BGH: Klageerhebung nach § 494a ZPO Entscheidung
1. Eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt werden, ist im Beschwerdeverfahren auch dann aufzuheben, wenn die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird.
2. Wird eine Kostenentscheidung nach § 494a ZPO im Beschwerdeverfahren aufgehoben, weil die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird, sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens regelmäßig nach § 97 Abs. 2 ZPO dem Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen.
BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2025 – V ZB 67/24
A. Problemstellung
Der V. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt werden, im Beschwerdeverfahren auch dann aufzuheben ist, wenn die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nach Abschluss eines selbständigen Beweisverfahrens setzte das Landgericht den Antragstellern Frist zur Klageerhebung. Am Tag des Fristablaufs reichten diese die Hauptsacheklage bei Gericht ein, zahlten den angeforderten Kostenvorschuss aber zunächst nicht ein. Das Landgericht hat ihnen daraufhin die den Antragsgegnern im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten auferlegt. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das OLG, nachdem die Hauptsacheklage inzwischen zugestellt worden war, den Antrag der Antragsgegner auf Auferlegung der Kosten zurückgewiesen und den Antragstellern die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegner ist unbegründet. Das Beschwerdegericht nimmt zutreffend an, dass die Kostenentscheidung des Landgerichts rechtmäßig ergangen ist, weil die Frist für die Erhebung der Hauptsacheklage im Entscheidungszeitpunkt abgelaufen und die Klage nur anhängig, aber noch nicht rechtshängig war. Ist in einem selbständigen Beweisverfahren die Beweiserhebung beendet und kein Rechtsstreit anhängig, hat das Gericht gemäß § 494a Abs. 1 ZPO auf Antrag anzuordnen, dass der Antragsteller binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat. Kommt der Antragsteller dieser Anordnung nicht nach, hat es gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auf Antrag durch Beschluss auszusprechen, dass er die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen hat. Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung vorlagen, weil die Hauptsacheklage den Antragsgegnern noch nicht zugestellt worden war. Eine Klage ist nach § 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1 ZPO nicht schon mit der Einreichung der Klageschrift bei Gericht, sondern erst mit ihrer Zustellung erhoben; dies gilt auch für die Klageerhebung im Sinne von § 494a Abs. 1 ZPO. Zwar findet die Regelung in § 167 ZPO, nach der die Wirkungen einer demnächst zugestellten Klage bereits mit der Einreichung eintreten, auch insoweit Anwendung. Die Zustellung der Klage ist hier jedoch nicht „demnächst“ erfolgt, da sie sich durch das mehrwöchige Abwarten der Antragsteller mit der Einzahlung des zu leistenden Gerichtskostenvorschusses verzögerte.
Richtig ist auch, dass die Entscheidung des Landgerichts gleichwohl im Beschwerdeverfahren keinen Bestand haben konnte, nachdem die Hauptsacheklage den Antragsgegnern zwischenzeitlich zugestellt und damit im Sinne von § 494a Abs. 1 ZPO erhoben worden war. Ein Beschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO kommt nicht mehr in Betracht, wenn die Hauptsacheklage nach Ablauf der gesetzten Frist, aber noch vor einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO erhoben wird. Ebenfalls verliert eine nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene, formell rechtskräftige Kostenentscheidung ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht (Nachweise in Rn. 9). Umstritten ist allerdings, ob eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt wurden, durch das Beschwerdegericht aufzuheben ist, wenn die Hauptsacheklage - wie hier - erst nach der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird. Nach einer Auffassung soll § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO erfordern, dass der Antragsteller der Anordnung zur Klageerhebung bis zur erstmaligen Entscheidung über die Kosten nachkommt. Mit einer Beschwerde gegen die Kostenentscheidung könne lediglich überprüft werden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Zeitpunkt der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vorgelegen hätten. Einer erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostengrundentscheidung erfolgten Klageerhebung komme für die Anwendung des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO keine Bedeutung mehr zu (Nachweise in Rn. 11). Nach anderer Auffassung ist für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich, sodass jede bis zu diesem Zeitpunkt erhobene Hauptsacheklage einer Kostenentscheidung gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO entgegen steht (Nachweise in Rn. 12). Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu. Eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt werden, ist im Beschwerdeverfahren auch dann aufzuheben, wenn die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird. Es entspricht allgemeinen beschwerderechtlichen Grundsätzen, dass das Beschwerdegericht seiner Entscheidung die erst nach Erlass des erstinstanzlichen Kostenbeschlusses eingetretene Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage zugrunde zu legen hat. Die Beschwerdeinstanz ist, wie sich aus § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt, eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz, in der eine neue eigene Sachentscheidung zu treffen ist. Das Beschwerdegericht hat deshalb die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, neue Tatsachen und Beweise uneingeschränkt zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der erstinstanzlichen Entscheidung entstanden sind. Anders liegt es nur dann, wenn es verfahrensrechtlich ausnahmsweise auf einen früheren Zeitpunkt ankommt. Eine solche abweichende Regelung trifft das Gesetz für die Entscheidung nach § 494a ZPO nicht. Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 494a ZPO ist zu entnehmen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Erheben der Klage die erstinstanzliche Entscheidung wäre. Einem Kläger steht es grundsätzlich frei, zu welchem Zeitpunkt er seine Rechte gerichtlich geltend macht. Wartet er zunächst zu, muss er deswegen bis zum Eintritt der Verjährung im Regelfall keine Rechtsnachteile befürchten. Dass er ein selbständiges Beweisverfahren betrieben hat, gibt keinen Anlass, ihn insoweit schlechter zu stellen. Zwar schränkt die in § 494a Abs. 1 ZPO vorgesehene Erhebungsfrist diese Freiheit faktisch ein. Dies ist aber lediglich unvermeidbare Folge, nicht Zweck der Vorschrift. Die in § 494a Abs. 2 ZPO vorgesehene Kostentragungspflicht soll nicht dazu dienen, eine verspätete Klageerhebung zu sanktionieren; die Vorschrift soll vielmehr die Lücke schließen, die dann entsteht, wenn es zu keiner späteren Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits kommt. Sobald es zu einem Hauptsacheverfahren gekommen ist, in dem eine Kostenentscheidung ergehen kann, ist die Erstattungspflicht ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage nicht mehr gerechtfertigt und ist für eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO kein Raum mehr. Deshalb darf auch das Beschwerdegericht die vor Klageerhebung getroffene Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO in der Beschwerdeinstanz nicht bestätigen, wenn die Hauptsacheklage zwischenzeitlich erhoben wurde.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung fügt sich konsistent in die Rechtsprechung anderer Zivilsenate des BGH ein. Wie der VII. Zivilsenat unlängst entschieden hat, gebieten Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO über die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten eine einschränkende Auslegung der Vorschrift. Selbst eine rechtskräftige Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht (BGH, Beschluss vom 23.07.2025 – VII ZB 26/23 –, Rn. 18). Von der tragenden Begründung, die Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren stehe unter der stillschweigenden Bedingung ihrer Nichtabänderung in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren, findet sich allerdings in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 494a ZPO nichts (BT-Drucksache 11/8283, 47f.). Der Kostenentscheidung nach § 494a ZPO kommt vielmehr – formelle und materielle - Rechtskraft zu, wie sich auch aus § 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO ergibt. Eine relative Rechtskraft, wie sie der VII. Zivilsenat annehmen will, war bisher unbekannt. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Gesetz auch anordnet, dass die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht (§ 493 Satz 1 ZPO). Kommt es zum Hauptsacheprozess, sind daher die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens Teil der Kosten dieses Rechtsstreits und nach Maßgabe der Notwendigkeit zu erstatten (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 36. Aufl. 2026, § 490 Rn. 7). Die Anwendbarkeit der §§ 91ff. ZPO auch auf die Kosten der Beweisaufnahme durch das selbständige Beweisverfahren, die bereits durch einen Beschluss gem. § 494a ZPO Abs. 2 ZPO gegen den Antragsteller jenes Verfahrens festgesetzt worden sind, steht im Widerspruch zu § 494a Abs. 2 ZPO, den der VII. Zivilsenat über das Konstrukt einer „relativen“ Rechtskraft löst.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Antragsgegner wird dadurch, dass die nach der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen ist, auch nicht kostenmäßig unbillig benachteiligt. Wird die von ihm herbeigeführte Kostenentscheidung nach § 494a ZPO im Beschwerdeverfahren aufgehoben, weil die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird, sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens regelmäßig nach § 97 Abs. 2 ZPO dem Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2025 – V ZB 67/24 –, Rn. 16).
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