BGH: Abgrenzung Familien-/Zivilsache
1. Der Grundsatz der formellen Anknüpfung in § 119 Abs. 1 GVG greift im Verhältnis von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Familiensachen auf die funktionelle Zuständigkeit der Senate bei dem Oberlandesgericht dergestalt durch, dass selbst bei einer fehlerhaften Qualifikation des Verfahrensgegenstands durch die erste Instanz eine vom Landgericht entschiedene Sache nur vom Senat für allgemeine Zivilsachen und umgekehrt eine von der Familienabteilung des Amtsgerichts entschiedene Sache nur vom Familiensenat entschieden werden kann.
2. Der Grundsatz der formellen Anknüpfung setzt sich demgegenüber bei der Anwendung des Verfahrensrechts grundsätzlich nicht fort. Jedenfalls im Verhältnis zwischen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Familiensachen wird das Rechtsmittelgericht selbst durch eine fehlerhafte, aber nach § 17 a Abs. 5 und 6 GVG bindende Beurteilung der funktionellen Zuständigkeit durch das vorinstanzliche Gericht nicht daran gehindert, das Rechtsmittelverfahren nach den korrekten, d.h. für den familienrechtlichen oder bürgerlich-rechtlichen Verfahrensgegenstand tatsächlich einschlägigen Verfahrensvorschriften zu führen.
3. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das erstinstanzliche Gericht seine funktionelle Zuständigkeit nicht irrtümlich selbst angenommen hat, sondern ihm diese durch eine rechtsfehlerhafte, aber nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 und Abs. 6 GVG bindende Verweisung aufgedrängt worden ist. In diesen Fällen hat das erstinstanzliche Empfangsgericht bei der Fortführung des Verfahrens die dem Rechtsschutzbedürfnis des Anspruchstellers und dem Verfahrensgegenstand am ehesten gerecht werdenden Verfahrensvorschriften seiner eigenen Gerichtsbarkeit anzuwenden; die durch die Verweisung erzeugte Bindung an die eigene Verfahrensordnung wirkt dann auch in den Rechtsmittelinstanzen fort.
BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZR 116/23
- Problemstellung
Mit der Abgrenzung von sonstigen Familiensachen zu allgemeinen Zivilsachen und den Auswirkungen fehlerhafter Qualifikation durch das Erstgericht hat sich der XII. Zivilsenat in letzter Zeit mehrfach zu beschäftigen gehabt (vgl. nur: BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 – XII ZR 63/23). Nunmehr hatte der Senat zu entscheiden, welches Verfahrensrecht die Rechtsmittelinstanz in derartigen Fällen anzuwenden hat.
- Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien waren verheiratet und wurden im Mai 2017 geschieden. Sie verfügten über drei gemeinschaftliche Immobilien, über die sie sich im Rahmen der Ehescheidung auseinandersetzten. Dabei wurde durch wechselseitige Übertragung der hälftigen Miteigentumsanteile einerseits dem Kläger das Alleineigentum an einem Hausgrundstück in L. verschafft, während andererseits die Beklagte alleiniges Eigentum an einer Immobilie in N. erhielt. Ein gemeinschaftliches Mehrfamilienhaus in M. wurde in drei Wohnungseigentumseinheiten aufgeteilt, wobei dem Kläger nach der Teilung zwei und der Beklagten eine Wohnung zugewiesen wurden. Im Zusammenhang mit dem Erwerb des Miteigentumsanteils der Beklagten an dem Hausgrundstück in L. hatte sich der Kläger im notariellen Übertragungsvertrag verpflichtet, die Beklagte im Innenverhältnis von gemeinschaftlichen Kreditverbindlichkeiten freizustellen. Der Beklagten wurde für den Fall eines Verstoßes gegen die Freistellungsverpflichtung ein Rücktrittsrecht vom Übertragungsvertrag eingeräumt und zur Sicherung dieses Rechts eine auf ihren hälftigen Miteigentumsanteil bezogene Rückauflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Der Kläger tilgte die Kredite vollständig und verlangte von der Beklagten die Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung. Die Beklagte verweigerte dies und berief sich auf verschiedene Zurückbehaltungsrechte, u.a. im Zusammenhang mit Grundbuchberichtigungs- und Zahlungsansprüchen betreffend die beiden anderen Immobilien.
Der Kläger hat die auf Zustimmung zur Löschung der Rückauflassungsvormerkung bezüglich der Immobilie in L. gerichtete Klage gegen die Beklagte zunächst als Antrag bei dem Amtsgericht - Familiengericht - eingereicht. Dieses hat sich für funktionell unzuständig erklärt und das Verfahren an das Landgericht verwiesen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt, dass die Geltendmachung der Zurückbehaltungsrechte ausgeschlossen sei. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und einige ihrer bis dahin geltend gemachten Zurückbehaltungsrechte mit mehreren Anträgen zum Gegenstand einer Widerklage gemacht, die sie im Laufe des Berufungsverfahrens teilweise wieder für erledigt erklärt hat. Das Oberlandesgericht hat die angefochtene Entscheidung abgeändert und - unter Aufrechterhaltung der Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung bezüglich der Immobilie in L. - der Widerklage stattgegeben. Insoweit hat es den Kläger verurteilt, der Löschung einer zu seinen Gunsten im Grundbuch eingetragenen Rückauflassungsvormerkung bezüglich der Immobilie in N. zuzustimmen sowie an die Beklagte 20.191,98 € nebst Zinsen als Beteiligung an vertraglich übernommenen Sanierungskosten für die Immobilie in M. zu bezahlen. Die Revision hat das OLG nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er weiterhin eine vollständige Abweisung der Widerklage erstrebt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass der Rechtsstreit eine Familienstreitsache iSv. §§ 112 Nr. 3, 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zum Gegenstand hat und ein Rechtsmittel zum BGH gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung in Familienstreitsachen nach § 70 Abs. 1 FamFG nur dann gegeben ist, wenn es - was hier nicht der Fall ist - in dieser Entscheidung zugelassen wurde. Zutreffend hat allerdings bereits das Berufungsgericht erkannt, dass es sich bei dem hiesigen Verfahren um eine sonstige Familiensache iSv. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt. Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt. Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert („Großes Familiengericht“). Damit sollten bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium ist dabei nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen. Dabei ist im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Gemessen daran ist unter den hier obwaltenden Umständen vom Vorliegen einer sonstigen Familiensache auszugehen. Das vorliegende Verfahren stellt sich inhaltlich als Begleiterscheinung der Auflösung der Ehe der Parteien dar. Sein Ausgangspunkt ist die Übertragung des Miteigentumsanteils der Beklagten an einer vormals ehelichen Immobilie auf den Kläger durch einen notariellen Vertrag, der im Gesamtkontext einer umfassenden Vermögensauseinandersetzung der Parteien aus Anlass ihrer Scheidung und der Regelung der gesetzlichen Scheidungsfolgen steht. Dabei hat der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Löschung der Rückauflassungsvormerkung in den Bestimmungen des im Rahmen der Scheidung abgeschlossenen Übertragungsvertrages selbst seinen Rechtsgrund. Unter solchen Umständen ist der erforderliche Zusammenhang mit der Scheidung trotz des zeitlichen Abstands von rund vier Jahren zwischen der Rechtskraft der Scheidung und der Einleitung des streitgegenständlichen Verfahrens gegeben.
Obwohl das vorliegende Verfahren hiernach eine Familienstreitsache zum Gegenstand hat, ist die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft. Unabhängig von der familienrechtlichen Qualifikation des Streitgegenstands war der Senat für allgemeine Zivilsachen des OLG nach dem Grundsatz der formellen Anknüpfung zur Entscheidung über das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landgerichts berufen. Dabei ergibt sich zunächst aus § 119 Abs. 1 GVG, dass die Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts besteht, wenn die erstinstanzliche Entscheidung durch die Familienabteilung eines Amtsgerichts oder - wie hier - durch ein Landgericht erlassen worden ist (sog. formelle Anknüpfung). Nach der früheren Rechtsprechung des Senats erstreckte sich der Grundsatz der formellen Anknüpfung allerdings nicht auf das Verhältnis zwischen den allgemeinen Zivilsenaten des OLG und den dort gebildeten Senaten für Familiensachen; diese Abgrenzung sollte gemäß § 119 Abs. 2 GVG iVm § 23 b Abs. 1 GVG ausschließlich davon abhängen, ob es sich bei dem Verfahrensgegenstand inhaltlich um eine Familiensache handelt oder nicht (sog. materielle Anknüpfung). Diese Rechtsprechung ist angesichts der jüngeren Rechtsentwicklungen allerdings überholt. Die damalige Senatsrechtsprechung beruhte auf dem rechtlichen Ausgangspunkt, dass die Berufungsgerichte die in der ersten Instanz vorgenommene Behandlung des Verfahrens als Familiensache oder Nichtfamiliensache zwar nicht von Amts wegen, aber nach § 529 Abs. 3 Satz 2 ZPO aF jedenfalls dann inhaltlich nachprüfen durften, wenn in der zweiten Instanz von einer Partei die unrichtige Qualifikation des Verfahrensgegenstands in zulässiger Weise mit der Zuständigkeitsrüge beanstandet worden war. Die früher einschlägige Sonderregelung des § 529 Abs. 3 ZPO aF für Familiensachen ist im Zuge des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) mit Wirkung zum 31. Dezember 2001 außer Kraft getreten. Nach dem geltenden Recht kann weder eine Berufung nach der ZPO (§ 513 Abs. 2 ZPO) noch eine Beschwerde nach § 65 Abs. 4 FamFG darauf gestützt werden, dass sich das erstinstanzliche Gericht zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Dies lässt es nunmehr sachgerecht erscheinen, den Grundsatz der formellen Anknüpfung auch auf die funktionelle Zuständigkeit der Senate bei dem OLG dergestalt durchgreifen zu lassen, dass selbst bei einer fehlerhaften Qualifikation des Verfahrensgegenstands durch die Vorinstanz eine vom Landgericht entschiedene Sache nur vom Senat für allgemeine Zivilsachen und umgekehrt eine von der Familienabteilung des Amtsgerichts entschiedene Sache nur vom Familiensenat entschieden werden kann.
Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, welches Verfahrensrecht der zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Spruchkörper seinem Verfahren zugrunde zu legen hat. Der Grundsatz der formellen Anknüpfung setzt sich insoweit bei der Anwendung des Verfahrensrechts nicht fort. Das Rechtsmittelgericht ist auch unter Berücksichtigung des Schutzgedankens der Meistbegünstigung nicht dazu verpflichtet, einen vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen verfahrensrechtlichen Weg weiterzugehen. Vielmehr hat es das Verfahren in seinem Rechtszug so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. An dieser Verfahrensweise ist das Rechtsmittelgericht selbst durch eine fehlerhafte, aber nach § 17 a Abs. 5 und 6 GVG bindende Beurteilung der funktionellen Zuständigkeit durch das vorinstanzliche Gericht nicht gehindert. Auch in diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht sein Verfahren nach den korrekten, d.h. für den familienrechtlichen oder bürgerlich-rechtlichen Verfahrensgegenstand tatsächlich einschlägigen Verfahrensvorschriften zu führen. Dieser Beurteilung stehen Wortlaut und Normzweck von § 17 a Abs. 5 GVG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 17 a Abs. 6 GVG auf das Verhältnis der für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper zueinander entsprechend anzuwenden ist, hat das Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen, ob „der beschrittene Rechtsweg zulässig“ ist. Schon begrifflich bezieht sich die damit verbundene Beschränkung der Überprüfungsbefugnisse des Rechtsmittelgerichts allein auf die Rechtswegzuständigkeit. Insoweit haben die Rechtsmittelgerichte die ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Entscheidung der Instanzgerichte über die eigene Rechtswegzuständigkeit als bindend hinzunehmen. Die Vorschrift hat dabei in erster Linie eine Abkürzung der Verfahrensdauer im Blick. Der in der Hauptsache bereits in eine Rechtsmittelinstanz gelangte Rechtsstreit soll in diesem Verfahrensstadium nicht mehr mit dem Verzögerungsrisiko eines nachträglich erkannten Mangels des gewählten Rechtswegs belastet werden. Dieser Normzweck gebietet es indessen grundsätzlich nicht, dass das Rechtsmittelgericht seinem weiteren Verfahren ein von den Instanzgerichten angewendetes inkorrektes Verfahrensrecht zugrunde legen müsste. Auch der BGH ist folglich durch § 17 a Abs. 5 und 6 GVG nicht an der Überprüfung gehindert, ob die vorinstanzlichen Gerichte zutreffend das für den Verfahrensgegenstand - Familiensache oder bürgerliche Rechtsstreitigkeit - einschlägige Verfahrensrecht angewendet haben.
Hat demnach eine Zivilkammer des Landgerichts rechtsirrtümlich ihre funktionelle Zuständigkeit für eine Familiensache angenommen und die Sache in einem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren durch Urteil entschieden, ist der mit dem Rechtsmittel gegen das landgerichtliche Urteil befasste Senat für allgemeine Zivilsachen des OLG gehalten, das Rechtsmittelverfahren in das für den familienrechtlichen Verfahrensgegenstand einschlägige Beschwerdeverfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit überzuleiten. Das OLG hat seine Instanz folglich durch eine Endentscheidung in Beschlussform abzuschließen, welche nach § 70 Abs. 1 FamFG nur im Falle einer Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht mit einem Rechtsmittel zum BGH angegriffen werden kann. Verfährt das Oberlandesgericht nicht auf diese Weise, sondern führt es das Rechtsmittelverfahren als Berufungsverfahren nach den Vorschriften der ZPO fort und beendet dieses durch Urteil oder Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, ohne darin die Revision zuzulassen, findet eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statt. Denn diese Entscheidung wäre von dem OLG unter Perpetuierung des in der ersten Instanz unterlaufenen Rechtsirrtums bei der Qualifikation des Verfahrensgegenstands auf einem falschen verfahrensrechtlichen Weg erlassen worden. Auch der Meistbegünstigungsgrundsatz soll die beschwerte Partei insoweit (nur) vor solchen Nachteilen schützen, die auf einer unrichtigen Entscheidungsform beruhen, nicht aber zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzugs führen. Der hier zur Beurteilung stehende Sachverhalt weist indessen die Besonderheit auf, dass das Landgericht seine funktionelle Zuständigkeit nicht irrtümlich selbst angenommen hat, sondern ihm diese durch eine rechtsfehlerhafte, aber bindende Verweisung (§ 17 a Abs. 2 Satz 3 und Abs. 6 GVG) durch die Familienabteilung des Amtsgerichts aufgedrängt worden ist. Dieser Unterschied rechtfertigt auch eine abweichende Beurteilung der Frage, welches Verfahrensrecht von den Instanzgerichten im vorliegenden Fall anzuwenden war.
Im rechtlichen Ausgangspunkt entfaltet der Verweisungsbeschluss des Ausgangsgerichts seine sich aus § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG ergebende Bindungswirkung für das Empfangsgericht zunächst nur hinsichtlich des eröffneten Rechtswegs (bzw. im Fall des § 17 a Abs. 6 GVG hinsichtlich der funktionellen Zuständigkeit im Verhältnis der Spruchkörper für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Familiensachen untereinander) sowie hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des Ausgangsgerichts. Eine gesetzliche Regelung über das vom Empfangsgericht anzuwendende Verfahrensrecht bei einer fehlerhaften, aber gleichwohl nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG bindenden Rechtswegverweisung besteht nicht. Diese Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (Nachweise in Rn. 22 – 23). Die wohl überwiegende Ansicht hält dafür, dass das Empfangsgericht bei der Fortführung des Verfahrens grundsätzlich die Prozess- oder Verfahrensordnung seiner eigenen Gerichtsbarkeit („Hausverfahrensordnung“) anzuwenden hat. Dieser Auffassung ist - jedenfalls für das hier interessierende Verhältnis von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Familiensachen - zu folgen. Der gesetzlichen Konzeption des § 17 a Abs. 2 GVG liegt der Gedanke zugrunde, die Rechtswegfrage bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Verfahrens in der ersten Instanz vor dessen Hauptsacheentscheidung verbindlich zu klären. Diesem Zweck dient auch angeordnete Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. Insbesondere soll ein etwaiger Rechtswegstreit der Parteien damit in einem möglichst frühen Verfahrensstadium beendet werden. Die streitbeendende Funktion der dem Verweisungsbeschluss beigelegten Bindungswirkung würde letztlich wieder in Frage gestellt werden, wenn sich ein vor dem Ausgangsgericht ausgetragener Streit der Parteien um die Zulässigkeit des von dem Anspruchsteller beschrittenen Rechtswegs vor dem Empfangsgericht in der Gestalt eines Streits um die anwendbare Verfahrensordnung fortsetzen könnte. Wäre das Ausgangsgericht frei in seiner rechtlichen Beurteilung, welches Verfahrensrecht auf den Verfahrensgegenstand angewendet werden müsse, liefe dies in der Sache auf eine mittelbare und dem Gesetz fremde Richtigkeitskontrolle des Verweisungsbeschlusses hinaus. Die Bindungswirkung eines Beschlusses nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG betrifft allerdings nur die Zuständigkeit des Gerichts der ersten Instanz. Folglich verpflichtet ein rechtsfehlerhafter, aber bindender Verweisungsbeschluss auch nur das erstinstanzliche Empfangsgericht zur grundsätzlichen Anwendung seiner eigenen Verfahrensordnung. Da dem erstinstanzlichen Empfangsgericht in Verweisungsfällen in Bezug auf die Anwendung seiner "Hausverfahrensordnung" nicht der Vorwurf einer inkorrekten Verfahrensgestaltung gemacht werden kann, ist es letztlich konsequent, die Bindung an die Verfahrensordnung der eigenen Gerichtsbarkeit auch in den Rechtsmittelinstanzen eintreten zu lassen. Zwar führt dies dazu, dass dem Anspruchsteller in dem - zur vorliegenden Sachverhaltsgestaltung spiegelbildlich gelagerten - Fall der fehlerhaften, aber bindenden Verweisung einer allgemeinen Zivilsache an das Familiengericht die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO verloren geht. Hierdurch entsteht dem Anspruchsteller jedoch kein beachtenswerter Nachteil. Dringt er auch mit den ihm nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 bis 6 iVm Abs. 6 GVG eröffneten Rechtsbehelfen gegen eine nach seiner Ansicht fehlerhafte Verweisungsentscheidung nicht durch, ist es ihm grundsätzlich zuzumuten, für den weiteren Verlauf des Rechtsstreits das Ergebnis dieses Zwischenverfahrens hinzunehmen.
- Kontext der Entscheidung
Die Verfahrensbeteiligten dürfen dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlassen hat, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb grundsätzlich sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet in gleicher Weise Anwendung, wenn das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsform zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch in der Anwendung eines falschen Verfahrensrechts besteht. Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung gebietet es indessen nicht, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. Daher kann die Meistbegünstigung auch nicht zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzuges führen. Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich insoweit nicht herleiten, dass gegen eine inkorrekte Entscheidung auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel - wie die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO zum BGH - statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des BGH aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens - wegen des Fehlens einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG - nicht statthaft wäre. Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbst dann, wenn das Beschwerdegericht von einer Entscheidung über die Zulassung deshalb abgesehen hat, weil es aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen ist, dass ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 – XII ZR 63/23 –, Rn. 15).
- Auswirkungen für die Praxis
Nach § 17a Abs. 3 GVG hat das Gericht vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollten bei Klagen gegen geschiedene Ehegatten - oder deren Eltern (BGH, Beschluss vom 18. September 2024 – XII ZB 25/24: anfechtungsrechtliche Streitigkeit nach dem Anfechtungsgesetz zwischen Schwiegerkind und Schwiegervater) - beide Parteien frühzeitig darauf hinwirken, dass das angerufene Gericht gemäß § 17a Abs. 3 GVG vorab über seine Zuständigkeit entscheidet. Verweist das Gericht die Sache an ein anderes Gericht, steht das einzuhaltende Verfahren für alle Instanzen bindend fest. Ausnahmsweise gilt die in § 17a Abs. 5 GVG vorgesehene Beschränkung der Befugnis des Rechtsmittelgerichts nicht, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu überprüfen, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs schon in erster Instanz gerügt worden ist und das Erstgericht nicht - wie gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG geboten - einen beschwerdefähigen Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs gefasst hat. In diesem Fall ist die Prüfung des Rechtswegs im Rechtsmittelverfahren nachzuholen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2024 – VIII ZR 293/23).
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