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26.7.2024
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OLG Hamm: Elektr. Postfachpflicht für öbvS

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind gem. § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, ein elektronisches Postfach zu eröffnen, das für die elektronische Zustellung von elektronischen Dokumenten durch das Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24

  1. Problemstellung

Mit der Frage, ob auch Gerichtssachverständige zu den „sonstige(n) in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte(n) Personen“ des § 173 Abs. 2 ZPO gehören, die einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen haben, hat sich mit dem 22. Zivilsenat des OLG Hamm erstmalig ein Oberlandesgericht befasst.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine vom Senat beauftragte öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken verfügt nicht über ein elektronisches Postfach, das die Zustellung von elektronischen Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 173 ZPO durch die Justiz gestattet. Der Senat gibt ihr durch Beschluss auf, ein elektronisches Postfach einzurichten, das für die elektronische Zustellung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg iSv. § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist. Die Anordnung des Senats beruht auf § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach haben u.a. sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Öffentlich bestellte und vereidigte (öbuv) Sachverständige gehören zu diesem Personenkreis.      

Der Gesetzgeber hat die Beurteilung, ob Sachverständige zu dem Personenkreis der in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligten Personen zählen, den Gerichten überlassen. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt, hat er in dieser nur beispielhaft ("nicht abschließend") Personen, Vereinigungen und Organisationen angeführt, die unter dem Tatbestandsmerkmal zu fassen sind. Bei öbuv. Sachverständigen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung von einer erhöhten Zuverlässigkeit auszugehen. Wie sich aus § 36 Abs. 1 GewO ergibt, bestehen besonders hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Personen, die als Sachverständige öffentlich bestellt werden dürfen. Mit der öffentlichen Bestellung wird einem Sachverständigen u.a. die persönliche Integrität bestätigt. Zudem gewährleistet die Aufsicht der Bestellungskörperschaften, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen - wie bei anderen berufsständisch gebundenen Personen auch - fortwährend die notwendige Zuverlässigkeit für die Zustellung von gerichtlichen Dokumenten gesichert ist.

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind zudem in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligt. Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich unzweifelhaft, dass es zu einem wesentlichen Aufgabengebiet, also zum essentiellen Teil ihrer Profession zählt, an Gerichtsverfahren mitzuwirken. Es entspricht weiter auch Sinn und Zweck von § 173 Abs. 2 ZPO, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Verpflichtung einzubeziehen, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen. Die Regelung zielt darauf ab, Personen, Vereinigungen und Organisationen, die aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren, in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden. Das trifft auf öbuv. Sachverständige unzweifelhaft zu. Es gibt schließlich keine sonstigen Gründe, die durchgreifend gegen die Einbeziehung der öbuv. Sachverständigen in die unter § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Personengruppen sprechen. Die mit der Einrichtung und dem Betrieb der Postfächer zusammenhängenden Aufwände sind mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit für Gerichte verbunden und stellen - wie für andere Berufsgruppen auch - keinen der Anwendung des § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstehenden Grund dar. Sie sind verursacht durch eine Veränderung der technischen Umwelt und daraus resultierenden gesetzgeberischen Vorgaben, die eine hinzunehmende Rahmenbedingung für die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen.

  1. Kontext der Entscheidung

Nach Auffassung der Kommentarliteratur sollen seit dem 1.1.2024 zur Einrichtung eines sicheren Übermittlungswegs verpflichtet sein, wenn sie bei typisierender Betrachtung regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren und zugleich der Aufsicht durch berufsständische Kammern unterliegen. Hiervon kann nur bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und nicht lediglich typischerweise gelegentlicher Sachverständigentätigkeit ausgegangen werden (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 173 Rn. 10.11 mwN.). Fraglich erscheint, ob § 173 ZPO Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung an Sachverständige darstellt, ein elektronisches Postfach einzurichten, wie das OLG Hamm meint. Trotzdem geht der Beschluss in die richtige Richtung. Rechtsanwälte sind seit längerem gewohnt, Akten elektronisch zu führen. Ihnen in Papierform übersandte Gutachten stellen in diesem System einen Fremdkörper dar. Wünschenswert wäre ferner, wenn die Justiz selbst die Anforderungen elektronischer Kommunikation erfüllen würde, die sie an Rechtsanwälte und nun auch an Sachverständige stellt.

  1. Auswirkungen für die Praxis

Sachverständigen stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um ein elektronisches Postfach einzurichten. Sie können das kostenlose "Mein Justizpostfach" (MJP) nach dem OZG nutzen, das einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO eröffnet. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, das kostenpflichtige, aber dafür gegenüber dem MJP leistungsfähigere und nutzerfreundlichere besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) einzurichten, welches einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO begründet. Nach Auffassung des OLG sind Verwaltung und Gesetzgeber aufgerufen, durch die Optimierung der technischen Möglichkeiten und eine angemessene Berücksichtigung von durch die Nutzung des elektronischen Rechtverkehrs verursachten Mehrkosten bei der Vergütung ein Umfeld zu gewährleisten, welches die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen noch hinreichend attraktiv erscheinen lässt. Denn die Gerichte sind auf eine ausreichende Anzahl von hochqualifizierten Gerichtssachverständigen angewiesen, um die anstehenden, diesbezüglich beweisbedürftigen Verfahren zügig und qualitativ hochwertig erledigen zu können (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24 –, Rn. 21).

22.7.2024
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BGH: Kosten des selbständigen Beweisverfahrens

Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst.

BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23

  1. Problemstellung

Der V. Zivilsenat des BGH hatte zu entscheiden, wie die in der Praxis häufig vorkommende Konstellation gebührenrechtlich zu bewerten ist, dass einer von mehreren Antragsgegnern eines selbständigen Beweisverfahrens nicht Beklagter des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens wird, an diesem aber als Streithelfer beteiligt ist.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In einem selbstständigen Beweisverfahren war eine Antragsgegnerin - neben zwei weiteren Antragsgegnern - die Streithelferin der im anschließenden Hauptsacheverfahren Beklagten (im Folgenden: Streithelferin). Nach Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens setzte auf Antrag (nur) der Streithelferin das Landgericht den Klägern Frist zur Klageerhebung gemäß § 494a Abs. 1 ZPO. Nachdem die Kläger die Frist hatten verstreichen lassen, sprach das Landgericht durch Beschluss aus, dass die Kläger (dort Antragsteller) die der Streithelferin (dort Antragsgegnerin zu 3) im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu tragen haben. Auf den hierauf ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss zahlten die Kläger die festgesetzten Kosten von 3.172,62 € an die Streithelferin und erhoben sodann auf Grundlage des im selbstständigen Beweisverfahren vorgetragenen Sachverhalts Klage gegen die Antragsgegner zu 1 und 2. Die Streithelferin trat dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens den Klägern zu 55 % und den Beklagten zu 45 % auferlegt; außerdem hat es ausgesprochen, dass die Kläger die Kosten der Streithilfe zu 55 % zu tragen haben und im Übrigen die Streithelferin ihre Kosten selbst trage. Auf Antrag der Streithelferin hat das Landgericht ihren Kostenerstattungsanspruch gegen die Kläger auf 1.727 € festgesetzt, ohne hierbei die Kosten der Streithelferin im selbstständigen Beweisverfahren einzubeziehen. Den Antrag der Kläger, 45 % des aufgrund des im selbstständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses gezahlten Betrages (mithin 1.427,68 €) rückfestzusetzen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das OLG den Beschluss des Landgerichts abgeändert und den beantragten Erstattungsanspruch der Kläger gegen die Streithelferin festgesetzt. Zu den der Streithelferin im Hauptsacheverfahren auferlegten Kosten der Streithilfe zählten auch ihre Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren. Zu den Kosten des Klageverfahrens gehörten die gesamten Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens, selbst wenn in persönlicher oder sachlicher Hinsicht nur Teile daraus zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht worden seien. Dass das Prozessgericht die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens ausdrücklich in die von den Beklagten teilweise zu tragenden Kosten des Rechtsstreits einbezogen habe, wirke nach dem Grundsatz der Kostenparallelität auch zulasten der sie unterstützenden Streithelferin. Damit liege eine von dem Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren abweichende Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vor. Die streitige Frage nach der Auflösung dieses Konfliktes sei im Sinne eines Vorrangs der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem nur vorläufigen Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren zu entscheiden (OLG Hamm, Beschluss vom 28. September 2023 – I-25 W 234/23).  

Die Rechtsbeschwerde der Streithelferin hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an der für eine Rückerstattung erforderlichen nachträglichen Änderung der Kostenregelung im selbstständigen Beweisverfahren. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das OLG an, dass gemäß § 91 Abs. 4 ZPO auch solche Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können, die die obsiegende Partei der unterlegenen auf der Grundlage einer nur vorläufigen Kostenentscheidung im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat. Die Partei, die auf der Grundlage einer vorläufigen Kostengrundentscheidung die Festsetzung ihrer Kosten im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren erreicht hatte, soll nach Änderung der Kostengrundentscheidung hinnehmen müssen, dass der Titel zu gleichen Bedingungen wieder rückgängig gemacht wird. Ein Erfolg des Rückfestsetzungsantrags der Kläger setzt - wie das OLG richtig erkennt - voraus, dass die Kosten der Streithelferin aus dem selbstständigen Beweisverfahren zu den Kosten der Nebenintervention im Hauptsacheverfahren gehören. Denn der die Rückfestsetzung ermöglichende § 91 Abs. 4 ZPO gilt nur für Zahlungen an die unterlegene Partei, die auf deren Kosten in dem Rechtsstreit erbracht worden sind.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Ansicht des OLG, die auf die Kosten der Streithelferin bezogene Kostengrundentscheidung in dem Urteil im Hauptsacheverfahren erfasse die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung zugunsten der Streithelferin und lasse diese entfallen. Es liegt keine abweichende nachträgliche Verteilung der den Klägern im selbstständigen Beweisverfahren auferlegten Kosten vor. Die im Klageverfahren hinsichtlich des Streithelfers ergangene Kostengrundentscheidung umfasst nicht die dem Streithelfer als Antragsgegner im vorausgegangenen selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten; dies gilt unabhängig davon, ob insoweit eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangen ist oder nicht. Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens gehören zwar zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens. Sie werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens aber nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst. Die nicht verklagten Antragsgegner können ihre Kosten stattdessen nach § 494a Abs. 2 ZPO geltend machen. Hinsichtlich der nicht verklagten Antragsgegner besteht keine Parteiidentität zwischen dem selbstständigen Beweisverfahren und dem Hauptsacheverfahren, so dass die außergerichtlichen Kosten dieser Antragsgegner nicht als Kosten des Hauptsacheverfahrens anzusehen sind. Das gilt unabhängig davon, ob der nicht verklagte Antragsgegner bereits einen Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu seinen Gunsten erwirkt hat. Denn wenn er nicht Partei des Hauptsacheverfahrens geworden ist, handelt es sich bei seinen im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten in keinem Fall um Kosten des Hauptsacheverfahrens. An der erforderlichen Parteiidentität fehlt es insbesondere dann, wenn der Antragsgegner eines selbstständigen Beweisverfahrens einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelfer auf Beklagtenseite beitritt. Der Streithelfer ist nur Gehilfe der unterstützten Partei, ohne selbst Partei des Verfahrens zu sein. An der erforderlichen Parteiidentität für eine Einbeziehung der Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens in die Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens fehlt es daher, wenn an Stelle des Antragstellers oder des Antragsgegners ein Streithelfer aus dem selbstständigen Beweisverfahren Partei des sich anschließenden Rechtsstreits wird.  

Dies gilt gleichermaßen im umgekehrten Fall, wenn ein Antragsgegner im anschließenden Hauptsacheverfahren nicht Partei wird, sondern Streithelfer. Auch in diesem Fall führt die Nebenintervention nicht dazu, dass der Streithelfer hinsichtlich der Kosten zur Partei wird. Die Ersatzfähigkeit der Kosten der Nebenintervention richtet sich gemäß § 101 Abs. 1 iVm. §§ 91 ff. ZPO danach, inwieweit die unterstützte Hauptpartei unterlegen ist. Anders als bei einer gegen ihn selbst erhobenen Klage hat der Streithelfer seine Kosten daher unter Umständen auch dann zu tragen, wenn der Antragsteller ihn in das selbstständige Beweisverfahren einbezogen hatte, obwohl dem Antragsteller keine Ansprüche gegen den Antragsgegner zustehen. Zudem berühmt sich ein Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens, der letztlich eine andere Partei im Klageverfahren in Anspruch nimmt, zu Unrecht eines Anspruchs gegen den Antragsgegner und hat daher auch die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu tragen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein Antragsgegner so gestellt werden, als habe er obsiegt, wenn er im selbstständigen Beweisverfahren Kosten aufgewendet und ein günstiges Ergebnis erreicht hat und der Antragsteller danach von der Einleitung des Hauptprozesses gegen ihn absieht (BT-Drucks. 11/8283 S. 48). Wird ein Hauptsacheverfahren gegen einen Antragsgegner nicht erhoben, hat der Antragsteller keine Möglichkeit, eine prozessuale Kostenentscheidung zu seinen Gunsten zu erwirken. Denn im selbstständigen Beweisverfahren kann nur auf Antrag des Antragsgegners eine Kostenentscheidung ergehen, und zwar allein zu Lasten des Antragstellers. Da der Antragsteller nicht gehindert ist, im Anschluss an das Hauptsacheverfahren gegen die unterstützte Partei auch gegen den Streithelfer selbst noch Klage zu erheben, könnte es zudem zu widersprüchlichen Kostengrundentscheidungen hinsichtlich der ihm im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten kommen, würde über diese bereits als Teil der Kosten der Nebenintervention entschieden. Ein nicht verklagter Antragsgegner müsste außerdem auf einen Beitritt zum Hauptsacheverfahren gegen einen anderen Antragsgegner verzichten, um sich den Vorteil der vollen Kostenerstattung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu erhalten. Dies würde die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit entwerten, eine Hauptpartei zu unterstützen, und den nicht verklagten Antragsgegner insbesondere dort benachteiligen, wo ihm nach einer Streitverkündung die Prozessergebnisse aufgrund der Interventionswirkung nach § 74 Abs. 3 iVm. § 68 ZPO in Folgeprozessen entgegengehalten werden können.      

Nach diesen Maßstäben umfasst die Kostengrundentscheidung in dem Urteil des Landgerichts nicht die durch Beschluss des LG im selbstständigen Beweisverfahren erfolgte Entscheidung über die Kosten der Streithelferin. Die Streithelferin war selbst Antragsgegnerin im selbstständigen Beweisverfahren, aber gegen sie ist nicht Klage erhoben worden. Die Kläger haben nur gegen die weiteren Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren das Hauptsacheverfahren eingeleitet. Die Streithelferin wurde lediglich durch ihren Streitbeitritt auf Seiten der Beklagten an dem Hauptsacheverfahren beteiligt und nicht als Partei. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus dem Grundsatz der Kostenparallelität, nach dem die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten entsprechend § 101 Abs. 1 ZPO in dem gleichen Maßstab zu verteilen sind wie die Kosten zwischen den Parteien. Denn die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin sind in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst. Der Umstand, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren im Hauptprozess verwertet worden ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Betrachtung. Der angefochtene Beschluss des OLG kann somit keinen Bestand haben. Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat die sofortige Beschwerde gegen den die Rückfestsetzung versagenden Beschluss des Landgerichts selbst zurückweisen.

  1. Kontext der Entscheidung

Der VII. Zivilsenat hat bereits den ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass ein Prozessvergleich, der die „Kosten des Rechtsstreits“ quotiert, keine Auswirkungen auf die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens hat, wenn über dessen Kosten bereits rechtskräftig durch Kostenfestsetzungsbeschluss entschieden ist. Dabei hat der VII. Zivilsenat es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob eine nachträglich im Hauptsacheverfahren vom Gericht getroffene Kostenentscheidung stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert und dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – VII ZB 7/21 –, Rn. 14). Der V. Zivilsenat führt in der besprochenen Entscheidung ebenso aus, es bedürfe entgegen den Ausführungen des Beschwerdegerichts keiner Entscheidung darüber, ob die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO im Verhältnis zur Kostenentscheidung im nachfolgenden Klageverfahren eine vorläufige Kostentscheidung darstellt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 6). Es erscheint fraglich, ob man die Auffassung des OLG Hamm mit dem Argument verteidigen kann, die ZPO enthalte anders als in § 344 ZPO für die Kosten der Säumnis keine Regelung, dass es bei der Kostenentscheidung auch bei abweichender Entscheidung in der Hauptsache bleiben solle, so dass der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung gegen die Endgültigkeit des Kostenbeschlusses spreche (so Koos IBR 2024, 54). Dass der Grundsatz der Kostenparallelität auf die in Frage stehende Konstellation gerade nicht anwendbar ist, hat der V. Zivilsenat festgestellt, weil die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst sind (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 14).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Sollten die Parteien den Hauptsacheprozess durch Vergleich beenden wollen, ist außerordentliche Vorsicht bei der Formulierung des Vergleichs geboten, falls beabsichtigt ist, auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahren der späteren Streithelfer in den Vergleich einzubeziehen. Sollten die Prozessparteien die Einbeziehung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens in den Vergleich beabsichtigt haben, könnte den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit treffen. Ein gerichtlicher Vergleich stellt aufgrund seiner Doppelnatur auch einen materiell-rechtlichen Vertrag der Parteien dar. Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen. Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen und im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen (BGH, Urt. v. 16.12.2021 - IX ZR 223/20 Rn. 8).  

17.7.2024
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BGH: Anforderungen an die Berufungsbegründung

Liegt dem Rechtsstreit ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2024 – VI ZB 44/22

  1. Problemstellung

Mit den Anforderungen an die Berufungsbegründung bei einheitlichem Streitgegenstand und mehreren Schadenspositionen hatte sich der VI. Zivilsenat zu befassen.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das geleaste Fahrzeug des Klägers ist durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt worden. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Der Kläger beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens. Dieser ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 31.195,36 € netto und eine Wertminderung von 3.500 €. Er gab den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 31.932,77 € netto und den Restwert mit 18.060 € an. Der Kläger ließ mit Zustimmung der Leasingfirma das Fahrzeug für insgesamt 47.739,68 € brutto reparieren. Die Leasinggeberin ermächtigte den Kläger zur Geltendmachung der fahrzeugbezogenen Ansprüche im eigenen Namen. Mit der Klage hat der Kläger u.a. verlangt, ihn von Reparaturkosten der Kfz-Werkstatt, Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 sowie Rechtsanwaltskosten freizustellen, den Minderwert gegenüber der Leasinggesellschaft auszugleichen und ihm weitere Mietwagenkosten für den Zeitraum 21. März bis 30. Mai 2020 in Höhe von 1.318,46 € zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage bis auf die geforderte Freistellung von Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 und von anteiligen Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Schadensersatzpflicht der Beklagten habe auf Totalschadensbasis zu erfolgen und sei auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Freistellung von Reparaturkosten und Ausgleich des Minderwerts. Dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten für die Dauer der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs von 14 Tagen zu. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen, soweit der Kläger Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € und Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Berufungsbegründung hinsichtlich der geforderten Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € genüge bereits nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setze sich zwar mit der vom Landgericht verneinten Frage der Ersatzfähigkeit der den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten auseinander, es fehle aber jegliche Begründung hinsichtlich der im angekündigten Berufungsantrag enthaltenen Mietwagenkosten. Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung finde nicht statt. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Hinblick auf die geforderte Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 €. Soweit sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als unbegründet gewandt hat, hat der Senat diese mit Beschluss vom 28. Mai 2024 - VI ZR 199/22 zurückgewiesen.  

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Das ist vorliegend erfolgt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen und rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig. Liegt dem Rechtsstreit dagegen ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen.

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung hinsichtlich der vom Landgericht versagten Erstattung weiterer Mietwagenkosten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es insoweit nicht an einer Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts. Der Kläger hat in der Berufungsbegründungsschrift einen Berufungsantrag angekündigt, mit dem er unter anderem die Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € begehrt. Er hat ausgeführt, dass er während der Reparatur mehrere Mietwagen habe anmieten müssen. Die Rechtsansicht des Landgerichts, dass im Streitfall nur der Wiederbeschaffungsaufwand, nicht aber die Reparaturkosten ersatzfähig seien, hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich angegriffen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Das Landgericht hat die Erstattung weiterer Mietwagenkosten aus demselben Grund versagt wie die geforderte Freistellung von Reparaturkosten, nämlich mit der Erwägung, dass der Anspruch des Klägers auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt sei. Der Berufungsangriff gegen die Begründung des Landgerichts, mit der es die Ersatzfähigkeit der Reparaturkosten verneint hat, erfasst daher auch die Abweisung der Klage auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht bereits, dass kein Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten besteht. Das Berufungsgericht hat, soweit es die Berufung teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat, bindend entschieden, dass die Ersatzpflicht der Beklagten auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt ist. Die Bindungswirkung ergibt sich für das Berufungsgericht aus § 318 ZPO. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Teilzurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zudem Rechtskraft eingetreten. Bei einer klageabweisenden Entscheidung, wie sie zu den geltend gemachten Reparaturkosten und zum Minderwert ergangen ist, ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass das Landgericht bei der Frage der ersatzfähigen Mietwagenkosten nur die im Sachverständigengutachten angegebene Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen zugrunde gelegt habe, ohne den Zeitraum bis zur Gutachtenerstellung und eine angemessene Überlegungszeit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dem Kläger auf der Grundlage etwaiger noch zu treffender Feststellungen einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten zusprechen wird.

  1. Kontext der Entscheidung

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 7, mwN.).  Eine andere Beurteilung soll geboten sein, wenn es entscheidend auf eine Rechtansicht ankommt. Das Festhalten an einer im Urteil erster Instanz zurückgewiesenen Rechtsansicht führt auch dann nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden. Ein unzulässiger Verweis nur auf das Vorbringen erster Instanz liegt darin nicht. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen. Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist das verfassungsrechtliche Gebot abzuleiten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Das gilt auch für die Prüfung der Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 ZPO (BGH, Beschluss vom 07. Juni 2018 – I ZB 57/17 –, Rn. 10, kritisch dazu: Dastis, jurisPR-BGHZivilR 16/2018 Anm. 2).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Ob der Berufungsführer nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weiteren Vortrag zur Begründung der Berufung hält, ist unerheblich. Eine unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – III ZB 50/20 –, Rn. 28, mwN.). Erst recht sind Ausführungen des Berufungsbeklagten in der Berufungserwiderung nicht geeignet, eine unzulängliche Berufungsbegründung zu heilen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 15). Eine (teilweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Dieses Rechtsinstitut setzt die Versäumung einer gesetzlichen Frist voraus. Von der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung kann aber nach der nächstliegenden Bedeutung des Gesetzeswortlauts und aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit - bei hinreichender Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Gegenpartei - nur die Rede sein, wenn die rechtzeitige  Einreichung der Berufungsbegründung als solche unterblieben ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 – III ZR 285/95 –, Rn. 11).

17.7.2024
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BGH: Anforderungen an die Fristenkontrolle

Ein Rechtsanwalt hat seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Im Rahmen dieser gestuften Ausgangskontrolle hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird.

BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23

  1. Problemstellung

Der IV. Zivilsenat hatte sich zum wiederholten Male (vgl. zuvor: BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21) mit den Anforderungen an die allabendlich durchzuführende Fristenkontrolle des Rechtsanwalts zu befassen.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Gegen ein am 2. Februar 2023 zugestelltes landgerichtliches Urteil hat  der Kläger am 3. März 2023 Berufung eingelegt; mit am 6. April 2023 beim OLG eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Im Büro seiner Prozessbevollmächtigten erfolgten Aktenführung und Fristenkontrolle ausschließlich elektronisch mittels eines eingeführten Rechtsanwaltsprogramms. Im Falle eines eingehenden Urteils erster Instanz notiere die zuständige Mitarbeiterin die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist nebst entsprechenden Vorfristen im elektronischen Fristenkalender. Diese Tätigkeit führten ausschließlich geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte aus, deren Arbeit regelmäßig stichprobenartig kontrolliert werde. Die dem jeweiligen Rechtsanwalt zugeordnete Rechtsanwaltsfachangestellte habe zudem die Aufgabe, täglich vor Büro- beziehungsweise Dienstschluss dessen Kalender auf offene Fristen zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf die offene Frist hinzuweisen. Das vorliegende Verfahren sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zum Ablauf der Vorfrist vorgelegt worden, der die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist geprüft habe. Eine Bearbeitung sei zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich gewesen. Am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist habe der Rechtsanwalt sich auf die Büroorganisation verlassen und die Fristen nicht selbst überprüft. Die Frist sei versäumt worden, weil ihn die zuständige Mitarbeiterin nicht auf die offene Berufungsbegründungsfrist hingewiesen habe. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.  

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Gemäß § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Nach § 85 Abs. 2 ZPO ist der Partei ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet gewesen ist. So liegt es hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten beruht. Der Kläger hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten über eine den Anforderungen genügende Ausgangskontrolle verfügt.

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb laufender Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck hat der Rechtsanwalt seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Im Rahmen dieser gestuften Ausgangskontrolle hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Ausgangskontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Der Abgleich mit dem Fristenkalender dient unter anderem der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben.      

Gemessen daran hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seiner Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Nach seinem Vorbringen hatte die Kanzleimitarbeiterin im Rahmen der Fristenkontrolle täglich vor Büroschluss allein den Fristenkalender zu kontrollieren und den Rechtsanwalt gegebenenfalls auf offene Fristen hinzuweisen. Das genügt für eine ordnungsgemäße abendliche Ausgangskontrolle nicht. Die Kanzleiangestellte hätte auch bei ordnungsgemäßem Befolgen der Anordnung nicht nochmals, selbständig und abschließend kontrolliert, ob die fristgebundene Sache tatsächlich bearbeitet und ein fristwahrender Schriftsatz abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden ist. Die Anordnung einer solchen abendlichen Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle ist den Darlegungen des Klägers nicht zu entnehmen. Die fehlende Anordnung einer Ausgangskontrolle war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich. Im Rahmen einer nochmaligen, selbständigen und abschließenden Ausgangskontrolle zusätzlich zur Fristenkontrolle wäre die offene Berufungsbegründungsfrist im Terminkalender des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten aufgefallen. Darüber hinaus hätte die Ausgangskontrolle ergeben, dass die Sache noch nicht bearbeitet und die Berufungsbegründung oder ein Fristverlängerungsantrag weder abgesandt noch versandfertig gemacht worden war. Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der Beteiligten hätte in diesem Fall jedenfalls rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag an das Berufungsgericht übersandt werden können.

  1. Kontext der Entscheidung

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZB 1/21 –, Rn. 9). Zu der einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse sicherstellenden Organisation der Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Der Sinn und Zweck der allabendlichen Ausgangskontrolle liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Daher ist ein Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2019 – VIII ZB 103/18).  

  1. Auswirkungen für die Praxis

Die im Fristenkalender vermerkten Fristen dürfen erst gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – I ZB 41/19 –, Rn. 10, mwN.). Zum anderen hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung von Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze durch einen Abgleich mit dem Fristenkalender dient zum einen der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Mit ihr soll zum anderen auch festgestellt werden können, ob in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung möglicherweise noch aussteht. Der Fristenkalender ist daher so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist. Eine solche zusätzliche Kontrolle ist schon deshalb notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – I ZB 41/19 –, Rn. 11, mwN.).

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