei nicht ersichtlich, ob in der Kanzlei ein Fristenkalender existiere und wer aufgrund welcher Anweisungen in diesem Eintragungen und Streichungen vornehme beziehungsweise auf wen die Verantwortung für die abschließende Kontrolle des Fristenkalenders delegiert worden sei. Der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung sei zurückzuweisen, da dieser erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei; eine abgelaufene Frist könne nicht verlängert werden.
Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 1 ZPO). Soweit sich die Klägerin gegen die Zurückweisung des Antrags auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung wendet, ist die Rechtsbeschwerde bereits nicht statthaft. Denn gemäß § 225 Abs. 3 ZPO findet eine Anfechtung der Entscheidung, durch die das Gesuch um Verlängerung einer Frist zurückgewiesen wird, nicht statt. Soweit die Rechtsbeschwerde die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung betrifft, ist das Rechtsmittel unzulässig. Denn die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Insbesondere verletzt die angegriffene Entscheidung nicht die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Gemessen hieran verletzt die Versagung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist die Klägerin in ihren vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht, da die Fristversäumung auf einem der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Organisationsmangel (§ 233 Satz 1 ZPO) bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten beruht. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Prozessbevollmächtigte müssen in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen.
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Daher hat der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren ist. Die Kontrollpflichten erstrecken sich zudem unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie ob die richtige Datei übermittelt wurde. Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdende Ausgangskontrolle besteht, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Der darin liegende Organisationsmangel ist für die Fristversäumung auch ursächlich geworden. Die Klägerin hat in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch nichts zur Führung eines Fristenkalenders vorgebracht, anhand dessen eine den vorgenannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle durchgeführt wird. Sie hat lediglich ausgeführt, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe die Arbeitsanweisung, dass die Mitarbeiterinnen sich davon zu überzeugen hätten, dass ein - per beA - versandtes Schriftstück erfolgreich zugestellt worden sei. Ungeachtet bereits fehlender Angaben zur Führung eines Fristenkalenders ergibt sich weder aus den vorgenannten Ausführungen noch aus dem Vorbingen der Klägerin in der Rechtsbeschwerde, in welcher erstmals (allgemein) von einer Eingangsbestätigung die Rede ist, nach deren Eingang die Frist erst zu streichen sei, wie die Überprüfung der erfolgreichen Zustellung genau erfolgt. Insbesondere ist nichts dazu vorgetragen, ob diese den Erhalt sowie den Inhalt der elektronischen Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO umfasst. Überdies lässt sich den Ausführungen der Klägerin nicht entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine Anweisung besteht, wonach erst nach einer solchen Überprüfung der Eingangsbestätigung eine Frist im Fristenkalender als erledigt vermerkt beziehungsweise gestrichen werden darf.
Aufgrund dieses Organisationsverschuldens kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege allein ein Verschulden der zuständigen Mitarbeiterin vor, die es (lediglich) versäumt habe, "auf den Knopf" zum Versenden der beA-Nachricht mit dem Fristverlängerungsantrag "zu drücken". Zwar ist der bloße Versand der (qualifiziert signierten, § 130a Abs. 3 ZPO) beA-Nachricht durch eine Kanzleiangestellte nicht vom Rechtsanwalt zu kontrollieren und stellt ein diesbezüglicher Fehler der Angestellten ein schlichtes, der Partei nicht zuzurechnendes und bei fehlendem eigenen Verschulden des Rechtsanwalts - etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens - ein der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegenstehendes Büroversehen dar. Jedoch sind in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht "sämtliche Maßnahmen zur Fristerledigung" getroffen, sondern fehlt es - wie ausgeführt - an einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle. Dieses Versäumnis ist nicht nach den Grundsätzen zum Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Vorliegen einer konkreten Einzelanweisung deshalb unerheblich, weil die Kanzleiangestellte "noch einmal gesondert" angewiesen wurde, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am Tag deren Ablaufs dem Gericht per beA zu übermitteln. Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht an, wenn ein Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. In einem solchen Fall darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, diese konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Wird die Anweisung jedoch - wie hier - nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät. Dafür genügt im Regelfall die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich. Der Rechtsanwalt muss aber, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnet, durch allgemeine Weisung oder besonderen Auftrag Vorkehrungen gegen das Vergessen treffen. Hieran fehlt es vorliegend. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte weder einen besonderen Auftrag zur sofortigen Erledigung erteilt noch besteht - wie ausgeführt - in der Kanzlei eine ausreichende allgemeine Weisung bezüglich der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze. Daher hätte sich die Einzelanweisung in gleicher Weise wie allgemeine Organisationsanweisungen auf die gebotene Ausgangskontrolle, insbesondere auf die Kontrolle des Erhalts sowie des Inhalts der automatisierten Eingangsbestätigung (§ 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) erstrecken müssen. Dies war nach dem Vorbringen der Klägerin in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch jedoch nicht der Fall. Hiernach sei die Kanzleiangestellte lediglich "noch einmal gesondert" darauf hingewiesen worden, den Fristverlängerungsantrag weiterzuleiten. Konkrete Anweisungen, die an die Stelle einer allgemeinen Ausgangskontrolle hätten treten können, fehlen somit.
Die Pflichtverletzung in Form einer ungenügenden Ausgangskontrolle war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Organisation bestanden, die die ordnungsgemäße Prüfung des Eingangs sowie des Inhalts der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO gewährleistet hätte, wäre nach gewöhnlichem Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der Beteiligten die nicht erfolgte Übermittlung des Fristverlängerungsantrags bekannt geworden und hätte - noch am Tag des Ablaufs der Frist zur Begründung der Berufung - eine Versendung unternommen werden können.
3. Kontext der Entscheidung
Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung fristgebundenen Schriftsätze erfordert stets die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 –, Rn. 22, mwN.). Die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 ZPO wird automatisch erstellt, wenn die Nachricht auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Mit dem Begriff „für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts“ ist der Server gemeint, den die Justiz zur Nutzung des ERV verwendet. Im Regelfall handelt es sich dabei um den zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP). Ist eine automatisierte Eingangsbestätigung vom Gericht übermittelt worden, so erscheint im Ordner „Gesendet“ in der Zeile unterhalb des Nachrichtentexts unter dem Punkt „Meldungstext“ der Eintrag „request executed“ und unter dem Punkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „erfolgreich“. Wird das rot umkreiste Lupensymbol angeklickt, erhält man die „vollständige Zustellantwort“, die ebenfalls das Zugangsdatum mit Uhrzeit enthält. Dieses Zugangsdatum ist das maßgebliche Kriterium, um den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung vom Gericht nachzuweisen. Gesendete Nachrichten sollten stets aus dem Ordner „Gesendet“ exportiert und im lokalen PC-System in der elektronischen Handakte abgespeichert oder ausgeduckt und in die Papierakte überführt werden. Beim Export wird eine *.zip-Datei angelegt, die unter anderem die Datei *_export.html enthält. In dieser sind u.a. das Zugangsdatum, der Vermerk „request executed“ und die vollständige Zustellantwort enthalten. Die Datei kann im Bedarfsfall dem Gericht zu Beweiszwecken vorgelegt werden.
4. Auswirkungen für die Praxis
Eine wirksame Fristenkontrolle erfordert zudem die Notierung von Vorfristen. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – VI ZB 53/22 –, Rn. 9, mwN.). In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein einer Prozesspartei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZB 418/22 –, MDR 2023, 1267). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der zu wahrenden Frist kommt nicht in Betracht, wenn der Rechtsanwalt bei pflichtgemäßer Notierung einer Vorfrist die Fehlerhaftigkeit der notierten Frist hätte erkennen und die Frist wahren können (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – V ZB 227/17).
BGH: WEG-Verwalterhaftung bei pflichtwidrigen Zahlungen
1. Hat eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit einem Werkunternehmer einen Vertrag zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums geschlossen, gehört es zu den Pflichten des Verwalters, Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum wie ein Bauherr zu überwachen. Bei der Bewirkung von Zahlungen ist er verpflichtet, wie ein Bauherr im Interesse der Wohnungseigentümer sorgfältig zu prüfen, ob bestimmte Leistungen erbracht und Abschlags- oder Schlusszahlungen gerechtfertigt sind.
2a. Zahlt der Verwalter im Zuge der Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen pflichtwidrig Abschläge, kann für die Ermittlung des Schadens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht allein auf die durch die Abschlagszahlungen hervorgerufene Minderung des Gemeinschaftsvermögens abgestellt werden. In den Gesamtvermögensvergleich einzubeziehen ist vielmehr auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Die Beweislast dafür, dass den gezahlten Abschlägen keine werthaltigen Leistungen gegenüberstehen, trifft die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
2b. Eine Haftung des Verwalters wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen scheidet aus, solange eine vertragsgerechte Leistung noch im Wege der (Nach-)Erfüllung durch den Werkunternehmer herbeigeführt werden kann.
2c. Ist dagegen die (Nach-)Erfüllung ausgeschlossen und das Vertragsverhältnis zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, haftet der Verwalter für die durch die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen entstandenen Schäden neben dem Werkunternehmer. Der Verwalter ist in diesem Fall aber nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet.
BGH, Urteil vom 26. Januar 2024 – V ZR 162/22
1. Problemstellung
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte zu entscheiden, in welchem Umfang der Verwalter einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer haftet, wenn er auf Abschlagsrechnungen von Werkunternehmern, die mit Arbeiten zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums beauftragt sind, pflichtwidrig Abschläge zahlt.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte war Verwalter der Klägerin, einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE, früher: WEG). Im Juli 2019 beschlossen die Wohnungseigentümer die Erneuerung der Dacheindeckung. Nach der Vergabe der Arbeiten mit einem Gesamtvolumen von 116.497,85 € brutto stellte der beauftragte Werkunternehmer eine Abschlagsrechnung für Material in Höhe von 61.872 €; dieser Rechnung beigefügt war ein Angebot einer anderen Firma aus April 2019 über die Lieferung von Baumaterial. Im Oktober 2019 zahlte der Beklagte aus Mitteln der Klägerin einen - auf fünf Teilzahlungen aufgeteilten - Betrag von 70.000 €. Nach dem Beginn der Arbeiten zahlte er im November 2019 einen weiteren - auf sechs Teilzahlungen aufgeteilten - Betrag von 34.500 €, ohne dass insoweit Abschlagsrechnungen gestellt wurden. Die Arbeiten an dem Dach wurden bei einem Baufortschritt von etwa 85-90 % eingestellt. Ein von der Klägerin in Auftrag gegebenes Privatgutachten bezeichnet die erbrachten Arbeiten als mangelhaft und unbrauchbar; zur Beseitigung der Mängel sei der Abriss der bisherigen Arbeiten erforderlich. In einem anderen Verfahren nimmt die Klägerin den Werkunternehmer im Wege der offenen Teilklage auf Rückzahlung geleisteter Abschläge in Anspruch. Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten Zahlung von 104.500 € nebst Zinsen, hilfsweise Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen den Werkunternehmer. Mit einem zweiten Hilfsantrag begehrt sie die Feststellung, dass der Beklagte alle Schäden zu ersetzen habe, die ihr durch die Auszahlung des Betrages von 104.500 € im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben entstehen. Das Amtsgericht hat der Klage nur im ersten Hilfsantrag stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage unter Zurückweisung der gegen die Abweisung des unbedingten Zahlungsantrags und hilfsweise auf die Feststellung von Annahmeverzug gerichteten Anschlussberufung der Klägerin abgewiesen. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung von Pflichten aus dem Verwaltervertrag. Es meint, die Klägerin habe, eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt, nicht hinreichend dargelegt, dass der Vermögensabfluss von 104.500 € ihrem Schaden entspreche, denn sie lasse den Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung außer Betracht. Das Privatgutachten enthalte lediglich die nicht ausreichende pauschale Feststellung, dass die erbrachten Werkleistungen unbrauchbar seien; es verhalte sich nicht dazu, ob die von dem Beklagten gezahlten Gelder nicht auch einen Vermögenszufluss bei der Klägerin verursacht hätten. Außerdem bleibe der Klägerin der von dem Werkunternehmer vorgenommene Abriss des alten Daches als Vorteil erhalten, und es könne eventuell Material bei einer Beseitigung der behaupteten Mängel (wieder-)verwendet werden. Im Übrigen hätten sich unterstellt vorzeitige Abschlagszahlungen nicht kausal ausgewirkt. Denn ein rechtmäßiges Alternativverhalten des Beklagten, das in Zahlungen auf berechtigte Abschlagsforderungen zu sehen wäre, hätte die Klägerin nicht vor einem Schaden durch die behauptete mangelhafte Werkausführung bewahrt. Der Beklagte verfüge auch nicht über bausachverständige Fertigkeiten, so dass nur der Maßstab angelegt werden könne, welcher der üblichen Sorgfalt eines Wohnungseigentümers entspreche.
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Verwaltervertrag wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen nicht verneint werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe - eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt - den Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung außer Acht gelassen und infolgedessen nicht hinreichend dargelegt, dass der Vermögensabfluss von 104.500 € ihrem Schaden entspreche, ist unzutreffend. Das Berufungsgericht verkennt insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig. Wären die von dem beauftragten Werkunternehmer erbrachten Leistungen, wie das Berufungsgericht annimmt, unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen, müsste nicht die Klägerin, sondern der Beklagte darlegen und beweisen, ob und in welchem Umfang bei der Klägerin mit Rücksicht auf die erbrachten Leistungen des Werkunternehmers ein Vorteil verblieben sein könnte. Aber auch von seinem Standpunkt aus durfte das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin nicht als unsubstantiiert erachten. Ein Sachvortrag ist schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. In Fallgestaltungen, in denen ein erfolgversprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert, dürfen an den klagebegründenden Sachvortrag der Partei nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Die Partei darf sich in diesem Fall auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken. Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind, ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet. Daran gemessen ist der Vortrag der Klägerin, wonach pflichtwidrigen Abschlagszahlungen insgesamt unbrauchbare Werkleistungen gegenüberstehen, die (auch) den Abriss des neuen Daches erfordern, ohne jeden Zweifel schlüssig und hinreichend substantiiert. Der Umstand, dass die Klägerin zur Untermauerung ihres Vortrags ein aus Sicht des Berufungsgerichts unzureichendes Privatgutachten eingereicht hat, ändert hieran nichts. Denn bei einem Privatgutachten handelt es sich nur um (substantiierten) Parteivortrag. Durch die Beauftragung eines Privatgutachters hat die Klägerin mehr veranlasst, als prozessual von ihr verlangt werden kann. Dass das Privatgutachten keine detaillierten Ausführungen zu den einzelnen Mängeln enthalten mag, rechtfertigt es daher nicht, den klägerischen Vortrag als unerheblich anzusehen; deshalb wären auch dann, wenn die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet wäre, genauere Angaben zu einzelnen Mängeln und dem Umfang der Mangelbeseitigung nicht erforderlich gewesen.
Der Klage kann der Erfolg entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht mit dem Verweis auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, also auf einen fehlenden Kausalzusammenhang zwischen einer - unterstellten - Pflichtverletzung des Beklagten und einem - unterstellt wegen der mangelhaften Werkleistungen eingetretenen - Schaden der Klägerin versagt werden. Die Berufung des Schädigers auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, das heißt der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Die Erheblichkeit des Einwandes richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm. Voraussetzung ist zudem, dass derselbe Erfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus. Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht vor. Das Berufungsgericht unterstellt zugunsten der Klägerin, dass die Abschlagszahlungen von dem Beklagten pflichtwidrig vorgenommen worden sind. In diesem Fall wäre aber die unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu prüfende Handlungsalternative allein die Nichtvornahme der Zahlungen gewesen; dadurch wäre der - unterstellte - Schaden gerade nicht gleichermaßen entstanden, sondern vielmehr verhindert worden. Demgegenüber knüpft die Annahme, dass der Beklagte berechtigte Abschlagsforderungen des Werkunternehmers bei pflichtgemäßen Verhalten zu erfüllen gehabt hätte, nicht (nur) - wie es aber Voraussetzung eines solchen Einwands wäre - an ein rechtmäßiges Alternativverhalten des Beklagten an, sondern setzt außerdem ein fiktives Alternativverhalten eines Dritten, nämlich des Werkunternehmers, voraus.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. Dazu weist der Senat auf Folgendes hin: Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob der Beklagte seine Pflichten als Verwalter der Klägerin verletzt hat (§ 280 Abs. 1 BGB). Hat eine GdWE mit einem Werkunternehmer einen Vertrag zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums geschlossen, gehört es zu den Pflichten des Verwalters nach Maßgabe des hier noch anwendbaren § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung (jetzt § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG, Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum wie ein Bauherr zu überwachen. Bei der Bewirkung von Zahlungen gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 5 WEG aF ist er verpflichtet, wie ein Bauherr im Interesse der Wohnungseigentümer sorgfältig zu prüfen, ob bestimmte Leistungen erbracht und Abschlags- oder Schlusszahlungen gerechtfertigt sind; für ihn erkennbare Mängel muss er hierbei berücksichtigen. Der Verwalter einer GdWE hat demnach zu prüfen, ob eine von dem mit einer Erhaltungsmaßnahme beauftragten Werkunternehmer verlangte Abschlagszahlung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist. Daraus folgt, dass der Verwalter im Regelfall (auch) die Voraussetzungen des § 632a BGB, der weitgehend § 16 Abs. 1 VOB/B entspricht, beachten muss. Hierzu gehört u.a. das in § 632a Abs. 1 Satz 5 BGB geregelte Erfordernis einer Aufstellung, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglicht; ohne sie ist ein Anspruch auf Abschlagszahlung nicht gegeben. Der Verwalter muss die Abschlagsrechnung außerdem daraufhin durchsehen, ob sie zu dem Auftrag und dem Leistungsstand passt. Eine Abschlagszahlung für Stoffe oder Bauteile, die angeliefert oder eigens angefertigt und bereitgestellt sind, erfordert - abgesehen davon, dass die Stoffe oder Bauteile den vertraglichen Vorgaben entsprechen müssen - außerdem gemäß § 632a Abs. 1 Satz 6 BGB, dass dem Besteller nach seiner Wahl Eigentum an den Stoffen oder Bauteilen übertragen oder entsprechende Sicherheit hierfür geleistet wird.
Von einer Verletzung der Pflicht, die verlangten Abschlagszahlungen auf ihre Berechtigung zu überprüfen, dürfte nach den bisherigen Feststellungen auszugehen sein. So fehlt es für einen erheblichen Teil der Zahlungen an einer Abschlagsrechnung beziehungsweise einer Aufstellung, die eine sichere Beurteilung der erbrachten Leistungen ermöglichen würde; damit bestand insoweit von vorneherein kein Anspruch des Werkunternehmers. Soweit für andere Teilzahlungen eine Abschlagsrechnung für Material vorhanden ist, hätte der Beklagte jedenfalls stichprobenartig überprüfen müssen, ob diese zu dem Auftrag und dem angelieferten Material passt und ob das Material übereignet oder Sicherheit geleistet worden ist; nach den bisherigen Feststellungen kann hiervon nicht ausgegangen werden. Auf die Frage, ob die in dem Privatgutachten genannten Mängel der Werkleistungen für den Beklagten erkennbar waren, kommt es demnach (zunächst) nicht an. Sollte sich im Verlauf des weiteren Verfahrens allerdings herausstellen, dass der Beklagte seinen Pflichten bei Überprüfung der vorhandenen Abschlagsrechnung genügt hat, hätte sich das Berufungsgericht damit zu befassen, ob sich ein Verwalter, der nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse für die Prüfung der Werkleistungen verfügt, überhaupt auf eine allein auf mangelnder Fachkunde beruhende fehlende Erkennbarkeit von Mängeln der Werkleistung berufen kann. Das kann insbesondere dann zu verneinen sein, wenn es der Verwalter bei einer mit erheblichem Kostenrisiko verbundenen umfangreichen baulichen Maßnahme unterlassen hat, die Wohnungseigentümer auf seine fehlende Fachkompetenz hinzuweisen und eine Beschlussfassung über eine überwachende Tätigkeit durch Sonderfachleute vorzubereiten.
Das Berufungsgericht wird, wenn sich Pflichtverletzungen des Beklagten bestätigen sollten, weiter zu prüfen haben, ob das Verhalten des Beklagten zu einem Schaden der Klägerin geführt hat. Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Zahlt der Verwalter im Zuge der Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen pflichtwidrig Abschläge, kann für die Ermittlung des Schadens der GdWE, allerdings nicht allein auf die durch die Abschlagszahlungen hervorgerufene Minderung des Gemeinschaftsvermögens abgestellt werden. In den Gesamtvermögensvergleich einzubeziehen ist vielmehr auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Die Beweislast dafür, dass den gezahlten Abschlägen keine werthaltigen Leistungen gegenüberstehen, trifft die GdWE. Das folgt allerdings nicht daraus, dass es sich bei den erbrachten Werkleistungen um unmittelbar in die Schadensberechnung einzubeziehende Vorteile handelte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Vorteile - auch Steuervorteile - nur im Wege der auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruhenden Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sind; diese kommt nur in Betracht, wenn zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, was der Schädiger darzulegen und zu beweisen hat (Nachweise in Rn. 22). Hier ergeben sich etwaige Vorteile, sofern sie bei der Klägerin überhaupt eingetreten sind, allein infolge des Bauvertrags. Sie beruhen nicht kausal auf der Verletzung der Verwalterpflichten des Beklagten im Zusammenhang mit der Erbringung von Abschlagszahlungen, sondern auf den Leistungen des beauftragten Werkunternehmers, die ohne die Zahlungen auch nicht zwangsläufig entfielen. Ob eine pflichtwidrige Abschlagszahlung zu einem Schaden geführt hat, hängt aber gleichwohl davon ab, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Werkleistungen vertragsgerecht erbracht worden sind. Diese Frage stellt sich schon im Rahmen des Gesamtvermögensvergleichs, weil sich die Differenzhypothese auch einer normativen Kontrolle zu unterziehen hat. Entscheidend ist insoweit, dass es sich bei den Abschlagszahlungen um vorläufige Zahlungen handelt. Die in § 632a BGB bzw. § 16 Abs. 1 VOB/B geregelte Abschlagszahlung bezweckt, den nach § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB vorleistungspflichtigen Werkunternehmer zu entlasten und die gerade bei Bauleistungen mit der Vorfinanzierung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen. Der Anspruch auf Abschlagszahlungen ist auf Anzahlungen in Bezug auf den Vergütungsanspruch für das Gesamtwerk gerichtet. Die Abschlagsforderungen und auch die Anzahlungen haben keinen endgültigen Charakter, sondern sind nur vorläufig. Der Werkunternehmer hat daher über die ihm zustehende endgültige Vergütung unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen mit der Schlussrechnung abzurechnen. Erbrachte Abschlagszahlungen sind dabei lediglich Rechnungsposten, die nicht auf einzelne Leistungspositionen des Vertrags bezogen werden können. Zur Rückzahlung ist der Unternehmer aus dem geschlossenen Vertrag (nur) verpflichtet, soweit die Summe der Abschlagszahlungen die ihm zustehende Gesamtvergütung übersteigt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht ein Schaden der GdWE aufgrund pflichtwidrig erbrachter Abschlagszahlungen des Verwalters nur, soweit deren Summe die dem Werkunternehmer zustehende Gesamtvergütung übersteigt.
Demnach wird zum einen aufzuklären sein, ob die durch den Werkunternehmer erbrachten Leistungen, wie die Klägerin, gestützt auf das Privatgutachten, hinreichend substantiiert behauptet, unbrauchbar sind. Die Beweislast trifft, da es um die tatsächlichen Voraussetzungen des Gesamtvermögensvergleichs geht, die Klägerin. Zum anderen kann der Verwalter nur dann erfolgreich wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen in Anspruch genommen werden, wenn das Vertragsverhältnis zwischen dem Werkunternehmer und der GdWE in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist; auch hierzu fehlt es bislang an Feststellungen. Eine Haftung des Verwalters wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen scheidet aus, solange eine vertragsgerechte Leistung noch im Wege der (Nach-)Erfüllung durch den Werkunternehmer herbeigeführt werden kann. Es entspricht einhelliger Ansicht, dass eine Inanspruchnahme des Verwalters wegen pflichtwidrig veranlasster Abschlagszahlungen die Nichtdurchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen den beauftragten Werkunternehmer voraussetzt. Diese Auffassung trifft grundsätzlich zu. Allerdings scheidet die Inanspruchnahme des Verwalters nur aus, wenn noch durchsetzbare (Nach-)Erfüllungsansprüche gegen den Werkunternehmer bestehen. Solange besteht nämlich die Möglichkeit, dass der Werkunternehmer im Wege der (Nach-)Erfüllung ein vertragsgemäßes Werk erbringt, wozu ihn der Verwalter in Erfüllung seiner ihm gegenüber der GdWE obliegenden Pflichten auch anhalten muss. In diesem Stadium lässt sich wegen des vorläufigen Charakters der Abschlagszahlungen noch nicht beurteilen, ob - und ggf. in welcher Höhe - die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen einen Schaden verursacht haben. Ist dagegen die (Nach-)Erfüllung ausgeschlossen und das Vertragsverhältnis zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, haftet der Verwalter für die durch die pflichtwidrigen Abschlagszahlungen entstandenen Schäden neben dem Werkunternehmer. Der Verwalter ist in diesem Fall aber nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der GdWE gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet.
Ist das Vertragsverhältnis zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen, bestehen zwischen der GdWE und dem Werkunternehmer nur noch Zahlungsansprüche. Insoweit sind die Abschlagszahlungen als Rechnungsposten einzustellen, und es lässt sich nunmehr feststellen, ob und in welcher Höhe der GdWE ein Schaden entstanden ist. Infolgedessen gilt im Verhältnis der GdWE zu dem pflichtwidrig Abschläge zahlenden Verwalter der allgemeine Grundsatz, wonach sich ein Geschädigter nicht darauf verweisen lassen muss, dass er (auch) einen Anspruch gegen einen Dritten hat; es steht dem Geschädigten vielmehr grundsätzlich frei, wen er in Anspruch nimmt. Dadurch soll der Geschädigte den mit der Durchsetzung des anderen Anspruchs verbundenen Aufwand und das Insolvenzrisiko des Dritten auf den Schädiger verlagern können. Nimmt die GdWE in diesem Fall den Verwalter in Anspruch, ist der Verwalter wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen aber entsprechend § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche der GdWE gegen den Werkunternehmer zu Schadensersatz verpflichtet. Zwar betrifft § 255 BGB unmittelbar (nur) die Schadensersatzpflicht wegen des Verlusts einer Sache oder eines Rechts gegen Abtretung der Ansprüche, die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der Sache oder auf Grund des Rechts gegen Dritte zustehen. Die Vorschrift beruht aber auf der grundsätzlichen Überlegung, dass einer von mehreren Schädigern dem Schaden ferner steht und deshalb im Innenverhältnis in vollem Umfang bei dem anderen Schuldner Regress nehmen können soll; der Gläubiger wiederum soll die Leistung nicht doppelt erhalten. Sie ist deshalb über ihren Wortlaut hinaus auf vergleichbare Fälle entsprechend anzuwenden. Die Inanspruchnahme des Verwalters durch die GdWE wegen pflichtwidriger Abschlagszahlungen an einen Werkunternehmer, dem gegenüber die GdWE (nur noch) Zahlungsansprüche hat, gebietet die entsprechende Anwendung von § 255 BGB. Denn der Verwalter steht dem Schaden ferner als der Werkunternehmer. Eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 421 BGB zwischen dem Verwalter und dem Werkunternehmer besteht mangels Gleichstufigkeit der Verpflichtungen des Verwalters und des Werkunternehmers nicht. Die GdWE wiederum soll die Zahlungen nicht doppelt erlangen können. Einer Erhebung der Zug-um-Zug-Einrede durch den Beklagten bedarf es jedenfalls nicht. Denn die Klägerin trägt dem Zurückbehaltungsrecht des Beklagten bereits durch ihre ausdrücklich so formulierte „hilfsweise“ Antragstellung Rechnung, auch wenn es sich nicht um einen Hilfsantrag im Sinne einer von einer innerprozessualen Bedingung abhängigen eventuellen Klagehäufung, sondern um ein in dem Hauptantrag ohnehin enthaltenes „Minus“ handelt.
3. Kontext der Entscheidung
Der Verwalter muss zur Vorbereitung der Beschlussfassung über Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums die verschiedenen Handlungsoptionen aufzeigen; dabei hat er die Wohnungseigentümer auf mögliche Gewährleistungsansprüche und auf eine drohende Verjährung dieser Ansprüche hinzuweisen. Den mit dem Bauträger identischen, von ihm eingesetzten, mit ihm verbundenen oder von ihm abhängigen Verwalter (sog. Bauträgerverwalter) treffen die gleichen Pflichten hinsichtlich der Vorbereitung einer sachgerechten Beschlussfassung der Wohnungseigentümer über Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums wie jeden anderen Verwalter; er muss somit auch auf Gewährleistungsansprüche „gegen sich selbst“ und eine drohende Verjährung dieser Ansprüche hinweisen. Hat der Verwalter Anhaltspunkte dafür, dass ein Mangel am Gemeinschaftseigentum entgegen einer Erklärung des Bauträgers nicht beseitigt ist, muss er die Wohnungseigentümer hierüber unterrichten und auf einen sachgerechten Beschluss über das weitere Vorgehen hinwirken (BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 – V ZR 75/18).
4. Auswirkungen für die Praxis
Nicht entscheidungserheblich war, ob sich ein Verwalter, der nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse für die Prüfung der Werkleistungen verfügt, überhaupt auf eine allein auf mangelnder Fachkunde beruhende fehlende Erkennbarkeit von Mängeln der Werkleistung berufen kann. Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass dies insbesondere dann zu verneinen sein kann, wenn es der Verwalter bei einer mit erheblichem Kostenrisiko verbundenen umfangreichen baulichen Maßnahme unterlassen hat, die Wohnungseigentümer auf seine fehlende Fachkompetenz hinzuweisen und eine Beschlussfassung über eine überwachende Tätigkeit durch Sonderfachleute vorzubereiten (BGH, Urteil vom 26. Januar 2024 – V ZR 162/22 –, Rn. 18, mwN.). Bei Verstößen des Verwalters gegen seine den Wohnungseigentümern gegenüber bestehenden Überwachungs-, Kontroll- und Unterrichtungspflichten hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Pflichtverletzung für den Eintritt des Schadens kausal war. Es ist nämlich nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Wohnungseigentümer hinsichtlich der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums Beschlüsse fassen, die ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn der Verwalter sie zutreffend und ausreichend unterrichtet und eine sachgerechte Beschlussfassung hinreichend vorbereitet. Daran ändert es nichts, dass den Wohnungseigentümern auch bei ausreichender Unterrichtung durch den Verwalter zumeist mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 – V ZR 75/18 –, Rn. 39, mwN.).
BGH: Verhinderung an Terminswahrnehmung
1. Ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, hat alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen.
2. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm. § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab.
BGH, Beschluss vom 24. Januar 2024 – XII ZB 171/23
1. Problemstellung
Ergeht in einem Rechtsstreit eine zweite Sämnisentscheidung, ist gegen diese ein Rechtsmittel nur gegeben, wenn dieses darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab, wie der XII. Zivilsenat (erneut) festgestellt hat.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegnerin, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, einen Anspruch auf Zahlung von 44.000 € geltend. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht ist für die Antragsgegnerin niemand erschienen, woraufhin antragsgemäß ein dem Begehren des Antragstellers stattgebender Versäumnisbeschluss ergangen ist. Gegen diesen hat die Antragsgegnerin Einspruch eingelegt. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache am 23. November 2022 um 10:00 Uhr ist für die Antragsgegnerin erneut niemand erschienen. Nachdem das Amtsgericht bis 10:55 Uhr zugewartet und die Sache wiederholt aufgerufen hatte, hat es antragsgemäß einen zweiten Versäumnisbeschluss erlassen, durch den der Einspruch der Antragsgegnerin „zurückgewiesen“ worden ist. Hiergegen hat die Antragsgegnerin mit der Begründung Beschwerde eingelegt, dass eine schuldhafte Säumnis nicht vorgelegen habe. Ihre Verfahrensbevollmächtigte sei am 23. November 2022 rechtzeitig in Berlin losgefahren, um den Gerichtstermin in Frankfurt (Oder) um 10:00 Uhr wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie jedoch unvermittelt plötzlich „schubweise schwere krampfhafte Zustände“ verbunden mit Brechreiz und Durchfall bekommen. Sie habe ihre Fahrt deshalb für ca. zwei Stunden unterbrechen müssen. Mehrfache Versuche, das Amtsgericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Erst gegen Mittag habe die Verfahrensbevollmächtigte ihre Fahrt fortsetzen können und sich direkt zu einem Arzt begeben. „In der Zwischenzeit“ habe auch die Kanzleimitarbeiterin der Verfahrensbevollmächtigten vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen. Schließlich habe die Kanzleimitarbeiterin die „Vermittlung“ des Amtsgerichts angerufen. Diese habe ihr mitgeteilt, dass die Verhandlung bereits vorbei sei, und sie mit der zuständigen Richterin verbunden. Die Richterin habe erklärt, dass sich der gegnerische Anwalt bei ihr gemeldet und angekündigt habe, staubedingt zu spät zu kommen. Da die Richterin „vom Büro der Antragsgegnerin“ keine Benachrichtigung erhalten habe, sei ein Versäumnisbeschluss ergangen. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2023 hat die Antragsgegnerin ihren Vortrag dahingehend ergänzt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte am 23. November 2022 mit dem PKW um 7:15 Uhr in Berlin losgefahren sei und diese Fahrt ca. gegen 9:00 Uhr auf dem Parkplatz Briesenluch habe unterbrechen müssen. Eine Weiterfahrt sei nicht möglich gewesen. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt habe, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte kein Verschulden an der Versäumung des Einspruchstermins am 23. November 2022 treffe.
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab. Die Verschuldensfrage ist dabei nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht die Beschwerde der Antragsgegnerin zu Recht als unzulässig verworfen. Das Beschwerdegericht ist zutreffend von einem der Antragsgegnerin nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten ausgegangen, ohne dabei überhöhte Anforderungen an die Darlegung des fehlenden Verschuldens gestellt zu haben. Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am 23. November 2022 erkrankungsbedingt nicht zum Einspruchstermin vor dem Amtsgericht erscheinen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, die Verfahrensbevollmächtigte habe diesen Termin unverschuldet versäumt. Denn eine schuldhafte Säumnis liegt auch dann vor, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen. Nur wenn diese Mitteilung aus unverschuldeten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, steht ihre Unterlassung der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte den Termin am 23. November 2022 ohne Verschulden versäumt habe. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar vorgetragen, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte nach dem plötzlichen Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehrfach erfolglos versucht habe, das Amtsgericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um hinreichend substantiierten Vortrag. Das Beschwerdegericht hat mit Recht moniert, dass die Antragsgegnerin bis zum Ende der Beschwerdebegründungsfrist keine konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt ihrer Verfahrensbevollmächtigten und deren Bemühungen um eine Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht nach der krankheitsbedingten Fahrtunterbrechung gemacht habe. Ihrem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, wann genau und wie oft ihre Verfahrensbevollmächtigte unter welcher Telefonnummer versucht habe, das Amtsgericht über ihre Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht konkret behauptet, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte etwa versucht habe, die zuständige Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, bzw. dass sie - im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesprächs mit der Geschäftsstelle - die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts gewählt habe. Die bloße Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor 10:00 Uhr ist so pauschal und ungenau, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Verfahrensbevollmächtigte ausreichende Bemühungen entfaltet hat, um ihrer Obliegenheit, dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen, nachzukommen. Hierfür wäre zumindest die Angabe erforderlich gewesen, wann genau die Verfahrensbevollmächtigte welche Rufnummer kontaktiert hat. Denn hätte sie etwa eine falsche Telefonnummer gewählt oder erst wenige Minuten vor 10:00 Uhr Kontaktversuche unternommen, obwohl sie ihre Fahrt nach eigenen Angaben bereits um 9:00 Uhr unterbrochen hat, wären ihre Bemühungen ersichtlich unzureichend gewesen. Auch der (erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene) Schriftsatz vom 27. Februar 2023 enthält keinerlei Ergänzungen zu den von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen. In Ermangelung substantiierten Vortrags zu eigenen Kontaktaufnahmeversuchen ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat das Beschwerdegericht auch den Vortrag der Antragsgegnerin in den Blick genommen, die Kanzleimitarbeiterin ihrer Verfahrensbevollmächtigten habe „in der Zwischenzeit“ zunächst vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, und sei dann über die „Vermittlung“ des Amtsgerichts mit der zuständigen Richterin verbunden worden. Das Beschwerdegericht hat insoweit ausgeführt, dass es zumutbar und naheliegend gewesen wäre, die Kanzleimitarbeiterin unverzüglich nach Eintritt der Fahrtunterbrechung telefonisch anzuweisen, die Richterin über die Verhinderung zu informieren und hierfür sowohl die Rufnummer der Geschäftsstelle als auch die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu benutzen. Dass die Verfahrensbevollmächtigte ihrer Mitarbeiterin diese Weisung rechtzeitig erteilt habe, sei dem Beschwerdevorbringen allerdings nicht zu entnehmen. Vielmehr sei lediglich vorgetragen worden, dass die Mitarbeiterin die Richterin über die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu einem nicht näher dargelegten Zeitpunkt nach der um 10:55 Uhr erfolgten Verkündung des zweiten Versäumnisbeschlusses erreicht und diese über die Verhinderung unterrichtet habe. Das nachträgliche Bemühen, die Information über die Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten weiterzugeben, genüge indes nicht. Ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin ihre Kanzleimitarbeiterin tatsächlich unverzüglich nach der Fahrtunterbrechung zur Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht hätte anhalten müssen oder ob sie zunächst eigene Kontaktversuche unternehmen durfte, kann letztlich dahinstehen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte hätte ihre Mitarbeiterin jedenfalls im Falle der Erfolglosigkeit ihrer eigenen Kontaktversuche rechtzeitig vor dem Termin anweisen müssen, ebenfalls telefonisch Kontakt zum Amtsgericht aufzunehmen. Dass eine solche Weisung vor 10:00 Uhr erfolgt ist, hat die Antragsgegnerin jedoch nicht vorgetragen. Die Rechtsbeschwerde macht insoweit zu Unrecht geltend, dass sich die Rechtzeitigkeit der Weisung der Verfahrensbevollmächtigten aus der eidesstattlichen Versicherung ihrer Kanzleimitarbeiterin ergebe, wonach die Mitarbeiterin zum Zeitpunkt des Telefonats mit der zuständigen Richterin bereits seit mehr als 30 Minuten versucht habe, jemanden zu erreichen. Wann genau dieses Telefonat geführt wurde, ist hingegen nicht angegeben worden. Aus der eidesstattlichen Versicherung kann daher allenfalls abgeleitet werden, dass das Telefonat nach 10:55 Uhr stattgefunden hat, nicht jedoch, wann die Kontaktversuche der Mitarbeiterin begonnen haben, und insbesondere nicht, dass sie - auf eine entsprechende Weisung hin - bereits vor 10:00 Uhr erfolgt wären. Wenn aber Versuche, das Gericht über die kurzfristige Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten zu informieren, erst nach der vorgesehenen Terminsstunde unternommen werden, erfolgen sie schuldhaft zu spät.
3. Kontext der Entscheidung
Auch die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlichen garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 13 - 14, mwN.). Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat. Eine darüber hinausgehende Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts besteht nicht. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann folglich nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19 –, Rn. 11 – 12, mwN.).
4. Auswirkungen für die Praxis
Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 – III ZB 137/15 –, Rn. 11). Eine schuldhafte Säumnis liegt jedoch vor, wenn der Prozessbevollmächtigte, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (BGH, Urteil vom 3. November 2005 – I ZR 53/05 –, Rn. 14). Krankheit des Rechtsanwalts kann Säumnis entschuldigen und Grund sein zu vertagen. Unvorhergesehene, plötzliche Erkrankungen, die zeitnah mitgeteilt werden, entschuldigen in der Regel. Bei länger andauernden Erkrankungen muss aber für Vertretung gesorgt sein (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 337 Rn. 3 mwN.).
BGH: Glaubhaftmachung einer beA-Störung
1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Beteiligten liegenden Gründen beruht.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war.
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23
1. Problemstellung
Welche Voraussetzungen einer vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument nach § 130d Satz 2 ZPO vorliegen müssen und wie diese glaubhaft zu machen sind (§ 130d Satz 3 ZPO), hatte der XII. Zivilsenat zu entscheiden.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegen den ihr am 3. März 2022 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts, mit dem Antrag der Antragstellerin auf Zugewinnausgleich nur teilweise stattgegeben wurde, hat diese fristgerecht Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründungsfrist hat das OLG auf ihren Antrag bis zum 3. Juni 2022 verlängert. Mit zwei Schriftsätzen, die am 27. Mai 2022 beim OLG schriftlich eingegangen sind, hat die Antragstellerin, die sich nach der Mandatsniederlegung ihres bisherigen Verfahrensbevollmächtigten als Rechtsanwältin selbst vertritt, ihre Beschwerde begründet und - anwaltlich versichert - dargelegt, weshalb sie ihre Beschwerdebegründung nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht hat. Diese Ausführungen hat sie durch einen weiteren Schriftsatz ergänzt, der per Fax am 30. Mai 2022 beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Das OLG hat nach entsprechendem Hinweis den mit Schriftsatz vom 19. Januar 2023 hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass die Beschwerdebegründungsschrift nicht form- und fristgerecht eingereicht worden ist. Gemäß §§ 112 Nr. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG, §§ 520 Abs. 5, 130 d Satz 1 ZPO war die von der Antragstellerin als Rechtsanwältin eingereichte Beschwerdebegründung grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Zwar ist nach § 130 d Satz 2 ZPO eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit nach § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen. Die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument setzt eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände voraus, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Glaubhaft zu machen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände genügt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Technische Gründe liegen aber nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.
Die Antragstellerin hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, die Nutzungspflicht nach § 130 d ZPO sei ihr bekannt. Indessen sei ihr eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, was sie anwaltlich versichere. Ihr Fehlbedienungszähler sei abgelaufen. Sie habe sich daher an die zuständige Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer gewandt. Wie der von ihr beauftragte Dienstleister ihr am 24. Mai 2022 per E-Mail bestätigt habe, zeige ihre beA-Karte an, dass der Fehlbedienungszähler abgelaufen sei. Um diesen zurückzusetzen, sei vergeblich versucht worden, das „Secure Framework“ zu starten, weil dies gemeldet habe, dass es „ein Update will was aber auch nicht geht“. Auch der nachfolgende Versuch der Deinstallation der bei der Antragsgegnerin installierten Version sei gescheitert, weil „Probleme am PC sind“. Aus diesem Grund habe auch keine neue Version installiert werden können. Mit E-Mail vom 25. Mai 2022 habe die Zertifizierungsstelle mitgeteilt: „Wie telefonisch besprochen übersenden wir Ihnen die Anleitung. Sollten Sie Ihre PIN dreimal falsch eingegeben haben, wird die PIN-Eingabe gesperrt. Um die PIN-Eingabe wieder freizuschalten, wird die PUK aus dem PIN-Brief benötigt.“ Diesen Ausführungen habe sich eine Anleitung zur Zurücksetzung des Fehlbedienungszählers angeschlossen. Mit der Sachbearbeiterin bei der Bundesnotarkammer habe sie noch am selben Tag einen Termin mit einem IT-Fachmann der Zertifizierungsstelle für den Nachmittag vereinbart. In dem für sie eingestellten zweistündigen Slot habe sich aber niemand bei ihr gemeldet. Auf Anraten der Zertifizierungsstelle habe sie der Bundesnotarkammer einen Sperrauftrag mit der Begründung „falscher Zugangscode“ erteilt und (kostenpflichtig) eine neue beA-Karte beantragt, deren Erstellung und Zusendung aber ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könnten. Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022 hat die Antragstellerin abschließend mitgeteilt, dass die vorübergehende technische Störung behoben worden und das besondere elektronische Anwaltspostfach jetzt vollumfänglich funktionstüchtig sei.
Dieses Vorbringen wird den Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit iSd. § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nicht gerecht, weil aus den Ausführungen der Antragstellerin nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob sie die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Eine Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs oder des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) sowie der temporäre Ausfall der Netzwerkkarte führt grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit. Eine solche Konstellation liegt hier indessen nicht vor. Denn nach dem von der Antragstellerin gehaltenen Vortrag besteht nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die behauptete Unmöglichkeit auf technischen und nicht auf in der Person der Antragstellerin liegenden Gründen beruht. Eine technische Unmöglichkeit ist dann nicht glaubhaft gemacht, wenn die Angaben auch den Schluss zulassen, dass der zugelassene Übermittlungsweg noch nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet und dessen Funktionsfähigkeit vor der erstmaligen Nutzung nicht überprüft worden ist. Professionelle Einreicher werden durch § 130 d ZPO nicht von der Notwendigkeit entbunden, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten. Zu den notwendigen technischen Einrichtungen gehört dabei nicht nur ein entsprechendes Endgerät (Hardware), sondern auch die für den Betrieb des Endgeräts und die Einreichung elektronischer Dokumente jeweils erforderliche Software in der jeweils aktuellen Version. Die Antragstellerin hat sich jedoch in den Schriftsätzen vom 27. und 30. Mai 2022 nicht dazu geäußert, ob sie die so verstandenen technischen Einrichtungen vorgehalten hat. Sie ist auch nicht darauf eingegangen, ob sie - wie von der Zertifizierungsstelle vorgeschlagen - überhaupt versucht hat, mittels der ihr übersandten PUK die PIN-Eingabe zu entsperren, um anschließend entsprechend der Anleitung der Zertifizierungsstelle den Fehlbedienungszähler zurückzusetzen, gegebenenfalls auch unter Aktualisierung der Betriebssoftware des Endgeräts und der Betriebssoftware für die Einreichung von elektronischen Dokumenten. Vielmehr hat sie mit E-Mail vom 30. Mai 2022 an die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer mitgeteilt, dass „keine Dokumente signiert“ worden seien, „somit die übersandte PIN vom 15.02.2022 nicht eingesetzt und infolge auch nicht geändert“ worden sei. Danach legen die Angaben der Antragstellerin den Schluss nahe, dass es sich bei der gescheiterten Übermittlung der Beschwerdebegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach offensichtlich um den erstmaligen Versuch der Verwendung der im Februar 2022 übersandten PIN und damit - zumindest möglicherweise - auch um den erstmaligen Versuch der Übermittlung eines elektronischen Dokuments an ein Gericht handelte und diese an der mangelnden Aktualisierung der Betriebssoftware gescheitert sein könnte. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rechtsanwalt in jedem Einzelfall dazu vorzutragen und glaubhaft zu machen hat, dass die technischen Einrichtungen zur elektronischen Übermittlung ursprünglich gegeben und funktionstüchtig waren. Denn jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - auf der Grundlage des Vorbringens des Rechtsanwalts davon auszugehen ist, dass Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bestand, diese jedoch unterblieben ist, muss der Rechtsanwalt darlegen, dass die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente ursprünglich vorhanden und einsatzfähig waren. Fehlt wie hier die Glaubhaftmachung nach § 130 d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO, so ist auch die Ersatzeinreichung unwirksam.
Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht der Antragstellerin eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war. Dies ist hier der Fall, nachdem als Ursache für die Fristversäumung nicht ausgeschlossen werden kann, dass die sich als Rechtsanwältin selbst vertretende Antragstellerin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten hat.
3. Kontext der Entscheidung
Es entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11, mwN.). Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 11, mwN.) Eine Prozesspartei muss es sich als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) zurechnen lassen, wenn dieser sich nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, Rn. 20, mwN.).
4. Auswirkungen für die Praxis
Ein Rechtsanwalt muss die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Einem Rechtsanwalt muss bekannt gewesen sein, dass ihn ab dem 01.01.2022 nicht nur wie bereits zuvor die („passive“) Pflicht trifft, elektronische Zustellungen und Erklärungen über das von ihm vorzuhaltende elektronische Anwaltspostfach zu empfangen (§ 31a Abs. 6 BRAO), sondern eine („aktive“) Nutzungspflicht bezüglich des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Die entsprechende Bestimmung des § 130d Satz 1 ZPO gehört zum verfahrensrechtlichen Grundwissen eines im Zivilprozess tätigen Rechtsanwalts (BGH, Beschl. v. 10.01.2023 - VIII ZB 41/22). Daher war jeder Rechtsanwalt verpflichtet, sich mit den technischen Voraussetzungen der ab dem 1.02.2022 einzig zulässigen Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut zu machen. Dazu gehört auch die Installation der regelmäßig angebotenen Updates.
BGH: Zur Ersatzeinreichung bei beA-Störung
Ein Gericht überspannt die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument, wenn es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorgeht.
BGH, Beschluss vom 25. Januar 2024 – I ZB 51/23
1. Problemstellung
Ist Rechtsanwälten die obligatorische Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz2 ZPO). Nur für diesen Fall ist die Übermittlung von Schriftsätzen in gedruckter Form oder als Faxschreiben weiterhin möglich. Mit den Anforderungen an eine wirksame Ersatzeinreichung hatte sich der I. Zivilsenat zu befassen.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 20. Februar 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit einem am 20. April 2023 um 16:37 Uhr per Telefax eingereichten Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. In einem zeitgleich versandten weiteren Schriftsatz hat sie ausgeführt, eine Versendung des Fristverlängerungsantrags über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sei nicht möglich. Es bestehe seit 9:00 Uhr "eine Störung von beA im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen". Zur Glaubhaftmachung hat sie einen als "Störmeldung der BRAK" bezeichneten zweiseitigen Ausdruck der am 20. April 2023 auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen vorgelegt. Auf dieser Internetseite werden einerseits von Nutzern gemeldete Störungen erfasst, andererseits Inhalte der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu aktuellen beA-Störungen wiedergegeben. Der von der Klägerin vorgelegte Ausdruck der Internetseite bea.expert beginnt mit der Mitteilung zum Stand vom 20. April 2023 16:19 Uhr: "keine beA-Störung gemeldet oder festgestellt." Weiter ist auf dem Ausdruck eine Störungsmeldung der BRAK, veröffentlicht auf der Internetseite https://portal.beasupport.de/→Aktuelles, Stand 16:00 Uhr, wiedergegeben, nach der im Land Nordrhein-Westfalen im Justizbereich eine Störung seit dem 19. April 2023, 14:12 Uhr, bestehe. Mit Verfügung vom 27. April 2023, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am selben Tag zugegangen, hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der fristgemäßen Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf elektronischem Wege nicht im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht worden sei. Demnach komme eine Verwerfung der Berufung als unzulässig in Betracht, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei und dem nicht formgerecht gestellten Fristverlängerungsantrag nicht stattgegeben werden könne. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 12. Mai 2023 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vorgetragen und glaubhaft gemacht, der letzte Übermittlungsversuch des Fristverlängerungsantrags über das beA am 20. April 2023 um 16:18 Uhr sei erneut fehlerhaft gewesen. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter den Fristverlängerungsantrag per Telefax übermitteln müssen. Mit am 22. Mai 2023 über das beA eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hierfür geltenden zweimonatigen Frist, sondern erst mit am 22. Mai 2023 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden sei. Dem per Telefax am 20. April 2023 eingegangenen Fristverlängerungsantrag habe nicht entsprochen werden können, da er als elektronisches Dokument zu übermitteln gewesen wäre. Die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO lägen nicht vor. Zwar sei durch eine Mitteilung des Zentralen IT-Dienstleisters der Justiz in Nordrhein-Westfalen gerichtsbekannt, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) vom 19. April 2023 um 14:12 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21:20 Uhr in Nordrhein-Westfalen gestört gewesen sei. Dies habe die Klägerin jedoch nicht von der in § 130d Satz 3 ZPO normierten Obliegenheit entbunden, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments unverzüglich glaubhaft zu machen. Die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 entspreche nicht ansatzweise den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO. Die der Ersatzeinreichung beigefügte Erklärung, dass ausweislich der beigefügten Störmeldung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Störung des beA im Gebiet von Nordrhein-Westfalen vorliege, weshalb eine Versendung über das beA nicht möglich sei, enthalte keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Zudem sei für eine Glaubhaftmachung erforderlich, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichere, woran es im Schriftsatz vom 20. April 2023 ebenfalls fehle. Die ergänzenden Darlegungen im am 12. Mai 2023 eingegangenen Schriftsatz nebst den eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und seiner Mitarbeiterin seien nicht mehr unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgt. Der Klägerin könne auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil die Fristversäumung nicht unverschuldet gewesen sei. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr am 20. April 2023 per Telefax übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier. Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Hier hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag - die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters - geltend gemacht. Darin liegt ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO regelmäßig rechtfertigt.
Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische - und damit formgerechte - Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt nach § 130d Satz 2 ZPO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Das Berufungsgericht hat bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln. Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes der Klägerin vom 20. April 2023 geht unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei. Soweit der Klägervertreter in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben hat, es liege eine Störung des beA vor, trifft dies ausweislich der auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen, die sich aus dem mit diesem Schriftsatz vorgelegten Ausdruck ergeben, allerdings nicht zu. Es hat keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist jedoch unschädlich. Im Ergebnis hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht trifft sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte. Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht erforderlich.
Das Berufungsgericht hat außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).
3. Kontext der Entscheidung
Die Vorlage eines Screenshots ist nur Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO geeignet, wenn sein Inhalt mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) übereinstimmt und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den fraglichen Zeitraum eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – XI ZB 1/23 –, Rn. 18). Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob eine Störung angesichts der auf der Internetseite der BRAK verfügbaren Informationen als offenkundig iSv. § 291 ZPO hätte behandeln können. Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde – auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen – wahrnehmbar sind. Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkunde über sie sicher unterrichten kann (BGH, Beschl. v. 24.5.2023 – VII ZB 69/21). Diese Voraussetzungen sind durch die beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK erfüllt, so dass weitere Glaubhaftmachung nicht erforderlich ist. Angesichts der Offenkundigkeit der Störung stellte es eine überflüssige Förmelei dar, Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung zu verlangen. Auf jeden Fall reicht die Beifügung eines Screenshots aus, um den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO genüge zu tun. Nach Auffassung des BAG hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht (zu § 46g Satz 4 ArbGG: BAG, Urteil vom 25. August 2022 – 6 AZR 499/21 -, Rn. 39). Um den sichersten Weg zu beschreiten, sollte bis zur Klärung der Anwendbarkeit des § 291 ZPO auf die vorliegende Konstellation vorsorglich eine anwaltliche Versicherung abgegeben werden.
4. Auswirkungen für die Praxis
Ist eine wirksame Ersatzeinreichung vorgenommen worden, ist der betroffene Einreicher nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu muss vorgetragen werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2023 - V ZR 134/22 -, Rn. 10). Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage von der im Falle einer gescheiterten Faxübermittlung. Ein Rechtsanwalt, der Schriftsätze über Telefax an das Gericht zustellen will, muss damit rechnen, dass das Empfangsfaxgerät des Gerichts am Nachmittag stark in Anspruch genommen und besetzt ist und darf seine Übermittlungsversuche nicht vorschnell aufgeben. Die Beendigung von Übersendungsversuchen um 19:02 Uhr ist als vorschnell anzusehen; der Rechtsanwalt muss im Laufe des Abends weitere Versuche unternehmen (BGH, Beschl. v. 04.11.2014 - II ZB 25/13). Der Rechtsanwalt muss aber nicht bis Mitternacht die elektronische Übermittlung weiter versuchen, wenn ihm die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vorher gelingt.
Kostenfolge bei Erledigungserklärung im selbständigen Beweisverfahren
1. Eine Erledigungserklärung des Antragstellers im selbständigen Beweisverfahren ist regelmäßig in eine Antragsrücknahme mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO umzudeuten.
2. Liegt der Erledigungserklärung ein außergerichtlicher Vergleich zugrunde, in dem sich Antragsteller und Antragsgegner auf eine Kostenaufhebung geeinigt haben, dann liegt darin eine nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abweichende Regelung, die für die Kostentragungspflicht in ihrem Prozessrechtsverhältnis maßgebend ist.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2023 – 2 W 41/22
1. Problemstellung
Mit Problemen einer – ausnahmsweisen – Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren hatte sich das OLG Bremen zu befassen. Dabei ging es darum, ob die regelmäßig als Antragsrücknahme zu qualifizierende Erledigungserklärung in jedem Fall dazu führen muss, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem selbständigen Beweisverfahren teilte die Antragstellerin mit, dass sie sich mit der Antragsgegnerin zu 1 geeinigt habe. Gegenstand des Vergleichs ist eine Regelung über die Mängel aus dem selbständigen Beweisverfahren. Unter Nr. 3 des Vergleichs trafen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu 1 eine Regelung über die Beendigung und Kosten des selbständigen Beweisverfahrens: „Nach vollständigem Eingang der Zahlung der W. an die D. gem. Ziff. 2 erklären die D. sowie die W. das selbständige Beweisverfahren für erledigt. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens werden zwischen den Parteien dieser Vereinbarung gegeneinander aufgehoben. Die W. hält die D. von etwaigen Kostenerstattungsansprüchen (insbesondere Rechtsanwaltskosten) der Streitverkündeten/Nebenintervenienten, die durch Streitverkündung der W. in das Streitgegenständliche Beweisverfahren einbezogen worden sind, frei.“ Die Antragstellerin hat in dem Schriftsatz das selbständige Beweisverfahren für erledigt erklärt und die Antragsgegnerin zu 1 aufgefordert, sich der Erledigungserklärung anzuschließen. Eine entsprechende Erledigungserklärung hat die Antragsgegnerin zu 1 abgegeben. Die Antragstellerin hat ausgeführt, dass sich die weitere Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens bzw. eines späteren Hauptverfahrens überholt habe. Die Antragstellerin habe das selbständige Beweisverfahren nicht „freiwillig“ durch Rücknahme oder Ähnliches beendet. Das Landgericht hat die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens der Antragstellerin auferlegt. Im selbständigen Beweisverfahren sei zwar grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs von § 494a ZPO keine Entscheidung über die Kostentragungspflicht zu treffen. Eine Ausnahme finde jedoch dann statt, wenn der Antragsteller den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zurückgenommen habe. Gleiches gelte, wenn eine einseitige Erledigungserklärung des Antragstellers in eine Antragsrücknahme umzudeuten sei. Das sei regelmäßig der Fall, wenn nach dem Willen des Antragstellers das selbständige Beweisverfahren endgültig beendet werden solle. Eine einseitige Erledigungserklärung sei unzulässig. Die Umdeutung einer unzulässigen Erledigungserklärung entspreche regelmäßig dem mutmaßlichen Interesse des Antragsgegners. Dem stehe nicht entgegen, dass die Rücknahme mit der für den Antragsteller nachteiligen Kostentragungspflicht des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO verbunden sei, denn diesem Gesichtspunkt komme angesichts des vorrangigen Willens, das Verfahren zu beenden, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Für eine Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO sei im selbständigen Beweisverfahren kein Raum.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der sich die Antragsgegnerin zu 1 ausdrücklich angeschlossen hat, hat Erfolg. Die Kostenentscheidung des Landgerichts ist dahin abzuändern, dass die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Prozessrechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1 aufzuheben sind und die außergerichtlichen Kosten der weiteren Antragsgegnerinnen von der Antragstellerin zu tragen sind. Diese Kostentragungspflicht folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO. Das Landgericht hat im Ansatz zutreffend ausgeführt, dass eine einseitige Erledigungserklärung im selbständigen Beweisverfahren unzulässig und regelmäßig in eine Rücknahme des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens mit der Kostenfolge aus § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO umzudeuten ist. Das gilt auch dann, wenn übereinstimmende Erledigungserklärungen vorliegen. Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO scheidet aus, da diese Vorschrift ebenso wie § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO im selbständigen Beweisverfahren nicht anwendbar ist. Das Landgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Rücknahmeerklärung nach § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht in jedem Falle dazu führt, dass die Kosten des Verfahrens von dem Antragsteller zu tragen sind. Nach dieser Vorschrift ist eine abweichende Kostentscheidung zu treffen, wenn sie dem Prozessgegner aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Dazu gehört insbesondere auch eine von § 269 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 ZPO abweichende Regelung der prozessualen Kostenlast in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich. Da § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO bei der Rücknahme des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens entsprechend anwendbar ist, sind auch in diesem Fall andere Gründe wie der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs bei der Entscheidung über die Kostentragung zu berücksichtigen. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die eine Einschränkung der Anwendung der Regelung in § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO gebieten könnten. Soweit der Bundesgerichtshof eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO ausschließt, wird dies damit begründet, dass eine sachliche Prüfung im selbständigen Beweisverfahren nicht vorgesehen sei. Grundlage für die Erledigung der Hauptsache sei der Eintritt einer Tatsache mit Auswirkungen auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit oder Begründetheit der Klage. Aus der von dem Antragsteller abgegebenen Erklärung könne kein Schluss auf eine ihn treffende materielle Kostentragungspflicht gezogen werden (BGH, Beschluss vom 9.5.2007 – IV ZB 26/06 –, Rn. 12). Ist aber – wie hier – keine streitige nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung erforderlich, dann können auch keine Bedenken bestehen auf der Grundlage einer außergerichtlichen Einigung eine Kostenentscheidung zu treffen. Die außergerichtlichen Kosten der am Beschwerdeverfahren beteiligten Antragstellerin und Antragsgegnerin zu 1 sind entsprechend § 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufzuheben.
3. Kontext der Entscheidung
Eine im selbstständigen Beweisverfahren unzulässige einseitige Erledigungserklärung des Antragstellers ist regelmäßig in eine Antragsrücknahme mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO umzudeuten. Das gilt auch dann, wenn das Beweissicherungsinteresse zum Zeitpunkt der Erklärung entfallen war (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – VII ZB 20/09). Eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO kommt im selbständigen Beweisverfahren nicht in Betracht. Das gilt unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt des selbständigen Beweisverfahrens übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien erfolgen. Soweit die Erklärungen der Parteien sich darauf beziehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens weggefallen sind, besteht keine Vergleichbarkeit der Erledigung der Hauptsache in einem Rechtsstreit mit der in diesem Sinne verstandenen Erledigung eines selbständigen Beweisverfahrens. Denn in der Anordnung einer Beweiserhebung iSv. § 490 Abs. 2 ZPO liegt gerade keine Entscheidung über ein Recht oder einen Anspruch, noch ergeht eine solche Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners. Eine kostenrechtliche Bewertung des selbständigen Beweisverfahrens danach, ob der Beweisantrag bis zum Eintritt des in diesem Sinne das Beweisverfahren erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen sei, widerspräche dem Grundsatz, dass sich die Kostentragungspflicht auch bei einem zulässigen und begründeten Beweissicherungsantrag nach dem materiellen Ergebnis des Hauptsacheprozesses und der Notwendigkeit der Kosten für die Rechtsverfolgung beurteilt (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – VII ZB 108/08 -, Rn. 7 - 8, mwN.). Die für den Antragsteller nachteilige Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO lässt sich, wenn Antragsteller und Antragsgegner einig sind, durch eine Kostenregelung im Vergleich vermeiden. Denn bei Rücknahme der Klage nach einem Vergleich geht die im Vergleich getroffene Kostenregelung - auch im Verhältnis zum Streithelfer - der gesetzlichen Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO vor (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 – VII ZB 4/04). Dasselbe muss für das selbständige Beweisverfahren gelten. Um Kostenerstattungsansprüchen etwaiger Streithelfer zu entgehen, sollten Antragsteller und Antragsgegner sich auf Kostenaufhebung einigen (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 – VII ZB 4/04 –, Rn. 9, mwN.).
4. Auswirkungen für die Praxis
Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gehören grundsätzlich zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens und werden von der darin zu treffenden Kostenentscheidung mit umfasst. Nur ausnahmsweise, wenn trotz Fristsetzung keine Hauptsacheklage erhoben worden ist, kann im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Kostenentscheidung ergehen. Verzichtet der Antragsteller - etwa wegen des für ihn ungünstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme - auf die Hauptsacheklage, soll dies nicht dazu führen, dass er der Kostenpflicht entgeht, die sich aus der Abweisung der Klage in der Hauptsache ergäbe. Dabei ist § 494a ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – IV ZB 26/06 –, Rn. 6, mwN.).
Zum Verjährungsbeginn bei Bauhandwerkersicherung
Für die Berechnung der Verjährungsfrist des Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a BGB a.F., bei dem es sich um einen sog. verhaltenen Anspruch handelt, ist nicht taggenau auf den Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung des Sicherungsverlangens abzustellen, sondern es findet die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB Anwendung, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, (erst) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, beginnt.
OLG München, Urteil vom 21. November 2023 – 9 U 301/23 Bau e
1. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 25. März 2021 entschieden, dass die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. (jetzt § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht vor dem Verlangen des Unternehmers nach Sicherheit beginnt (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20; dazu: Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 12/2021 Anm. 3 und Thode, jurisPR-PrivBauR 12/2021 Anm. 3). Bei dem Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung handelt es sich somit um einen sog. verhaltenen Anspruch, dessen Fälligkeit erst eintritt, wenn der Gläubiger den Anspruch geltend macht. Ob auf diesen Anspruch die Ultimo-Regelung des § 199 Abs. 1 BGB Anwendung findet oder ob für den Beginn der Verjährung taggenau auf den Tag der erstmaligen Geltendmachung abzustellen ist, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Stellung einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. für Honorar aus einem von der Beklagten zu 3 gekündigten Generalplanervertrag und dessen Nachträgen in Anspruch. Die Beklagten zu 1 und zu 2 sind Eigentümer nebeneinander gelegener Grundstücke. Sie schlossen sich zu einer GbR (Beklagte zu 3) zusammen, die eine zeitgleiche, aufeinander bezogene Umnutzung und Umbebauung der beiden Grundstücke als Bauherrin in die Hand nahm. Am 12.10.2015 schlossen die Parteien einen Generalplanervertrag (GVP) für die Baumaßnahme ab. Auftraggeber war die Beklagte zu 3. Die bestehenden Büro- und Gewerbegebäude sollten in zwei Wohngebäude für Studenten und Auszubildende sowie anteilige gewerbliche Nutzung umgebaut werden. Mit Nachtrag Nr. 02 vom 16.05.2018 vereinbarten die Parteien u.a. zusätzliche Honoraransprüche und waren sich einig, dass die Planung nunmehr auf die Errichtung eines Aparthotels bzw. Boardinghauses angepasst bzw. geändert werden sollte. In der Folge stritten die Parteien vermehrt über die von der Klägerin gestellten Abschlagsrechnungen und von ihr geltend gemachter Nachtragsforderungen. Am 15.10.2018 forderte die Klägerin von der Beklagten zu 3 die Stellung einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. in Höhe von insgesamt 1.443.590,21 €. Die Beklagte zu 3 stellte keine Sicherheit, sondern kündigte den Vertrag mit der Klägerin mit Schreiben vom 29.10.2018 fristlos aus wichtigem Grund. Die Klägerin ließ die Kündigung mit anwaltlichem Schreiben zurückweisen, verwies gleichzeitig darauf, dass sie von einer freien Kündigung ausgehe und verlangte von der Beklagten zu 3 die Abnahme der erbrachten Leistungen.
Unstreitig hat die Beklagtenseite bislang 1.765.703,73 € an die Klägerin bezahlt. Unter dem 14.06.2021 stellte die Klägerin Schlussrechnung, mit welcher sie für erbrachte Leistungen (5.033.730,73 € abzüglich der geleisteten Abschlagszahlungen von 1.765.703,73 € =) 3.268.027,01 € sowie für nicht erbrachte Leistungen abzüglich ersparter Aufwendungen 657.512,58 € geltend machte, mithin insgesamt 3.925.739,59 €. Zeitgleich mit der Schlussrechnung forderte die Klägerin von der Beklagten erneut die Stellung einer Sicherheit bis zum 28.06.2021 für erbrachte Leistungen zuzüglich 10 % für Nebenforderungen, mithin in Höhe eines Betrages von 3.594.000 €. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Anspruch der Klägerin auf Stellung einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. bereits vor Klageerhebung verjährt gewesen sei. Bei dem Anspruch nach § 648a BGB a.F. handle es sich um einen verhaltenen Anspruch mit der Folge, dass der Lauf der Verjährungsfrist durch die erstmalige Geltendmachung durch den Gläubiger in Gang gesetzt werde. Für den Lauf der Verjährung sei nicht das Kalenderjahr, in dem der Anspruch geltend gemacht wurde, sondern taggenau der Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs bestimmend und von einer Gesamtanalogie zu den Vorschriften der §§ 604 Abs. 5, 695 Satz 2 und 696 Satz 3 BGB auszugehen. Die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB finde auf verhaltene Ansprüche keine Anwendung.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit gemäß § 648a BGB a.F. in der geltend gemachten Höhe. Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Entgegen der Rechtsmeinung des Erstgerichts ist der geltend gemachte Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a BGB a.F., bei dem es sich um einen sog. verhaltenen Anspruch handelt, nicht verjährt, da für die Berechnung der Verjährungsfrist nicht taggenau auf den Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung des Sicherungsverlangens abzustellen ist, sondern die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB Anwendung findet, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, (erst) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, beginnt. Das Ersturteil weicht insoweit von obergerichtlichen Entscheidungen ab, in denen (zutreffend) davon ausgegangen wird, dass die Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB bei einem Anspruch nach § 648a BGB a.F. nicht verdrängt wird, sondern zur Anwendung kommt (OLG Köln, Urteil vom 17. Juni 2020 – I-11 U 186/19). Auch in anderen obergerichtlichen Entscheidungen, in denen es um andere verhaltene Ansprüche, wie z.B. § 666 Alt. 2 BGB (Auskunftserteilung auf Verlangen) geht, in denen ebenfalls der Verjährungsbeginn nicht ausdrücklich im Gesetz abweichend von § 199 Abs. 1 BGB geregelt ist, geht die obergerichtliche Rechtsprechung ganz selbstverständlich von der Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB aus (BGH, Urteil vom 1.12.2011 – III ZR 71/11, Rn. 12; OLG Hamm, Urteil vom 5.4.2016 - I – 4 U 36/15, Rn. 56 f.; OLG Köln, Urteil vom 23.8.2013 – I – 6 U 27/13, Rn. 41). Das Erstgericht bleibt eine nachvollziehbare Begründung, weshalb zwingend von einer taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist bei § 648 BGB a.F. auszugehen ist und § 199 Abs. 1 BGB keine Anwendung finden soll, schuldig. Die streitentscheidende Frage, ob auf sog. verhaltene Ansprüche die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB anwendbar ist oder sich die Verjährungsfrist taggenau ab Geltendmachung berechnet, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt für den Anspruch aus § 648a BGB a.F. bzw. § 650f BGB. Ganz überwiegend wird in Rechtsprechung und Literatur von einer Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB ausgegangen. Bei der vom Landgericht vertretenen Auffassung handelt es sich um eine Mindermeinung. Diese hält jedoch einer kritischen Prüfung nicht stand und kann sich auch nicht auf das Grundsatzurteil des BGH vom 25.03.2021 (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20) berufen. Denn dort hat der VII. Senat des BGH lediglich entschieden, dass die Verjährung des Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a BGB a.F. (jetzt § 650f BGB) nicht vor dem Verlangen des Unternehmers nach Sicherheit zu laufen beginnt und dieser Anspruch als sog. „verhaltener“ Anspruch zu qualifizieren ist, jedoch ausdrücklich die Frage offengelassen, ob sich die Verjährungsfrist taggenau oder nach § 199 Abs. 1 BGB berechnet, da dies für den dort entschiedenen Fall nicht streitentscheidend war. Das Landgericht stellt vom Ausgangspunkt her zutreffend fest, dass sich der BGH im Urteil vom 25.03.2021 zur vorliegenden Streitfrage (taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist oder Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB) explizit nicht geäußert hat, was demgegenüber die Beklagten grundsätzlich verkennen, wenn sie ständig wiederholen, der BGH sei in dieser Entscheidung von der taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist bei § 648a BGB a.F. ausgegangen. Dies ist unzutreffend und beruht auf einer unzulässigen Gleichsetzung einer Qualifizierung eines Anspruchs als „verhalten“ und einer sich daraus angeblich ergebenden taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist. Dieser Schluss ist aber weder zwingend noch zutreffend, weil sich eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist nur in den vom Gesetzgeber angeordneten Ausnahmefällen zu § 199 Abs. 1 BGB ergibt, im Übrigen aber § 199 Abs. 1 BGB gilt. Das Erstgericht bleibt eine nachvollziehbare Begründung, weshalb zwingend von einer taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist bei § 648 BGB a.F. auszugehen ist und § 199 Abs. 1 BGB keine Anwendung finden soll, schuldig. Die streitentscheidende Frage, ob auf sog. verhaltene Ansprüche die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB anwendbar ist oder sich die Verjährungsfrist taggenau ab Geltendmachung berechnet, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt für den Anspruch aus § 648a BGB a.F. bzw. § 650f BGB. Der VII. Senat des BGH hat lediglich entschieden, dass die Verjährung des Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a BGB a.F. (jetzt § 650f BGB) nicht vor dem Verlangen des Unternehmers nach Sicherheit zu laufen beginnt und dieser Anspruch als sog. „verhaltener“ Anspruch zu qualifizieren ist, jedoch ausdrücklich die Frage offengelassen, ob sich die Verjährungsfrist taggenau oder nach § 199 Abs. 1 BGB berechnet, da dies für den dort entschiedenen Fall nicht streitentscheidend war (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 -, Rn. 27).
Das Landgericht stellt vom Ausgangspunkt her zutreffend fest, dass sich der BGH im Urteil vom 25.03.2021 zur vorliegenden Streitfrage (taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist oder Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB) explizit nicht geäußert hat, was demgegenüber die Beklagten grundsätzlich verkennen, wenn sie ständig wiederholen, der BGH sei in dieser Entscheidung von der taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist bei § 648a BGB a.F. ausgegangen. Dies ist unzutreffend und beruht auf einer unzulässigen Gleichsetzung einer Qualifizierung eines Anspruchs als „verhalten“ und einer sich daraus angeblich ergebenden taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist. Dieser Schluss ist aber weder zwingend noch zutreffend, weil sich eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist nur in den vom Gesetzgeber angeordneten Ausnahmefällen zu § 199 Abs. 1 BGB ergibt, im Übrigen aber § 199 Abs. 1 BGB gilt. Dies lässt sich bereits dem Wortlaut und der vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Gesetzessystematik entnehmen, wonach nur in den vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten Fällen abweichend von § 199 Abs. 1 BGB eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist in Betracht kommt, es aber ansonsten bei der Regelung des § 199 Abs. 1 BGB verbleiben soll, die vom Gesetzgeber gerade als allgemeine Auffangregelung für alle sonstigen, nicht ausdrücklich anders geregelten Fällen geschaffen wurde. Da der Gesetzgeber bei § 648a BGB a.F. bzw. § 650f BGB gerade nicht ausdrücklich angeordnet hat, dass die Verjährungsfrist bereits mit erstmaliger Geltendmachung des Sicherungsverlangens taggenau zu laufen beginnt, verbleibt es bei der Geltung der allgemeinen Auffangregelung des § 199 Abs. 1 BGB. Da die Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB zudem zu keinem unangemessenen Ergebnis führt und insbesondere kein Bedürfnis nach einer noch kürzeren Verjährungsfrist, als sie § 199 Abs. 1 BGB vorsieht, besteht, ist von der Anwendung dieser Vorschrift auszugehen. Selbst wenn der Gesetzgeber von der Vorstellung geleitet gewesen sein sollte, dass bei verhaltenen Ansprüchen generell eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist angezeigt wäre, hätte er dies in der von ihm schließlich getroffenen Regelung nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht, sondern vielmehr für den Rechtsanwender den Eindruck erweckt, dass es für die Berechnung der Verjährungsfrist bei allen von ihm nicht ausdrücklich abweichend von § 199 Abs. 1 BGB geregelten Fällen - und somit auch bei allen übrigen verhaltenen Ansprüchen - bei der gesetzlichen Regelung des § 199 Abs. 1 BGB sein Bewenden hat. Denn wenn der Gesetzgeber wirklich gewollt hätte, dass bei verhaltenen Ansprüchen generell eine taggenaue Berechnung zu erfolgen hat, hätte er dies als allgemeine Regelung im Gesetz ausdrücklich regeln können und auch müssen, z.B. mit der Formulierung: „Bei verhaltenen Ansprüchen beginnt abweichend von § 199 Abs. 1 BGB die Verjährung taggenau mit der erstmaligen Geltendmachung des Anspruchs“. Da eine solche Formulierung aber im Gesetz fehlt, scheint der Wille des Gesetzgebers letztlich doch nicht dahin zu gehen, dass bei verhaltenen Ansprüchen generell eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist zur Anwendung kommen soll, sondern eben nur in den ausdrücklich von ihm geregelten Fällen verhaltener Ansprüche, da er nur in diesen Fällen überhaupt einen Regelungsbedarf erkannt hat und ihm in allen übrigen Fällen die gesetzlich vorgesehene Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB offenbar nicht als unangemessene Rechtsfolge erschienen ist. Jedenfalls ist es im Rahmen der Gesetzesauslegung nicht möglich, unter Verweis auf einen etwaigen, verborgen gebliebenen, subjektiven Willen des Gesetzgebers sich soweit vom Regelungsgehalt einer Vorschrift zu entfernen, dass diese in ihr Gegenteil verkehrt wird. Für die behauptete doppelte Analogie zu einzelnen, vom Gesetzgeber als „verhalten“ identifizierter Ansprüche aus dem Leih- und Verwahrungsvertragsrecht (§§ 604 Abs. 3, 695 S. 1 und 696 S. 3 BGB) fehlt es bereits an einer Regelungslücke sowie an einer vergleichbaren Interessenlage. Das Landgericht unterstellt dem Gesetzgeber zunächst, er habe bei der Einführung und Neufassung des § 648a BGB (und nochmals bei der Einführung von § 650f BGB) nicht erkannt, dass es sich hierbei um einen verhaltenen Anspruch handele. Es unterstellt darüber hinaus, dass der Gesetzgeber dann, wenn er zu dieser Erkenntnis gekommen wäre, als Ausnahme zur Regel des § 199 Abs. 1 BGB eine besondere Regelung zum Beginn des Verjährungslaufs des dortigen Anspruchs in der Weise getroffen hätte, dass es – ebenso wie für die Regelungen in §§ 604 Abs. 5, 695 S.2, 696 S. 3 BGB – für den Beginn des Verjährungslaufs auf den Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung des Sicherheitsverlangens ankomme. Beide vom Landgericht an den Gesetzgeber adressierten Unterstellungen sind gleichermaßen unberechtigt. Es gibt keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber verkannt haben soll, dass es sich bei dem Anspruch des Unternehmers aus § 648a BGB a. F./ § 650f BGB um einen verhaltenen Anspruch handelt, zu dessen Entstehung und Fälligkeit tatbestandlich seine Geltendmachung erforderlich ist. Hingegen hat der Gesetzgeber nachweislich keinen Zweifel daran gelassen, dass dann, wenn kein anderer Verjährungsbeginn durch ihn positiv bestimmt wurde, die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden bzw. fällig geworden ist. Mit der Neufassung des § 199 Abs. 1 BGB wollte der Gesetzgeber – u. a. in Fällen wie dem vorliegenden – im Zuge der Schuldrechtsreform die Unsicherheit bei der Voraussehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen beseitigen. Das war und ist der Zweck des § 199 Abs. 1 BGB. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollte durch die einfache, auf den Schluss eines Kalenderjahres bezogene, einheitliche Feststellung des Verjährungseintritts Klarheit und Vorhersehbarkeit geschaffen werden. Ausnahmen vom Grundsatz des § 199 Abs. 1 BGB gerade durch Richterrecht sind daher nicht zuzulassen, da solchen durch Richterrecht geschaffenen Ausnahmen sowohl die vom Gesetzgeber gewählte Gesetzessystematik als auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und -klarheit entgegenstehen. Gerade letztgenanntem Grundsatz kommt vorliegend bei der Verjährung von Ansprüchen besondere Bedeutung zu, da sich für den Rechtsanwender ohne weiteres durch einen einfachen Blick ins Gesetz ergeben muss, welche Verjährungsfrist hinsichtlich des in Betracht kommenden Anspruchs zur Anwendung kommt und wie diese grundsätzlich zu berechnen ist. Soll sich dies erst durch einen Rückgriff auf eine im Gesetz nicht geregelte „doppelte Analogie“ oder „Gesamtanalogie“ ergeben, fehlt es an jeglicher Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für den einem solchen Recht unterworfenen Rechtsanwender. Für eine Erweiterung expliziter Ausnahmeregelungen durch demnach ungerechtfertigte „Gesamtanalogien“ auf Basis unzutreffender Unterstellungen gegenüber dem Gesetzgeber ist daher kein Raum. Bei den Vorschriften der §§ 604 Abs. 5, 695 S. 2 und 696 S. 3 BGB handelt es sich um Ausnahmevorschriften, welche die allgemeine Vorschrift zur „Ultimo Verjährung“ in § 199 Abs. 1 BGB modifizieren. Ausnahmevorschriften sind jedoch nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht analogiefähig. Das Landgericht hat nach Auffassung des Senats daher contra legem entschieden. Es gibt keine Rechtfertigung für eine Abweichung von § 199 Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall.
3. Kontext der Entscheidung
§ 199 BGB gilt für die Verjährung von Ansprüchen, die keiner besonderen Verjährungsfrist unterstellt sind und damit der regelmäßigen Frist unterliegen, und für Ansprüche, die ausdrücklich der regelmäßigen Verjährungsfrist unterstellt sind. § 199 BGB gilt auch nicht, wenn der Anspruch zwar der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegt, deren Beginn aber besonders geregelt ist. Beispiele hierfür sind die Ansprüche auf Rückgabe aus Leihe und Verwahrung, die zwar in der Frist des § 195 BGB verjähren, deren Beginn aber in §§ 604 Abs. 5, 695 Satz 2 und 696 Satz 2 BGB besonders geregelt ist (Schmidt-Ränsch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 199 Rn. 2). Verhaltene Ansprüche waren nach vor der Schuldrechtsreform herrschenden Ansicht (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1999 – V ZR 448/98) nach Eintritt der sonstigen Voraussetzungen entstanden, auch wenn der Gläubiger das Erfüllungsverlangen nicht aussprach, was auch sachgerecht war, da ein Abstellen auf die Geltendmachung zu einer beträchtlichen Verlängerung der ohnehin schon langen Verjährungsfrist von regelmäßig 30 Jahren geführt und es auch erlaubt hätte, das Verbot einer Erschwerung der Verjährung nach § 225 a.F. BGB zu unterlaufen. Mit der Schuldrechtsform haben sich die Bedingungen jedoch grundlegend verändert: Die Verjährungsfrist beträgt heute nur noch drei Jahre und würde den Gläubiger zwingen, zur Rechtswahrung ein Schuldverhältnis zu beenden, das er fortsetzen möchte. Außerdem besteht das Erschwerungsverbot nicht mehr. Der Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, das Entstehen des Anspruchs in solchen Fällen explizit anders zu regeln. Er hat aber bei den Hauptanwendungsfällen, Leihe und Verwahrung, durch Sondervorschriften bestimmt, dass die Verjährung mit der Geltendmachung des Anspruchs beginnen soll. Hieraus ist das allgemeine Prinzip zu entnehmen, dass verhaltene Ansprüche generell erst mit der Geltendmachung entstehen (Schmidt-Ränsch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 199 Rn. 4a). Für den Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit enthielt weder § 648a BGB a.F. noch enthält § 650f BGB eine den zitierten Vorschriften vergleichbare Regelung. Dann aber liegt es in Hinblick auf die Gesetzgebungshistorie nahe, den Beginn der Verjährungsfrist verallgemeinernd für andere verhaltene Ansprüche, für die der Verjährungsbeginn nicht ausdrücklich geregelt ist, anknüpfend an das Erfüllungsverlangen des Gläubigers zu bestimmen, wie der BGH ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 –, Rn. 26). Einer vernünftigen Begründung entbehrte es dann, den Beginn der Verjährungsfrist zwar in dem Erfüllungsverlangen des Gläubigers zu sehen, aber für den Anspruch aus § 648a BGB a.F. bzw. § 650f BGB die Ultimo-Regel des § 199 Abs. 1 BGB anzuwenden, wie das OLG München meint. Es ist nicht zu rechtfertigen, warum für die gesetzlich geregelten Fälle verhaltener Ansprüche die Verjährungsfrist taggenau beginnt und für den Anspruch auf Bauhandwerkersicherheit eine Ausnahme gelten sollte.
4. Auswirkungen für die Praxis
Das OLG Köln als Vorinstanz zum BGH war in seiner Entscheidung, deren Überprüfung Gegenstand des Urteils des BGH vom 25. März 2021 (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20; dazu: Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 12/2021 Anm. 3 und Thode, jurisPR-PrivBauR 12/2021 Anm. 3) war, ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass die Ultimo-Regelung des § 199 Abs. 1 BGB anwendbar ist: Konkret bedeutet das, dass die dreijährige Verjährungsfrist gem. § 195 BGB am Ende des Jahres beginnt, in dem das Sicherungsverlangen erstmals gestellt wurde,§ 199 Abs. 1 BGB.“ (OLG Köln, Urteil vom 17. Juni 2020 – I-11 U 186/19 –, Rn. 63). Der BGH, der die Qualifizierung des Anspruchs als verhaltenen Anspruch durch das OLG gebilligt hat, hat formuliert: „Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen stand.“ (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 –, Rn. 12). Daraus kann gefolgert werden, dass die Anwendbarkeit der Ultimo-Regel der rechtlichen Nachprüfung nicht standhält. Da im entschiedenen Fall die dreijährige Verjährungsfrist, berechnet vom Zugang des Anspruchsschreibens noch nicht abgelaufen war, brauchte der BGH nicht zu entscheiden, ob die Ultimo-Regel anwendbar ist. Wörtlich heißt es dazu im Urteil: „Auf die Frage, ob die Verjährungsfrist - wie das Berufungsgericht angenommen hat - mit Ablauf des Jahres 2018 begonnen hat, kommt es hiernach nicht an.“ (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 –, Rn. 27). Mit diesem obiter dictum hat der BGH angedeutet, dass die Verjährung mit dem Zugang der der Aufforderung des Unternehmers beginnt (Thode, jurisPR-PrivBauR 12/2021 Anm. 3). Die Praxis ist somit gut beraten, den sichersten Weg einzuschlagen und von der taggenauen Berechnung der Verjährungsfrist auszugehen.
BGH: Vorrang der Verfahrenskostenhilfeentscheidung
Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2024 – XII ZB 510/23
1. Problemstellung
Der XII. Zivilsenat hatte – erneut (zuvor: BGH, Beschluss vom 4. November 2015 – XII ZB 289/15) zu entscheiden, ob ein Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen ist, wenn eine verfahrenskostenhilfebedürftige Partei ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsgegner hat gegen einen seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten am 25. Mai 2023 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts (Familiengericht) mit am 15. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 12. Juni 2023 persönlich Beschwerde eingelegt und diese begründet. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Mit am 25. Juni 2023 beim OLG eingegangenem Schreiben hat der Antragsgegner die Beschwerde erneut eingelegt und begründet sowie nochmals Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt, verworfen und zugleich das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen, weil die Beschwerde unzulässig sei.
Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das OLG hätte die Beschwerde nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 12. Juni 2023 innerhalb der Beschwerdefrist die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden.
Daran gemessen durfte das OLG die Beschwerde nicht gleichzeitig mit der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners verwerfen. Es hätte vielmehr zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner - bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist - Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre. Der Antragsgegner musste nach den gegebenen Umständen insbesondere nicht mit der Ablehnung seines Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er ausweislich der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der beigefügten Belege als Empfänger von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht in der Lage war, die Verfahrenskosten selbst zu tragen.
Entgegen der Ansicht des OLG stand einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht entgegen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der nach § 113 Abs. 1 FamFG für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingegangen ist. Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginnt bei einem innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag regelmäßig nicht vor der Zustellung der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag. Früher beginnt die Frist nur, wenn der Beteiligte - etwa wegen eines gerichtlichen Hinweises, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorliegen - schon zuvor nicht mit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe rechnen konnte. Mangels vorheriger Entscheidung des OLG über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners war das durch dessen Bedürftigkeit bedingte Hindernis, einen Rechtsanwalt für das Beschwerdeverfahren zu beauftragen, nicht behoben und hatte daher die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerdefrist - und der Beschwerdebegründungsfrist - entgegen der Ansicht des OLG vor der Verwerfungsentscheidung nicht zu laufen begonnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 234 Abs. 2 ZPO). Der Antragsgegner musste auch nicht wegen des zuvor ergangenen Hinweises des OLG auf die Unzulässigkeit der Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Versagung von Verfahrenskostenhilfe rechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass das OLG der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei rechtzeitig gestelltem Verfahrenskostenhilfeantrag zunächst über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden ist, entsprechen und ihn nicht durch eine gleichzeitige Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag und die Verwerfung der Beschwerde rechtlos stellen würde.
3. Kontext der Entscheidung
Der Senat bestätigt seine bisherige Rechtsprechung. Danach ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist oder Rechtsmittelbegründungsfrist Prozesskostenhilfe (oder Verfahrenskostenhilfe) beantragt hat, bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BGH, Beschluss vom 4. November 2015 – XII ZB 289/15 –, Rn. 6 mwN.)
4. Auswirkungen für die Praxis
Hat eine Partei in einer Familienstreitsache innerhalb der Beschwerdefrist Verfahrenskostenhilfe beantragt, ist sie nur so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss, weil sie sich für bedürftig halten darf und aus ihrer Sicht alles Erforderliche getan hat, damit ohne Verzögerung über ihr Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden kann (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 – XII ZB 689/13 –, Rn.13). Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist beginnt daher, sobald dem Beteiligten ein gerichtlicher Hinweis zugeht, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorliegen. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt muss der Antragsteller mit der Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs rechnen; er darf deswegen mit seinem Wiedereinsetzungsgesuch und der Nachholung der versäumten Verfahrenshandlung nicht über die 14tägige Frist (§§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) hinaus zuwarten, bis das Gericht über sein Gesuch entscheidet (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 – XII ZB 689/13 –, Rn. 24). Wird in einer Familienstreitsache die Beschwerde anstatt bei dem gemäß § 64 Abs. 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständigen Amtsgericht beim Beschwerdegericht eingelegt, hat das angerufene Gericht die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das Amtsgericht weiterzuleiten, wenn ohne weiteres die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erkennbar und - damit regelmäßig - die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist. Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Amtsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf ein Verfahrensbeteiligter darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig dort eingeht (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 – XII ZB 689/13 –, Rn. 28). Unterbleibt die gebotene Weiterleitung der Beschwerdeschrift an das Amtsgericht, ist weitere Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung, dass die bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang verbleibende Zeit für die Fristwahrung ausreichend gewesen wäre. Dies hat grundsätzlich der die Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte darzulegen und glaubhaft zu machen ( BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 – XII ZB 689/13 –, Rn. 30).
BGH: Keine Gutachtenverwertung nach Gutachterablehnung
1. Gemäß § 412 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. In diesem Fall darf ungeachtet des Wortlauts des § 412 Abs. 2 ZPO ("kann") das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen grundsätzlich nicht mehr verwertet werden.
2. Die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen steht der Verwertbarkeit seines Gutachtens jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat und gleichzeitig kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen ist.
BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 - VI ZR 34/22
1. Problemstellung
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte zu entscheiden, ob ein Gericht nach erfolgreicher Ablehnung eines Sachverständigen dessen Gutachten noch verwerten darf, wenn dieser erst wegen seiner die Grenzen der gebotenen Neutralität und Sachlichkeit überschreitenden Stellungnahme zum Befangenheitsantrag für befangen erklärt worden ist.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten vom 5. Juli 2020 im Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 4. Februar 2021 mündlich erläutert. Die Klägerin hat den Sachverständigen im Termin als befangen abgelehnt und dies anschließend in einem Schriftsatz begründet. Mit Schreiben vom 18. April 2021 hat der Sachverständige dazu Stellung genommen. Daraufhin hat die Klägerin ihr Befangenheitsgesuch mit einem neuen Schriftsatz auch darauf gestützt, dass der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 18. April 2021 in unangemessener Weise Kritik am Befangenheitsantrag sowie an ihrem Prozessbevollmächtigten und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung geübt habe. Das Landgericht hat das Gesuch der Klägerin, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das OLG (4. Zivilsenat) das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt. Es könne dahinstehen, ob die zunächst geltend gemachten Gründe rechtzeitig angebracht worden seien, da es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Jedoch habe der Sachverständige mit seiner Stellungnahme vom 18. April 2021 die Grenzen der gebotenen Neutralität und Sachlichkeit überschritten, indem er das Prozessverhalten und die Persönlichkeitsstruktur des Klägervertreters analysiert und negativ bewertet habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das OLG (5. Zivilsenat) die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe einen Behandlungsfehler oder eine fehlerhafte Aufklärung nicht nachgewiesen. Das Gutachten des Sachverständigen vom 5. Juli 2020 und das Ergebnis der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vom 4. Februar 2021 seien weiterhin verwertbar. Das Landgericht sei nicht verpflichtet gewesen, ein neues Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen. Da der Sachverständige und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen seien, bestehe auch aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei kein Anlass zu der Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei der Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei. Darüber hinaus sei das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich, weil sie damit verfahrensfremde Zwecke verfolge. Ablehnungsanträge, welche ausschließlich zur Prozessverschleppung oder zur Verfolgung anderer verfahrensfremder Zwecke gestellt würden, seien aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Im vorliegenden Fall sei die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke aus dem Prozessverlauf ersichtlich.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht keine Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen angeordnet (§ 412 Abs. 2 ZPO) und seine Entscheidung auf die Ausführungen des abgelehnten Sachverständigen gestützt hat. Gemäß § 412 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. In diesem Fall darf ungeachtet des Wortlauts des § 412 Abs. 2 ZPO („kann“) das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen grundsätzlich nicht mehr verwertet werden.
Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel liegen nicht vor. Das Berufungsgericht hat nicht annehmen dürfen, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin unzulässig sei. Es hat ausgeführt, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich sei, weil sie damit verfahrensfremde Zwecke verfolge. Ablehnungsanträge, welche ausschließlich zur Prozessverschleppung oder zur Verfolgung anderer verfahrensfremder Zwecke gestellt würden, seien aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke sei aus dem Prozessverlauf ersichtlich. In ihrer Stellungnahme zum Sachverständigengutachten habe sich die Klägerin noch einige seiner Aussagen zu eigen gemacht und lediglich die fehlerhafte Zugrundelegung eines falschen Sachverhalts gerügt. Als der Sachverständige jedoch bei seinen der Klägerin ungünstigen Feststellungen geblieben sei, sei der Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit angebracht worden. Danach sei offensichtlich, dass die Klägerin die ihr unliebsame Folge der Beweisaufnahme dadurch zu umgehen versucht habe, durch die Ablehnung des Sachverständigen die Einholung eines neuen Gutachtens zu erreichen. Diese unzulässige, weil rechtsmissbräuchliche Prozesstaktik bzw. dieses Ziel ergebe sich schließlich auch aus der Berufungsbegründung, in der die Klägerin mitgeteilt habe, sie hätte ein eigenes Gutachten eingeholt, wenn das Landgericht – statt direkt die Klage abzuweisen – darauf hingewiesen hätte, dass es das Sachverständigengutachten verwerten wolle. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts widerspricht der Bindungswirkung der im Ablehnungsverfahren getroffenen Entscheidung. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat ein anderer Zivilsenat des OLG das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen für begründet erklärt. Diese Entscheidung unterliegt gemäß § 512, § 406 Abs. 5 ZPO nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts, das an sie gebunden ist. Im Übrigen trägt der Verfahrensablauf nicht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Das Prozessverhalten der Klägerin stellt entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts keine rechtsmissbräuchliche Prozesstaktik dar, um eine unliebsame Folge der Beweisaufnahme zu umgehen, sondern die Wahrnehmung eines prozessualen Rechts. Denn es steht einer Partei frei, vom Ablehnungsrecht (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO iVm. § 42 Abs. 2 ZPO) in den durch § 406 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 ZPO bestimmten zeitlichen Grenzen Gebrauch zu machen.
Zwar steht die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen der Verwertbarkeit seines Gutachtens jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat und gleichzeitig kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen ist. Die Entscheidung über die Frage der weiteren Verwertbarkeit ist nicht mehr Teil des Ablehnungsverfahrens. Ein Ablehnungsgesuch ist ein einheitlich zu behandelnder Antrag, der entweder insgesamt zurückzuweisen ist oder zur Feststellung der Befangenheit des Abgelehnten führt. Welche Folgen die erfolgreiche Ablehnung insbesondere im Hinblick auf die bisherige Mitwirkung des abgelehnten Sachverständigen hat, ist vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, welche Beweise noch zu erheben sind, zu beurteilen. Allerdings hat das Berufungsgericht schon keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat. Zudem hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, es bestehe kein Anlass zu der Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen sei. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe zunächst weder in der Vorbereitung oder in der Begutachtung an sich noch in der schriftlichen Ausarbeitung des Sachverständigen vom 5. Juli 2020 einen Ablehnungsgrund gesehen. Ein Ablehnungsgesuch sei erst nach der mündlichen Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 4. Februar 2021 angebracht worden. Zwar habe ein anderer Senat des Oberlandesgerichts das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt. Allerdings habe dieser eindeutig zwischen dem Verhalten des Sachverständigen bei der Begutachtung und seiner anschließenden schriftlichen Stellungnahme vom 18. April 2021 zum Befangenheitsantrag differenziert und ausgesprochen, dass ein Befangenheitsgrund erst mit seiner Stellungnahme gegeben sei. Er habe herausgearbeitet, dass es zum Zeitpunkt des Befangenheitsgesuchs an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Daraus ergebe sich, dass Fehlverhaltensweisen des Sachverständigen bei der Vorbereitung der Begutachtung oder der Begutachtung selbst, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten, hier nicht vorlägen. Es sei folglich nicht rechtsfehlerhaft gewesen, dass das Landgericht das schriftliche Gutachten und dessen mündliche Erläuterung verwertet habe. Die Ausführungen des Sachverständigen hätten vor dem 18. April 2021 gelegen. Erst ab diesem Zeitpunkt wäre eine Fortsetzung der Tätigkeit des Sachverständigen nicht mehr hinnehmbar gewesen, weil er sich dem Prozessbevollmächtigten gegenüber unsachlich geäußert habe. Da der Sachverständige und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen seien und somit kein Anlass für den Sachverständigen bestanden habe, das Verhalten des klägerischen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zu bewerten und zu kritisieren, worauf allein der Befangenheitsgrund im weiteren Schriftsatz der Klägerin gestützt sei, bestehe auch aus der Sicht einer vernünftig denkenden Partei kein Anlass zur Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei der Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei. Aus diesen Erwägungen des Berufungsgerichts ergibt sich zunächst nur, was die Klägerin als Grund, der geeignet gewesen ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (Befangenheitsgrund), geltend gemacht hat und was als Befangenheitsgrund angenommen worden ist. Soweit das Berufungsgericht anschließend meint, es bestehe kein Anlass zur Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei, beschränkt es sich auf den Hinweis, dass der Sachverständige und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen seien und somit kein Anlass für den Sachverständigen bestanden habe, das Verhalten des klägerischen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zu bewerten und zu kritisieren. Das Berufungsgericht verhält sich jedoch nicht näher dazu, ob die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen bereits zuvor beeinträchtigt gewesen sein könnte. Daraus, dass eine (mögliche) Beeinträchtigung der Unvoreingenommenheit sich nicht schon früher offenbart hat, folgt nicht, dass eine solche auch nicht vorgelegen hat. Die zur Befangenheit des Sachverständigen führende Kritik am klägerischen Prozessbevollmächtigten betraf insoweit hier gerade auch dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung, anlässlich derer sich der Sachverständige gutachterlich geäußert hatte. Deshalb ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei kein Anlass zur Besorgnis bestand, die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen könne schon bei seinen mündlichen Ausführungen in der Verhandlung beeinträchtigt gewesen sein.
3. Kontext der Entscheidung
Soweit ersichtlich ist die besprochene Entscheidung die erste und einzige zur Auslegung des Wortes „kann“ in § 412 Abs. 2 ZPO. Der BGH vermag in Rn. 7 nur Kommentarliteratur zu zitieren, die übereinstimmend der Meinung ist, dass die Formulierung des § 412 Abs. 2 ZPO „Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.“ so zu verstehen ist, dass die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen zwingend ist. Bei der Verwendung des Wortes „kann“ soll es sich um einen Redaktionsfehler handeln (Musielak/Voit/Huber, 20. Aufl. 2023, ZPO § 412 Rn. 2). Die von Huber zum Nachweis genannte Belegstelle „Zöller/Greger Rn. 4“ ist allerdings – zumindest in der 35. Auflage 2024 – nicht einschlägig. Vielmehr wird dort nur unter der Überschrift „Unverwertbares Gutachten infolge Ablehnung (§ 412 II)“ schlicht festgestellt: „Hier führt an der Einholung eines „weiteren“ Gutachtens kein Weg vorbei, soweit noch Beweisbedürftigkeit besteht.“ (Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 412 Rn. 3). Die wörtliche und die historische Auslegung des § 412 Abs. 2 ZPO, der im Übrigen mit § 83 Abs. 2 StPO übereinstimmt, führen somit zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die teleologische Auslegung der Norm spricht jedoch für eine Verpflichtung des Gerichts, „die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen an(zu)ordnen.“ Denn die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen führt dazu, dass dieser als sachverständiger Berater des Gerichts ausscheidet. Eine Differenzierung der Verwertbarkeit bereits erstatteter Gutachten danach, ab wann sie mit dem späteren Ablehnungsgrund infiziert sind, würde zu unlösbaren Schwierigkeiten führen, so die generelle Unverwertbarkeit die sachgerechte Lösung ist. Hat das Ablehnungsgesuch Erfolg, ist somit ein bereits erstattets Gutachten unverwertbar. Der abgelehnte Gutachter kann jedoch noch als sachverständiger Zeuge vernommen werden (BeckOK ZPO/Scheuch, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 406 Rn. 39). Etwas anderes gilt nur, wenn das Gericht zwischenzeitlich eigene Sachkunde erworben hat, die aber nicht überwiegend aus dem Gutachten des abgelehnten Sachverständigen herrühren darf, oder wenn mehrere Sachverständige bestellt waren und das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen verzichtbar erscheint (MüKoZPO/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 412 Rn. 7).
4. Auswirkungen für die Praxis
Ergibt sich der Grund zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, läuft im Allgemeinen die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab, wenn sich die Partei zur Begründung des Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muss (BGH, Beschl. v. 15.03.2005 - VI ZB 74/04). Erstaunlich ist, dass es Parteivertretern immer noch gelingt, den Sachverständigen durch scharf formulierte Kritik im Ablehnungsgesuch zu provozieren und ihn dazu zu bringen, einen Ablehnungsgrund „nachzuliefern“. So kann es aus der maßgeblichen Sicht eines Ablehnenden bereits als Voreingenommenheit des abgelehnten Sachverständigen verstanden werden, wenn dieser auf die Bitte des Gerichts um eine ergänzende Stellungnahme mitteilt, dass er dafür erneut die Akte studieren müsse, er aber bereits wisse, dass sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ keine neuen Erkenntnisse ergeben werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. September 2020 – 11 W 27/20).
BGH: Anforderungen an Fristverlängerungsantrag
An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden.
Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund – wie z.B. Arbeitsüberlastung - aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Die Angabe des Berufungsführers, er sei "nicht in der Lage", die Berufung fristgerecht zu begründen, reicht nicht aus.
BGH, Beschluss vom 9. Januar 2024 - VIII ZB 31/23
(LG Mainz, Entscheidung vom 11.11.2022 - 3 O 10/22; OLG Koblenz, Entscheidung vom 21.03.2023 - 1 U 1959/22)
1. Das Problem:
Der Kläger hat gegen ein Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023 beantragt, die am 16. Januar 2023 (Montag) ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, da er "nicht in der Lage" sei, die Berufung fristgerecht zu begründen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung vom 13. Januar 2023 abgelehnt und den Kläger anschließend - nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist - darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung mangels Eingangs einer Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen. Daraufhin hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufungsbegründung eingereicht.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag habe keinen Erfolg, da der Kläger die Frist zur Begründung der Berufung nicht ohne - ihm zurechenbares (§ 85 Abs. 2 ZPO) - Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe. In einem Wiedereinsetzungsverfahren könne sich der Berufungsführer nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Gewährung der von ihm nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO beantragten Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit habe erwartet werden können. Dies sei bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt werde. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe mit seiner Ausführung, wonach er "nicht in der Lage" gewesen sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, einen erheblichen Grund nicht dargelegt. Es werde lediglich mitgeteilt, dass die Frist nicht eingehalten werden könne, ohne hierfür überhaupt einen sachlichen Grund anzugeben. Eine Schlussfolgerung auf einen erheblichen Grund wäre eine reine Spekulation. Somit habe der Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Berufungsbegründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert werde, und diese daher schuldhaft versäumt.
2. Die Entscheidung des Gerichts:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Gemessen hieran verletzen die Versagung einer Wiedereinsetzung und die Verwerfung der Berufung als unzulässig den Kläger in seinen vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Denn dieser durfte mangels Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht auf die Gewährung der von ihm beantragten Verlängerung der Frist vertrauen. Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Erkennt er, dass er eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht einhalten kann, muss er durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch gar nicht erst notwendig wird. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungskläger grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dies ist jedoch bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe iSd. des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde.
So liegt der Fall hier. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in seinem Antrag einen erheblichen Grund für die Gewährung der von ihm begehrten Fristverlängerung nicht genannt. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass er "nicht in der Lage" sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, was das Berufungsgericht zu Recht als bloße Mitteilung der Nichteinhaltung der Frist angesehen hat. Ein Grund, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu "nicht in der Lage" gewesen sei, wird nicht genannt. Somit genügt der Fristverlängerungsantrag selbst den geringen Anforderungen nicht, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO stellt. Anders als der Kläger meint, kann die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten nicht dahingehend ausgelegt werden, er habe sich konkludent darauf berufen, aufgrund einer Arbeitsüberlastung "nicht in der Lage" gewesen zu sein, die Berufung fristgerecht zu begründen. Zwar kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen und zählt zu den erheblichen Gründen iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten. Einer Auslegung des Fristverlängerungsantrags dahingehend, dass sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers konkludent auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe, steht jedoch entgegen, dass im Antrag keinerlei tatsächlichen Umstände genannt werden, aus denen der Anlass der begehrten Fristverlängerung hätte entnommen und aus denen somit ein Rückschluss auf den erheblichen Grund hätte gezogen werden können. Allein aus der unterbliebenen Angabe anderer Hinderungsgründe folgt entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass sich der Klägervertreter zur Begründung seines Fristverlängerungsantrags (konkludent) auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe. Denn eine solche ist - insbesondere, wenn wie hier eine längere Fristverlängerung begehrt wird - nicht ohne weiteres als erheblicher Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu vermuten.
3. Konsequenzen für die Praxis:
Auch wenn sich ein (erster) Fristverlängerungsantrag nicht ausdrücklich auf Arbeitsüberlastung beruft, kann ihm bei der gebotenen Auslegung eine konkludente Berufung auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten zu entnehmen sein. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel dasjenige erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Prozesspartei entspricht. Daher kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen ausreichend sein. So hat es der BGH die Erklärung des Prozessbevollmächtigten ausreichen lassen, er habe den Entwurf der Berufungsbegründung zwar bereits erstellt und mit seiner Partei auch besprechen können; die sich aus dem Mandantengespräch ergebenen Änderungen und Ergänzungen müssten aber noch eingearbeitet werden. "Insoweit" bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche. Bei verständiger Würdigung seiner Erklärungen hat der Prozessbevollmächtigte das Fristverlängerungsgesuch konkludent auf Arbeitsüberlastung als erheblichen Grund gestützt, indem er zum Ausdruck gebracht hat, dass es ihm aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, die bereits im Entwurf vorliegende Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht einzureichen. Dies allein würde zwar noch keinen erheblichen Grund iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darstellen. Bei lebensnaher und vernünftiger Betrachtung kommt aber allein eine Arbeitsüberlastung als Ursache für den zur Begründung der beantragten erstmaligen Fristverlängerung um (nur) eine Woche angeführten zeitlichen Engpass in Betracht. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat die beantragte Fristverlängerung weder auf eine Erkrankung noch auf eine Urlaubsabwesenheit gestützt. Ausdrücklich klargestellt hat er, dass die Fristverlängerung nicht wegen einer noch ausstehenden Rücksprache bei der Partei erforderlich ist. Wenn ein Prozessbevollmächtigter bei dieser Sachlage unter Hinweis auf eine bereits erfolgte Rücksprache mit der Partei erstmals eine kurzzeitige Fristverlängerung mit der Begründung beantragt, die nach dem Mandantengespräch erforderlich gewordenen Ergänzungen und Änderungen seien noch einzuarbeiten, "insoweit" bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche, wird damit zum Ausdruck gebracht, die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit genüge in Anbetracht des sonstigen Geschäftsanfalls des Prozessbevollmächtigten nicht, um die Berufungsbegründung fristgerecht mit der erforderlichen Sorgfalt fertigzustellen. Unter diesen Umständen für einen ausreichenden Fristverlängerungsantrag zu verlangen, dass die Wendung "Arbeitsüberlastung" ausdrücklich gebraucht wird, käme einer bloßen Förmelei gleich. (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16 –, MDR 2017, 895).
4. Beraterhinweis:
Bei Einwilligung des Gegners ist auch das Vertrauen des Berufungsklägers in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben wird. (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2023 – VIa ZB 15/22 -, MDR 2023, 379). Voraussetzung ist aber, dass mit dem Antrag die Einwilligung des Gegner vorgelegt oder zumindest anwaltlich versichert wird.
BGH: Zum Ausschluss der Heimfallvergütung im Erbbaurechtsvertrag
- Vereinbart eine Gemeinde als Grundstückseigentümerin mit einem Privaten in einem Erbbaurechtsvertrag den Ausschluss der Heimfallvergütung, verstößt dies für sich genommen nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB.
- Der Ausschluss der Heimfallvergütung führt dazu, dass die Geltendmachung des Heimfallanspruchs einer strengen Ausübungskontrolle im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des gemeindlichen Handelns unterliegt. Die Forderung nach der vergütungslosen Rückübertragung des Erbbaurechts kann sich insbesondere dann als unverhältnismäßig darstellen, wenn der Heimfall nicht auf einer schwerwiegenden Vertragsverletzung des Erbbauberechtigten beruht, das Bauwerk ganz oder weitestgehend fertiggestellt ist, der Erbbauberechtigte erhebliche Investitionen getätigt hat und die Gemeinde absehbar in der Lage sein wird, das Bauwerk anderweitig zu nutzen oder zu verwerten.
BGH, Urteil vom 19. Januar 2024 – V ZR 191/22
1. Problemstellung
Der V. Zivilsenat hatte darüber zu entscheiden, ob der schuldhafte Verstoß gegen die in einem Erbbaurechtsvertrag über ein städtisches Grundstück übernommene Bauverpflichtung des Erbbauberechtigten (hier: Bau einer Moschee) die vergütungslose Rückübertragung des Erbbaurechts rechtfertigt, oder ob der private Erbbauberechtigte für seinen Verstoß gegen vertragliche Pflichten damit übermäßig sanktioniert wird.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist eine Stadt in Baden-Württemberg, der Beklagte ein gemeinnütziger Verein, dessen Zweck darin besteht, Menschen islamischen Glaubens soziale, kulturelle und religiöse Dienste anzubieten. Um ihren muslimischen Bürgern die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee ermöglichen, vereinbarte die Klägerin mit dem Beklagten, dass dieser ein Grundstück der Klägerin in einem ersten Bauabschnitt mit einer Moschee und einem Kulturhaus bebauen sollte. Die Parteien schlossen am 26. November 2014 eine insgesamt als Erbbaurechtsvertrag (im Folgenden: ErbbV) bezeichnete notarielle Vereinbarung, mit der die Klägerin dem Beklagten für die Dauer von 60 Jahren und einer Verlängerungsmöglichkeit von weiteren 30 Jahren ein Erbbaurecht an ihrem Grundstück einräumte. Es wurde ein gestaffelter Erbbauzins vereinbart von anfänglich 35.336 € jährlich ab dem 1. Juli 2017. Der Beklagte verpflichtete sich, den ersten Bauabschnitt innerhalb von vier Jahren ab dem 1. November 2014 fertigzustellen. Anderenfalls sollte die Klägerin berechtigt sein, die Rückübertragung des Erbbaurechts zu verlangen (Heimfall). Eine Vergütung für das Erbbaurecht wurde für diesen Fall vertraglich ausgeschlossen, und der Beklagte sollte auf Verlangen der Klägerin verpflichtet sein, die Moschee und das Kulturhaus auf eigene Kosten zu beseitigen. In dem Vertrag unterbreitete die Klägerin dem Beklagten ein Kaufangebot für das Grundstück, das mit einer gleichlautenden Bauverpflichtung verknüpft war. Insoweit behielt sich die Klägerin für den Fall der Nichterfüllung ein Wiederkaufsrecht vor. Das Erbbaurecht wurde in das Erbbaugrundbuch eingetragen. Die Baugenehmigung wurde erteilt, Baubeginn und Bauausführung verzögerten sich jedoch. Im Juli 2018 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er die Frist für die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts nicht werde einhalten können. Im August 2018 nahm er das Kaufangebot für das Grundstück an und zahlte den vereinbarten Kaufpreis. Der erste Bauabschnitt war bis Ende Oktober 2018 nicht fertiggestellt. Im Dezember 2018 machte die Klägerin den Heimfallanspruch geltend und übte das Wiederkaufsrecht aus.
Mit der Klage verlangt die Klägerin u.a. die Rückübertragung des Erbbaurechts. Der Beklagte nimmt die Klägerin widerklagend auf Übereignung des Grundstücks in Anspruch; daneben begehrt er die Feststellung, dass er nicht zur Zahlung von Erbbauzinsen verpflichtet ist, die Ausübung des Wiederkaufsrechts rechtswidrig und unwirksam ist und die Klägerin ihm den durch die Ausübung des Heimfallanspruchs und Wiederkaufsrechts entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Das Landgericht hat der Klage in Bezug auf die Rückübertragung des Erbbaurechts und der Widerklage in Bezug auf die Feststellung stattgegeben, dass der Beklagte nicht zur Zahlung von Erbbauzinsen verpflichtet ist. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten darüber hinaus zur Versicherung der Moschee verurteilt und die Widerklage insgesamt abgewiesen; die Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen (OLG Stuttgart, Urteil vom 13. September 2022 – 10 U 278/21).
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat auf der Grundlage von Abschn. II Ziff. 7 ErbbV gegen den Beklagten einen auf Übertragung des Erbbaurechts gerichteten Heimfallanspruch. Der in Abschn. II Ziff. 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbbV geregelte Heimfallgrund liegt vor. Der Beklagte hat seiner Bauverpflichtung zuwidergehandelt, indem er den ersten Bauabschnitt nicht innerhalb von vier Jahren ab dem 1. November 2014, d.h. bis zum 31. Oktober 2018 fertiggestellt hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Fertigstellungsfrist auf einem Verschulden des Beklagten. Das Berufungsgericht kommt, wenngleich mit teilweiser unzutreffender Begründung, richtigerweise zu dem Ergebnis, dass die vertragliche Heimfallregelung wirksam ist. Dabei legt das Berufungsgericht seiner rechtlichen Prüfung im Ausgangspunkt zutreffend zugrunde, dass die Wirksamkeit der Regelungen des Erbbaurechtsvertrages an dem Gebot angemessener Vertragsgestaltung zu messen ist. Allerdings bestehen Zweifel, ob - wie das Berufungsgericht meint - der hier zu beurteilende Erbbaurechtsvertrag ein städtebaulicher Vertrag im Sinne des § 11 Abs. 1 BauGB ist, auf den § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB unmittelbar anzuwenden wäre. Denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu dem für städtebauliche Verträge erforderlichen Zusammenhang mit der gemeindlichen Bauleitplanung getroffen, und der Bebauungsplan schreibt für das Erbbaugrundstück die Errichtung einer Moschee nicht vor, sondern schließt diese lediglich nicht aus. Die Anwendbarkeit von § 11 BauGB kann im Folgenden aber unterstellt werden, da das Gebot zur angemessenen Vertragsgestaltung auf dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruht und daher auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung für das gesamte Handeln der öffentlichen Körperschaften im Rechtsverkehr mit Privaten bestimmend ist. Das Gebot angemessener Vertragsgestaltung verlangt, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung des Gesamtvorgangs die Gegenleistung nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung und dem Wert der von der Behörde - hier der klagenden Gemeinde - erbrachten oder zu erbringenden Leistung steht und dass die vertragliche Übernahme von Pflichten auch ansonsten zu keiner unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der Behörde führt.
Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die durch den Heimfallanspruch abgesicherte Bauverpflichtung nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung verstößt und auch nicht aus anderen Gründen unwirksam ist. Die dem Beklagten auferlegte und durch den Heimfall sanktionierte Pflicht, das Grundstück innerhalb von vier Jahren mit einer Moschee und einem Kulturhaus zu bebauen, verstößt nach den dargestellten Maßstäben nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung. Nach § 2 Ziff. 1 ErbbauRG gehören zum Inhalt des Erbbaurechts auch Vereinbarungen des Grundstückseigentümers und des Erbbauberechtigten über die Errichtung, die Instandhaltung und die Verwendung des Bauwerks. Diese Regelung erlaubt es, die Errichtung des Bauwerks zur Pflicht zu machen und Sanktionen für die Nichterfüllung dieser Pflicht, etwa den Heimfall oder eine Vertragsstrafe, festzusetzen. Die Vereinbarung einer Bebauungspflicht in einem von einer Gemeinde mit einem Privaten geschlossenen Erbbaurechtsvertrag stellt sich grundsätzlich nicht als unangemessen dar. Denn die Gemeinde verfolgt mit der Ausgabe eines Erbbaurechts in aller Regel gerade das Ziel, das Grundstück einer Nutzung zuzuführen, die öffentlichen Zwecken dient. Es muss ihr daher im Ausgangspunkt möglich sein, die Bestellung des Erbbaurechts davon abhängig zu machen, dass sich der Erbbauberechtigte zu der Errichtung des Gebäudes verpflichtet, das diese Nutzung ermöglicht. Die Pflicht zur Errichtung des Bauwerks in angemessener Zeit stellt für denjenigen, der ein Erbbaurecht erwerben möchte, regelmäßig auch keine schwerwiegende Belastung dar, denn das Recht, auf dem Grundstück ein Bauwerk zu errichten, ist bei einem unbebauten Grundstück gerade Sinn und Zweck des Erbbaurechts. Auch das eigene Interesse des Erbbauberechtigten geht regelmäßig dahin, den Erbbauzins nicht für ein unbebautes Grundstück zahlen zu müssen. So liegt es auch hier. Das Ziel der Klägerin, ihren muslimischen Bürgern die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee zu ermöglichen, rechtfertigte es, die Bestellung des Erbbaurechts davon abhängig zu machen, dass der Beklagte sich verpflichtet, die Moschee in angemessener Zeit zu errichten. Die Frist von vier Jahren für die Errichtung des Bauwerks stellt sich jedenfalls deshalb als nicht unangemessen dar, weil der Erbbaurechtsvertrag einen Anspruch des Beklagten auf Verlängerung der Bebauungsfrist bei unverschuldeter Verzögerung des Bauvorhabens vorsieht.
Die vertragliche Vereinbarung über den Heimfall ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Vergütung für das Erbbaurecht ausgeschlossen wurde. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Ausschluss der Vergütung verstoße gegen das Angemessenheitsgebot aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB, und die Regelung über den Heimfall sei nur mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass die gesetzliche Vergütungsregelung greife, trifft nicht zu. Vereinbart eine Gemeinde - wie hier - als Grundstückseigentümerin mit einem Privaten in einem Erbbaurechtsvertrag den Ausschluss der Heimfallvergütung, verstößt dies für sich genommen nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Die im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigende gesetzliche Regelung über die Vergütung für das Erbbaurecht (sog. Heimfallvergütung) spricht dafür, dass diese auch in Verträgen wirksam ausgeschlossen werden kann, die eine Gemeinde als Grundstückseigentümerin mit einem Privaten als Erbbauberechtigtem schließt. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG hat der Grundstückseigentümer, der von seinem Heimfallanspruch Gebrauch macht, dem Erbbauberechtigten eine angemessene Vergütung „für das Erbbaurecht“ zu gewähren. Die Vergütung ist eine Entschädigung für den Rechtsverlust, den der Erbbauberechtigte durch die Übertragung des Erbbaurechts erleidet, soll also den durch Erfüllung des Heimfallanspruchs eintretenden Vermögensnachteil ausgleichen. Sie unterscheidet sich insofern von der Entschädigung bei Erlöschen des Erbbaurechts wegen Zeitablaufs nach § 27 ErbbauRG, die nur für das Bauwerk zu zahlen ist. Die Vergütung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG umfasst neben der Entschädigung für das Bauwerk - das als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts (vgl. § 12 Abs. 1 ErbbauRG) mit dessen Übertragung an den Grundstückseigentümer in Vollzug des Heimfallanspruchs mit übergeht - einen Ersatz für das Nutzungsrecht am Grund und Boden. Für die Bemessung der gesetzlichen Vergütung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG sind der reale Wert des Bauwerks, der Ertragswert des Erbbaurechts und ein gewisser Wert dafür von Bedeutung, dass die Bodennutzung wieder an den Grundstückseigentümer zurückfällt. Die Vergütung für den Heimfall kann, wie sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG ergibt, jedenfalls individualvertraglich ausgeschlossen werden. Umstritten ist lediglich, ob ein solcher Ausschluss auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber einem Verbraucher vereinbart werden kann, oder ob darin eine unzulässige Vertragsstrafe i.S.v. § 309 Nr. 6 BGB liegt. Unzulässig ist der individualvertragliche Vergütungsausschluss nach § 32 Abs. 2 Satz 1 ErbbauRG nur in dem hier nicht gegebenen Fall, dass das Erbbaurecht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses minderbemittelter Bevölkerungskreise bestellt ist, wobei selbst in diesem Fall eine Herabsetzung der Vergütung auf zwei Drittel des gemeinen Wertes des Erbbaurechts zur Zeit der Übertragung noch zulässig ist (§ 32 Abs. 2 Satz 3 ErbbauRG). Die gesetzliche Wertung spricht dafür, dass es einer Gemeinde in anderen Fällen im Grundsatz möglich ist, die Vergütung für das Erbbaurecht beim Heimfall gänzlich auszuschließen. Dies erscheint auch sachgerecht. Denn der Heimfall tritt, anders als der Fall des Erlöschens durch Zeitablauf (§ 27 Abs. 1 ErbbauRG), nach den vertraglichen Regelungen regelmäßig nur ein, wenn der Erbbauberechtigte gegen seine vertraglichen Pflichten verstößt. Dass in diesen Fällen jedenfalls die Begrenzung der Vergütung auf eine Entschädigung für das Bauwerk möglich sein muss, liegt auf der Hand, denn es wäre nicht einzusehen, weshalb dem Erbbauberechtigten bei einem auf seinem Vertragsverstoß beruhenden Heimfall daneben zwingend auch noch ein Ersatz für das Nutzungsrecht am Grund und Boden gezahlt werden müsste. Der Umstand, dass der Heimfall regelmäßig durch einen Vertragsverstoß des Erbbauberechtigten ausgelöst wird, spricht aber darüber hinaus auch für die Zulässigkeit des vollständigen Ausschlusses der Heimfallvergütung in Verträgen von Gemeinden als Grundstückseigentümern. Denn der Erbbauberechtigte hat es bei einer solchen vertraglichen Gestaltung selbst in der Hand, den entschädigungslosen Heimfall zu vermeiden, und kann sich darauf einstellen, dass er keine Vergütung für seine Investitionen erhält, wenn er seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommt. Dies lässt den entschädigungslosen Heimfall im Grundsatz als ein dem Erbbauberechtigten zumutbares Ergebnis seines eigenen Handelns erscheinen. Die Gemeinde hingegen kann sich, anders als beim Erlöschen des Erbbaurechts wegen Zeitablaufs, auf den vorzeitigen Heimfall regelmäßig nicht langfristig einstellen. Sie könnte daher, wäre die Vergütung nicht ausschließbar, gezwungen sein, sehr kurzfristig erhebliche Haushaltsmittel für das Bauwerk bereitzustellen, oder auf die Geltendmachung des Anspruchs zu verzichten, weil entsprechende Mittel im Haushalt nicht zur Verfügung stehen. Zudem müsste die Gemeinde, wäre sie vergütungspflichtig, eine neue Verwendung für das Bauwerk finden. Dies kann insbesondere dann zu Schwierigkeiten führen, wenn es infolge der Marktentwicklung oder seines Zustands nicht nachgefragt ist oder wenn es sich - wie hier - um ein Bauwerk handelt, das aufgrund seines besonderen Zwecks von vornherein nicht marktgängig ist. Zwar werden sich ungünstige Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten des Bauwerks regelmäßig bei der Verkehrswertermittlung niederschlagen, die Grundlage der Berechnung der Heimfallvergütung ist. Das Risiko, den ermittelten Verkehrs- bzw. Ertragswert zu realisieren, ginge aber letztlich auf die Gemeinde über, obwohl sie weder ein eigenes Interesse an dem Bauwerk noch Einfluss auf seine Gestaltung hat und auch keine Verantwortung für das Vorliegen des Heimfallgrundes trägt. Es erscheint daher nicht als unangemessen, wenn eine Gemeinde als Grundstückseigentümerin in einem Erbbaurechtsvertrag mit einem Privaten die Heimfallvergütung ausschließt. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Ausschluss der Vergütung verstoße gegen das Angemessenheitsgebot aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB, und die Regelung über den Heimfall sei nur mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass die gesetzliche Vergütungsregelung greife, stellt sich somit als rechtsfehlerhaft dar. Dieser Rechtsfehler wirkt sich aber nicht aus, weil es für den von der Klägerin mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruch auf Rückübertragung des Erbbaurechts allein auf die von dem Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend bejahte Wirksamkeit der Regelung über den Heimfallanspruch ankommt.
Mit der Geltendmachung des Heimfallanspruchs verstößt die Klägerin, die ungeachtet der Nutzung zivilrechtlicher Formen bei der Ausübung ihrer vertraglichen Rechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist, nicht gegen Grundrechte des Beklagten. Die Klägerin greift mit der Geltendmachung des Heimfallanspruchs nicht in den Schutzbereich der Kirchengutsgarantie aus Art. 140 GG iVm. Art. 138 Abs. 2 WRV ein. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Erbbaurecht an einem Grundstück, das mit einer Moschee bebaut werden soll, bereits vor Fertigstellung des Bauwerks - also ohne eine Widmung oder Nutzung zu religiösen Zwecken - von dem Schutzbereich der Kirchengutsgarantie umfasst ist. Denn Art. 138 Abs. 2 WRV schützt das Vermögen der Religionsgesellschaften - ob es sich bei dem Beklagten um eine solche handelt, kann hier offenbleiben - nur in dem Umfang, wie es nach Maßgabe des einschlägigen zivilen oder öffentlichen Rechts begründet ist. Es gewährleistet kirchliche Vermögensrechte in ihrem Bestand und nach Maßgabe ihrer vorhandenen rechtlichen Qualitäten, erweitert sie aber nicht. Deshalb berührt es den Gewährleistungsgehalt der Kirchengutsgarantie nicht, wenn ein Recht untergeht, weil sich eine ihm immanente Beschränkung aktualisiert hat. Räumt der Staat einer Religionsgesellschaft eine Rechtsposition nur unter bestimmten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Voraussetzungen ein, so ist es für den Schutzbereich des Art. 138 Abs. 2 WRV nicht maßgeblich, in welcher Weise der Bestand des Rechts rechtstechnisch an diese Voraussetzungen gebunden wird. Es macht keinen Unterschied, ob das Recht im Sinne einer Bedingung mit Wegfall der Voraussetzungen von selbst erlischt oder ob es dazu noch einer Erklärung als formeller Voraussetzung bedarf. Unterliegt das Recht einer ursprünglichen Beschränkung, weil es an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, und zielt die Erklärung darauf, die mit Wegfall der Voraussetzungen akut gewordene Beschränkung formal umzusetzen, greift sie nicht in den Schutzbereich ein. So liegt es auch hier. Die Klägerin hat dem Beklagten das Erbbaurecht an ihrem Grundstück nur unter der - verfassungsrechtlich wie gezeigt nicht zu beanstandenden - Voraussetzung eingeräumt, dass dieser das Grundstück innerhalb von vier Jahren mit einer Moschee bebaut, und sich für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen diese Bauverpflichtung den Heimfallanspruch vorbehalten. Mit dem durch den Verstoß des Beklagte gegen die Bauverpflichtung eingetretenen Heimfall hat sich also lediglich eine von Anfang an vorhandene Beschränkung des Erbbaurechts aktualisiert. Die Geltendmachung des Heimfallanspruchs verletzt den Beklagten - seine Grundrechtsträgerschaft insoweit unterstellt - auch nicht in seiner Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG oder in seiner Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Für den Heimfall des Erbbaurechts entfaltet die Religionsfreiheit keine über die Kirchengutsgarantie hinausgehenden Schutzwirkungen; Art. 140 GG iVm. Art. 138 Abs. 2 WRV konkretisiert den Schutz der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Hinblick auf kirchliches Eigentum und andere Rechte. Entsprechendes gilt für die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang rechtsfehlerhaft verkennt, dass nicht nur das Eigentum an dem Grundstück, sondern auch das Erbbaurecht - mit dem Bauwerk als wesentlichem Bestandteil (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG) - von der Eigentumsgarantie umfasst ist, hat sich daher nicht ausgewirkt.
Die Geltendmachung des Heimfallanspruchs hält auch der Ausübungskontrolle stand. Die Klägerin ist nach den Grundsätzen des Verwaltungsprivatrechts bei der Ausübung ihrer vertraglichen Rechte an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Sie hat daher im Wege einer Ermessensentscheidung zu prüfen, ob die Geltendmachung des Heimfallanspruchs im Interesse der Sicherung des mit ihm verfolgten Zwecks geboten ist oder eine vermeidbare Härte darstellt. Das Berufungsgericht nimmt im Ergebnis rechtsfehlerfrei an, dass die Entscheidung der Klägerin, den Heimfallanspruch geltend zu machen, nach diesem Maßstab nicht zu beanstanden ist. Die Klägerin verfolgt mit der Geltendmachung des Heimfallanspruchs weiterhin den der Bestellung des Erbbaurechts zugrunde liegenden Zweck, ihren muslimischen Bürgern die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee zu ermöglichen, und will zudem - was ebenfalls legitim ist - eine Bauruine vermeiden. Da die Verzögerungen bei der Bauausführung auf einem Verschulden des Beklagten beruhen und sich die Klägerin berechtigterweise darauf beruft, sie habe das Vertrauen in den Beklagten verloren, war die Klägerin auch nicht gehalten, ihn zunächst durch Geltendmachung einer Vertragsstrafe zu einem zügigeren Weiterbau anzuhalten.
Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich die Geltendmachung des Heimfallrechts als im engeren Sinne verhältnismäßig, d.h. als angemessen darstellt, ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings führt der Ausschluss der Heimfallvergütung dazu, dass die Geltendmachung des Heimfallanspruchs einer strengen Ausübungskontrolle im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des gemeindlichen Handelns unterliegt. Der Heimfall darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass der private Erbbauberechtigte für seinen Verstoß gegen vertragliche Pflichten übermäßig sanktioniert wird, weil sich der vergütungslose Heimfall dann der Sache nach als unangemessene Vertragsstrafe darstellen würde. Somit hat die Gemeinde bei der Ausübung ihres Ermessens einerseits Art und Bedeutung des Heimfallgrundes in den Blick zu nehmen, namentlich die Schwere des Vertragsverstoßes des Erbbauberechtigten, und andererseits die Folgen, die der vergütungslose Heimfall für den Erbbauberechtigten hätte. Beides muss in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Forderung nach der vergütungslosen Rückübertragung des Erbbaurechts kann sich insbesondere dann als unverhältnismäßig darstellen, wenn der Heimfall nicht auf einer schwerwiegenden Vertragsverletzung des Erbbauberechtigten beruht, das Bauwerk ganz oder weitestgehend fertiggestellt ist, der Erbbauberechtigte erhebliche Investitionen getätigt hat und die Gemeinde absehbar in der Lage sein wird, das Bauwerk anderweitig zu nutzen oder zu verwerten. Andererseits ist die Gemeinde nicht verpflichtet, auch schwere und/oder andauernde Vertragsverletzungen des privaten Erbbauberechtigten hinzunehmen, nur weil dieser erhebliche Summen in das Bauwerk investiert hat und die Vergütung für das Erbbaurecht beim Heimfall zulässigerweise ausgeschlossen wurde. Der Beklagte hat insoweit geltend gemacht, dass die Moschee bereits zu 90 % fertiggestellt sei, er insgesamt 2,6 Mio. € in das Gebäude investiert habe und ihm die Insolvenz drohe, wenn die Klägerin ihren Heimfallanspruch ausübe und keine Entschädigung für die bisher errichteten Teile des Gebäudes leiste. Sollten diese Angaben zutreffen, könnten Zweifel bestehen, ob sich die Geltendmachung des Heimfallanspruchs durch die Klägerin ohne Zahlung einer Vergütung für das Bauwerk noch als verhältnismäßig darstellte. Dies bedarf indes keiner Entscheidung, weil das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend annimmt, dass dem Beklagten eine solche Vergütung zusteht.
Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Zahlung einer Vergütung für die im Bau befindliche Moschee allerdings nicht bejahen. Das Berufungsgericht meint, der Ausschluss der Vergütung für das Erbbaurecht bei Ausübung des Heimfallanspruchs sei unwirksam, sodass die gesetzliche Vergütungsregelung in § 32 Abs. 1 ErbbauRG greife und der Beklagte den Verkehrswert für das teilweise fertiggestellte Gebäude erhalte. Dies trifft nicht zu, da der Vergütungsausschluss wirksam ist. Der Beklagte erhält somit keine Heimfallvergütung für das Bauwerk nach § 32 Abs. 1 ErbbauRG. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber insoweit im Ergebnis gleichwohl als richtig dar. Denn der Beklagte erhält die in Abschn. VII B Ziff. 9 Buchst. b) ErbbV vorgesehene Vergütung für das Gebäude als Teil des Wiederkaufspreises, den die Klägerin ihm aufgrund der wirksamen Ausübung des Wiederkaufsrechts für das Grundstück zu zahlen hat. Nach Abschn. VII B Ziff. 9 ErbbV besteht der Wiederkaufspreis aus der Summe a) des vereinbarten Kaufpreises und b) des Werts der Verwendungen auf den Vertragsgegenstand, insbesondere auf die Gebäude, soweit sie zur Zeit des Wiederkaufs einen Verkaufswert haben. Falls sich die Beteiligten nicht einigen können, ist der durch den örtlichen Gutachterausschuss auf den Tag der Ausübung des Wiederkaufsrechts festzustellende Verkehrswert maßgebend. Allerdings führten die von dem Beklagten aufgebrachten Kosten für die teilweise Errichtung der Moschee bei einer allein am Wortlaut orientierten Auslegung dieser Regelung nicht zur Erhöhung des Wiederkaufspreises. Denn sie stellen sich bei Fortbestand des Erbbaurechts als Verwendungen auf dieses (§ 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG) und nicht als Verwendungen auf das Grundstück als Vertragsgegenstand des Wiederkaufs dar, zu dessen Bestandteil das Gebäude erst mit Erlöschen des Erbbaurechts wird (§ 12 Abs. 3 ErbbauRG). Unmittelbare Verwendungen auf das Grundstück wären die für die Errichtung der Moschee aufgewandten Kosten bei wortlautgetreuer Auslegung der Regelung nur gewesen, wenn der Beklagte das Bauwerk nach Erwerb des Eigentums an dem Grundstück und Löschung des (Eigentümer-)Erbbaurechts errichtet hätte. Das Berufungsgericht legt die Regelung aber ersichtlich dahin aus, dass jedenfalls in der hier gegebenen Situation, dass die Klägerin zugleich das Wiederkaufsrecht ausübt und den Heimfallanspruch geltend macht, die für das Gebäude aufgewendeten Kosten als Verwendungen auf das Grundstück anzusehen sind, soweit sie einen Verkaufswert haben, d.h. den Verkehrswert des Grundstücks erhöhen. Dies folgt daraus, dass das Berufungsgericht die Regelung über den Wiederkauf mit der Begründung für wirksam erachtet, dass - abweichend von der Regelung zum Heimfall - ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich für die Verwendungen des Beklagten vorgesehen sei. Zu diesem Ergebnis hätte das Berufungsgericht nicht widerspruchsfrei kommen können, wenn es der Ansicht wäre, dass gerade in dem zur Entscheidung stehenden Fall Verwendungen nicht als Teil des Wiederkaufspreises zu ersetzen sind. Der Annahme, dass das Berufungsgericht die Regelung zum Wiederkauf auf diese Weise auslegt, steht nicht entgehen, dass es auf die dann naheliegende Frage der Konkurrenz zwischen dem Anspruch auf Verwendungsersatz als Teil des Wiederkaufspreises einerseits und als Heimfallvergütung andererseits nicht eingeht. Denn darauf kam es für das Berufungsgericht nicht an, weil keiner dieser möglichen Ansprüche Gegenstand des Verfahrens ist. Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Auslegung ist vertretbar und Rechtsfehler werden weder von der Revision aufgezeigt noch sind sie sonst ersichtlich. Der Beklagte erhält somit im Ergebnis den Betrag, der sich aus der Berechnung gem. Abschn. VII B Ziff. 9 Buchst. b) ErbbV ergibt. Da das Berufungsgericht diesen Betrag im Rahmen tatrichterlicher Würdigung als angemessenen Ausgleich für die aufgrund der Geltendmachung des Heimfallanspruchs durch die Klägerin von dem Beklagten geschuldete Rückübertragung des Erbbaurechts ansieht, kann der Senat ausschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es - zutreffend - von der Wirksamkeit des Vergütungsausschlusses beim Heimfall ausgegangen wäre. Auf die Frage, ob der Anspruch auf den verwendungsbezogenen Teil des Wiederkaufspreises entfällt, wenn die Klägerin ihren vertraglich vereinbarten Anspruch auf Beseitigung des Bauwerks geltend macht, kommt es insoweit nicht an. Der Wegfall des Verwendungsersatzes wäre allenfalls ein Umstand, der bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines bislang nicht geäußerten Beseitigungsverlangens zu berücksichtigen wäre, führte aber nicht (nachträglich) zur Unverhältnismäßigkeit der Geltendmachung des Heimfallanspruchs. Insgesamt, insbesondere unter Berücksichtigung des schuldhaften Verstoßes des Beklagten gegen die Bauverpflichtung und der ihm für das nicht fertiggestellte Gebäude zustehenden Vergütung, erweist sich die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Heimfall für den Beklagten keine unzumutbare Härte darstellt, als rechtsfehlerfrei, auch wenn der Beklagte hierdurch (zunächst) die Möglichkeit verliert, auf dem Grundstück und - wie die Revision meint - unter Umständen auch auf dem gesamten Stadtgebiet der Klägerin, eine Moschee zu betreiben.
Die Geltendmachung des Heimfallanspruchs ist schließlich nicht gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich. Insbesondere nutzt die Klägerin damit keine ihr nur noch formal zustehende Rechtsposition aus. Es kann dahinstehen, ob der Klägerin mit der wirksamen Ausübung des Ankaufsrechts durch den Beklagten und Zahlung des Ankaufspreises die Rechte und Ansprüche als Grundstückseigentümerin aus dem Erbbaurechtsvertrag nur noch formal zustanden, weil sie verpflichtet war, dem Beklagten das Eigentum an dem Grundstück zu verschaffen. Denn jedenfalls ist dies seit dem Zeitpunkt nicht mehr der Fall, in dem die Klägerin das ihr vertraglich eingeräumte Wiederkaufsrecht wirksam ausgeübt hat.
Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Parteien in dem Erbbaurechtsvertrag ein Wiederkaufsrecht der Klägerin iSv. § 456 BGB vereinbart haben, denn der Anspruch der Klägerin auf Rückübereignung des Grundstücks gegen Zahlung des ursprünglichen Kaufpreises sollte mit dem Verlangen der Klägerin entstehen. Die Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts im Sinne dieser Norm stellt eine neben den eigentlichen - hier der mit Annahme des im Erbbaurechtsvertrag von der Klägerin abgegebenen Kaufangebots durch den Beklagten zustande gekommenen - Kaufvertrag tretende Rückkaufabrede dar, die dem Verkäufer einen aufschiebend bedingten Anspruch auf (Rück-) Übereignung des Kaufgegenstands gewährt. Durch die Wiederkaufserklärung wird der bereits bedingt abgeschlossene Wiederkaufvertrag mit dem Eintritt der Bedingung wirksam. Solange der Wiederkaufvertrag Geltung beansprucht, steht einem Rückgriff auf den ursprünglichen Kaufvertrag der Einwand des Wiederkaufs entgegen. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Vereinbarung des Wiederkaufsrechts in Abschn. VII B Ziff. 9 ErbbV wirksam ist. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf die von ihm bejahte Frage an, ob eine solche Vereinbarung gemäß § 2 Nr. 7 ErbbauRG dinglicher Inhalt des Erbbaurechts sein kann. Denn das Wiederkaufsrecht wurde vorliegend rein schuldrechtlich vereinbart, wie sich zweifellos aus dem von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen Erbbaurechtsvertrag ergibt. Eine Unwirksamkeit folgt auch nicht aus der Verknüpfung mit der Vereinbarung zu den Rechtsfolgen. Die vertragliche Regelung, nach der der Beklagte bei einer Ausübung des Wiederkaufsrechts alle Lasten zu beseitigen hat, ist nicht unwirksam. Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 ErbbauRG darf sich der Erbbauberechtigte zwar nicht zur Aufgabe des Erbbaurechts verpflichten. Das Berufungsgericht legt die vertragliche Regelung aber rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet dahin aus, dass zu den zu beseitigenden Lasten nicht das Erbbaurecht gehört. Die Vereinbarung des Wiederkaufsrechts verstößt ferner nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung, da die Klägerin dem Beklagten mit dem Wiederkaufspreis einen angemessenen Ausgleich zu gewähren hat. Schließlich ist die Vereinbarung weder mit einer unwirksamen Bauverpflichtung verknüpft noch verstößt sie gegen Grundrechte. Vor Vertragsschluss stand dem Beklagten keine grundrechtlich geschützte Rechtsposition an dem Grundstück zu; er hatte auch keinen grundrechtlich geschützten Anspruch auf Einräumung eines Kaufrechts ohne Wiederkaufsrecht. Mit der Zuwiderhandlung des Beklagten gegen die Bauverpflichtung sind auch die Voraussetzungen des Wiederkaufsrechts erfüllt. Die Ausübung dieses Rechts verletzt den Beklagten nicht in seinen Grundrechten. Auch insoweit hat sich lediglich eine von Anfang an vorhandene (immanente) Beschränkung seines Kaufrechts aktualisiert. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Ausübung des Wiederkaufsrechts auch verhältnismäßig. Somit stand dem Rückgriff auf den Ankaufvertrag ab dem Zeitpunkt der Ausübung des Wiederkaufsrechts der Einwand des Wiederkaufs entgegen und war die Klägerin nicht (mehr) verpflichtet, dem Beklagten das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen. Sie hatte keine lediglich formale Rechtsposition hinsichtlich der Rechte und Ansprüche aus dem Erbbaurecht und der Erbbaurechtsvereinbarung inne, als sie - zeitgleich - das Wiederkaufsrecht ausübte und den Heimfallanspruch geltend machte.
3. Kontext der Entscheidung
Erbbaurechtsverträge sind am Gebot angemessener Vertragsgestaltung (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB) zu messen. Das Gebot gilt für alle Verträge über Erbbaurechte, die von öffentlichen Körperschaften in Verfolgung eines öffentlichen Zwecks zur Ausgabe an Private bestellt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Körperschaft den Erbbaurechtsvertrag mit dem Privaten schließt oder ein für sich selbst auf ihrem Grundstück bestelltes (Wohnungs-)Erbbaurecht an den Privaten veräußert. Der Erwerber ist nämlich auch im zuletzt genannten Fall an die Bestimmungen des Erbbaurechtsvertrags gebunden, weil das, was nach § 2 ErbbauRG als vertragsmäßiger Inhalt des Erbbaurechts bestimmt worden ist, mit der Bildung der Wohnungserbbaurechte auch zu deren Inhalt gehört (BGH, Urteil vom 26. Juni 2015 – V ZR 144/14 –, Rn. 15 - 16). Dem Gebot angemessener Vertragsgestaltung ist genügt, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung des Gesamtvorgangs die Gegenleistung nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung und dem Wert der von der Behörde erbrachten oder zu erbringenden Leistung steht und die vertragliche Übernahme von Pflichten auch ansonsten zu keiner unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der Behörde führt. Danach ist nicht nur - insofern weitergehend als nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - eine Kontrolle des vertraglichen Austauschverhältnisses eröffnet, vielmehr wird auch eine Überprüfung der einzelnen Vertragsklauseln ermöglicht. Bei dieser sind die den §§ 308 und 309 BGB zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen; denn Bestimmungen, die nach diesen Vorschriften unwirksam wären, können eine durch den Vertragszweck nicht mehr gedeckte, unverhältnismäßige und damit unangemessene Belastung des Vertragspartners der Gemeinde begründen. Nichts anderes kann für die Generalklausel aus § 307 Abs. 1, 2 BGB gelten, zumal der allgemeine Grundsatz, auf dem sie beruht, selbst für öffentlich-rechtliche Verträge zu beachten ist (BGH, Urteil vom 29. November 2002 – V ZR 105/02 –, Rn. 19).
4. Auswirkungen für die Praxis
Öffentliche Körperschaften als Erbbaurechtsbesteller ist nicht nur bei der Vertragsgestaltung, sondern auch bei der Ausübung ihrer vertraglichen Rechte an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Diese Pflicht beruht allerdings nicht auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem auch Private unterworfen sind, sondern auf ihrer Bindung als öffentliche Körperschaft an die Grundsätze des Verwaltungsprivatrechts. Die Klägerin muss danach im Wege einer Ermessensentscheidung prüfen, ob die Durchsetzung des Heimfallanspruchs im Interesse der Sicherung des mit der Ausgabe des Erbbaurechts verfolgten Zwecks geboten ist oder eine vermeidbare Härte darstellt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2015 – V ZR 144/14 –, Rn. 36).
BGH: Zur Verweigerung der Rücknahme der Kaufsache nach Rücktritt durch Käufer
Die Weigerung des Verkäufers, nach dem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr in Natur gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, kann jedenfalls unter den besonderen Umständen des Einzelfalls (hier: Arsenbelastung großer Mengen vom Verkäufer gelieferten Recycling-Schotters) als Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rückgewährschuldverhältnis anzusehen sein, die zu einem Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer gemäß § 280 Abs. 1 BGB führen kann.
BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 164/21
1. Problemstellung
Welche Rechte dem Käufer zustehen, wenn sich der Verkäufer nach Rücktritt des Käufers weigert, die mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, hatte der VIII. Zivilsenat zu entscheiden.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, die ein Bauunternehmen betreibt, wurde von einer Bauherrin) beauftragt, auf dem von dieser angemieteten Grundstück einen Park- und Containerverladeplatz zu errichten. Hierfür bestellte die Klägerin im März 2012 bei der Beklagten, einer Baustoffhändlerin, rund 22.000 t Recycling-Schotter zur Verwendung als Unterbau zu einem Kaufpreis von 156.283,29 €. Die Beklagte bezog dieses Material von einer Baustoffvertriebsgesellschaft, welche es ihrerseits bei der Herstellerin bestellte. Diese lieferte den Recycling-Schotter im Juni 2012 unmittelbar an die Baustelle der Klägerin, wo er von dieser eingebaut wurde. Die Klägerin zahlte den vereinbarten Kaufpreis an die Beklagte. Im Jahr 2016 sollte auf dem Grundstück eine Halle errichtet werden. Hierfür wurde ein Teil des von der Klägerin im Jahr 2012 eingebrachten Recycling-Schotters im Umfang von rund 8.000 t ausgebaut und auf dem Grundstück zusammengeschoben. Nach einer Beprobung des Materials beanstandete die Bauherrin gegenüber der Klägerin einen über dem tolerierbaren Wert liegenden Arsengehalt des gelieferten Recycling-Schotters. Die Klägerin zeigte daraufhin bei der Beklagten den mit den bisherigen Analyseergebnissen begründeten Anfangsverdacht einer Überschreitung der zulässigen Werte an und wies auf die Erforderlichkeit weiterer Beprobungen hin. In der Folgezeit verlangten die Grundstückseigentümerin und die Bauherrin von der Klägerin den vollständigen Ausbau des im Jahr 2012 eingebrachten Recycling-Schotters. Die Klägerin verpflichtete sich im Rahmen eines von der Bauherrin gegen sie geführten Rechtsstreits durch Prozessvergleich zur Entfernung und Entsorgung des Recycling-Schotters sowie zur fachgerechten Einbringung neuen Schotters und Erstellung eines neuen Pflasters für den gesamten Bereich. Die Klägerin nahm ihrerseits die Beklagte gerichtlich in Anspruch. Die Beklagte wurde rechtskräftig - gestützt auf die Annahme eines wirksamen Rücktritts der Klägerin vom Kaufvertrag - zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Zudem wurde ihre Verpflichtung festgestellt, der Klägerin die Mehrkosten für die ersatzweise Beschaffung von Recycling-Schotter zu ersetzen.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2019 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung zur Abholung des von ihr bereits teilweise ausgebauten und auf dem Gelände zusammengeschobenen Recycling-Schotters von der früheren Baustelle auf. Ferner kündigte sie für den Fall einer ausbleibenden Reaktion eine Klage an, die auch auf die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten gerichtet sein werde, das noch auszubauende weitere Schottermaterial nach dem Ausbau abzuholen. Die Beklagte kam der Aufforderung nicht nach. Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 446.896 € - entsprechend 80 % der voraussichtlichen Kosten für die im Mai 2019 von ihr begonnene Entsorgung der Teilmenge von 8.000 t - sowie die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der darüber hinaus entstehenden Kosten für die Entsorgung des gelieferten Recycling-Schotters begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin den Zahlungsantrag - im Hinblick auf die bis zum 31. Dezember 2019 für Ausbau, Abtransport und Entsorgung des mangelhaften und den Einbau des neuen Recycling-Schotters bereits angefallenen Kosten - auf einen Betrag von 1.333.072,52 € erhöht. Ihren Feststellungsantrag hat sie nunmehr auf die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der Kosten für die Wiederherstellung des neuen Pflasters erweitert. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Aufgrund einer Gesamtschau des Prozessstoffs sei der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte an der Lieferung verunreinigten Materials kein eigenes Verschulden treffe. Die Klägerin könne einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB auch nicht darauf stützen, dass die Beklagte eine Pflicht zur Rücknahme des Recycling-Schotters im Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB schuldhaft verletzt habe. Die Vorschrift des § 346 Abs. 1 BGB verpflichte den Verkäufer nicht zur Rücknahme der Kaufsache, sondern gebe ihm allein einen Anspruch auf Rückgewähr. Eine entsprechende Pflicht lasse sich auch nicht für Ausnahmefälle aus einer analogen beziehungsweise "spiegelbildlichen" Anwendung von § 433 Abs. 2 BGB oder aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten (OLG Zweibrücken, Urteil vom 27. Mai 2021 – 4 U 96/20).
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 437 Nr. 3 BGB, § 434 Abs. 1 BGB aF, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB mit der Begründung verneint, die Beklagte habe sich hinsichtlich der in der behaupteten Mangelhaftigkeit des gelieferten Recycling-Schotters liegenden Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB entlastet. Die bislang insoweit vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen bieten keine tragfähige Grundlage für eine dahingehende Würdigung. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall wegen des Vertragsschlusses im Jahr 2012 die Vorschriften der §§ 433 ff. BGB in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung finden. Ebenso hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass im geschäftlichen Verkehr zwischen Unternehmen ein Schadensersatzanspruch des Käufers auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für den Ausbau der Kaufsache und den Einbau einer Ersatzsache nur in Betracht kommt, wenn der Verkäufer seine Vertragspflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache verletzt und dies auch zu vertreten hat. Hingegen scheidet ein diesbezüglicher Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung im Rahmen der Nacherfüllung (§ 439 Abs. 1 BGB) aus, weil der Verkäufer bei solchen Verträgen im Rahmen der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung weder den Ausbau der mangelhaften Sache noch den Einbau der neuen mangelfreien Sache schuldet. Mangels abweichender Feststellungen ist für die revisionsrechtliche Überprüfung die im Berufungsurteil wiedergegebene Behauptung der Klägerin als zutreffend zu unterstellen, dass der von der Beklagten an sie (weiter-)verkaufte Recycling-Schotter aufgrund einer unzulässig hohen Arsenbelastung im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vertragsgemäß war und die Beklagte somit ihre Vertragspflicht gegenüber der Klägerin zur Lieferung einer mangelfreien Sache verletzt hat (§ 434 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB aF).
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, die Beklagte habe die Verletzung ihrer Vertragspflicht zur Lieferung mangelfreien Recycling-Materials nicht zu vertreten (§ 280 Abs. 1, § 276 BGB). Zwar muss sich die Beklagte ein etwaiges Verschulden der Herstellerin sowie der Streithelferin als Vorlieferantin nicht gemäß § 278 BGB zurechnen lassen, weil diese nicht Erfüllungsgehilfen der Beklagten sind. Dagegen hat das Berufungsgericht auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Feststellungen und damit rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Beklagte auch kein eigenes Verschulden an der Pflichtverletzung treffe. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der sie entlastenden Umstände obliegt der Beklagten. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB muss der Schuldner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er eine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, die Klägerin treffe eine "sekundäre Behauptungslast (Substantiierungslast)" dahingehend, dass es für die Beklagte als Verkäuferin bei Gefahrübergang bestimmte Verdachtsmomente für die Mangelhaftigkeit des Schotters gegeben habe, begegnet dies zwar rechtlichen Bedenken. Denn im Rahmen des Entlastungsbeweises gibt es - auch bei auf Vorsatz beschränkter Haftung des Schuldners - keinen sachlichen Grund, dem Gläubiger des Anspruchs gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ausnahmsweise eine Darlegungslast aufzubürden. Hierauf beruht die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte treffe kein eigenes Verschulden, jedoch nicht. Denn das Berufungsgericht hat sich die Überzeugung gebildet (§ 286 ZPO), dass es aus Sicht der Beklagten keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Arsenbelastung bei dem gelieferten Recycling-Schotter gegeben habe. Mit Recht beanstandet die Klägerin jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den ihr obliegenden Entlastungsbeweis hinsichtlich eines eigenen Verschuldens gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (erfolgreich) geführt, als rechtsfehlerhaft. Die bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen eine dahingehende Würdigung nicht. Da die Klägerin die Beklagte wegen fahrlässiger Unkenntnis von der Arsenbelastung des gelieferten Recycling-Schotters in Anspruch nimmt, kommt es für den Entlastungsbeweis darauf an, ob die Beklagte diese Beschaffenheit der Kaufsache im Zeitpunkt der Anlieferung auf der Baustelle der Klägerin bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) hätte erkennen können. Zur Führung des Entlastungsbeweises nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB genügt es insoweit grundsätzlich, wenn der Schuldner darlegt und nachweist, dass nach dem vorgetragenen Sachverhalt ernstlich in Betracht kommende - einschließlich der von dem Gläubiger geltend gemachten - Möglichkeiten eines eigenen Verschuldens nicht bestehen, weil er insoweit alle ihm obliegende Sorgfalt beachtet hat. Von dem Verkäufer verlangt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zwar regelmäßig keine Untersuchung der Kaufsache. Höhere Anforderungen ergeben sich allerdings dann, wenn der Verkäufer eine Garantie übernommen hat (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn er Anhaltspunkte für die Mangelhaftigkeit der Sache hat oder wenn sonst besondere Umstände vorliegen, die eine höhere Sorgfalt gebieten. Letzteres kann bei besonders hochwertigen oder fehleranfälligen Produkten oder dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine besondere Sachkunde besitzt oder aufgrund konkreter Anhaltspunkte Veranlassung hat, die Vertragsgemäßheit der Lieferung anzuzweifeln. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich nicht (ausdrücklich) entnehmen, welche Sorgfaltsanforderungen das Berufungsgericht im Streitfall aufgrund der konkreten Einzelfallumstände als seitens der Beklagten geschuldet angesehen hat. Der von ihm zur Widerlegung der gegen die Beklagte sprechenden Verschuldensvermutung (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) für maßgeblich gehaltene Umstand, dass in dem Schreiben der Klägerin vom 30. September 2016 eine "seinerzeit" erfolgte Vorlage von Prüfzeugnissen und Lieferscheinen - ohne Angabe näherer Einzelheiten - erwähnt wird, bietet für sich genommen jedenfalls ohne weitere konkrete Feststellungen keine tragfähige Grundlage für die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihrerseits die mangelhafte Lieferung nicht zu vertreten, sondern auf die Richtigkeit der Prüfzeugnisse ebenso vertrauen dürfen wie auf ein redliches Verhalten der in die Lieferkette eingeschalteten Fachhändler für Baubedarf. Das Berufungsgericht hat keine (hinreichenden) Feststellungen dazu getroffen, welchen konkreten Inhalt die in dem Schreiben genannten Prüfzeugnisse hatten, insbesondere ob sie der Beklagten eine Überprüfung des tatsächlich für die Lieferung an die Klägerin vorgesehenen Materials auf die Einhaltung der vereinbarten Beschaffenheit ermöglichten, sowie in welchem Zusammenhang und zu welchem Zeitpunkt die Beklagte sie erhalten und gegebenenfalls geprüft hat. Es bleibt zudem offen, für welchen Zeitpunkt die Prüfzeugnisse eine Einhaltung der vereinbarten Güte des Recycling-Schotters bescheinigten. Aus der im Schreiben vom 30. September 2016 enthaltenen Bitte der Klägerin um "Übersendung der Prüfzeugnisse für den Zeitraum der Schotterlieferungen" ergibt sich, dass die "seinerzeit" vorgelegten Prüfzeugnisse jedenfalls nicht eine Prüfung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der konkreten Anlieferung des Materials auf der Baustelle der Klägerin betrafen. Die Revision rügt insoweit mit Recht, hieraus könne nicht entnommen werden, dass und wie die Beklagte die Güte des angelieferten Materials ihrerseits geprüft habe.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann zudem ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB nicht verneint werden. Ist die Klägerin wegen der Vertragswidrigkeit des gelieferten Recycling-Schotters wirksam von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten, kann sich die Weigerung der Beklagten, den von der Klägerin ausgebauten und auf der früheren Baustelle zum Zwecke der Rückgewähr nach § 346 Abs. 1 BGB bereitgestellten Schotter - wie von der Klägerin ausdrücklich verlangt - zurückzunehmen, jedenfalls unter den gegebenen besonderen Umständen als Verletzung einer (auch) im Rückgewährschuldverhältnis bestehenden Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB darstellen. Nach der Vorschrift des § 346 Abs. 1 BGB sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Ob und unter welchen Voraussetzungen im Falle des Rücktritts des Käufers vom Kaufvertrag eine Pflicht des Verkäufers zur Rücknahme der Kaufsache besteht, ist umstritten. Nach einer Ansicht soll der Verkäufer aufgrund einer - gewissermaßen spiegelbildlichen - Anwendung der Vorschrift des § 433 Abs. 2 BGB stets zur Rücknahme der Kaufsache verpflichtet sein (Nachweise in Rn. 31). Die Gegenansicht bejaht eine Rücknahmepflicht des Verkäufers nur ausnahmsweise (Nachweise in Rn. 32). Der Senat hat zur Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung in dem sogenannten Dachziegelfall (BGH, Urteil vom 9. März 1983 – VIII ZR 11/82) dem Käufer mangelhafter Dachziegel nach Wandelung des Kaufvertrags (§ 462 BGB aF) einen Verzugsschadensersatzanspruch gegen den Verkäufer gemäß § 284 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1, 2, § 286 Abs. 1 BGB) auf Ersatz der Kosten für die versäumte Verpflichtung, die nur provisorisch auf dem Dach verlegten Dachziegel wieder abzudecken, zuerkannt. Er hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob der Verkäufer im Rahmen des Wandelungsvollzuges stets oder nur bei einem besonderen Interesse des Käufers zur Rücknahme der Kaufsache verpflichtet sei, weil er im damaligen Fall einen aus einem besonderen Interesse abgeleiteten - mit dem Rückgabeanspruch des Verkäufers nach §§ 467, 346 BGB aF korrespondierenden - Rücknahmeanspruch des Käufers bejaht hat. Nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung hat sich der Senat in mehreren Entscheidungen mit Inhalt und Umfang der Pflichten des Verkäufers im Rahmen der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 BGB) befasst. Er hat die vorbezeichnete Bestimmung für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs richtlinienkonform dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung des Verkäufers zur "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache umfasst. Um die im Falle eines Rücktritts des Käufers vom Kaufvertrag bestehenden Pflichten des Verkäufers im Rückgewährschuldverhältnis nach den Vorschriften der §§ 346 ff. BGB ging es hierbei nicht.
In den Gesetzesmaterialien finden sich lediglich vereinzelte Äußerungen des Gesetzgebers zur Frage einer Rücknahmepflicht des Verkäufers. Im Gesetzgebungsverfahren zur Schuldrechtsmodernisierung wurde die Frage einer Verpflichtung des Verkäufers zum Ausbau der bestimmungsgemäß eingebauten Kaufsache beziehungsweise zum Ersatz von Aufwendungen der Rückabwicklung im Vergleich der beabsichtigten Regelungen zur Nacherfüllung einerseits (§ 439 BGB-E) und zum Rücktritt andererseits (§§ 346 ff. BGB-E) unter Bezugnahme auf den Dachziegelfall des Senats zwar erörtert. Indessen ist der Regierungsentwurf trotz der vom Bundesrat geäußerten Bedenken hinsichtlich möglicher Wertungswidersprüche (vgl. BT-Drucks. 14/6857, S. 25) insoweit unverändert geblieben. Nach Ansicht der Bundesregierung führte die Neuregelung nicht zu einer Änderung der Rechtslage. Der Käufer habe künftig wie bisher auch nach Verzugsgrundsätzen (§ 286 Abs. 1 BGB aF, § 280 Abs. 1 BGB-E) einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Rückabwicklung, wenn der Verkäufer die Nicht-Rücknahme der Sache zu vertreten habe. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2133), mit dem der Gesetzgeber anlässlich der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie unter anderem eine ausdrückliche Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme der im Rahmen der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung ersetzten Sache auf seine Kosten angeordnet hat (vgl. § 439 Abs. 6 Satz 2 BGB nF), heißt es zwar, dass eine solche Pflicht nicht gänzlich neu sei, "da sie sich schon nach geltendem Recht in vielen Fällen etwa aus § 242 BGB ergeben haben dürfte" (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 27). Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Rücknahmepflicht des Verkäufers trifft indessen allein die Bestimmung zur kaufrechtlichen Nacherfüllung (§ 439 BGB). Ob der Verkäufer vor diesem Hintergrund im Falle des Rücktritts des Käufers vom Kaufvertrag im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses nach den Vorschriften der §§ 346 ff. BGB zur Rücknahme der Kaufsache verpflichtet ist und unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls eine solche Rücknahmepflicht besteht, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Die Klägerin begehrt eine dahingehende Verurteilung der Beklagten nicht. Der von ihr (allein) geltend gemachte Schadensersatzanspruch kann sich unter den hier gegebenen besonderen Umständen - einen wirksamen Rücktritt der Klägerin vom Kaufvertrag unterstellt - ohne weiteres bereits aufgrund einer von der Beklagten zu vertretenden Verletzung von Rücksichtnahmepflichten im Rückgewährschuldverhältnis (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB) ergeben. Die Weigerung des Verkäufers, nach dem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr in Natur gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, kann jedenfalls unter den besonderen Umständen des Einzelfalls als Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rückgewährschuldverhältnis anzusehen sein, die zu einem Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer nach § 280 Abs. 1 BGB führen kann.
Gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann ein Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt der Schutz- und Rücksichtnahmepflichten ist - bei Fehlen entsprechender Absprachen - jeweils nach der konkreten Situation unter Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bestimmen. Schutzpflichten sollen die gegenwärtige Güterlage jedes an dem Schuldverhältnis Beteiligten vor Beeinträchtigungen bewahren. Insbesondere hat sich jede Vertragspartei bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter - einschließlich bloßer Vermögensinteressen - des anderen Teils nicht verletzt werden. Der von der Rücksichtnahmepflicht bezweckte Schutz dieses sogenannten Erhaltungs- oder Integritätsinteresses beruht auf den mit dem Schuldverhältnis verbundenen besonderen Einwirkungsmöglichkeiten der einen Partei auf die Interessensphäre der anderen. Derartige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bestehen auch im Rückgewährschuldverhältnis nach den §§ 346 ff. BGB. Der Rücktritt wandelt den Vertrag in ein Abwicklungsverhältnis mit vertraglicher Grundlage um. Er ist auf eine Rückabwicklung des Leistungsaustauschs gerichtet. Die vor dem Vertragsschluss bestehende Rechtslage soll wiederhergestellt werden. Zu diesem Zweck sind beide Vertragsteile gemäß § 346 Abs. 1 Alt. 1 BGB in erster Linie zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen in Natur verpflichtet. Auch im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses besteht ein schutzwürdiges Interesse jeder Partei daran, dass sich ihre gegenwärtige Güterlage - mit Ausnahme der jeweils zurückzugewährenden Leistung - durch den Vollzug der Rückabwicklung nicht verschlechtert. Denn auch bei der Rückabwicklung ergeben sich als Folge der von den Parteien zuvor mit dem Vertrag eingegangenen schuldrechtlichen Sonderverbindung und des damit verbundenen Leistungsaustauschs erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen. Insbesondere kann im Einzelfall (schon) der weitere Verbleib der - nach § 346 Abs. 1 BGB in Natur zurückzugewährenden - Kaufsache beim Käufer bis zu ihrer Rücknahme durch den Verkäufer im Hinblick auf die an die tatsächliche Verfügungsgewalt und das zunächst noch fortbestehende Eigentum anknüpfende Verantwortlichkeit für deren Zustand, Aufbewahrung und Behandlung mit erheblichen (auch finanziellen) Belastungen für den Käufer verbunden sein. Erst recht gilt dies für eine gegebenenfalls gebotene Entsorgung der mangelhaften Kaufsache. Erweisen sich in einer solchen Situation aufgrund besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls die vom Gesetzgeber allgemein zur Wahrung der Interessen des (Rückgewähr-)Schuldners einer Leistung vorgesehenen Möglichkeiten - vor allem die Regelungen zum Verwendungs- und Aufwendungsersatz (§ 347 Abs. 2 BGB), zu den Folgen eines Annahmeverzugs des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB) mit den Erleichterungen beim Verschuldensmaß (§ 300 Abs. 1 BGB) und hinsichtlich des Umfangs der geschuldeten Nutzungsherausgabe (§ 302 BGB), dem Recht zur Besitzaufgabe (§ 303 BGB) sowie dem Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen für die Aufbewahrung und Erhaltung der Sache (§ 304 BGB, § 354 HGB), ferner die Regelungen zur Hinterlegung und Versteigerung beweglicher Sachen (§§ 372 ff., 383 ff. BGB) - für den Käufer als unzureichender Schutz, wird es regelmäßig als Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des Verkäufers anzusehen sein, wenn dieser die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene Kaufsache nicht zurücknimmt, obwohl ihm die besondere Belastung des Käufers und die daraus folgende erhebliche Gefährdung seiner Rechte, Rechtsgüter und Interessen erkennbar geworden ist. In einem solchen Fall wird mit der an die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht anknüpfenden Schadensersatzhaftung der Zustand hergestellt, der bei einem vollständigen Vollzug der Rückabwicklung des Kaufvertrags im Sinne des § 346 Abs. 1 BGB bestünde. Die Annahme der von dem Käufer im Rückgewährschuldverhältnis geschuldeten Leistung - die Rückgabe und Rückübereignung der Kaufsache in Natur - ist dem Verkäufer auch in einer solchen Fallkonstellation zumutbar. Zwar verlangen Rücksichtnahme- und Schutzpflichten grundsätzlich nicht, dass die verpflichtete Partei ihre eigenen Interessen unbeachtet lässt oder die Interessen der anderen Partei über ihre eigenen stellt. In dem hier in Rede stehenden Fall, in dem nur die Rückgewähr der Kaufsache iSd. § 346 Abs. 1 BGB eine Verletzung des Integritätsinteresses auf Seiten des Käufers abwenden kann, hat jedoch das Interesse des Verkäufers, gleichfalls von der mit dem Besitz oder dem Eigentum an der nunmehr lästig gewordenen Kaufsache einhergehenden besonderen Belastung verschont zu bleiben, nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf den Zweck des Rückgewährschuldverhältnisses (§ 242 BGB) zurückzustehen. Denn nach der den Vorschriften der § 437 Nr. 2, §§ 440, 323, 326 Abs. 5 BGB in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB zugrunde liegenden gesetzgeberischen Bewertung der beiderseitigen Interessen, die auch im Rahmen der Bestimmung dessen zu berücksichtigen ist, was einer Partei billigerweise an Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Partei zugemutet werden kann, ist die Kaufsache einschließlich der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Belastungen im Verhältnis der Kaufvertragsparteien zueinander mit der Umgestaltung des Kaufvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis wert- und wertungsmäßig endgültig wieder dem Verkäufer zugewiesen.
Hiervon ausgehend kommt es in Betracht, dass die Beklagte mit ihrer Weigerung, den von der Klägerin sukzessiv ausgebauten und auf der früheren Baustelle zum Zwecke der Rückgewähr gemäß § 346 Abs. 1 BGB bereitgestellten Recycling-Schotter - wie von der Klägerin ausdrücklich verlangt - abzuholen, ihre Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat. Bei den verkauften insgesamt rund 22.000 t handelte es sich um eine große Menge Recycling-Schotters, deren Anlieferung mehr als 800 Lkw-Fuhren erfordert hatte. Auch war der Beklagten bekannt, dass der wegen einer unzulässig hohen Arsenbelastung als mangelhaft beanstandete Recycling-Schotter nicht auf der früheren Baustelle würde verbleiben können, weil die Grundstückseigentümerin und die frühere Bauherrin als Kundin der Klägerin dessen vollständige Entfernung verlangt hatten. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Beklagte hinsichtlich einer Verletzung der Rücksichtnahmepflicht von der Verschuldensvermutung gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB entlastet hat, zumal sie im Zeitpunkt der Aufforderung zur Abholung bereits in einem Vorprozess rechtskräftig zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt war. Deshalb musste sie davon ausgehen, dass die Klägerin wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten und somit der erfolgte Leistungsaustausch auch im Übrigen - wie von der Klägerin ausdrücklich verlangt - rückabzuwickeln war. Insoweit hatte das Gericht des Vorprozesses - worauf die Klägerin in dem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 27. Februar 2019 ausdrücklich hingewiesen hat - ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten am Kaufpreis mit der Begründung verneint, dass die Klägerin mit dem Ausbau und dem Angebot einer Abholung des Recycling-Schotters durch die Beklagte ihrerseits alles zur Rückgewähr Erforderliche getan habe.
3. Kontext der Entscheidung
Das Gesetz kennt eine Rücknahmepflicht des Verkäufers für den Fall, dass dieser im Wege der Ersatzlieferung statt der mangelbehafteten Sache eine mangelfreie liefert. In diesem Fall hat der Verkäufer die ersetzte Sache auf seine Kosten zurückzunehmen, wie § 439 Abs. 6 Satz 2 BGB bestimmt. Durch die Einfügung des Satzes 2 durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. c des Gesetzes vom 25.6.2021 (BGBl. I 2133) mit Wirkung zum 1.1.2022 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Verkäufer im Fall der Ersatzlieferung nicht nur einen Anspruch auf Rückgewähr der ersetzten Sache hat, sondern auch zur Rücknahme auf seine Kosten verpflichtet ist (Pammler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 439 BGB (Stand: 01.02.2023), Rn. 255). Die umstrittene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Falle des Rücktritts des Käufers vom Kaufvertrag eine Pflicht des Verkäufers zur Rücknahme der Kaufsache besteht, entscheidet der VIII. Zivilsenat auch mit der besprochenen Entscheidung nach sorgfältiger Analyse der Gesetzgebungsmaterialien nicht generell, sondern stellt, was auch sachgemäß sein dürfte, auf die Umstände des Einzelfalls ab: „Die Weigerung des Verkäufers, nach dem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr in Natur gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, kann jedenfalls unter den besonderen Umständen des Einzelfalls als Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rückgewährschuldverhältnis anzusehen sein, die zu einem Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer nach § 280 Abs. 1 BGB führen kann.“ (BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 164/21 –, Rn. 39).
4. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass das im Vorprozess ergangene rechtskräftige Urteil (Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie zur Erstattung der Mehrkosten für die Beschaffung von Austauschmaterial) keine Bindungswirkung für diesen Rechtsstreit entfaltet (BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 164/21 –, Rn. 53). Insbesondere liegt kein Fall der sogenannten Präjudizialität vor, weil die im Vorprozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge in dem vorliegenden Rechtsstreit keine Vorfrage ist. Ist die in einem ersten Prozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge in einem zweiten – einen anderen Streitgegenstand betreffenden – Prozess nicht die Hauptfrage, sondern eine Vorfrage, besteht die Wirkung der Rechtskraft in der Bindung des nunmehr entscheidenden Gerichts an die Vorentscheidung. Das nachentscheidende Gericht ist somit nach dem Grundsatz der Präjudizialität an einer abweichenden Entscheidung der rechtskräftig entschiedenen (Vor-)Frage gehindert (BGH, Urt. v. 06.12.2022 - II ZR 187/21 - Rn. 19). In Rechtskraft erwächst die im Urteil ausgesprochene Rechtsfolge, d.h. nur der vom Gericht aus dem vorgetragenen Sachverhalt gezogene Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der beanspruchten Rechtsfolge, nicht aber die Feststellung der zugrunde liegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstigen Vorfragen, aus denen der Richter seinen Schluss gezogen hat (BGH, Versäumnisurteil vom 17. Februar 2023 – V ZR 212/21). Zur Klärung präjudizieller Rechtsverhältnisse steht den Parteien in der Regel der Weg der nicht an ein besonderes Feststellungsinteresse anknüpfenden Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) und im Übrigen die Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO offen (BGH, Urt. v. 14.03.2008 - V ZR 13/07 -, Rn. 19). In allen prozessualen Konstellationen, in denen es auf eine Vorfrage ankommt, die über den Streitstoff des konkreten Prozesses hinaus für etwaige Folgeprozesse von Bedeutung sein kann, muss der Rechtsanwalt seiner Partei anraten, das Bestehen (oder Nichtbestehen) des entsprechenden Rechtsverhältnisses durch eine Zwischenfeststellungs(wider)klage für Folgeprozesse feststellen zu lassen (näher dazu: Thode, BauR 2012, 1178).
BGH: Anforderungen an die Substantiierung
Ein Sachvortrag ist schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist dann Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme Einzelheiten zu klären, die für ihn im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich erscheinen.
BGH, Beschluss vom 23. November 2023 – V ZR 170/22
1. Problemstellung
Wieder einmal musste der BGH die Verletzung der grundgesetzlich geschützten Verletzung des rechtlichen Gehörs durch ein Instanzgericht feststellen, das überzogene Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klagepartei gestellt hatte.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, die ein Unternehmen für Gerüstbau betreibt, lagerte ab Mitte September 2017 Gerüstmaterial, das sich auf dem Betriebsgelände eines ehemaligen Betonteilwerks befand, zu einem Lagerplatz auf dem Gelände um. Die Beklagte, ein Abbruchunternehmen, stellte ihr dafür am 10. Oktober 2017 einen Tieflader zur Verfügung. Auf dem Betriebsgelände stand eine Halle, die von einer anderen Firma gemietet und von dieser ebenfalls zur Lagerung von Gerüstteilen genutzt wurde. Etwa ab Mitte Oktober 2017 wurde die Halle anlässlich einer Räumungsklage der Vermieterin gegen die Mieterin geräumt. Ebenfalls ab Oktober 2017 führte die Beklagte im Auftrag einer Entwicklungsgesellschaft auf dem Betriebsgelände Abbruch- und Räumungsarbeiten durch. Gestützt darauf, sie sei Eigentümerin bzw. Leasingnehmerin und Mieterin des von ihr zu dem Lagerplatz verbrachten Materials (Gerüstteile, Gerüstaufzüge) gewesen, das Material habe sich am 5. November 2017 noch dort befunden und sei zwischen dem 6. und 7. November 2017 auf Veranlassung der Beklagten verschrottet worden, verlangt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von insgesamt 240.665,16 € (Wiederbeschaffungswert, Mehrkosten und entgangener Gewinn).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Es fehle an ausreichendem Sachvortrag der Klägerin zu Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB iVm. §§ 303, 242, 246 StGB und §§ 858, 992 BGB. Der Klägerin sei es nicht möglich gewesen darzulegen, welche in ihrem Eigentum stehenden Gerüste und Gerüstteile sich zum Zeitpunkt der Verschrottung auf dem Gelände befunden hätten und welchen Wert das Material gehabt habe. Eine Eigentumsverletzung sei nach dem eigenen Sachvortrag der Klägerin nicht nachvollziehbar. Die bloße Behauptung, nicht näher bezeichnete Gerüstteile hätten in ihrem Eigentum gestanden, lasse weder die Annahme einer Eigentumsverletzung noch die Feststellung eines Schadens zu. Es könne nicht offenbleiben, welches Gerüstmaterial der Klägerin gehört habe und welches sie geleast bzw. gemietet habe. Der Klägerin als angeblicher Eigentümerin oder Besitzerin müsse es möglich sein, die vernichteten Gegenstände konkret zu bezeichnen. Der behauptete Besitz an dem Gerüstmaterial sei weder unter Beweis gestellt noch rechtfertige dessen Verletzung einen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswerts und des entgangenen Gewinns. Es sei bereits nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, welche konkrete Nutzung der Klägerin habe ermöglicht werden sollen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Klägerin rügt mit Erfolg, dass die Annahme des Landgerichts, sie habe nicht dargelegt und bewiesen, dass sich das in der Klageschrift aufgeführte Gerüstmaterial am 6./7. November 2017 tatsächlich noch auf dem Betriebsgelände befunden und die Klägerin den Besitz daran ausgeübt habe, auf einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung rechtsfehlerhaft bestätigt, obwohl die Klägerin in der Berufungsbegründung auf ihre erstinstanzlichen Beweisangebote hingewiesen und die unterbliebene Vernehmung der angebotenen Zeugen gerügt hat (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Klägerin hat bereits in erster Instanz vorgetragen, welche Gerüstteile sie infolge der Verschrottung vermisst. Zum Beweis dafür, dass sich die von ihr genannten Gegenstände bis zur Räumung des Lagerplatzes durch die Beklagte dort befunden hätten, hat sie die Vernehmung des Zeugen L. beantragt. Sie hat ferner Lichtbilder vorgelegt und vorgetragen, der Zeuge F., der im Auftrag des Beklagten die Gerüstteile in den Container verladen habe, habe diese Lichtbilder während der Verladung mit seiner Telefonkamera gefertigt. Die Klägerin hat zudem wiederholt geltend gemacht, sie sei zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung jedenfalls Besitzerin des in der Klageschrift genannten Materials gewesen. Dafür hat sie die Vernehmung dreier Zeugen angeboten und ergänzend dargelegt, der Zeuge L. habe die mit der Klageschrift vorgelegte Inventarliste erstellt und könne deren Richtigkeit bezeugen. Nach ihrem konkretisierten Sachvortrag hat nur sie und kein anderes Gerüstbauunternehmen Zugriff auf den Lagerbestand gehabt.
Das Landgericht - und mit ihm das Berufungsgericht - durfte von der Beweiserhebung nicht mit der Begründung absehen, es bestünden Zweifel an dem Sachvortrag der Klägerin, weil deren Vorbringen zu den Eigentumsverhältnissen an dem Gerüstmaterial und zu der Inventarliste widersprüchlich sei. Das folgt schon daraus, dass auch der Besitz, wie das Berufungsgericht selbst erkennt, ein Schutzgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist. Zudem beseitigt die aufgezeigte Widersprüchlichkeit die Schlüssigkeit des Vortrags der Klägerin zum Vorhandensein des Gerüstmaterials auf dem Lagerplatz bis unmittelbar vor der Verschrottung am 6. und 7. November 2017 nicht. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe - wie zuvor das Landgericht - den Vortrag der Klägerin zu den Eigentumsverhältnissen an dem Lagerbestand rechtsfehlerhaft als nicht hinreichend substantiiert bewertet, dringt die Beschwerde durch. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags der Klägerin zu dem Eigentum an den von der Beklagten der Verschrottung zugeführten Gegenständen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn sie offenkundig unrichtig ist. So liegt es hier. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klageforderung sei unschlüssig, da die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt habe, welche in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände von der Beklagten der Verschrottung zugeführt worden sein sollen, ist offenkundig unrichtig. Ein Sachvortrag ist schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist dann Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme Einzelheiten zu klären, die für ihn im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich erscheinen. Für den Umfang der Darlegungslast ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung ohne Bedeutung. Die Grenze zulässigen Vortrags ist erst erreicht, wenn das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte den Vorwurf begründet, eine Behauptung sei „ins Blaue hinein“ aufgestellt, mithin aus der Luft gegriffen, und stelle sich deshalb als Rechtsmissbrauch dar. Daran gemessen ist der in der ersten Instanz gehaltene und in der Berufungsinstanz wiederholte Vortrag der Klägerin zu einer Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB schlüssig und hinreichend substantiiert. Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen und unter Beweis gestellt, Eigentümerin der auf den Lagerplatz verbrachten Gegenstände gewesen zu sein. Sie hat zwar eingeräumt, dass sich auf dem Lagerplatz auch von ihr gemietetes und geleastes Gerüstmaterial befunden hat. Sie hat aber mit der Berufungsbegründung vorgetragen, Eigentümerin jedenfalls des ganz überwiegenden Lagerbestandes gewesen zu sein, insbesondere eines in den Jahren 2016 und 2017 angeschafften Baustellengerüsts, das sich noch am 6./7. November 2017 auf dem Lagerplatz befunden habe. Zum Beweis dafür hat sie Rechnungsbelege vorgelegt und die Vernehmung eines Zeugen beantragt. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. Der Sachvortrag der Klägerin ist plausibel und lässt die Feststellung einer Eigentumsverletzung iSd. § 823 Abs. 1 BGB zu. Inwieweit die auf den Lagerplatz verbrachten Gegenstände im Eigentum der Klägerin standen, ist im Rahmen der Beweisaufnahme zu klären. Das gilt auch für die Frage, ob die Klägerin die von ihr erworbenen Gerüste und Gerüstteile nach der Verwendung auf den Baustellen überhaupt noch identifizieren konnte, oder ob Vermischung bzw. Vermengung mit dem geleasten bzw. gemieteten Gerüstmaterial eingetreten war, so dass die Klägerin nur noch Miteigentümerin war (§§ 948, 947 BGB). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die im Wege der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse als Grundlage für eine Schadensschätzung ausreichen (§ 287 ZPO).
Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Zeugen und gegebenenfalls ergänzender Parteianhörung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
3. Kontext der Entscheidung
Im Interesse der Wahrung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG darf das Gericht keine überspannten Anforderungen an die Darlegung stellen. Vermag sich eine Partei an ein Geschehen nicht zu erinnern, kann sie dazu gleichwohl eine ihr günstige Behauptung unter Zeugenbeweis stellen, wenn sie hinreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass der Zeuge das notwendige Wissen hat. Ob und inwieweit der Zeuge in der Lage ist, sich zu erinnern, ist erst durch die Vernehmung des Zeugen und die daran anschließende Würdigung seiner Aussage zu klären. Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung der Partei ist ohne Bedeutung. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, muss das Gericht in die Beweisaufnahme eintreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen unterbreiten (BGH, Beschluss vom 14. März 2017 – VI ZR 225/16). Ein Beweisantritt für erhebliche, nicht willkürlich ins Blaue hinein aufgestellte Tatsachen darf nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann, oder wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2005 – XII ZR 275/02). Der Beweisführer ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält; ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10). Durch ein Bestreiten des Beklagten mit Nichtwissen erhöhen sich die Substantiierungsanforderungen für den Kläger nicht; es führt allein dazu, dass die mit Nichtwissen bestrittene Behauptung beweisbedürftig wird (BGH, Beschl. v. 25. September 2018 – VI ZR 234/17).
4. Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis wichtig ist der Hinweis, den der BGH für den Fall erteilt, dass die Klägerin ihr Eigentum nicht oder nur zum Teil beweisen kann. Dann ist nämlich der durch den Besitzverlust eingetretene Schaden zu prüfen und der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihren Besitzschaden zu berechnen. Soll der berechtigte Besitz dazu dienen, eine bestimmte Nutzung der Sache zu ermöglichen, stellt es eine Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB dar, wenn der Besitzer an eben dieser Nutzung durch einen rechtswidrigen Eingriff in relevanter Weise gehindert wird. Das ist bei einer Vernichtung von Gerüstmaterial, das eine Gerüstbaufirma gemietet oder geleast hat, ohne weiteres naheliegend. Der bestimmungsgemäße Gebrauch von Gerüstteilen besteht im Einsatz auf Baustellen. Zu ersetzen ist der Nachteil, der durch den Ausfall der Sache infolge der Beschädigung der Miet-, Pacht- oder Leasingsache entstanden ist wie z.B. Mietkosten und entgangener Gewinn (BGH, Beschluss vom 23. November 2023 – V ZR 170/22 –, Rn. 16).
BGH: Gehörsrechtsverletzung bei übermitteltem, jedoch nicht zur Gerichtsakte gelangtem Schriftsatz
Ein Gericht verstößt gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an; das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich.
BGH, Beschluss vom 8. November 2023 - VIII ZB 59/23
1. Problemstellung
Der VIII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob eine verfahrensordnungswidrige Gehörsverletzung vorliegt, wenn eine rechtzeitig bei Gericht eingegangene Berufungsbegründungsschrift unberücksichtigt bleibt, weil sie nicht zur Verfahrensakte gelangt ist.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte hat gegen das am 16. März 2023 zugestellte Urteil des Amtsgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufung wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, eine Berufungsbegründung liege auch nach dem Verstreichen der (bis zum 19. Juni 2023 verlängerten) Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht nicht vor.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat gehörswidrig die von dem Beklagten innerhalb der (verlängerten) Berufungsbegründungsfrist eingereichte Berufungsbegründungsschrift nicht zur Kenntnis genommen. Ein Gericht verstößt gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an; das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich. Deshalb ändert es an der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nichts, wenn den erkennenden Richtern der Schriftsatz im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob der Schriftsatz den Richtern nach Eingang bei Gericht nur nicht vorgelegt wurde oder erst gar nicht zur Verfahrensakte gelangt ist.
Gemessen hieran hätte das Berufungsgericht das Vorbringen des Beklagten in dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 16. Juni 2023 berücksichtigen müssen. Denn dieser ist am 19. Juni 2023 und damit innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Für den rechtzeitigen Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, dass diese vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt. Ausgehend hiervon hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist gewahrt. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Juni 2023 (wirksam) verlängert worden. Die von dem Beklagtenvertreter per beA übersandte Berufungsbegründungsschrift ist ausweislich des in den Gerichtsakten befindlichen Prüfvermerks an diesem Tag ("Eingangszeitpunkt: 19.06.2023, 16:27:17") und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen. Dass das elektronische Dokument - offenbar infolge eines gerichtsinternen Versehens - erst am 19. Juli 2023 zur Gerichtsakte gelangt ist, ist dagegen für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht von Bedeutung und steht aus den vorgenannten Gründen auch der Annahme eines Gehörsverstoßes nicht entgegen.
3. Kontext der Entscheidung
Ein Berufungsgericht kann nur dann gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, verstoßen, wenn es einen ordnungsgemäß bei dem Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG kann damit nur dann in Betracht kommen, wenn der Schriftsatz tatsächlich bei Gericht eingegangen ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2022 – V ZB 66/21 –, Rn. 8 - 9). Eine Gehörsrechtsverletzung ist auch dann gegeben, wenn ein fristgerecht eingereichter Schriftsatz lediglich versehentlich unberücksichtigt bleibt (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 – I ZR 214/19 –, Rn. 8). Der in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzten Partei verbleibt nur das zulässige Rechtsmittel, sofern die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht. Der einfachere und kostengünstigere Weg der Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist nicht eröffnet, da diese subsidiären Charakter hat (G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 321a Rn. 2 mwN.). Voraussetzung für die Gehörsrüge ist nach § 312a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist.
4. Auswirkungen für die Praxis
Gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ob das elektronische Dokument von der vorgenannten Einrichtung aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet wird oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist demgegenüber unerheblich. Hierbei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments nicht von Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 30. November 2022 – IV ZB 10/22 –, Rn. 9). Dementsprechend steht es der Wirksamkeit und Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht entgegen, wenn der für die Abholung von Nachrichten eingesetzte Rechner im internen Netzwerk das Dokument nicht von dem Intermediär-Server des Gerichts herunterladen kann, sondern lediglich eine Fehlermeldung erhält (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 25/20 –, Rn. 8).
BGH: Bauträgervergütungsanspruch verjährt erst in 10 Jahren!
Verpflichtet sich der Veräußerer eines Grundstücksanteils in einem Bauträgervertrag zur Errichtung einer Eigentumswohnung, verjährt sein einheitlich für Grundstücksanteil und Eigentumswohnung vereinbarter Vergütungsanspruch gemäß § 196 BGB in zehn Jahren.
BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – VII ZR 231/22
1. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat des BGH hatte zu entscheiden, ob der Vergütungsanspruchs des Bauträgers in der Regelverjährungsfrist des § 195 BGB verjährt oder der speziellen Verjährungsfrist bei Rechten an einem Grundstück von 10 Jahren (§ 196 BGB) unterliegt.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Mit notariellem Bauträgervertrag vom 26. Februar 2013 veräußerte die Klägerin an die Beklagten zwei Miteigentumsanteile an einer von der Klägerin auf klägerischem Grundbesitz zu errichtenden Anlage, verbunden mit dem Sondereigentum an einer näher bezeichneten Wohnung und dem Sondereigentum an einem näher bezeichneten PKW-Abstellplatz im Untergeschoss, zum Preis von insgesamt 448.900 €. Der Vertrag enthält einen Ratenplan, nach dem der Kaufpreis in sieben vom Baufortschritt abhängigen Raten zu zahlen ist. Die Schlussrate von 3,5 % des vereinbarten Preises (= 15.711,50 €) ist vertragsgemäß nach vollständiger Fertigstellung zu zahlen. Am 20. Juni 2014 führte die Klägerin unter Beteiligung der Beklagten eine Begehung der Wohnung durch. Dabei wurde ein von den Anwesenden unterzeichnetes Abnahmeprotokoll erstellt, in dem 27 Beanstandungen aufgeführt wurden. In diesem Protokoll heißt es unter anderem: "Die Übergabe/Abnahme erfolgt gemäß des Kaufvertrags vom 26.02.2013; UR Nr.." Am 6. November 2014 erklärten die Beklagten die Abnahme des Gemeinschaftseigentums - rückwirkend zum 23. Juni 2014 - ohne Außenanlagen und Tiefgarage und - rückwirkend zum 11. Juli 2014 - die Abnahme hinsichtlich Außenanlagen und Tiefgarage. Mit Bautenstandsmeldung vom 21. November 2014 erklärte die Klägerin, das Objekt vollständig fertiggestellt zu haben. Mit Schreiben vom 24. November 2014 teilte die Klägerin den Beklagten mit, dass der Bautenstand "vollständige Fertigstellung" erreicht sei, und forderte diese zur Zahlung der letzten noch offenen Rate in Höhe von 15.711,50 € auf. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 wiesen die Beklagten die Rechnung wegen Baumängeln zurück.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten mit bei Gericht am 28. Dezember 2017 eingegangenem Antrag den Erlass eines Mahnbescheids begehrt. Gegen den den Beklagten am 3. Januar 2018 zugestellten Mahnbescheid vom 29. Dezember 2017 haben diese am 11. Januar 2018 Widerspruch erhoben, worüber die Klägerin am 15. Januar 2018 informiert worden ist. Die Beklagten haben zunächst auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2018 verzichtet. Nach Eingang des Kostenvorschusses am 28. Dezember 2018 ist der Rechtsstreit am 2. Januar 2019 an das Landgericht abgegeben worden. Die Anspruchsbegründung der Klägerin vom 24. September 2020 ist den Beklagten am 5. Februar 2021 zugestellt worden. Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben. Daneben berufen sie sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen der von ihnen gerügten Mängel, deren Beseitigungsaufwand sie unter Berücksichtigung eines anzusetzenden Druckzuschlags auf 33.545,51 € beziffern. Die Klägerin hat eine Minderung ihrer Vergütung wegen Mängeln in Höhe von 200 € anerkannt und diesen Betrag von der Schlussrate in Abzug gebracht. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass die erhobenen Mängelrügen kein Zurückbehaltungsrecht, jedenfalls nicht in Höhe der Klageforderung, rechtfertigten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Die Restvergütungsforderung der Klägerin sei verjährt. Sie unterliege der regelmäßigen Verjährungsfrist, die gemäß § 195 BGB drei Jahre betrage. Auch wenn die streitgegenständliche Forderung Teil des Entgelts dafür sei, dass die Klägerin den Beklagten Eigentum an einem Grundstück zu übertragen habe, und die errichtete Wohnung "lediglich" wesentlicher Bestandteil des Miteigentumsanteils sei, richte sich die Verjährung nicht nach § 196 BGB. Die Forderung sei nicht nur die Gegenleistung für die Übertragung des Miteigentumsanteils, sondern auch für die Erbringung von Bauleistungen. Deshalb sei die Vergütungsforderung nicht aufteilbar in eine für die Eigentumsübertragung sowie eine für die Bauleistung, weshalb die Verjährung einheitlich nach der Leistung zu beurteilen sei, die bei weitem überwiege und das Vertragsverhältnis charakterisiere. Der Charakter des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags über den Kauf der noch zu errichtenden Eigentumswohnung werde durch den Bau der Wohnung geprägt. Die Vergütung der Klägerin sei zumindest teilweise im Werkvertragsrecht geregelt, § 631 BGB. Die Klägerin habe den Miteigentumsanteil mit der fertig errichteten Wohnung zu übertragen gehabt.
Die Revision der Klägerin hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der restlichen Vergütung aus dem Bauträgervertrag unterliegt der zehnjährigen Verjährungsfrist gemäß § 196 BGB und ist noch nicht verjährt. Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die vereinbarte Bauträgervergütung nicht aufteilbar ist in einen Kaufpreis für die Grundstücksanteile einerseits und eine Vergütung für die Bauleistungen andererseits. Bei einem Bauträgervertrag handelt es sich um einen einheitlichen Vertrag, der neben werkvertraglichen auch (soweit der Grundstückserwerb in Rede steht) kaufvertragliche Elemente enthält. Grundsätzlich ist bei Bauträgerverträgen hinsichtlich der Errichtung des Bauwerks Werkvertragsrecht, hinsichtlich der Übertragung des Eigentums an dem Grundstück hingegen Kaufrecht anzuwenden( siehe nunmehr auch § 650u Abs. 1 BGB in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden, im Streitfall zeitlich noch nicht anwendbaren Fassung). Eine Aufteilung der Bauträgervergütung in einen Kaufpreis für das Grundstück einerseits und eine Vergütung für die Bauleistungen andererseits kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Parteien eine derartige Aufteilung vereinbaren. Eine derartige vertragliche Aufteilung haben die Parteien nicht vorgenommen, weshalb der Anspruch der Klägerin eine einheitliche Vergütung mit der Folge zum Gegenstand hat, dass der Vergütungsanspruch nur einheitlich verjähren kann.
Für den einheitlichen Vergütungsanspruch des Bauträgers gilt jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die dreijährige Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB, sondern die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 196 BGB. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, nach welchen Vorschriften sich die Verjährung dieses Anspruchs richtet. Nach einer Auffassung unterliegt er der dreijährigen Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB (Nachweise in Rn. 24). Nach anderer, überwiegend vertretener Auffassung (Nachweise in Rn. 25) gilt für den Anspruch insgesamt die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 196 BGB. Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. § 196 BGB ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift geregelte Verjährungsfrist für den einheitlichen Vergütungsanspruch des Bauträgers aus einem Bauträgervertrag gilt. Nach § 196 BGB verjähren Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung in zehn Jahren. § 196 BGB verdrängt insoweit als speziellere gesetzliche Regelung die Vorschrift des § 195 BGB. Die Vorschrift des § 195 BGB stellt innerhalb des Verjährungsrechts die Grundnorm dar. Sie ist jedoch nur anwendbar, wenn sie nicht durch eine speziellere Regelung verdrängt wird. § 196 BGB stellt eine solche speziellere Verjährungsregelung dar. Diese spezielle Verjährungsregelung ist auch auf den Vergütungsanspruch des Bauträgers anwendbar. Allein aus dem Wortlaut des § 196 BGB kann allerdings nicht eindeutig geschlossen werden, dass der Vergütungsanspruch des Bauträgers nach dieser Vorschrift verjährt. Denn die dem Bauträger zustehende Vergütung stellt sowohl die Gegenleistung für die von ihm geschuldete Übertragung des Eigentums und damit eine Gegenleistung im Sinne des § 196 BGB als auch die Gegenleistung für die von ihm geschuldete Errichtung des Bauwerks dar. Die Verpflichtung zur Errichtung eines Bauwerks und die Gegenleistung hierfür werden indes vom Wortlaut des § 196 BGB nicht erfasst. Gleichwohl ist es aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, § 196 BGB als speziellere Regelung auf den Vergütungsanspruch des Bauträgers anzuwenden. Da es sich bei dem Vergütungsanspruch des Bauträgers um einen einheitlichen Anspruch handelt, der folglich einer einheitlichen Verjährung unterliegt, kann sich die Verjährung dieses Anspruchs nur entweder nach § 196 BGB oder nach § 195 BGB richten. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 196 BGB (BT-Drucks. 14/7052 S. 179) ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Einbeziehung der Ansprüche auf die Gegenleistung in § 196 BGB über die dieser Vorschrift bereits unterfallenden Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück hinaus ein in der Sache nicht gerechtfertigtes Ergebnis vermeiden wollte, das bestehen könnte, wenn derartige Verträge bei Geltung der Regelverjährungsfrist für die Ansprüche auf die Gegenleistung nicht beendet werden könnten. Diese Erwägung greift ebenfalls bei Bauträgerverträgen. Da der einheitliche Vergütungsanspruch des Bauträgers jedenfalls auch eine Gegenleistung für die von ihm - neben der Bauwerkserrichtung - geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück und damit eine Gegenleistung im Sinne des § 196 BGB darstellt, ist es gerechtfertigt, insoweit einheitlich die speziellere Verjährungsregelung des § 196 BGB anzuwenden. Gegen diese Beurteilung kann nicht eingewendet werden, dass es sich bei dem Vergütungsanspruch um einen Anspruch aus einem Mischvertrag handelt, bei dem die vom Bauträger geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück gegenüber der Bauwerkserrichtung von derart untergeordneter Bedeutung für das Vertragsverhältnis ist, dass § 196 BGB auf den Vergütungsanspruch nicht angewendet werden könnte. Vielmehr ist die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück bei einem Bauträgervertrag von wesentlichem Interesse für den Erwerber. Der Anspruch des Erwerbers ist auf Übertragung des Grundstücks mit dem zu errichtenden Bauwerk gerichtet. Das Bauwerk wird mit seiner Errichtung wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Eigentum an dem Grundstück erstreckt sich daher auch auf das Eigentum an dem Bauwerk (§ 946 BGB). Die mit der einheitlichen Vergütung abgegoltenen Leistungen - auch die Leistungen betreffend die Bauwerkserrichtung - haben danach für den Erwerber keinen nachhaltigen Wert, wenn er nicht Eigentümer des Grundstücks wird. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist der Anspruch der Klägerin nicht verjährt.
3. Kontext der Entscheidung
Der VII. Zivilsenat hatte 1978 schon einmal darüber zu befinden, in welcher Frist der Vergütungsanspruch des Veräußerer eines Grundstücksanteils aus einem Vertrag zur Herstellung einer Eigentumswohnung verjährt. Nach dem damals geltenden Recht verjährten Forderungen von Kaufleuten für die Ausführung von Arbeiten und die Besorgung fremder Geschäfte in zwei Jahren (§ 196 Absatz 1 Nr. 1 BGB a.F.). Dagegen galt für den Anspruch auf Zahlung des Grundstückskaufpreises die 30jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Der Senat hat seinerzeit entschieden, dass der einheitlich für Grundstücksanteil und Eigentumswohnung vereinbarte Vergütungsanspruch gemäß § 196 Absatz 1 Nr. 1 BGB in zwei Jahren verjährt (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1978 – VII ZR 288/77). Begründet hat der Senat das damit, dass die Verjährung für aus verschiedenen Leistungselementen bestehende Mischverträge nach den Leistungen zu beurteilen sei, die „bei weitem überwiegen und dem Vertragsverhältnis seine charakteristische Note geben“. Das sei der Bau der Wohnung. Stünden schon bei einem Einfamilienhaus die Bauarbeiten regelmäßig gegenüber der Grundstücksverschaffung wirtschaftlich im Vordergrund, so gelte das in weitaus größerem Maße für eine Eigentumswohnung. Auf eine Vereinbarung, wonach der Veräußerer auf seinem Grundstück ein Gebäude errichten und das bebaute Grundstück dem Erwerber sodann übereignen soll, sei zum Teil Kaufrecht, zum Teil Werkvertragsrecht anzuwenden. Der Vergütungsanspruch richte sich nach §§ 631, 632 BGB. Das Gesetz behandele ihn wie eine gewöhnliche Werklohnforderung sehe die Vergütung vorwiegend als Gegenleistung für die Herstellung des Werks an (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1978 – VII ZR 288/77 – , Rn. 17 - 19). Daraus folge, dass der Anspruch des Unternehmers wie ein Werklohnanspruch verjähre (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1978 – VII ZR 288/77 –, Rn. 20). Diese Rechtsprechung hat der Senat sodann fortgeführt. So hat er 1987 entschieden, dass der Anspruch eines Bauträgers auf Erstattung von Erschließungskosten nach § 196 Absatz 1 Nr. 1 BGB verjährt, gleichviel ob solche Kosten im Erwerbsvertrag gesondert ausgewiesen oder in einem einheitlich vereinbarten Entgelt enthalten sind (BGH, Urteil vom 5. November 1987 – VII ZR 364/86). Es existierte somit vor der Schuldrechtsreform eine gefestigte Rechtsprechung zur Verjährung des Vergütungsanspruchs aus einem Bauträgervertrag. Mit der Schuldrechtsreform ist das Verjährungsrecht einschneidend geändert worden. Der frühere § 195 BGB a.F. bestimmte eine Verjährungsfrist von 30 Jahren als regelmäßige Verjährungsfrist. Die in zahlreichen gesetzlichen Vorschriften vorgesehenen kürzeren Verjährungsfristen ließen diese lange Verjährungsfrist indes zur Ausnahme werden (Schmidt-Räntsch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, Vorbemerkung vor § 194 Rn. 3 mwN). Nach der Schuldrechtsreform beträgt die regelmäßige drei Jahre (§ 195 BGB). Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung unterliegen jedoch einer längeren Verjährungsfrist und verjähren in zehn Jahren (§ 196 BGB). Der Gesetzgeber hielt eine spezielle und längere Verjährungsfrist für notwendig, weil bei Verträgen über Grundstücke bzw. über Rechte an Grundstücken die Durchsetzbarkeit der Ansprüche oft von äußeren Faktoren abhängt, wie z.B. der Arbeitsgeschwindigkeit des Grundbuchamts, der Dauer für eine erforderliche Vermessung und Eintragung in das Kataster oder der Notwendigkeit der Einholung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Finanzamt, wenn die Höhe der Grunderwerbssteuer umstritten ist (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 196 BGB (Stand: 15.05.2023), Rn. 1). Ursprünglich sollte die Vorschrift Ansprüche auf die Gegenleistung nicht erfassen, so dass der Zahlungsanspruch gemäß §§ 195, 199 BGB vor dem synallagmatischen Übereignungsanspruch verjähren würde. Zwar gewährte § 320 iVm. § 215 BGB dem Grundstücksverkäufer auch nach Verjährung seines Zahlungsanspruchs die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 196 Rn. 3). Trotzdem sind die „Ansprüche auf die Gegenleistung“ auf Initiative des Rechtsausschusses in die Vorschrift aufgenommen worden (Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/7052, 179). Durch die Schuldrechtsmodernisierung hat sich somit die Rechtslage grundlegend geändert, so dass der VII. Zivilsenat zu Recht feststellt, dass das vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ergangene Urteil des Senats vom 12. Oktober 1978 der aktuellen Entscheidung schon deshalb nicht entgegensteht, weil es auf einer anderen Rechtslage beruht (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – VII ZR 231/22 –, Rn. 34). Hinzugefügt hat der Senat allerdings: „Soweit diese Entscheidung dahin verstanden werden könnte, der Bauträgervertrag werde durch die Bauwerkserrichtungsleistungen derart geprägt, dass sich die Verjährung des Vergütungsanspruchs einheitlich nach den für werkvertragliche Vergütungsansprüche geltenden Vorschriften richtet, hält der Senat hieran nicht fest.“ Die Begründung dafür findet sich in Rn. 33, wo es heißt: „Gegen diese Beurteilung kann nicht eingewendet werden, dass es sich bei dem Vergütungsanspruch um einen Anspruch aus einem Mischvertrag handelt, bei dem die vom Bauträger geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück gegenüber der Bauwerkserrichtung von derart untergeordneter Bedeutung für das Vertragsverhältnis ist, dass § 196 BGB auf den Vergütungsanspruch nicht angewendet werden könnte. Vielmehr ist die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück bei einem Bauträgervertrag von wesentlichem Interesse für den Erwerber.“ (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – VII ZR 231/22 –, Rn. 33). Dazu verweist der Senat auf §§ 94 Abs. 1 Satz 1 und 946 BGB. Das klingt überzeugend. Genauso überzeugend hatte derselbe Senat jedoch 1978 ausgeführt: „Deshalb hat der Senat für aus verschiedenen Leistungselementen bestehende Mischverträge ausgesprochen, die Verjährung sei nach den Leistungen zu beurteilen, die bei weitem überwiegen und dem Vertragsverhältnis seine charakteristische Note geben. Das ist hier der Bau der Wohnung. Stehen schon bei einem Einfamilienhaus die Bauarbeiten regelmäßig gegenüber der Grundstücksverschaffung wirtschaftlich im Vordergrund, so gilt das in weitaus größerem Maße für eine Eigentumswohnung. (…) Auf diesen Vertrag ist zum Teil Kaufrecht, zum Teil Werkvertragsrecht anzuwenden. Der Vergütungsanspruch richtet sich nach §§ 631, 632 BGB. Das Gesetz behandelt ihn wie eine gewöhnliche Werklohnforderung. Es sieht die Vergütung vorwiegend als Gegenleistung für die Herstellung des Werks an.“ (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1978 – VII ZR 288/77 –,Rn. 17 - 19). An der Grundproblematik hat sich somit – trotz der völligen Neugestaltung des Verjährungsrechts – durch die Schuldrechtsreform nichts geändert. Eine tragfähige Begründung, warum der Bauträgervertrag nicht durch die Bauwerkserrichtungsleistungen derart geprägt wird, dass sich die Verjährung des Vergütungsanspruchs einheitlich nach den für werkvertragliche Vergütungsansprüche geltenden Vorschriften richtet, wie derselbe Senat zuvor gemeint hatte, lässt die besprochene Entscheidung vermissen.
4. Auswirkungen für die Praxis
Die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, wie § 199 Absatz 1 BGB bestimmt. Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist ist somit subjektiv bestimmt. Die Vorschrift gibt der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB ihr eigentliches Wertungsgepräge (Schmidt-Räntsch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 199 Rn. 1). Dagegen beginnt nach § 200 Satz 1 BGB die zehnjährige Verjährungsfrist des § 196 BGB mit der Entstehung des Anspruchs, ohne dass es auf die Kenntnis des Gläubigers ankommt. Unter Entstehung ist der Zeitpunkt zu verstehen, in welchem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. In der Regel ist damit, sofern keine besonderen Absprachen getroffen sind, der Zeitpunkt der Fälligkeit (§ 271 BGB) maßgebend (BGH, Urteil vom 23. Juni 2023 - V ZR 89/22 - Rn. 10 mwN.).
BGH: Zur Auslegung des Klageantrags
Der Klageantrag auf Herausgabe einer verkörperten Information ist als Prozesserklärung im Wege der Auslegung nicht auf die Herausgabe der Information als solche zu verstehen, sondern auf Herausgabe der Verkörperung, in der sie enthalten ist.
BGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – IX ZR 238/22
Problemstellung
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klage die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Wie diese Anforderungen bei einem Klageantrag auf Herausgabe einer verkörperten Information zu erfüllen sind, hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das LG Düsseldorf hat die Klägerinnen mit vorläufig vollstreckbarem Urteil, der Beklagten wegen einer Patentrechtsverletzung u.a. Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen. Gegenstand der Auskunft und Rechnungslegung waren Informationen zur Herstellung und zum Vertrieb eines Arzneimittels. Nachdem die Beklagte die Zwangsvollstreckung betrieb, erteilten die Klägerinnen mit vier Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten nebst jeweiligen Anlagen (fortan: Auskunftsschreiben) Auskunft und legten Rechnung. Auf die Berufung der Klägerinnen wies das OLG Düsseldorf das Urteil des LG Düsseldorf die Klage der Beklagten ab. Die Klägerinnen machen nunmehr im Hinblick auf die von ihnen erteilten Auskünfte und Rechnungslegung Herausgabe-, Löschungs- und Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte geltend. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Die Hauptanträge seien unzulässig. Der Herausgabeantrag sei nicht hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil bereits nicht klar sei, was unter einer verkörperten Information zu verstehen sei. Eine Information als solche könne nicht herausgegeben werden, sondern nur ihre Verkörperung. Dahin könne der Antrag aber nicht ausgelegt werden. Unabhängig davon reiche es nicht aus, im Klageantrag lediglich pauschal auf die Auskunftsschreiben Bezug zu nehmen, ohne die in den Dokumenten enthaltenen zahlreichen und unterschiedlichen Informationen konkret zu bezeichnen. Denn ansonsten lasse sich nicht bestimmen, wann eine Information im Falle ihrer Verarbeitung in einem bestimmten Dokument enthalten sei. Unterstellt, die Information sei als vom Antrag umfasst identifizierbar, lasse dieser den Umfang der Herausgabepflicht unklar. Denn er beziehe sich nicht auf die Herausgabe des kompletten Dokuments, das die Information enthalte, sondern nur auf die betreffende Information. Dann sei aber unklar, wie eine isolierte Information herausgegeben werden könne, wenn ein Dokument neben ihr weitere, nicht vom Antrag umfasste Informationen enthalte. Zudem seien die Informationen im Falle einer Herausgabevollstreckung für den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan nicht identifizierbar. Unsicherheiten seien im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes nicht hinzunehmen, denn den Klägerinnen sei eine konkrete Beschreibung der Informationen und der Verkörperungen, welche die Informationen enthalten, ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen. Der Antrag auf Löschung sei ebenso nicht hinreichend bestimmt, weil sich auch die nicht-physisch verkörperten, elektronischen Informationen wegen der pauschalen Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben im Klageantrag nicht identifizieren ließen und zudem unklar sei, ob nur die (unterstellt identifizierte) Information oder das gesamte elektronische Dokument oder die gesamte Datei zu löschen sei. Der Bestimmtheitsmangel schlage auch auf den Unterlassungsantrag durch.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beurteilung, die gestellten Hauptanträge der Klägerinnen seien unzulässig, beruht auf Rechtsfehlern. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht den Herausgabeantrag, den die Klägerinnen auf § 717 Abs. 2 ZPO, § 249 BGB und § 812 Abs. 1 BGB stützen, als unbestimmt angesehen. Falsch ist bereits das Verständnis des Berufungsgerichts, der Herausgabeantrag sei auf die Herausgabe von Informationen als solche, nicht aber der Verkörperungen gerichtet, die sie enthalten. Klageanträge sind Prozesserklärungen. Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Danach ergibt die Auslegung, dass der Herausgabeantrag auf alle physischen Verkörperungen gerichtet ist, die Informationen aus den übersandten Auskunftsschreiben enthalten. Dies entspricht der wohlverstandenen Interessenlage der Klägerinnen, welche die Klage auf materielle Ansprüche nach § 717 Abs. 2 ZPO, § 249 BGB und § 812 Abs. 1 BGB stützen. Nach ihrem Willen soll die Beklagte genau das herausgeben, was sie aufgrund der Vollstreckung aus dem Titel zur Auskunfts- und Rechnungslegung erhalten hat. Objekt des Herausgabebegehrens sind damit zunächst alle Originaldokumente, welche die Beklagte erhalten hat. Umfasst sind aber auch alle davon abgeleiteten Verkörperungen, in welche die Informationen nach Vervielfältigung oder Verarbeitung ganz oder teilweise oder mit anderen Inhalten vermischt Eingang gefunden haben. Die Klägerinnen können die abgeleiteten Dokumente nicht näher bezeichnen. Ihnen ist unbekannt, ob und in welcher Form solche existieren. Diesem Umstand trägt der Herausgabeantrag Rechnung, indem er zur Identifizierung auf die enthaltenen Informationen abstellt und nicht auf die Verkörperungen. In diesem Kontext stehen auch die von dem Berufungsgericht zitierten Ausführungen der Klägerinnen in der Berufungserwiderungs- und Anschlussberufungsschrift, es ginge nicht um die Rückholung bestimmter Verkörperungen, Objekt der Rückabwicklung seien die Informationen. Der Wortlaut des Klageantrags steht diesem Verständnis nicht entgegen. Denn eine Information kann vernünftigerweise nicht gewolltes Objekt des Herausgabeverlangens sein, weil sie als solche nicht herausgegeben werden kann. Dass die Klägerinnen auf die Informationen abstellen, dient hinsichtlich des nach § 883 ZPO vollstreckbaren Herausgabegehrens der Identifikation der herauszugebenden Objekte. Bei interessengerechter Auslegung bleiben damit nur die physischen Verkörperungen als gewolltes Objekt des Herausgabeverlangens.
Auch die weiter herangezogenen Begründungen des Berufungsgerichts tragen nicht die Annahme, der Herausgabeantrag sei unbestimmt. Grundsätzlich ist ein Antrag auf Herausgabe von Gegenständen iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt, wenn er diese konkret bezeichnet. Die Beschreibung muss einerseits so genau sein, dass das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt wird und dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwartet werden kann. Andererseits führt nicht jede mögliche Unsicherheit bei der Zwangsvollstreckung zur Unbestimmtheit des Klageantrags. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Klageantrag zu stellen sind, hängt von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen. Verfolgt der Kläger - wie im Streitfall - einen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO, muss ihm über die Antragstellung ermöglicht werden, den aus seiner Sicht eingetretenen Schaden vollständig kompensiert zu erhalten. Maßgebend ist damit das von den Klägerinnen verfolgte Rechtsschutzziel. Unerheblich ist, ob dieses Rechtsschutzziel materiell-rechtlich begründet ist. Daran gemessen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Herausgabeantrag leide unter einer mangelnden Bestimmtheit, rechtsfehlerhaft. Die Klägerinnen meinen, die Beklagte habe aufgrund des Schadensersatzanspruchs nach § 717 Abs. 2 ZPO den eingetretenen Vollstreckungserfolg vollständig zu beseitigen. Nach der Rechtsansicht der Klägerinnen ist hinsichtlich der Informationslage exakt der Zustand wiederherzustellen, der vor der Vollstreckung bestand. Damit zielt der von den Klägerinnen verfolgte Schadensersatzanspruch aufgrund einer vollstreckten Auskunft und Rechnungslegung dahin, dem Vollstreckungsgläubiger die damit verbundenen Vorteile und die erlangten Kenntnisse umfassend und vollständig wieder zu nehmen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müssen die Klägerinnen, um den Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, nicht jedes herauszugebende Dokument und jede darin enthaltene Information (samt gegebenenfalls anderer vermischter Inhalte) im Klageantrag genau bezeichnen. Umfasst der Antrag auf Herausgabe von überreichten Dokumenten - wie im Streitfall - auch die hiervon abgeleiteten Dokumente und kann der Berechtigte diese nicht genau bezeichnen, hindert dies die hinreichende Bestimmtheit des Klageantrags nicht, solange die abgeleiteten Dokumente anhand der überreichten Dokumente hinreichend identifizierbar bezeichnet sind. Der Herausgabeantrag bezieht sich in diesem Fall auf die Dokumente unabhängig von ihrer nach Aushändigung angenommenen Form. Das ist zudem interessengerecht. Denn die Beklagte kennt nicht nur die ihr überreichten Unterlagen, sondern auch deren weiteres Schicksal. Es besteht für sie keine Unsicherheit, worauf sie ihre Rechtsverteidigung auszurichten hat. Umgekehrt wird es den Rechtsschutzinteressen der Klägerinnen gerecht, lediglich die herauszugebenden Schriftstücke in ihrer überreichten Ursprungsform genau bezeichnen zu müssen und - wie geschehen - zum Ausdruck zu bringen, dass ihr Herausgabebegehren jede Verkörperung der darin enthaltenen Informationen auch in abgeleiteter Form umfasst. Die Klägerinnen haben die Informationen zunächst konkret durch vier Anwaltsschreiben näher eingegrenzt, mit denen sie der Beklagten im Rahmen der Vollstreckung Auskunft erteilt und Rechnung gelegt haben. Diese Anwaltsschreiben enthalten eine zusammenfassende Darstellung und Erläuterung der in den Anlagen zu diesen Anschreiben erteilten Auskünfte. Diese Anlagen haben die Klägerinnen ebenfalls in den Prozess eingeführt. Die Klägerinnen haben die Informationen hinreichend genau bezeichnet, weil die als Anlagenkonvolut zu den Akten gereichten Kopien im Falle der Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ausreichend charakteristische Merkmale (Schlüsselbegriffe, Textstrukturen oder Tabellenaufbauten) aufweisen, die sich bei einem Abgleich mit anderen Schriftstücken zur Identifikation eignen und einer Verwechselung mit anderen Inhalten entgegenstehen. Dass ein Gerichtsvollzieher das jeweilige Schriftstück durchlesen und mit dem bezeichneten Schriftstück abgleichen muss, hindert die hinreichende Bestimmtheit nicht. Dem vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis kann auch Genüge getan sein, wenn die Auffindung der herauszugebenden Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden ist. In entsprechender Anwendung der § 813 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ZPO, § 190 Abs. 3 GVGA kann es geboten sein, eine Unterstützung des Gerichtsvollziehers durch einen von ihm auf Kosten des Schuldners beauftragten Sachverständigen bei Herausgabetiteln zuzulassen, wenn anderenfalls die Vollstreckung unmöglich ist oder unzumutbar erschwert wird. Diesen Anforderungen genügen die mit dem Klageantrag in Bezug genommenen Anwaltsschreiben und die mit diesen Anwaltsschreiben überreichten Anlagen. Soweit die Klägerinnen diese Anlagen im Prozess nur mit weitgehend geschwärzten Angaben überreicht haben, könnte dies der Bestimmtheit entgegenstehen, weil und soweit es für die Identifikation der herauszugebenden Dokumente auf den Inhalt der Informationen ankommt. Nachdem das Berufungsgericht im unstreitigen Tatbestand festgestellt hat, dass die Anlagen aufgrund des beigezogenen Verfügungsverfahrens auch in ungeschwärzter Form Gegenstand des Prozesses sind, stehen die Schwärzungen der Bestimmtheit des Klageantrags nicht entgegen.
Der Umstand, dass der Klageantrag lediglich auf die zu den Akten gereichten Auskunftsschreiben Bezug nimmt, ohne sie selbst inhaltlich wiederzugeben oder abzubilden, steht der Bestimmtheit des Klageantrags ebenfalls nicht entgegen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Beklagte durch die Bezugnahme auf die Anlage Möglichkeiten ihrer Verteidigung einbüßen würde. Die Unterlagen liegen ihr vor; ihr Inhalt ist ihr bekannt. Allerdings wird zur Zwangsvollstreckung erforderlich sein, die Anlagen mit dem Titel zu verbinden oder im Urteil ihrem Inhalt nach wiederzugeben. Denn Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist ein hinreichend bestimmter Titel. Hieraus folgt aber kein Bestimmtheitsmangel des Klageantrags. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht ebenso den Antrag auf Löschung als unbestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erachtet. Zur Identifizierung der zu löschenden Inhalte in den betroffenen nicht-physischen Verkörperungen (elektronischen Dateien) reicht die Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben, weil diese jedenfalls in ungeschwärzter Form hinreichende Identifikationsmerkmale für den Fall einer Vollstreckung aufweisen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft den Unterlassungsantrag als unbestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angesehen. Durch die Bezugnahme auf die Auskunftsschreiben ist hinreichend bestimmt, welche Inhalte Gegenstand der streitgegenständlichen Untersagung sind. Das zuständige Prozessgericht des ersten Rechtszugs kann zur Prüfung einer Zuwiderhandlung auf die beigezogene Verfügungsakte des Landgerichts München I zugreifen. Dort befindet sich nach den Feststellungen eine teilgegraute Version der Anlage. Wie weit das Nutzungsverbot reicht, insbesondere, ob die Informationen von der Beklagten zur Rechtsverteidigung in den von den Klägerinnen gegen sie geführten Auskunfts- und Schadensersatzprozessen genutzt werden dürfen, ist eine Frage des materiellen Rechts und der Begründetheit der Klage, nicht der Bestimmtheit des Klageantrags.
Kontext der Entscheidung
Der V. Zivilsenat hat in seiner Entscheidung zu den Tonbändern der Kohl-Tagebücher die auch vom IX. Zivilsenat herangezogenen und wörtlich wiederholten Grundsätze zur Herausgabe verkörperter Erklärungen herausgearbeitet. Danach muss in einem Antrag auf Herausgabe von Gegenständen die Beschreibung einerseits so genau sein, dass das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt wird und dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwartet werden kann. Andererseits führt nicht jede mögliche Unsicherheit bei der Zwangsvollstreckung zur Unbestimmtheit des Klageantrags. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Klageantrag zu stellen sind, hängt von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 206/14 –, Rn. 9 mwN.). Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung des auf Herausgabe gerichteten Titels sind für die Bestimmtheit des Antrags ohne Belang. Das Vollstreckungsverfahren dient nicht der Feststellung des zu vollstreckenden Anspruchs, sondern allein der Vollstreckung des im Erkenntnisverfahren festgestellten Anspruchs; lediglich in Zweifelsfällen kann der Inhalt dieses Anspruchs noch im Vollstreckungsverfahren - soweit möglich - im Wege der Auslegung näher bestimmt werden. Eine Verlagerung der Klärung von Fragen, die im Erkenntnisverfahren zu beantworten sind, in das Vollstreckungsverfahren verbietet sich zumal deshalb, weil in den beiden Verfahren unterschiedliche Verfahrensgrundsätze gelten (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 – I ZB 57/10 –, Rn. 13 mwN.). Zudem kann die Unterstützung des Gerichtsvollziehers durch einen von ihm auf Kosten des Schuldners beauftragten Sachverständigen bei Herausgabetiteln zulässig und geboten sein, wenn andernfalls die Vollstreckung unmöglich ist oder unzumutbar erschwert wird. Das gebietet das für den Zivilprozess durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Recht des Gläubigers auf effektiven Rechtsschutz und sein durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistetes Recht auf Schutz des Eigentums (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 – I ZB 8/17 –, Rn. 22 mwN.).
Auswirkungen für die Praxis
Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Kläger zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung eines Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Die Regelung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Hat der Beklagte aufgrund gerichtlicher Anordnung einen Eingriff in seinen Handlungs- und Vermögensbereich dulden müssen, der sich nach weiterer Überprüfung als unbegründet herausstellt, entspricht es gebotener Risikoverteilung, dass den Schaden aus solcher erlaubter, aber gefahrbeladener Ausübung derjenige trägt, der seine Interessen auf Kosten des anderen verfolgt. Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung, weil die Rechtsfolge an ein ausdrücklich von dem Gesetz erlaubtes Verhalten anknüpft. Ob der Kläger mit einem endgültigen Bestand seines Titels gerechnet hat und rechnen konnte oder nicht, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – IX ZR 176/10 –,Rn. 10 mwN.). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat § 717 Abs. 2 ZPO auf den allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeführt, dass der Gläubiger aus einem noch nicht endgültigen Titel auf eigene Gefahr vollstreckt. Nach einer Aufhebung oder Änderung des nur vorläufigen Urteils, das den Kläger zur vorzeitigen Vollstreckung berechtigte, soll der daraus folgende Schaden des Beklagten aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Klägers ausgeglichen werden. Die vorläufige Vollstreckbarkeit dient innerhalb des Rechtsmittelsystems, das den Schuldner schützt, dem Interesse des Gläubigers; dessen Haftung aus § 717 Abs. 2 ZPO soll die sich daraus ergebenden unvermeidlichen Nachteile des Schuldners ausgleichen, falls die vorläufige Vollstreckbarkeit außer Kraft gesetzt wird (BGH, Urteil vom 3. Juli 1997 – IX ZR 122/96 –,Rn. 17 mwN.). Im Rahmen der Schadensersatzpflicht nach § 717 Abs. 2 ZPO kann nur die Wiederherstellung des früheren Zustands verlangt werden kann, jedoch keine darüberhinausgehenden Leistungen, worauf der Senat ausdrücklich hinweist (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – IX ZR 238/22 –, Rn. 32).
BGH: Namenswiedergabe bei beA-Versand genügt
Für die einfache Signatur eines Schriftsatzes gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO genügt es, wenn am Ende des Schriftsatzes der Name des Verfassers maschinenschriftlich wiedergegeben ist
BGH, Beschluss vom 30. November 2023 - III ZB 4/23
(LG Berlin, Entscheidung vom 06.04.2022 - 28 O 34/19; KG Berlin, Entscheidung vom 09.01.2023 - 9 U 46/22)
Das Problem:
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen ein klageabweisendes Urteil rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist zunächst um einen Monat und alsdann im Einvernehmen mit dem Beklagten um eine weitere Woche bis zum 14. Juli 2022 verlängert worden. Die Berufungsbegründung des Klägers ist jedoch erst im Laufe des 15. Juli 2022 beim Berufungsgericht eingegangen. Zuvor war am selben Tag kurz nach zwei Uhr früh ein Antrag des Klägers eingegangen, die Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Tag zu verlängern. Nachdem die Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts diesen Antrag abgelehnt hatte, hat es die vom Kläger zudem beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrag hatte der Prozessbevollmächtigte vorgebracht, er habe am Abend des 14. Juli 2022 Berufungsbegründungsschriftsätze für das vorliegende sowie für zwei Parallelverfahren fertiggestellt. Anschließend habe er mit dem ansonsten zuverlässig arbeitenden Kanzleidrucker zunächst die beiden Schriftsätze in den Parallelverfahren ausgefertigt und diese mit Anlagen um 22.22 Uhr bzw. 22.30 Uhr erfolgreich per beA an das Berufungsgericht übermittelt. Beim anschließenden Versuch der drucktechnischen Ausfertigung des Berufungsbegründungsschriftsatzes in der vorliegenden Sache gegen 22.30 Uhr habe der Kanzleidrucker den Druckbefehl nicht ausgeführt. Er habe sich um Fehlerbehebung bemüht, was jedoch absehbar bis um 24.00 Uhr nicht zu bewerkstelligen gewesen sei. Er habe deshalb seinen „Back-up-Drucker“ aktiviert. Da zu besorgen gewesen sei, dass die drucktechnische Ausfertigung des umfangreichen Schriftsatzes samt Anlagen mit diesem Drucker vor 24.00 Uhr nicht mehr gelingen würde, habe er einen kurzen Schriftsatz mit der Bitte um eine Fristverlängerung um einen Tag unter Verweis auf die technischen Schwierigkeiten gefertigt, welche die Ausfertigung und Übermittlung verzögert hätten. Dieser Schriftsatz habe allerdings erst um 2.04 Uhr des Folgetages per beA abgesetzt und zugestellt werden können; zuvor am 14. Juli 2022 seien drei Übermittlungsversuche – um 23.46 Uhr, 23.53 Uhr und 23.56 Uhr – aufgrund einer technischen Störung im beA-System gescheitert. Die Berufungsbegründung habe anschließend ebenso wie den Wiedereinsetzungsantrag übermittelt.
Die Entscheidung des Gerichts:
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat die Berufung nicht innerhalb der bis zum 14. Juli 2022 verlängerten Frist begründet. Mit Recht hat das OLG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung dieser Frist abgelehnt. Nach § 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war. Gemessen daran ist die Versagung der Wiedereinsetzung durch das Berufungsgericht nicht zu beanstanden. Es fehlt bereits an einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung, weswegen es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der vorliegenden Sache – nachdem er am 14. Juli 2022 um 22.22 Uhr und um 22.30 Uhr die Berufungsbegründungsschriftsätze in den Parallelverfahren erfolgreich per beA an das Berufungsgericht hatte übermitteln können – ab 22.30 Uhr aus technischen Gründen nicht (mehr) möglich gewesen sein soll, den nach seiner Darlegung zu diesem Zeitpunkt auch schon fertiggestellten Berufungsbegründungsschriftsatz ebenfalls erfolgreich per beA zu versenden, und er noch nicht einmal den Versuch einer Versendung dieses Schriftsatzes unternommen hat. Denn der Umstand, dass sein Drucker ab 22.30 Uhr seinen Dienst versagte, vermag das nicht zu erklären, weil die (erfolgreiche) Übersendung eines Schriftsatzes an ein Gericht per beA eine vorherige „drucktechnische Ausfertigung“ dieses Schriftsatzes nicht voraussetzt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV iVm. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein elektronisches Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Zur Herstellung eines Dokuments im PDF-Format ist es nicht notwendig, es zuvor auszudrucken und sodann einzuscannen. Vielmehr lässt sich eine PDF-Datei unmittelbar elektronisch herstellen. Der vorherige Ausdruck des Dokuments ist auch nicht notwendig, um die bei Übermittlung aus dem beA erforderliche einfache Signatur anzubringen. Hierfür ist es nicht erforderlich, das Dokument handschriftlich zu signieren und einzuscannen. Vielmehr genügt für die einfache Signatur die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens des Verfassers am Ende des Textes. Das Berufungsgericht hat es daher zu Recht als „nicht nachvollziehbar dargetan“ angesehen, dass für eine Übermittlung per beA „ein Ausdrucken des Schriftsatzes überhaupt nötig gewesen wäre“.
Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und somit dem Kläger selbst gereicht es daher zum Verschulden, dass am 14. Juli 2022 ab 22.30 Uhr kein einziger Versuch unternommen worden ist, die Berufungsbegründung per beA an das Berufungsgericht zu übermitteln; für das Vorliegen einer technischen Störung des beA zwischen 22.30 Uhr und 23.45 Uhr und damit dafür, dass eine Übermittlung des Schriftsatzes per beA in diesem Zeitraum nicht gelungen wäre, gibt es keinen Anhaltspunkt. Dahinstehen kann, ob am 14. Juli 2022 ab 23.46 Uhr eine technische Störung des beA vorgelegen hat. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte die letzte Viertelstunde der am 14. Juli 2022 um 24.00 Uhr ablaufenden Berufungsbegründungsfrist nicht für die Übermittlung der Berufungsbegründung vorgesehen. Er hat vielmehr während dieses Zeitraums lediglich versucht, einen nicht erfolgversprechenden Fristverlängerungsantrag per beA an das Berufungsgericht zu schicken. Den am 15. Juli 2022 um 2.04 Uhr formgerecht eingereichten Fristverlängerungsantrag hat die Vorsitzende des Berufungssenats mit der (zutreffenden) Begründung abgelehnt, dass der Antrag erst nach Ablauf der bis zum 14. Juli 2022 verlängerten Frist eingegangen sei. Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist setzt einen vor Fristablauf gestellten Antrag voraus; die Verlängerung einer bereits verfallenen Frist ist schon begrifflich nicht mehr möglich. Im Übrigen darf der Berufungskläger grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ihm ohne Einwilligung des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bewilligt wird, und infolgedessen ein erfolgversprechender Antrag auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr rechtzeitig gestellt werden kann, wenn die Einwilligung nicht vorliegt und nach 23.00 Uhr am letzten Tag der Frist realistischerweise auch nicht mehr zu erlangen ist. Die Ablehnung der Fristverlängerung ist unanfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO). Soweit der Kläger ausführt, der Wiedereinsetzungsantrag habe sich auf das Fristverlängerungsgesuch bezogen, ist er dahingehend zu bescheiden, dass gegen die Versäumung eines rechtzeitigen Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist.
Konsequenzen für die Praxis:
Das elektronische Dokument muss entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert (= unterschrieben) und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 ZPO). Bei der qualifizierten elektronischen Signatur mittels Chipkarte und Eingabe eines persönlichen Geheimcodes (PIN) ist die Authentizität und Integrität des Dokuments bereits sichergestellt. Bei der einfachen Signatur erfolgt dies erst durch die Verbindung des zu übermittelnden Dokumentes mit dem sicheren Übermittlungsweg, insbesondere dem beA. Die einfache Signatur iSd. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Nicht genügend ist das Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namensangabe (BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, MDR 2022, 1362). Auch der maschinengeschriebene Namenszug ist eine Signatur iSd. § 130a Abs. 3 Alt. 2 ZPO, genügt aber nicht zur Authentifizierung, weil keine Unterscheidung zum Entwurf möglich ist. Die einfache Signatur steht der Wirksamkeit nur dann nicht entgegen, wenn ein sicherer Übertragungsweg genutzt wird. Der Übertragungsweg muss dann aber dem Signierenden zugeordnet sein, denn anderenfalls bliebe unklar, ob der Versender auch die Verantwortung für den Inhalt übernimmt oder sich seine Rolle auf die eines Erklärungsboten beschränkt (Radke, jM 2019, 272, 275).
Beraterhinweis:
Zwar dürfen Fristen bis zu ihrem Ablauf genutzt werden. Jeh näher aber der Fristablauf rückt, desto größer wird die Gefahr für den Rechtsanwalt, auf Schwierigkeiten bei der fristgemäßen Versendung des Schriftsatzes per beA nicht mehr richtig reagieren zu können. Hätte der offenkundig mit der Nutzung des beA überforderte Rechtsanwalt die drei Berufungsbegründungen während der Bürostunden zu versenden versucht, hätte er bei seinem Büropersonal sicherlich leicht Aufklärung über die richtige Handhabung des beA gefunden. Dass der Rechtsanwalt nicht wusste, dass für die von § 130a ZPO Abs. 3 2. Alt ZPO geforderte „Signatur“ keine handschriftliche Unterschrift erfordert, ist nicht entschuldbar: „Der (fahrlässige) Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Formerfordernisse für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels vermag ihn nicht zu entlasten und rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen.“ (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2022 – III ZB 18/22 –, MDR 2023, 248).
BGH: Zur eigenen Sachkunde des Gerichts
- Wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, darf der Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde aufzuweisen vermag.
- Das Gericht muss, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen und ihnen Gelegenheit geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen.
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 – VII ZR 17/23
Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob ein Gericht aufgrund langjähriger Erfahrung die Qualität planerischer Leistungen eines Architekten (Vollständigkeit einer Ausführungsplanung) von sich aus beurteilen darf oder ob es ein Sachverständigengutachten einholen muss.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger verlangt von der Beklagten Architektenhonorar nach den Mindestsätzen der HOAI. Die Beklagte erwarb im Jahr 2013 ein Grundstück, auf dem sich ein als Bürogebäude genutztes Hochhaus und eine Tiefgarage befanden. Der Kläger erbrachte im Einzelnen streitige Planungsleistungen für den auf dem Grundstück vorgesehenen Neu- und Umbau des Gebäudes und zwar für die Teilprojekte: Neubau eines Wohngebäudes für studentisches Wohnen (TP 1), Umbau eines 11-geschoßigen Stahlbetonskelettbaus zum Wohngebäude (TP 2), die Errichtung einer Tiefgarage unter Nutzung von Bestandskellerkonstruktionen (TP 3), die Erstellung von Außenanlagen (TP 4) und die Errichtung von Ingenieurbauwerken außerhalb des Gebäudes, befestigte Straßen und Wege (TP 5). Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe ihn mündlich mit der Erbringung der Grundlagenleistungen der Leistungsphasen 1 bis 4 der HOAI (2013) für alle Teilprojekte beauftragt. Anlässlich der Unterzeichnung des zwischen der Beklagten und der O. GmbH geschlossenen Generalunternehmervertrags am 22. September 2015 sei ihm mündlich auch die Ausführungsplanung (Grundleistungen der Leistungsphase 5) für die Teilprojekte 1 und 3 mit der Maßgabe übertragen worden, die erforderlichen Pläne an die Generalunternehmerin zu senden. Eine gesonderte Honorarvereinbarung sei nicht getroffen worden. Mit der letzten korrigierten Honorarrechnung vom 17. März 2019 machte der Kläger unter Zugrundelegung der Mindestsätze der HOAI (2013) und Anrechnung geleisteter Abschlagszahlungen ein Honorar in Höhe von 442.117,55 € brutto nebst Zinsen geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 308.231,15 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Berufungsurteil aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung eines Honorars nach den Mindestsätzen für erbrachte Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 4 der HOAI (2013) in Höhe von 281.659,31 € brutto zu. Er habe zudem einen Anspruch auf eine weitere Vergütung in Höhe von 26.571,84 € brutto für Teilleistungen, die er im Rahmen der Ausführungsplanung in der Leistungsphase 5 bei den Teilprojekten 1 und 3 erbracht habe. Soweit der Kläger ein nach den Mindestsätzen berechnetes Honorar für die Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 bei den Teilprojekten 1 bis 3 beanspruche, sei es ihm nicht gelungen, darzulegen und zu beweisen, dass er von den Beklagten in diesem Umfang konkludent beauftragt worden sei. Er habe zwar vorgetragen und durch Vorlage entsprechender Dokumente unter Beweis gestellt, dass er die vollständigen Grundleistungen der Leistungsphase 5 (Ausführungsplanung) für die Teilprojekte 1 und 3 erbracht und hierüber die Beklagte fortlaufend unterrichtet habe. Damit habe der Kläger eine Entgegennahme der Architektenleistung durch die Beklagte behauptet. Allerdings werde aus den von ihm vorgelegten Unterlagen (Ausführungs-, Detail- und Konstruktionszeichnungen) nicht deutlich, dass es sich dabei um eine vollständige Ausführungsplanung mit allen für die Ausführung notwendigen Einzelangaben (zeichnerisch und textlich) auf der Grundlage der Entwurfs- und Genehmigungsplanung bis zur ausführungsreifen Lösung als Grundlage für die weiteren Leistungsphasen handele. Es fehle der Nachweis, dass die von dem Kläger für die Leistungsphase 5 erstellten Ausführungspläne so detailliert ausgearbeitet und vermessen seien, dass aus den Zeichnungen die Mengen und Massen hätten ermittelt werden können, um damit die jeweiligen Bauleistungen umsetzen zu können. Diese Beurteilung sei dem Berufungsgericht aufgrund eigener Sachkunde möglich, weshalb es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedürfe.
Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen konkludenten Vertragsschluss über die Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 für die Teilprojekte 1 und 3 nicht nachgewiesen, beruht auf einer unzureichenden Sachaufklärung (§ 286 ZPO), die zugleich das rechtliche Gehör des Klägers verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Zwar handelt es sich bei der Frage, in welchem Umfang der Kläger mit der Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 beauftragt wurde, um eine vom Berufungsgericht vorzunehmende Rechtsprüfung. Für die Würdigung der Gesamtumstände war für das Berufungsgericht allerdings von Bedeutung, ob der Kläger die vollständigen Grundleistungen der Leistungsphase 5 (Ausführungsplanung) für die Teilprojekte 1 und 3 erbracht hat. Diese Beurteilung betrifft eine Fachwissen voraussetzende Frage, deren Klärung einem Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zugänglich ist. Dies folgt aus den verwendeten fachsprachlichen Begriffen, aus dem Erfordernis der "notwendigen zeichnerischen und textlichen Einzelangaben", aus der vorgeschriebenen Gestaltung der Zeichnungen nach "Art und Größe des Objekts im erforderlichen Umfang und dem Detaillierungsgrad unter Berücksichtigung aller fachspezifischen Anforderungen", sowie aus der Koordinations- und Integrationspflicht, deren Erfüllung Kenntnisse der beteiligten Gewerke voraussetzt. Das Berufungsgericht hat sich gehörswidrig über den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt und die Frage, ob er die Grundleistungen der Leistungsphase 5 erbracht hat, verfahrensfehlerhaft ohne die erforderliche Hinzuziehung eines Sachverständigen aus eigener, nicht ausgewiesener Sachkunde beantwortet. Wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, darf der Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde aufzuweisen vermag. Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag auf Einholung des nicht unter Hinweis auf eine eigene Sachkunde ablehnen. Es hat keine Sachkunde aufzuweisen vermocht, die es zur Beurteilung befähigen könnte, ob die für das Bauobjekt vorgelegten Pläne den technischen Anforderungen genügen, die an die in der Leistungsphase 5 zu erbringende Ausführungsplanung zu stellen sind. Allein eine längere Tätigkeit in einem Bausenat kann nicht ohne weiteres zuverlässige Kenntnisse über das - für die Prüfung der vorgelegten Ausführungsplanung auf Vollständigkeit - erforderliche bautechnische Fachwissen verschaffen.
Das Berufungsgericht hat zudem den Parteien keinen dokumentierten Hinweis erteilt, dass es die Frage nach der Vollständigkeit der erbrachten Leistungen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden will. Das Gericht muss, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen und ihnen Gelegenheit geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat es den Parteien gehörswidrig keine Gelegenheit gegeben, zu den Grundlagen seiner Sachkunde Stellung zu nehmen. Vielmehr hat das Berufungsgericht - ohne Gewährung der von dem Kläger beantragten Frist zur schriftlichen Stellungnahme - die angefochtene Entscheidung nach Wiederaufruf der Sache am Ende des Sitzungstags verkündet (§ 310 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO).
Ein weiterer Gehörsverstoß des Berufungsgerichts ist in der fehlenden Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme auf den in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2022 erteilten Hinweis zu sehen, wonach die vom Kläger vorgelegten Planungsleistungen den Anforderungen, die an die Grundleistungen der Leistungsphase 5 zu stellen seien, nicht genügen. Neben der Erteilung eines Hinweises auf die geänderte rechtliche Einschätzung hätte das Berufungsgericht dem Kläger Gelegenheit geben müssen, auf den für ihn überraschenden Hinweis zu reagieren und seinen Tatsachenvortrag zu ergänzen. Nur auf diese Weise wäre das rechtliche Gehör des Klägers, zu dem neuen rechtlichen Gesichtspunkt Stellung nehmen zu können, gewahrt worden. Stattdessen hat das Berufungsgericht gehörswidrig seinen Antrag zur Stellungnahme auf den Hinweis abgelehnt und nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung erlassen. Auf den Verletzungen des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör beruht das angefochtene Urteil. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
Kontext der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf der Richter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen. Dies gilt auch, wenn der Tatrichter auf ein Sachverständigengutachten verzichten will, weil er es auf Grundlage eigener Sachkunde für ungeeignet hält (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17 –, Rn. 16, mwN.). Verfahrensfehlerhaft ist es, den Parteien keine Gelegenheit zu geben hat, zu der beanspruchten Sachkunde Stellung zu nehmen. Auch bei der Überzeugungsbildung muss das Gericht die entsprechende Sachkunde ausweisen müssen. Auch längere Tätigkeit in einem Bausenat verschafft nicht ohne weiteres zuverlässige Kenntnisse über eine seltene Spezialkonstruktion im Brückenbau (BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – VII ZR 231/95 –, Rn. 8 - 9). An diesen Grundsätzen hat auch die obligatorische Einführung von Spruchkörpern für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, gemäß § 72a Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 119a Abs. 1 Nr. 2 GVG nichts geändert.
Auswirkungen für die Praxis
Besondere Anforderungen stellt die Rechtsprechung an den Vortrag der beweisbelasteten Partei in der Berufungsinstanz, wenn das Gericht verfahrensrechtswidrig eine Beweisaufnahme ablehnt. Hält das Berufungsgericht den Vortrag der beweisbelasteten Partei für „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt und lehnt es deshalb die beantragte Beweiserhebung als Ausforschungsbeweis ab, muss die betroffene Partei das Gericht auf von ihm bislang nicht beachteten höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätze zur Substantiierung von Beweisbehauptungen hinweisen. Danach kommt die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann; weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter schon dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – XII ZR 99/17). Unterlässt die betroffene Partei diese „Aufklärung“ des Gerichts, kommt eine Zulassung der Revision wegen des dem Berufungsgericht unterlaufenen Gehörsverstoßes nicht in Betracht, wenn es die Partei versäumt hat, im Rahmen der ihr eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf einen Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts der nunmehr gerügten Gehörsverletzung entgegenzuwirken. Eine Partei ist in der Revisionsinstanz dann wegen des allgemeinen Grundsatzes der Subsidiarität daran gehindert, die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung geltend zu machen (BGH, Beschl. v. 28.01.2020 - VIII ZR 57/19; kritisch dazu: L. Jaeger, jM 2020, 280).
BGH: Unwirksame Abnahmeklausel im Bauträgervertrag
- Eine von einem Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags verwendete Klausel, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch eine von ihm als Erstverwalter bestimmte, mit ihm wirtschaftlich verbundene (Tochter-)Gesellschaft ermöglicht, ist unwirksam.
- Macht eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) als Prozessstandschafterin der Erwerber Mängelansprüche wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums gegen den Bauträger geltend, so ist es diesem als Verwender der genannten unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde, weshalb im Rahmen der Anspruchsbegründung die Abnahme des Gemeinschaftseigentums als Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelansprüchen zu unterstellen ist.
- Zur Frage, ob ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten einer GdWE vorliegt, wenn diese - als Prozessstandschafterin der Erwerber - in der Vergangenheit zweimal Mängelansprüche wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend gemacht hat, die von dem in Anspruch genommenen Bauträger jeweils reguliert wurden, und sie sich später bei der klageweisen Geltendmachung weiterer Mängelansprüche gegenüber der vom Bauträger erhobenen Einrede der Verjährung auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums beruft.
BGH, Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 241/22
Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte sich erneut mit den Rechtsfolgen (unwirksamer) Abnahmeklauseln in Bauträgererwerbsverträgen zu befassen, die eine Abnahme durch "im Lager des Bauträgers" stehenden Personen zu Lasten der Erwerber vorsehen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), macht Mängelansprüche wegen angeblicher Mängel der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz gegen die Beklagte geltend. Die betreffende Anlage ist in den Jahren 2005 und 2006 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten errichtet worden, die alle Eigentumswohnungen noch im Jahr 2005 verkaufen konnte. Für die "Übergabe/Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums" beauftragte und bevollmächtigte der Käufer unwiderruflich den Verwalter (§ 7 Abs. 5 Satz 1), bei dem es sich um eine Tochtergesellschaft der Rechtsvorgängerin der Beklagten handelte (§ 11 Abs. 1). In einem exemplarisch vorgelegten undatierten Kaufvertrag späterer Erwerber heißt es: "Die Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums erfolgte durch den Verwalter - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen - im Mai 2005." Im Jahr 2007 rügte die Klägerin Planungs- und Ausführungsmängel im Bereich der Dach- und Balkonentwässerung. Diese wurden auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Beklagten, dem Generalbauunternehmer und dem planenden Architekturbüro beseitigt. Weitere Mängel rügte die Klägerin im Jahr 2012; bezüglich dieser Mängel kam es zum Abschluss eines Vergleichs zwischen der Beklagten und der Klägerin, der im Jahr 2013 abgewickelt wurde. Am 20. April 2014 wurde auf einer Eigentümerversammlung die Unwirksamkeit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums "festgestellt". In der Folge wandten sich einzelne Mitglieder der Klägerin und auch deren Verwalterin mit Mängelrügen und der Forderung nach einer Abnahme an die Beklagte. Die Beklagte stellte Mängel in Abrede und berief sich auf Verjährung. Ein Vergleichsangebot der Beklagten vom 21. September 2017 nahm die Klägerin nicht an. Auf einer Eigentümerversammlung vom 27. November 2018 wurde beschlossen, dass die Ausübung der Nacherfüllungs- und Mängelansprüche der Wohnungseigentümer als Erwerber gegen die Beklagte am gemeinschaftlichen Eigentum mit Ausnahme des großen Schadensersatzes und des Rücktritts auf die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übertragen wird.
Nach weiteren vergeblichen Aufforderungen zur Mängelbeseitigung hat die Klägerin mit einem am 2. Juni 2020 eingegangenen Schriftsatz Klage eingereicht, mit der die Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung in Höhe von 580.933,83 € und wegen verschiedener Positionen Schadensersatz verlangt wird. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Die Klage sei mit allen Anträgen unbegründet. Mit dem auf Kostenvorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB gerichteten Klageantrag zu 1 mache die Klägerin eines der in § 634 BGB vorgesehenen werkvertraglichen Mängelrechte des Bestellers geltend. Sofern ein solcher Anspruch bestehen sollte, wäre er verjährt. Mängelrechte nach § 634 BGB stünden dem Besteller grundsätzlich erst nach der Abnahme des Werkes zu. An einer solchen fehle es zwar, sie sei jedoch zugunsten der Klägerin zu unterstellen. Wann und wie das Gemeinschaftseigentum abgenommen worden sei, sei nicht vorgetragen. Die Erwerbsverträge sähen eine Abnahme durch den unwiderruflich seitens des Käufers bevollmächtigten Verwalter vor, bei dem es sich unstreitig um eine mit der Bauträgerin wirtschaftlich verbundene Gesellschaft gehandelt habe. Eine solche Abnahmeregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei unwirksam. Eine - wie offenkundig hier - auf dieser Grundlage erfolgte Abnahme sei es dann auch. Ob eine andere Form der Abnahme an ihre Stelle getreten oder eine Abnahme ausnahmsweise entbehrlich sei, könne in diesem Zusammenhang offenbleiben. Soweit nämlich eine Abnahme Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelrechten sei, sei es der Beklagten als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde. Im Rahmen der Anspruchsbegründung sei die Abnahme somit zugunsten der Klägerin zu unterstellen.
Davon zu unterscheiden sei die Frage, wie sich das Fehlen der Abnahme im Rahmen der Verjährung auswirke. Insoweit sei eine Abnahme spätestens im Jahr 2013 - nun zu Lasten der Klägerin - zu unterstellen mit der Folge, dass der Anspruch bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen sei. Nach welchen Voraussetzungen sich die Verjährung von Ansprüchen des Erwerbers gegen den Bauträger aus einem Bauträgervertrag richte, lasse sich nicht einheitlich beantworten. Für alle mit der Errichtung des Gebäudes zusammenhängenden Leistungen gelte Werkvertragsrecht. Der werkvertragliche Anspruch auf Herstellung unterliege der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB ab dem Schluss des Jahres, in dem er entstanden sei (§ 199 Abs. 1 BGB). Daneben bestünden Gewährleistungsansprüche des Erwerbers gegen den Bauträger. Im Streitfall stehe allein die mangelhafte Bauleistung in Rede, für die Werkvertragsrecht gelte. Die werkvertragliche Gewährleistung ergebe sich aus § 634 BGB. Ihre Verjährung beginne grundsätzlich mit der Abnahme des Werks, die Frist betrage bei einem Bauwerk fünf Jahre (§ 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB). Da die Entstehung und Verjährung der werkvertraglichen Ansprüche unterschiedlich geregelt seien, falle grundsätzlich auch das Ende ihrer Verjährung auseinander. Es könne sogar dazu kommen, dass der Erfüllungsanspruch verjährt sei, bevor das Werk abgenommen sei und damit die Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn der Gewährleistungsansprüche geschaffen worden seien. Ein solcher Fall liege hier vor. Der Erfüllungsanspruch aller Mitglieder der Klägerin sei zweifelsfrei verjährt. Alle Verträge der Bauträgerin mit den Erwerbern datierten aus dem Jahre 2005. Die taggenaue Verjährungshöchstfrist von zehn Jahren nach § 199 Abs. 4 BGB habe durchweg im Laufe des Jahres 2015 geendet. Nach wie vor fehle es aber an einer Abnahme. Die sich in einem solchen Fall stellende Frage, ob trotz fehlender Abnahme auch Ansprüche auf Gewährleistung verjährt seien oder ob der Auftragnehmer die Gewährleistung wiederaufleben lassen könne, indem er Abnahme verlange und damit erst die Verjährungsfrist des § 634a BGB in Gang setze, müsse nicht grundsätzlich entschieden werden. Im vorliegenden Fall sei nämlich die Abnahme des Gemeinschaftseigentums im Rahmen der Verjährung zu Lasten der Klägerin zu unterstellen. Dies ergebe sich zwar nicht aus der Ingebrauchnahme der Wohnungseigentumsanlage durch die Mitglieder der Klägerin. Die Parteien hätten die Unwirksamkeit der Abnahmeregelung nicht erkannt und seien deshalb von einer wirksam erfolgten Abnahme ausgegangen. Damit habe die Ingebrauchnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Erwerber keinen eigenen Abnahmewillen zum Ausdruck gebracht. Jedoch habe die Klägerin in der Vergangenheit bereits zweimal erfolgreich Gewährleistungsansprüche geltend gemacht. Bereits bei der ersten Beanstandung sei das Gemeinschaftseigentum übergeben und - vermeintlich - abgenommen gewesen. Die nun erhobenen Mängelrügen müssten als Ausübung von Gewährleistungsansprüchen verstanden werden. Es wäre fernliegend, sie noch als Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs anzusehen. Daraus folge aber auch, dass die Parteien bei der Regulierung der Mängelrügen übereinstimmend von einer bereits erfolgten Abnahme ausgegangen seien. Ohne Abnahme könnten Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB nur geltend gemacht werden, wenn der Besteller nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen könne und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen sei. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Die Beklagte habe die Annahme der Klägerin, das Gemeinschaftseigentum sei abgenommen, gegen sich gelten lassen. Wäre es zum Rechtsstreit gekommen, wäre die Klägerin mit ihrem Gewährleistungsbegehren nur durchgedrungen, wenn sie auf eine erfolgte Abnahme hätte verweisen können oder der Beklagten verwehrt worden wäre, sich auf das Fehlen der Abnahme zu berufen und die Abnahme zugunsten der Klägerin unterstellt worden wäre. Vor diesem Hintergrund widerspräche es Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sich die Klägerin darauf berufen könnte, es fehle an einer Abnahme. Sie verhielte sich widersprüchlich. Sie habe in den Jahren 2007/2008 und 2012/2013 aus der übereinstimmenden Auffassung der Parteien, dass es eine Abnahme gegeben habe, einen Vorteil gezogen und Ansprüche durchgesetzt, die zwingend eine Abnahme zur Voraussetzung gehabt hätten. Es wäre mit Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn die Klägerin nun Ansprüche geltend machen könnte, die nur noch durchsetzbar wären, wenn es an einer Abnahme fehle. Die Klägerin habe den aus einer Abnahme folgenden rechtlichen Vorteil in Anspruch genommen. Dann müsste sie auch den mit der Abnahme einhergehenden Nachteil tragen. Sei zu Lasten der Klägerin von einer spätestens im Jahr 2013 erfolgten Abnahme auszugehen, so folge daraus die Verjährung ihrer Ansprüche aus Gewährleistung spätestens im Laufe des Jahres 2018 (§ 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB). Die Klage habe die Verjährung nicht mehr hemmen können. Die Klageanträge zu 3 bis 6 könnten ebenfalls keinen Erfolg haben, weil auch sie ausschließlich auf Gewährleistung gegründet seien. Sie seien aus den dargelegten Gründen verjährt (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. November 2022 – 1 U 42/21).
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Rechtsfehlerfrei allerdings hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich die von der Klägerin geltend gemachten Mängelansprüche nach Werkvertragsrecht richten. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten gestellte formularmäßige Regelung bezüglich der Abnahme des Gemeinschaftseigentums sei ebenso wie die auf dieser Grundlage erfolgte Abnahme unwirksam, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Entsprechendes gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagten sei es als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde, weshalb im Rahmen der Anspruchsbegründung die Abnahme des Gemeinschaftseigentums als Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelansprüchen zugunsten der Klägerin zu unterstellen sei.
Der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält jedoch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, im Rahmen der Verjährung sei eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums spätestens im Jahr 2013 - nun zu Lasten der Klägerin - zu unterstellen mit der Folge, dass die mit der Klage geltend gemachten (Mängel-) Ansprüche bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen seien, weil es der Klägerin wegen widersprüchlichen Verhaltens unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sei, sich im Rahmen der Verjährung auf das Fehlen der Abnahme berufen zu dürfen. Die im Einzelfall vorzunehmende wertende Betrachtung der Gesamtumstände unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB obliegt zwar in erster Linie dem Tatgericht, kann aber vom Revisionsgericht eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob das Tatgericht die maßgeblichen Tatsachen vollständig festgestellt und gewürdigt und ob es die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat. Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil nicht stand. Nicht jeder Widerspruch zwischen zwei Verhaltensweisen ist als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu werten. Vielmehr ist widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) dann rechtsmissbräuchlich, wenn das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Ist durch das frühere Verhalten einer Partei kein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei begründet worden, ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht zu ziehen, etwa bei einem unlösbaren Widerspruch zwischen früherer und späterer Rechtsausübung. Nach diesen Grundsätzen kann ein im Sinne des § 242 BGB rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten der Klägerin nicht angenommen werden. Soweit die Klägerin zunächst in den Jahren 2007 und 2012 - als Prozessstandschafterin der Erwerber - mehrfach Mängelansprüche wegen Mängeln der Dach- und Balkonentwässerung geltend gemacht hat, die von der Beklagten jeweils reguliert wurden, und sich später bei der klageweisen Geltendmachung weiterer Mängelansprüche gegenüber der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums berufen hat, resultiert hieraus bereits keine sachliche Unvereinbarkeit zwischen dem früheren und dem späteren Verhalten. Denn das Verhalten der Klägerin ist vor dem Hintergrund der von der Beklagten gestellten Formularklausel zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums und unter Berücksichtigung der Schutzrichtung der Inhaltskontrolle zu würdigen. Die genannte Formularklausel wirkt sich für die betroffenen Erwerber - und damit auch für die als deren Prozessstandschafterin agierende Klägerin - einerseits (bezüglich der Voraussetzungen für die Geltendmachung von Mängelansprüchen, insbesondere Kostenvorschussansprüchen) günstig und andererseits (bezüglich des Beginns der Verjährung der Mängelansprüche) ungünstig aus; die Inhaltskontrolle dient ausschließlich dem Schutz des Vertragspartners des Verwenders, nicht dem Schutz des Verwenders. Vor diesem Hintergrund kann angesichts der erörterten Klauselambivalenz und der Schutzrichtung der Inhaltskontrolle bereits eine sachliche Unvereinbarkeit zwischen dem früheren und dem späteren Verhalten der Klägerin nicht angenommen werden. Im Übrigen ist durch das frühere Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Mängelansprüchen in den Jahren 2007 und 2012 ebenso wenig wie durch die Regulierung dieser Ansprüche ein vorrangig schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten dahingehend begründet worden, dass sich die Klägerin bei etwaiger erneuter späterer Geltendmachung von Mängelrechten nach Ablauf eines Zeitraums, der die Frist des § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB übersteigt, gegenüber der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung nicht auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums berufen würde. Die Interessen der Beklagten erscheinen insoweit im Hinblick darauf, dass sie als Verwenderin der Formularklausel für den Nichtbeginn der Verjährung (vgl. § 634a Abs. 2 BGB) hinsichtlich der auf Mängel an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums bezogenen Mängelansprüche verantwortlich ist, und im Hinblick darauf, dass sie im Antwortschreiben vom 3. September 2015 an die Verwalterin für eine erneute Abnahme des Gemeinschaftseigentums im Hinblick auf die bereits zuvor angeblich wirksam erfolgte Abnahme keinen Raum sah, nicht vorrangig schutzwürdig.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO) dar. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, sie dürfe dem Begehren der Klägerin die Einrede der Verjährung entgegenhalten, nachdem die Verjährungshöchstfrist des § 199 Abs. 4 BGB im Hinblick auf den Erfüllungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB angeblich spätestens mit dem Ende des Jahres 2015 abgelaufen sei. Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls wann die genannte Verjährungshöchstfrist abgelaufen ist. Des Weiteren kann hier offenbleiben, ob und welchen Einfluss ein Ablauf der Verjährungshöchstfrist bezüglich des Erfüllungsanspruchs grundsätzlich auf die Verjährung von Mängelansprüchen hat. Im Rahmen der gegen die geltend gemachten Mängelansprüche erhobenen Verjährungseinrede könnte die Beklagte jedenfalls aus AGB-rechtlichen Gründen den angeblichen Ablauf der Verjährungshöchstfrist bezüglich des Erfüllungsanspruchs nicht mit Erfolg geltend machen. Wie bereits erörtert, ist es der Beklagten als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde; die Klägerin kann trotz der nicht wirksam erklärten Abnahme des Gemeinschaftseigentums Mängelansprüche gegen die Beklagte geltend machen.
Kontext der Entscheidung
Der VII. Zivilsenat hat bereits entschieden, dass sich Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen bei nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geschlossenen Bauträgerverträgen weiterhin grundsätzlich nach Werkvertragsrecht richten und die von einem Bauträger in einem Erwerbsvertrag gegenüber Nachzügler-Erwerbern gestellten Formularklauseln "Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums ist durch das Ingenieurbüro K. … am … erfolgt. Die Verjährungsfrist für Ansprüche und Rechte wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum läuft für den Käufer zum selben Termin ab wie für diejenigen Käufer, welche die gemeinschaftliche Abnahme durchgeführt haben" unwirksam sind (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 –, Rn. 43 mwN.; dazu: Thode, jurisPR-PrivBauR 12/2016 Anm. 1). Dem Bauträger ist es als Verwender dieser von ihm gestellten, unwirksamen Formularklauseln nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag noch im Erfüllungsstadium befinde und deshalb ein Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 –, Rn. 57 mwN.). Diese Grundsätze sind in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden. So ist vom Senat eine von einem Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags verwendete Klausel, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch den Bauträger selbst als Erstverwalter ermöglicht, für unwirksam erklärt worden (BGH, Urteil vom 30. Juni 2016 – VII ZR 188/13 –, Rn. 22). Eine von einem Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrages verwendete Klausel, die die nach Entstehen der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft und Abnahme des Gemeinschaftseigentums vertragschließenden Erwerber ("Nachzügler") an eine durch frühere Erwerber bereits erfolgte Abnahme des Gemeinschaftseigentums bindet, ist wegen mittelbarer Verkürzung der Verjährung gemäß § 309 Nr. 8 lit. b ff BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – VII ZR 49/15 –, Rn.37; dazu: Thode, jurisPR-PrivBauR 7/2016 Anm. 2). Dem Bauträger ist es als Verwender dieser von ihm gestellten, unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass der Vertrag sich noch im Erfüllungsstadium befinde und deshalb ein Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – VII ZR 49/15 –, Rn.41). Diese Grundsätze hat auch das Berufungsgericht nicht verkannt. Es hat jedoch gemeint, „es wäre mit Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn die Klägerin nun Ansprüche geltend machen könnte, die nur noch durchsetzbar wären, wenn es an einer Abnahme fehlt. Die Klägerin hatte den aus einer Abnahme folgenden rechtlichen Vorteil in Anspruch genommen. Dann muss sie auch den mit der Abnahme einhergehenden Nachteil tragen.“ (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. November 2022 – 1 U 42/21 –, Rn. 47). Dem tritt der BGH entgegen, indem es den Anwendungsbereich des § 242 BGB für Konstellationen dieser Art wesentlich enger sieht: „Nicht jeder Widerspruch zwischen zwei Verhaltensweisen ist als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu werten. Vielmehr ist widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) dann rechtsmissbräuchlich, wenn das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Ist durch das frühere Verhalten einer Partei kein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei begründet worden, ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht zu ziehen, etwa bei einem unlösbaren Widerspruch zwischen früherer und späterer Rechtsausübung.“ (BGH, Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 241/22 –, Rn. 39, mwN.). Entscheidend sind letztlich die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 – XII ZB 508/14 –, Rn. 12, mwN.). Es verbleibt dabei bei der Bewertung, dass der BGH für „Bauträgerverträge, die eine unwirksame Abnahmeklausel enthalten, mit dem missglückten Versuch, den Fall mit Hilfe der Generalklausel des § 242 BGB zu lösen, zur Ausweitung der bestehenden Rechtsunsicherheit beigetragen hat. Einzelfallentscheidungen, die mit der Generalklausel des § 242 BGB begründet werden, sind eine unzureichende Grundlage für die Beurteilung des Prozessrisikos.“ (Thode, jurisPR-PrivBauR 7/2016 Anm. 2).
Auswirkungen für die Praxis
Offen bleibt nach wie vor die Frage, welche Auswirkungen die Verjährung des Erfüllungsanspruchs des § 631 Abs. 1 BGB auf die Mängelansprüche des § 634 BGB hat. Das Offenlassen dieser Frage begründet der Senat mit der Erwägung, im Rahmen der gegen die geltend gemachten Mängelansprüche erhobenen Verjährungseinrede könnte die Beklagte jedenfalls aus AGB-rechtlichen Gründen den angeblichen Ablauf der Verjährungshöchstfrist bezüglich des Erfüllungsanspruchs nicht mit Erfolg geltend machen (BGH, Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 241/22 –, Rn. 45). In der Instanzrechtsprechung ist dazu die Auffassung vertreten worden, dem geltenden Recht sei es fremd, dass eine zunächst eingetretene Verjährung des Erfüllungsanspruches mit der Abnahme oder einem ihr gleichstehenden Ereignis beseitigt wäre und der Besteller nun Gewährleistungsrechte (doch) wieder binnen weiterer fünf Jahre geltend machen könnte. Ein derartiges Unterlaufen der Verjährung durch ein einseitiges und dem Willen des Unternehmers widersprechendes Verhalten des Bestellers müsse als nicht möglich angesehen werden (OLG Rostock, Teilurteil vom 2. Februar 2021 – 4 U 70/19 –, Rn. 78; ebenso: OLG Köln, Urteil vom 21. August 2020 – I-19 U 5/20 -, Rn. 42ff.). Dem ist das OLG Schleswig als Berufungsgericht jedoch mit der richtigen Erwägung entgegengetreten, dass die in § 199 Abs. 4 BGB geregelte Verjährungshöchstfrist nur für vertragliche Primärleistungsansprüche gilt, worunter zwar der Erfüllungsanspruch fällt, nicht aber der Anspruch auf Nacherfüllung, bei dem es sich um einen Sekundärleistungsanspruch handelt (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. November 2022 – 1 U 42/21 –, Rn. 38; ebenso: Praun, jurisPR-PrivBauR 2/2021 Anm. 5).
BGH: Zum Schadensersatzanspruch in der werkvertraglichen Leistungskette
1. In der werkvertraglichen Leistungskette kann der Hauptunternehmer gegenüber dem Nachunternehmer gemäß § 634 Nr. 4 BGB in Verbindung mit § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB den Schaden ersetzt verlangen, der ihm dadurch entsteht, dass er wegen der mangelhaften Werkleistung des Nachunternehmers seinerseits Mängelansprüchen seines Bestellers ausgesetzt ist. Hat der Hauptunternehmer in diesem Fall einen vom Besteller geltend gemachten Anspruch auf Kostenvorschuss gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB durch Zahlung erfüllt, kann er im Wege des Schadensersatzes gemäß § 634 Nr. 4 BGB in Verbindung mit § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB vom Nachunternehmer Zahlung in Höhe des geleisteten Kostenvorschusses verlangen.
2. Der Umstand, dass der vom Hauptunternehmer ersetzt verlangte Schaden darin liegt, dass er mit dem Kostenvorschuss noch keine endgültige, sondern eine zweckgebundene Zahlung an seinen Besteller geleistet hat, über deren Verwendung nach Mängelbeseitigung abzurechnen ist, ist allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen und kann zu einer Begrenzung des Umfangs seines Schadensersatzanspruchs gegen den Nachunternehmer führen.
Ob und in welcher Weise die Vorteilsausgleichung zu erfolgen hat, richtet sich im Grundsatz danach, ob der Besteller dem Hauptunternehmer bereits eine Abrechnung über die Verwendung des Kostenvorschusses erteilt hat.
a. Hat der Besteller dem Hauptunternehmer noch keine Abrechnung erteilt, kann der Nachunternehmer im Wege des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB durchsetzen, dass der Schadensersatz an den Hauptunternehmer in entsprechender Anwendung des § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung der aus der Vorschusszahlung folgenden Ansprüche des Hauptunternehmers gegen den Besteller auf Abrechnung sowie gegebenenfalls Rückzahlung zu leisten ist.
b. Hat der Besteller dem Hauptunternehmer dagegen bereits eine inhaltlich zutreffende Abrechnung erteilt und ist der Vorschussbetrag danach vollständig zur Mängelbeseitigung verbraucht worden, kommt eine Vorteilsausgleichung im Verhältnis des Hauptunternehmers zum Nachunternehmer nicht (mehr) in Betracht. Besteht nach erteilter Abrechnung ein noch nicht erfüllter Rückzahlungsanspruch des Hauptunternehmers gegen den Besteller, kann der Nachunternehmer im Wege des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB durchsetzen, dass der Schadensersatz an den Hauptunternehmer in entsprechender Anwendung des § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung dieses Anspruchs zu leisten ist. Ist es bereits zu einer vollständigen oder teilweisen Rückzahlung an den Hauptunternehmer gekommen, ist der zurückgezahlte Betrag von Amts wegen auf den vom Nachunternehmer in Geld zu leistenden Schadensersatz anzurechnen und führt zu dessen Verringerung.
3. Den Hauptunternehmer trifft in diesem Fall eine sekundäre Darlegungslast für die anspruchsmindernden Vorteile, die sich daraus ergeben, dass er an seinen Besteller einen Kostenvorschuss wegen der mangelhaften Werkleistung seines Nachunternehmers geleistet hat. Ihm obliegt es deshalb insbesondere darzulegen, ob der Besteller bereits eine Abrechnung über die Verwendung des Kostenvorschusses erteilt hat, und gegebenenfalls nähere Angaben zum Inhalt und Ergebnis der Abrechnung machen.
BGH, Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 92/20
Problemstellung
Die Rechtsprechungsänderung des VII. Zivilsenates, die schlagwortartig als „Ende der fiktiven Mangelbeseitigungskosten im Bauvertragsrecht“ bezeichnet wird (Irl, AnwZert BauR 15/2018 Anm. 1), bringt Folgeprobleme mit sich, von denen der Senat nunmehr eines zu entscheiden hatte. Zu beantworten war die Frage, welche Ansprüche in der werkvertraglichen Leistungskette der Hauptunternehmer gegen einen für Mängel verantwortlichen Nachunternehmer hat, wenn er seinerseits zur Zahlung von Kostenvorschuss an den Besteller verurteilt worden ist.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine auf Holzbau spezialisierte Unternehmerin, verlangt von dem Beklagten, der Inhaber eines Meisterbetriebs für Heizungs-, Sanitär- und Solaranlagen ist, Schadensersatz in Höhe von insgesamt 47.190,33 € nebst Zinsen wegen mangelhafter Werkleistung. Die Klägerin wurde im Jahr 2011 von der C. GmbH damit beauftragt, die Dachaufstockung und energetische Sanierung von neun Wohngebäuden vorzunehmen. Sie beauftragte den Beklagten als Nachunternehmer damit, die von ihr vorgefertigten Holztafelbauteile mit Sanitärsystemen zu bestücken. Nach Fertigstellung der Arbeiten ergab eine Überprüfung, dass die Abwasseranschlüsse nicht den Regeln der Technik entsprachen und eine fachgerechte Ausführung mit den in den Wänden installierten Rohrbelüftern nicht zu erreichen war. Es kam zur Geruchsbildung in den Wohnungen. Die von der C. GmbH wegen dieser Mängel in Anspruch genommene Klägerin wurde in einem Vorprozess rechtskräftig zur Zahlung eines Vorschusses für die zur Mängelbeseitigung erforderlichen Aufwendungen in Höhe von 39.103,68 € sowie zur Zahlung der bereits aufgewandten Kosten für die Mängelbeseitigung in Höhe von 8.086,65 € verurteilt. Die Klägerin zahlte den zuerkannten Betrag in Höhe von insgesamt 47.190,33 € am 12. Januar 2015 an die C. GmbH.
Das Landgericht hat der auf Schadensersatz in Höhe der Verurteilung im Vorprozess gerichteten Klage - nach Abzug eines Mitverschuldensanteils zu Lasten der Klägerin - in Höhe von 11.797,58 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 47.190,33 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Der Beklagte schulde der Klägerin gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB Schadensersatz wegen mangelhafter Werkleistung im Umfang des vollen Betrags, den die Klägerin infolge dieser Mängel nach dem rechtskräftigen Urteil im Vorprozess an die C. GmbH habe zahlen müssen. Das Werk des Beklagten sei mangelhaft, da die von ihm ausgeführte Rohrbelüftung unstreitig zu Geruchsbelästigungen in den Wohnungen führe und weder DIN-gerecht noch den anerkannten Regeln der Technik entsprechend sei. Das für den Schadensersatzanspruch erforderliche Verschulden des Beklagten werde vermutet. Einen Mitverursachungsanteil müsse sich die Klägerin nicht anrechnen lassen. Der Höhe nach bemesse sich der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach dem Betrag, zu dessen Zahlung sie selbst rechtskräftig verurteilt worden sei und dessen tatsächliche Entrichtung am 12. Januar 2015 sie belegt habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass sich der Schaden der Klägerin nachträglich reduziert habe, beispielsweise weil die tatsächlichen Aufwendungen für die Mängelbeseitigung durch die C. GmbH geringer gewesen seien als der ihr hierfür zuerkannte Vorschussbetrag oder weil die C. GmbH davon Abstand genommen habe, die Mängel zu beheben. Die Klägerin sei im Verhältnis zum Beklagten nicht abrechnungspflichtig; sie fordere Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB und keinen Kostenvorschuss oder Aufwendungsersatz für die Selbstbeseitigung der Mängel nach § 634 Nr. 2 BGB und § 637 Abs. 3 BGB. Den Einwand der Klägerin, der Vorschussbetrag sei von der C. GmbH vollumfänglich für die Mängelbeseitigung verbraucht worden, habe der Beklagte nicht widerlegt. Er trage insoweit nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast. Es existiere keine tatsächliche Vermutung des Inhalts, dass eine Behebung von Baumängeln nicht stattgefunden habe. Allenfalls lasse sich nach dem Ablauf eines längeren Zeitraums, für dessen Dauer die jeweils konkreten Umstände von maßgeblicher Bedeutung seien, widerleglich vermuten, dass bei dem Besteller der Wille fehle, einen Vorschussbetrag zur Mängelbeseitigung einzusetzen, wenn von ihm bis dahin keine oder lediglich unzureichende Anstrengungen diesbezüglich unternommen worden seien. Das stehe hier jedoch nicht fest. Hinzu komme, dass sich der Schaden der Klägerin nachträglich erst dann verringere, wenn eventuelle Überschüsse durch die C. GmbH bereits tatsächlich ausgekehrt worden wären (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20. Mai 2020 – 11 U 74/18).
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat der Senat unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde - auch soweit sie sich gegen die Verneinung eines Mitverschuldens gerichtet hat - die Revision insoweit zugelassen, als das Berufungsgericht den Beklagten unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt hat, an die Klägerin 39.103,68 € nebst Zinsen zu zahlen, wobei die Zulassung auf die Anspruchshöhe beschränkt worden ist. Die im Umfang der Zulassung eingelegte Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im tenorierten Umfang und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Nach dem Berufungsurteil steht rechtskräftig fest, dass die Klägerin gegen den Beklagten dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes wegen der mangelhaften Rohrbelüftung gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB hat und ein Abzug wegen eines Mitverursachungsanteils der Klägerin nicht in Betracht kommt. Mit der vom Berufungsgericht zur Höhe des Schadensersatzanspruchs gegebenen Begründung kann der Urteilsspruch indes nicht gerechtfertigt werden.
Allerdings hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass der Klägerin aufgrund der mangelhaften Rohrbelüftung ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zusteht, der auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der dadurch entstanden ist, dass die Klägerin wegen des Mangels ihrerseits einen Kostenvorschuss gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB in Höhe von 39.103,68 € an die C. GmbH gezahlt hat. Das Berufungsgericht hat durch die konkrete Bezugnahme auf den von der Klägerin vorgelegten Überweisungsbeleg widerspruchsfrei mit Tatbestandswirkung festgestellt, dass diese Zahlung am 12. Januar 2015 auf den im Vorprozess ausgeurteilten Kostenvorschussanspruch erfolgt ist.
Mit Urteil vom 22. Februar 2018 (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17; dazu: Thode, jurisPR-PrivBauR 6/2018 Anm. 1) hat der Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten bemessen kann. Der Senat hat insoweit ausgeführt, dass die Schadensbemessung nach "fiktiven" Mängelbeseitigungskosten insbesondere nicht damit begründet werden kann, dass der Mangel selbst - unabhängig von dessen Beseitigung - der Vermögensschaden in Höhe dieser Kosten sei. Diese Rechtsprechung gilt auch in der werkvertraglichen Leistungskette. Die neue Rechtsprechung des Senats führt indes nicht dazu, dass ein Hauptunternehmer in der werkvertraglichen Leistungskette den an seinen Besteller gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB zur Mängelbeseitigung gezahlten Kostenvorschuss nicht im Rahmen eines infolge dieser Mängel gegebenen Schadensersatzanspruchs gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB gegen seinen Nachunternehmer als Schaden liquidieren könnte. Insbesondere ist ein Hauptunternehmer, wenn sein Besteller zur Mängelbeseitigung einen Kostenvorschuss verlangt, nicht seinerseits auf die Geltendmachung eines Anspruchs auf Kostenvorschuss wegen dieser Mängel gegenüber seinem Nachunternehmer beschränkt. Er kann vielmehr - nach seiner Wahl - auch Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4 BGB in Verbindung mit § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB verlangen.
Mit dem Schadensersatzanspruch gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB kann der Hauptunternehmer gegenüber dem Nachunternehmer den Schaden ersetzt verlangen, der ihm dadurch entsteht, dass er wegen der mangelhaften Werkleistung des Nachunternehmers seinerseits Mängelansprüchen seines Bestellers ausgesetzt ist. In der werkvertraglichen Leistungskette ist der Hauptunternehmer wirtschaftlich betrachtet nur eine Zwischenstation. Ist das durch seinen Nachunternehmer ausgeführte Werk mangelhaft, kann nicht der Mangel selbst bereits als der in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten bestehende Vermögensschaden des Hauptunternehmers qualifiziert werden. Der Schaden des Hauptunternehmers liegt in einem solchen Fall vielmehr zunächst darin, dass er infolge der mangelhaften Werkleistung seines Nachunternehmers mit Verbindlichkeiten belastet wird, indem er aufgrund des betreffenden Werkmangels seinerseits Mängelansprüchen seines Bestellers ausgesetzt ist. Der Hauptunternehmer kann daher von seinem Nachunternehmer im Wege des Schadensersatzes gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB Freistellung von den Mängelansprüchen des Bestellers verlangen. Verlangt ein Besteller wie hier zur Beseitigung von Mängeln Kostenvorschuss, kann der Hauptunternehmer mithin verlangen, dass der Nachunternehmer ihn von dem Vorschussanspruch des Bestellers freistellt. Hat der Hauptunternehmer den vom Besteller geltend gemachten Anspruch auf Kostenvorschuss dagegen bereits durch Zahlung erfüllt, wandelt sich sein zunächst auf Freistellung gerichteter Schadensersatzanspruch gegen den Nachunternehmer in einen solchen auf Zahlung in Höhe des geleisteten Kostenvorschusses. Dabei handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch auf Zahlung noch nicht aufgewendeter "fiktiver" Mängelbeseitigungskosten. Vielmehr macht der Hauptunternehmer im Wege des Schadensersatzes die Vermögenseinbuße geltend, die ihm durch die Zahlung des Kostenvorschusses an seinen Besteller tatsächlich entstanden ist.
Der von der Klägerin an die C. GmbH wegen der mangelhaften Rohrbelüftung gezahlte Kostenvorschuss in Höhe von 39.103,68 € stellt danach eine ersatzfähige Schadensposition des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB dar. Das Berufungsgericht hat aber die Grundsätze der Vorteilsausgleichung in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichend berücksichtigt und die in diesem Zusammenhang zu stellenden Anforderungen an die Darlegungslast verkannt. Nach den auf Treu und Glauben gemäß § 242 BGB beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Hat das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis neben Nachteilen auch Vorteile gebracht, sind nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung diejenigen Vorteile auszugleichen, die dem Geschädigten in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind und deren Ausgleichung mit dem Zweck des jeweiligen Ersatzanspruchs übereinstimmt. Denn der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Die Durchsetzung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots begrenzt den zu leistenden Schadensersatz. Gleichartige Vorteile sind dabei, ohne dass dies einredeweise geltend gemacht werden müsste, von Amts wegen auf den Schadensersatz anzurechnen und führen bei einem in Geld zu leistenden Schadensersatz zu dessen Verringerung. Kommt wegen der mangelnden Gleichartigkeit des auf das schädigende Ereignis zurückgehenden Vorteils eine Anrechnung hingegen nicht in Frage, ist ein auf Geld gerichteter Schadensersatz in seinem Umfang dadurch zu begrenzen, dass der betreffende Geldbetrag nur Zug um Zug gegen Herausgabe des betreffenden Vorteils geschuldet ist. Besteht der Vorteil in einem Anspruch des Geschädigten gegen einen Dritten, kann der Schädiger im Wege des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB durchsetzen, dass ihm dieser Anspruch in entsprechender Anwendung des § 255 BGB abgetreten wird. Auch § 255 BGB ist Ausdruck des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots. Der Umstand, dass der vom Hauptunternehmer ersetzt verlangte Schaden darin liegt, dass er mit dem Kostenvorschuss noch keine endgültige, sondern eine zweckgebundene Zahlung an seinen Besteller geleistet hat, über deren Verwendung nach Mängelbeseitigung abzurechnen ist, ist nach diesen Maßstäben im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen und kann zu einer Begrenzung des Umfangs seines Schadensersatzanspruchs gegen den Nachunternehmer führen.
Der Kostenvorschuss ist seiner Natur nach nicht endgültig. Er ist zweckgebunden und vom Besteller zur Mängelbeseitigung zu verwenden. Zahlt der Unternehmer einen Kostenvorschuss an den Besteller, muss dieser daher seine Aufwendungen für die Mängelbeseitigung nachweisen. Er muss innerhalb angemessener Frist nach Mängelbeseitigung über die Verwendung des erhaltenen Kostenvorschusses Abrechnung erteilen und einen etwaig für die Mängelbeseitigung nicht in Anspruch genommenen Betrag zurückzahlen. Mit der Zahlung des Kostenvorschusses entsteht folglich ein (künftiger) Anspruch des Unternehmers auf Abrechnung gegen den Besteller sowie auf Rückforderung in Höhe eines etwaig nicht zweckentsprechend verbrauchten Vorschusses. Bei den Ansprüchen auf Abrechnung und Rückforderung des Unternehmers handelt es sich um aus Treu und Glauben entwickelte Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis. Das den Schadensersatz begründende Ereignis - die mangelhafte Werkleistung des Nachunternehmers mit der Folge der Vorschusszahlung des Hauptunternehmers an den Besteller - führt mithin zu einer Vermögenseinbuße bei dem Hauptunternehmer, die nicht als endgültig bewertet werden kann. Die sich aus der Natur der Vorschusszahlung ergebenden Vorteile für den Hauptunternehmer stehen in einem adäquat kausalen Zusammenhang zu dem Schadensereignis und sind nach dem Zweck des Ersatzanspruchs grundsätzlich im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Ob und in welcher Weise die Vorteilsausgleichung in der werkvertraglichen Leistungskette im Verhältnis des Hauptunternehmers zu seinem Nachunternehmer zu erfolgen hat, richtet sich dabei im Grundsatz danach, ob der Besteller dem Hauptunternehmer bereits eine Abrechnung über die Verwendung des Kostenvorschusses erteilt hat. Hat der Besteller dem Hauptunternehmer noch keine Abrechnung erteilt, besteht der aus der Natur der Vorschusszahlung herrührende Vorteil des Hauptunternehmers darin, dass er bei Fälligkeit zunächst die Abrechnung und sodann die Rückzahlung eines etwaig nicht zur Mängelbeseitigung verbrauchten Geldbetrags verlangen kann. Mangels Gleichartigkeit des Vorteils kann der Nachunternehmer in diesem Fall im Wege des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB durchsetzen, dass der Schadensersatz an den Hauptunternehmer in entsprechender Anwendung des § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung der aus der Vorschusszahlung folgenden Ansprüche des Hauptunternehmers gegen den Besteller auf Abrechnung sowie gegebenenfalls Rückzahlung zu leisten ist. Hat der Besteller dem Hauptunternehmer dagegen bereits eine inhaltlich zutreffende Abrechnung erteilt und ist der Vorschussbetrag danach vollständig zur Mängelbeseitigung verbraucht worden, kommt eine Vorteilsausgleichung im Verhältnis des Hauptunternehmers zum Nachunternehmer nicht (mehr) in Betracht. Ergibt sich nach einer vom Besteller erteilten Abrechnung, dass der Vorschussbetrag ganz oder teilweise nicht zur Mängelbeseitigung verbraucht worden ist, ist eine entsprechende Rückzahlung jedoch noch nicht erfolgt, liegt der Vorteil des Hauptunternehmers darin, dass er gegen den Besteller einen Anspruch auf Rückzahlung hat. Mangels Gleichartigkeit des Vorteils kann der Nachunternehmer auch in dieser Konstellation im Wege des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB durchsetzen, dass der Schadensersatz an den Hauptunternehmer in entsprechender Anwendung des § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung dieses Anspruchs zu leisten ist. Ist es dagegen wegen nicht zweckentsprechender Verwendung des Vorschussbetrags bereits zu einer vollständigen oder teilweisen Rückzahlung an den Hauptunternehmer gekommen, handelt es sich bei dem zurückgezahlten Betrag um einen gleichartigen Vorteil, der von Amts wegen auf den vom Nachunternehmer in Geld zu leistenden Schadensersatz anzurechnen ist und zu dessen Verringerung führt. Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsmindernd zu berücksichtigenden Vorteile des Geschädigten trägt nach allgemeinen Grundsätzen zwar der Schädiger. Den Geschädigten trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast, soweit der Schädiger außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und dem Geschädigten nähere Angaben möglich und zumutbar sind. In der werkvertraglichen Leistungskette trifft nach diesen Maßstäben den Hauptunternehmer, der gegen den Nachunternehmer Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB geltend macht, grundsätzlich eine sekundäre Darlegungslast für die anspruchsmindernden Vorteile, die sich daraus ergeben, dass er an seinen Besteller einen Kostenvorschuss wegen der mangelhaften Werkleistung seines Nachunternehmers geleistet hat. Denn der Nachunternehmer hat im Regelfall keinen Einblick in die Abwicklung des zwischen dem Hauptunternehmer und dem Besteller geschlossenen Vertrags, während dem Hauptunternehmer nähere Angaben hierzu möglich und zumutbar sind. Dem Hauptunternehmer obliegt es deshalb insbesondere darzulegen, ob der Besteller bereits eine Abrechnung über die Verwendung des Kostenvorschusses erteilt hat, und gegebenenfalls nähere Angaben zum Inhalt und Ergebnis der Abrechnung machen.
Nach diesen Grundsätzen kann eine Vorteilsausgleichung nicht ausgeschlossen werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das den Schadensersatz begründende Ereignis - die mangelhafte Ausführung der Rohrbelüftung durch den Beklagten mit der Folge der Vorschusszahlung der Klägerin an die C. GmbH - bei der Klägerin zu einer Vermögenseinbuße in Höhe von 39.103,68 € geführt, die (noch) nicht als endgültig bewertet werden kann. Die sich aus der Natur der Vorschusszahlung ergebenden Vorteile für die Klägerin, also ihr Anspruch gegen die C. GmbH auf Abrechnung und Rückzahlung eines etwaig nicht zur Mängelbeseitigung verbrauchten Vorschussbetrags, sind grundsätzlich im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Dabei ist für die Frage, ob und inwieweit eine Vorteilsausgleichung zu erfolgen hat, zunächst entscheidend, ob die C. GmbH der Klägerin bereits eine Abrechnung erteilt hat. Dies hat das Berufungsgericht ebenso verkannt wie die in diesem Zusammenhang zu stellenden Anforderungen an die Darlegungslast. Der Beklagte hat geltend gemacht, dass angesichts des Zeitablaufs davon auszugehen sei, dass die C. GmbH den von der Klägerin gezahlten Kostenvorschuss entweder gar nicht zur Mängelbeseitigung verwendet habe oder zumindest nicht in vollem Umfang. Jedenfalls habe die C. GmbH inzwischen eine Abrechnung erteilen müssen. Damit hat der Beklagte seiner Darlegungslast genügt. Denn er kann nach den vorliegenden Umständen weder wissen noch muss er ermitteln, ob die C. GmbH der Klägerin bereits eine Abrechnung über die Verwendung des Kostenvorschusses erteilt hat, welchen Inhalt eine etwaig erfolgte Abrechnung hat und ob oder inwieweit es gegebenenfalls zu einer Rückzahlung an die Klägerin gekommen ist. Es ist deshalb Sache der Klägerin, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast zunächst vorzutragen, ob bereits eine Abrechnung der C. GmbH über die Verwendung des Kostenvorschusses erfolgt ist. Ist das der Fall, ist die Klägerin weiter gehalten, Inhalt und Ergebnis dieser Abrechnung näher darzulegen, um einerseits den Vortrag zur Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs zu vervollständigen und andererseits dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, zu den konkretisierten Angaben Stellung zu nehmen. Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts allein erfolgte Behauptung der Klägerin, wonach der Kostenvorschuss von der C. GmbH vollumfänglich zur Mängelbeseitigung verbraucht worden und es nicht zu einer Rückzahlung gekommen sei, genügt diesen Anforderungen nicht.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung stellt die logische Konsequenz aus der geänderten Rechtsprechung des Senats zu den sog. fiktiven Mangelbeseitigungskosten dar (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17; dazu: Thode, jurisPR-PrivBauR 6/2018 Anm. 1). Dem Senat ist zu danken, dass er die denkbaren Konstellationen des Verhältnisses zwischen dem Besteller und Hauptunternehmer und den jeweiligen Auswirkungen auf den Anspruch zwischen Haupt- und Nachunternehmer durchdekliniert. Auszugehen ist jeweils vom Grundsatz, dass dem Hauptunternehmer gegen den Nachunternehmer, der den in Frage stehenden Mangel der Werkleistung zu verantworten hat, ein Schadensersatzanspruch zusteht, wenn der Hauptunternehmer vom Besteller erfolgreich auf Kostenvorschuss in Anspruch genommen worden ist. Der Anspruch des Hauptunternehmers gegen den Nachunternehmer kann aber nicht in der Höhe identisch sein mit dem Kostenvorschussanspruch, dem sich der Hauptunternehmer ausgesetzt sieht. Denn der Kostenvorschussanspruch gemäß § 637 Abs.3 BGB ist nur vorläufiger Natur und stellt keine endgültige, sondern eine zweckgebundene Zahlung dar, über deren Verwendung nach Mängelbeseitigung abzurechnen ist. Innerhalb welchen Zeitraums der Besteller auf Verlangen des Unternehmers abrechnen muss, ist Frage des Einzelfalls. Hat der Besteller den Vorschuss nicht zur Selbstvornahme verwendet, besteht ein Rückforderungsanspruch des Unternehmers (BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – VII ZR 108/08). Die vorläufige Rechtsnatur des Vorschussanspruchs ist für den Anspruch des Hauptunternehmers gegenüber dem Nachunternehmer auf Schadensersatz wegen des vom Hauptunternehmer an den Bestellter gezahlten Kostenvorschuss im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen. Daraus ergeben sich für den Anspruch in der Leistungskette folgende Konsequenzen: Hat der Besteller den Kostenvorschuss vollständig verbraucht und gegenüber dem Hauptunternehmer abgerechnet, steht fest, dass ein Rückforderungsanspruch des Hauptunternehmers gegenüber dem Besteller nicht mehr besteht. Daher ist der Anspruch des Haupt- gegenüber dem Nachunternehmer nicht im Wege der Vorteilsausgleichung zu reduzieren. Steht demgegenüber fest, dass der Besteller die Selbstvornahme nicht durchführen wird, etwa weil der ihm dazu einzuräumende Zeitraum überschritten ist, stünde dem Hauptunternehmer ein Anspruch auf Rückzahlung des nicht zweckgemäß verbrauchten Vorschusses zu. Diesen Anspruch muss er – in entsprechender Anwendung von § 255 BGB – an den Nachunternehmer abtreten, wenn er ihn auf Ersatz des an den Besteller gezahlten Kostenvorschusses in Anspruch nehmen will. Der Nachunternehmer wiederum kann gegenüber dem Schadensersatzanspruch ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB geltend machen, bis der Hauptunternehmer ihm den Anspruch abtritt. Dasselbe gilt, wenn der Besteller dem Hauptunternehmer noch keine Abrechnung erteilt hat. Nur wenn es bereits zu einer vollständigen oder teilweisen Rückzahlung an den Hauptunternehmer gekommen ist, ist der zurückgezahlte Betrag von Amts wegen auf den vom Nachunternehmer in Geld zu leistenden Schadensersatz anzurechnen und führt zu dessen Verringerung. Da der vom Hauptunternehmer in Anspruch genommenen Nachunternehmer im Regelfall keinerlei Kenntnisse über den Stand des Abrechnungsverhältnisses zwischen Haupt- und Nachunternehmer haben wird, trifft den Hauptunternehmer eine sekundäre Darlegungslast über den Stand der Abrechnung. Damit ist den Interessen des Nachunternehmers ausreichend genügt. Allerdings trifft ihn das Insolvenzrisiko des Bestellers, während sich der Hauptunternehmer durch Inanspruchnahme seines Nachunternehmers – dessen Liquidität vorausgesetzt – schadlos halten kann. Zudem trifft den Nachunternehmer eine Prozessführungsobliegenheit, die mit Aufwand von Zeit und Kosten verbunden ist. In der Vergangenheit waren Rückforderungsprozesse des Vorschussgläubigers gegen den Vorschussschuldner kaum zu beobachten, was seinen Grund darin findet, dass der Schuldner, der trotz Ablaufs eines dafür angemessenen Zeitraums den Vorschuss nicht zweckgerichtet verwendet hatte, bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit einem entsprechenden Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe aufrechnen konnte (BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – VII ZR 213/07 –, Rn. 24). Dieser Anspruch besteht seit der Rechtsprechungsänderung des Senates zu den „fiktiven Mängelbeseitigungskosten“ nicht mehr, weil der Schadensersatzanspruch nicht mehr nach den hypothetischen Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann. Lässt der Besteller den Mangel nicht beseitigen, kann er den Schaden in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 –, Rn. 27). Die Aufrechnung mit einem so ermittelten Anspruch wird im Regelfall schwierig durchzusetzen sein und die Erstellung kostenaufwendiger Sachverständigengutachten erfordern. Daher könnten Rückforderungsprozesse wegen eines nicht zweckgemäß verwandten Kostenvorschusses zukünftig häufiger werden.
Auswirkungen für die Praxis
Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast, ist es Sache des Anspruchstellers, die für seine Behauptung sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers dagegen nach § 138 Abs. 3 als zugestanden (BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 – I ZR 150/15 –, Rn. 30 mwN.).
BGH: Keine erstmalige Fristverlängerung ohne Begründung
Der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers darf nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt.
BGH, Beschluss vom 14. November 2023 – XI ZB 10/23
Problemstellung
Mit den Anforderungen an den ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte sich der XI. Zivilsenat zu befassen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte hat gegen ein ihm am 22. Dezember 2022 zugestelltes Urteil, durch das er zur Rückzahlung eines Darlehens verurteilt worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter ohne Begründung beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat bis zum 22. März 2023 zu verlängern. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende verfügt, der Beklagte erhalte im Hinblick auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO Gelegenheit, seinen Fristverlängerungsantrag unverzüglich zu begründen. Diese Verfügung sollte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Begleitschreiben über das besondere elektronische Anwaltspostfach mitgeteilt werden. Versehentlich wurde am 22. Februar 2023 jedoch nur das Begleitschreiben ohne die Verfügung übersandt. Darin heißt es: "Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt […], anliegende Dokumente werden Ihnen elektronisch übermittelt." Nachdem in der Folgezeit keine Reaktion des Beklagten erfolgt war, hat der Vorsitzende des Berufungssenats den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen, weil der Beklagte keine Einwilligung der Klägerin beigebracht und entgegen § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO trotz des gerichtlichen Hinweises keine erheblichen Gründe dargelegt habe. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mitgeteilt, dass ihm die Verfügung vom 21. Februar 2023 nicht zugegangen sei und er auf einen entsprechenden Hinweis sofort reagiert hätte, zumal die beantragte Fristverlängerung auf einer Arbeitsüberlastung infolge seiner Corona-Erkrankung beruht habe. Weiter hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und erneut eine Verlängerung dieser Frist um einen Monat beantragt. Zur Begründung hat er auf die unterbliebene Mitteilung des in der Verfügung vom 21. Februar 2023 enthaltenen Hinweises sowie darauf verwiesen, dass in einem bei einem anderen Senat desselben Berufungsgerichts geführten Verfahren mit einem gleichlautenden Antrag die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei. Er habe daher darauf vertrauen dürfen, dass auch im Streitfall die Frist wie beantragt verlängert oder ihm anderenfalls ein entsprechender Hinweis erteilt werde.
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil der Beklagte nicht glaubhaft gemacht habe, ohne sein bzw. ein ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an einem ordnungsgemäßen Fristverlängerungsantrag gehindert gewesen zu sein. Führe die beantragte Fristverlängerung zur Verzögerung des Rechtsstreits, dürfe die Berufungsbegründungsfrist nur dann verlängert werden, wenn es sich um den ersten Fristverlängerungsantrag handele und der Rechtsmittelführer darin gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlege. Werde der Antrag nicht begründet, müsse der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Antrag deshalb abgelehnt werde. Diese Rechtsprechung müsse dem Rechtsanwalt auch bekannt sein. Da ein gerichtlicher Hinweis nicht erforderlich gewesen sei, könne sich daraus, dass die Verfügung vom 21. Februar 2023 dem Beklagten nicht mitgeteilt worden sei, von vornherein nichts zu dessen Gunsten ergeben. Darüber hinaus stelle es ein selbständiges Verschulden dar, wenn ein Prozessbevollmächtigter, dem auf seinen Fristverlängerungsantrag ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts zugehe, dem aber die darin in Bezug genommene Verfügung nicht beigefügt sei, diesen Vorgang weder zum Anlass für eine Nachfrage bei Gericht noch für eine Überprüfung seines Fristverlängerungsantrags nehme, obwohl ein Prozessbevollmächtigter im Fall eines solchen Antrags ohne Darlegung erheblicher Gründe bei Gericht nachfragen müsse, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden sei. Der Beklagte habe auch nicht deshalb auf die Stattgabe des Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen, weil in einem Fall durch einen anderen Senat des Berufungsgerichts eine Berufungsbegründungsfrist ohne Darlegung eines erheblichen Grundes verlängert worden sei (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. April 2023 – 6 U 14/23).
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Denn die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners - auf diese hat sich der Beklagte nicht berufen - auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Er darf jedoch im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Das setzt die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung voraus, auch wenn an diese bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und beispielsweise der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten ausreicht, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Entspricht der Fristverlängerungsantrag diesen Anforderungen und darf der Prozessbevollmächtigte deshalb mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen, ist er nicht gehalten, sich vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht zu vergewissern, ob dem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde. Dagegen kann der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt. In einem solchen Fall muss der Prozessbevollmächtigte damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird. Die ihm nach diesen Maßgaben im Zusammenhang mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist obliegenden Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht eingehalten. In dem Antrag vom 21. Februar 2023 sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Dem Schriftsatz ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Verlängerung begehrt worden ist. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern wäre gehalten gewesen, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde.
Das gilt auch, nachdem dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am letzten Tag der Frist, einen Tag nach Einreichung seines Antrags, ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts übersandt wurde, dem das darin in Bezug genommene Dokument nicht beigefügt war. Denn es war nicht ersichtlich, ob es sich dabei um einen Hinweis auf die fehlende Begründung, die Gewährung oder die Ablehnung der beantragten Fristverlängerung handelte. Der Prozessbevollmächtigte, der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ihm bekannt sein musste, mit der Ablehnung seines nicht begründeten Fristverlängerungsantrags rechnen musste, konnte nicht darauf vertrauen, dass es sich um die Gewährung der Fristverlängerung oder die rechtzeitige Erteilung eines Hinweises handelte.
Kontext der Entscheidung
Ausreichend kann eine konkludente Begründung des erstmaligen Fristverlängerungsantrags sein. So hatte ein Prozessbevollmächtigter die beantragte Fristverlängerung weder auf eine Erkrankung noch auf eine Urlaubsabwesenheit gestützt, jedoch ausdrücklich klargestellt, dass die Fristverlängerung nicht wegen einer noch ausstehenden Rücksprache bei der Partei erforderlich ist. Wenn ein Prozessbevollmächtigter bei dieser Sachlage unter Hinweis auf eine bereits erfolgte Rücksprache mit der Partei erstmals eine kurzzeitige Fristverlängerung mit der Begründung beantragt, die nach dem Mandantengespräch erforderlich gewordenen Ergänzungen und Änderungen seien noch einzuarbeiten, „insoweit“ bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche, wird damit bei objektiver und vernünftiger Betrachtung zum Ausdruck gebracht, die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit genüge in Anbetracht des sonstigen Geschäftsanfalls des Prozessbevollmächtigten nicht, um die Berufungsbegründung fristgerecht mit der erforderlichen Sorgfalt fertigzustellen. Unter diesen Umständen für einen ausreichenden Fristverlängerungsantrag zu verlangen, dass die Wendung „Arbeitsüberlastung“ ausdrücklich gebraucht wird, käme einer bloßen Förmelei gleich (BGH, Beschl. v. 09.05.2017 - VIII ZB 69/16 Rn. 17). Nicht ausreichend ist aber die Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt. Ihr ist nämlich nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wurde. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht etwa ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – IV ZR 132/06 –, Rn. 7). Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Kläger zurechnen lassen muss, darf deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern hat Anlass, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – IV ZR 132/06 –, Rn. 8). Ein nicht bereits im Antrag auf Fristverlängerung, sondern erst nach Fristablauf mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgte Hinweis des Prozessbevollmächtigten, er sei derzeit überlastet, rechtfertigt keine andere Beurteilung (BGH, Beschluss vom 20. August 2019 – X ZB 13/18 –, Rn. 13).
Auswirkungen für die Praxis
Ist die Berufungsbegründungsfrist bereits über einen Monat hinaus verlängert worden, kann diese Frist nur mit Einwilligung des Gegners erneut verlängert werden (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Einwilligung muss nicht schriftlich und gegenüber dem Berufungsgericht erklärt werden; sie kann vielmehr auch vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt werden. In diesem Fall muss die Erteilung der Einwilligung in dem Fristverlängerungsantrag dargelegt werden (BGH, Beschl. v. 12.04.2006 - XII ZB 74/05 -, Rn. 9). Daher ist das Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die ihm gegenüber erklärte Einwilligung des Gegners in dem Verlängerungsantrag nicht erwähnt (BGH, Beschl. v. 22.03.2005 - XI ZB 36/04). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der, anders als § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO für die Einwilligung in die Sprungrevision, keine Schriftform verlangt. Die Schriftformbedürftigkeit des Verlängerungsantrages ist auf die Einwilligung nicht übertragbar. Der rechtzeitige Eingang eines Verlängerungsantrages oder einer Begründungsschrift hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft. Damit hierüber im Interesse der Rechtssicherheit Klarheit besteht, bedarf der Verlängerungsantrag der Schriftform (BGH, Beschl. v. 23.01.1985 - VIII ZB 18/84). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat keine vergleichbare Bedeutung für den Eintritt der formellen Rechtskraft, so dass kein Anlass besteht, an die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhöhte Anforderungen zu stellen und sie als schriftformbedürftig anzusehen (BGH, Beschl. v. 09.11.2004 - XI ZB 6/04 -, Rn. 11).
BGH: Vorfristen bei Rechtsmittelbegründungsfrist
Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist.
BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 - VI ZB 53/22
(LG Berlin, Entscheidung vom 16.02.2022 - 42 O 243/19; KG Berlin, Entscheidung vom 30.06.2022 - 22 U 28/22)
Das Problem:
Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Februar 2022 zugestellte Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2022 hat sie die Berufung begründet und zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, die Säumnis beruhe auf einem Versehen seiner Angestellten. Diese habe gemäß erteilter Weisung zwar die Berufungsfrist in den Fristenkalender eingetragen, allerdings aus im Nachhinein nicht mehr eruierbaren Gründen nicht auch die Berufungsbegründungsfrist, obwohl beide Fristen als "notiert" und damit als im Fristenkalender eingetragen vermerkt worden seien. Das Empfangsbekenntnis werde von ihm mit Datum versehen und unterzeichnet. Zugleich würden die Fristen notiert und die Akte zwecks Notierung der Fristen im Fristenkalender an die Angestellte übergeben. Die Fristen würden sodann von der Angestellten - nach erneuter Prüfung der Richtigkeit der notierten Frist - einzeln im Fristenkalender eingetragen und hinter dem Datum des jeweiligen Fristablaufs mit einem entsprechenden Vermerk "notiert" mit dem Kürzel der Angestellten versehen. Die Akte werde sodann wieder an ihn gegeben, um zu kontrollieren, ob der Erledigungsvermerk "notiert" aufgebracht worden sei. Im vorliegenden Fall sei der Posteingang über das beA erfolgt und somit von ihm direkt bearbeitet worden. Nach Kenntnisnahme des erstinstanzlichen Urteils seien durch ihn die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung notiert worden. Die Angestellte habe dann beide Fristen in den Fristenkalender eintragen sollen. Bei Einlegung der Berufung habe er sich noch einmal vergewissert, dass hinter beiden notierten Fristen ein Eintragungsvermerk aufgebracht worden sei. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass auch die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß eingetragen worden sei. In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Angestellten ist ausgeführt, es sei ihr nicht erklärlich, aus welchem Grunde sie nicht auch die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen habe. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Die Entscheidung des Gerichts:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Fristversäumung sei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Organisationsverschulden vorzuwerfen. Es sei anerkannt, dass ein Rechtsanwalt nicht nur Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu notieren habe, sondern auch eine Vorfrist. Dass es im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Anordnungen bezüglich einer solchen Vorfrist gebe, sei weder seinen Ausführungen in der Berufungsbegründung zu entnehmen, die zugleich den Wiedereinsetzungsantrag enthalte, noch der eidesstattlichen Versicherung seiner Angestellten. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass diese nicht nur die Eintragung der Begründungsfrist, sondern auch die einer Vorfrist vergessen hätte. Denn dies stehe nicht fest. Zum einen sei die Eintragung der Berufungsfrist erfolgt, zum anderen sei unklar, warum die Eintragung der Begründungsfrist nicht erfolgt sei. Dann aber sei nicht gesichert, dass auch eine Vorfrist nicht eingetragen worden wäre. Dies gehe zu Lasten der Klägerin. Wiedereinsetzung sei nur zu gewähren, wenn feststehe, dass es an einem zurechenbaren Verschulden fehle. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts sind nicht zu beanstanden. Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler des Büropersonals hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet. So liegt es hier. Nach den zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Notierung von Vorfristen angeordnet hatte. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter diese Vorgaben bei der Organisation seiner Kanzlei eingehalten hatte. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist nicht auszuschließen, dass bei Notierung einer Vorfrist die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden wäre.
Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre. Bei auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen wären die Akten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig vorgelegt worden. In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechtzeitig bemerkt, dass eine Berufungsbegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich (zurück-)gelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er nicht durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist enthoben. Hätte mithin der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Vorlage der Akten zur Vorfrist die Berufungsbegründung fristgerecht fertiggestellt und einer Büroangestellten mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden. Danach hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
Konsequenzen für die Praxis:
Eine wirksame Fristenkontrolle erfordert die Notierung von Vorfristen. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vo