BGH: Verjährungsbeginn bei der Anwaltshaftung
Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen kann im Regelfall nicht allein deswegen angenommen werden, weil der Mandant Kenntnis von einem ihm nachteiligen Berufungsurteil erlangt. Maßgeblich ist, ob er aufgrund der ihm bekannten Umstände - etwa der auch aus Sicht eines juristischen Laien erkennbaren Eindeutigkeit der Urteilsgründe des Berufungsurteils oder dem Verhalten seines rechtlichen Beraters zu den Urteilsgründen des Berufungsurteils - eine Pflichtwidrigkeit des Beraters und den Schaden gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2025 – IX ZR 18/24
A. Problemstellung
Der u.a. für die Anwaltshaftung zuständige IX. Zivilsenat hatte erneut zu entscheiden, wann die für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen beim Mandanten vorliegt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger unterhielt bis zum 30. Juni 2004 eine Rechtsschutzversicherung bei der Z. AG und ab dem 1. Juli 2004. Der beklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in zwei Verfahren gegen die S. Für den ersten, im Jahr 2009 eingeleiteten Rechtsstreit stellte das Schadensabwicklungsunternehmen der A. AG den Kläger für alle drei Instanzen von den Verfahrenskosten frei. Für den zweiten, im Jahr 2010 eingeleiteten Rechtsstreit stellte der Beklagte dem Schadensabwicklungsunternehmen insgesamt 47.272,51 € in Rechnung. Dieses lehnte die Tragung dieser Kosten ab. Der Beklagte nahm daraufhin für den Kläger das Schadensabwicklungsunternehmen auf Zahlung in Anspruch. Das OLG wies die Klage mit Urteil vom 2. August 2016 in Höhe von 23.626,26 € ab, weil der Kläger bei seinem Vorversicherer lediglich um Deckungsschutz für den ersten, nicht aber auch für den zweiten Rechtsstreit nachgesucht habe. Eine erneute Deckungsanfrage für den zweiten Rechtsstreit sei aber nicht entbehrlich gewesen; es habe sich um einen völlig neuen Prozess mit einem anderen Streitgegenstand gehandelt, für den der Kläger eine neue Deckungsanfrage habe stellen müssen. Die vom Kläger eingelegte Beschwerde wies der BGH mit Beschluss vom 18. April 2018 zurück.
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2018 teilte der Kläger dem Beklagten seine Absicht mit, gegen ihn Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von "schätzungsweise 100.000 €" wegen der unterbliebenen Deckungsanfrage für den zweiten Rechtsstreit geltend zu machen. Er forderte den Beklagten zudem auf, seiner Haftpflichtversicherung einen Versicherungsfall - auch bezüglich weiterer, nicht näher bezeichneter Schadensersatzansprüche des Klägers - anzuzeigen und einen Verzicht auf die Verjährungseinrede zu erklären. Für den Fall, dass eine Verzichtserklärung nicht rechtzeitig abgegeben werde, kündigte er an, eine Schlichtungsstelle anzurufen. Der Beklagte teilte dem Kläger am 28. Dezember 2018 mit, dass er einem Streitbeilegungsverfahren nicht zustimmen werde. Einen Verzicht auf die Verjährungseinrede erklärte er nicht. Am 31. Dezember 2018 beantragte der Kläger bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft Berlin die Durchführung einer Streitschlichtung über einen Betrag von 44.848,89 €. Nachdem der Beklagte erklärt hatte, am Schlichtungsverfahren nicht teilzunehmen, wurde das Schlichtungsverfahren am 4. Februar 2019 für beendet erklärt. Am 31. Dezember 2019 beantragte der Kläger den Erlass eines Mahnbescheids über 120.573 € gegen den Beklagten, in dem die geltend gemachte Hauptforderung mit "Schadensersatz aus Anwalt-Vertrag gem. diverse Mandate aus Anwaltsverträgen 119-120-138-154/10 151/09 u.a. vom 01.01.09 bis 31.12.2019" bezeichnet war. Gegen den Mahnbescheid erhob der Beklagte am 17. Februar 2020 Widerspruch. Am 29. September 2021 reichte der Kläger seine auf Zahlung von 23.636,26 € nebst Zinsen gerichtete Klageschrift beim Landgericht ein. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seinen Zahlungsantrag über noch 22.236,25 € nebst Zinsen weiterverfolgte, hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat einen etwaigen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten ebenso wie das Landgericht für verjährt gehalten.
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die am 29. September 2021 eingereichte Klage die Verjährung gehemmt hat. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche in einer Frist von drei Jahren verjähren (§ 195 BGB) und die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Das Berufungsgericht ist weiter zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der vom Kläger am 31. Dezember 2019 beantragte und am 10. Februar 2020 erlassene Mahnbescheid mangels ausreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs keine (erneute) Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 209 BGB herbeigeführt hat. Mangelt es dem Mahnantrag und dem Mahnbescheid an der nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO notwendigen Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, das heißt an der Bezeichnung des Anspruchs unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung, tritt keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein. Die Individualisierung kann dann auch nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist mit Rückwirkung verjährungshemmend nachgeholt werden. Für die hinreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs im Mahnantrag ist maßgeblich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungsbescheids sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diesen Anforderungen Genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab. Bei der Geltendmachung einer Mehrzahl von Einzelforderungen muss deren Bezeichnung im Mahnbescheid es dem Beklagten ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten Gesamtbetrags aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen. Maßgeblich für die ausreichende Individualisierung der Forderung im Mahnbescheid ist ausschließlich der Erkenntnishorizont des Schuldners. Danach fehlt es auch bei Berücksichtigung des Schreibens des Klägers an den Beklagten vom 27. Dezember 2018 an einer hinreichenden Individualisierung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs im Mahnbescheidsantrag und dem entsprechend erlassenen Mahnbescheid. Für den Beklagten war, auch bei Kenntnis von dem Schreiben des Klägers vom 27. Dezember 2018, nicht erkennbar, welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden sollten. Aus dem Mahnbescheidsantrag war für den Beklagten nur ersichtlich, dass der Kläger Schadensersatzansprüche in einer Gesamthöhe von 120.573 € aus "diversen Mandaten" herleitete. Zwar werden einzelne Mandate durch die Angabe der internen Aktenzeichen des Beklagten näher bezeichnet. Allerdings legte der Zusatz der Abkürzung "u.a." nach der Nennung von fünf verschiedenen Aktenzeichen nahe, dass diese Aufzählung nicht abschließend sein sollte. Die im Mahnbescheidsantrag enthaltene Datumsangabe "01.01.09 bis 31.12.2019" trägt mangels jeglicher Eingrenzung oder Zuordnung zu einzelnen Mandaten ebenfalls nicht zu einer Konkretisierung der Schadensersatzansprüche bei. Auch aus dem im Mahnbescheidsantrag angegebenen Forderungsbetrag kann nicht geschlossen werden, welche Ansprüche aus welchen Mandaten der Kläger in welcher Höhe geltend machen will. Die im Prozess behaupteten Schadensersatzansprüche beliefen sich erstinstanzlich auf 23.636,26 € und zweitinstanzlich auf 22.236,25 €. Die mit dem Mahnbescheidsantrag geltend gemachte Forderung beträgt demgegenüber 120.573 €. Vorprozessual hatte der Kläger gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 27. Dezember 2018 unter Nennung des Aktenzeichens 119/10 Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der unterbliebenen Deckungsanfrage in Höhe von "schätzungsweise 100.000 €" geltend gemacht. In demselben Schreiben behauptete der Kläger ohne nähere Konkretisierung das Bestehen weiterer Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten und forderte ihn auf, auch insoweit seine Haftpflichtversicherung zu informieren. Weiter kündigte der Kläger an, bei einem Schlichtungsversuch lediglich die Kosten für die Führung der Prozesse gegen das Schadensabwicklungsunternehmen in Höhe von "schätzungsweise 40.000 €" geltend machen zu wollen. Der Kläger hätte daher bereits im Mahnbescheidsantrag eine Aufgliederung der von ihm geltend gemachten Ansprüche vornehmen müssen. Wenn mehrere Einzelansprüche und nicht nur unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadens geltend gemacht werden, gehört es zur notwendigen Individualisierung des Anspruchs, dass die Zusammensetzung der Forderung bereits aus dem Mahnbescheid erkennbar ist. Bereits aus dem Umstand, dass der Kläger in seinem Mahnbescheidsantrag verschiedene Aktenzeichen anführte, ergibt sich, dass getrennt voneinander zu betrachtende Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollten. Für den Beklagten war danach nicht erkennbar, wie sich der mit dem Mahnbescheid verlangte Gesamtbetrag von 120.573 € zusammensetzte. Eine Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang er sich gegen den geltend gemachten Betrag zur Wehr setzen will, war ihm nicht möglich.
Die bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass die Verjährungsfrist bereits mit dem Schluss des Jahres 2016 in Lauf gesetzt worden ist. Die Begründung des Berufungsgerichts, der Kläger habe mit der Kenntnisnahme von den Entscheidungsgründen des Urteils des OLG vom 2. August 2016 eine ungleich festere Kenntnis von der Rechtslage erlangt und deswegen Kenntnis von den seinen Schadensersatzanspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt, trägt für sich genommen nicht. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände liegt im Fall der Anwaltshaftung nicht schon dann vor, wenn dem Mandanten Umstände bekannt werden, nach denen zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist. Vielmehr muss der Mandant Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn - gerade wenn er juristischer Laie ist - ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren. Auf die Kenntnis des Mandanten auch von der Pflichtwidrigkeit seines Rechtsanwalts kann geschlossen werden, wenn der Mandant seinen Rechtsanwalt auffordert, seinen Haftpflichtversicherer einzuschalten oder ihm die klageweise Inanspruchnahme wegen eines Anwaltsfehlers ankündigt. Der Kläger hatte mit dem Urteil des OLG vom 2. August 2016 zwar Kenntnis davon, dass er den Prozess gegen das Schadensabwicklungsunternehmen auch in zweiter Instanz verloren hat. Anders als das Berufungsgericht meint, kann allein daraus nicht geschlossen werden, der Kläger habe bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den seinen Schadensersatzanspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt. Allein die Kenntnis vom Prozessverlust vermittelt dem Mandanten nicht ohne weiteres zugleich die Kenntnis davon, dass sein Rechtsanwalt von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren. Auch wenn ein Mandant einen Prozess bereits in zwei Instanzen verloren hat, ist es für den Mandanten regelmäßig schwierig zu beurteilen, ob sein Anwalt fehlerhaft gearbeitet hat und ob ihm daraus ein Schaden entstanden ist. Von dem Mandanten kann, auch wenn er Kenntnis von einem zu seinem Nachteil ergangenen zweitinstanzlichen Urteil erlangt hat, nicht erwartet werden, dass er die Rechtslage selbständig und besser einzuschätzen vermag als sein Anwalt. Maßgeblich für die Kenntnis von einer Pflichtwidrigkeit des Rechtsanwalts ist das Fortbestehen des Vertrauens in die Fachkunde des Rechtsanwalts. Ein Mandant, der auf die Fachkunde seines Rechtsanwalts vertrauen darf, hat nicht allein deshalb, weil er einen Prozess in zweiter Instanz verloren hat, eine ausreichende Veranlassung, die anwaltliche Leistung in Frage zu stellen. Nicht jeder Prozessverlust indiziert eine Pflichtwidrigkeit des Rechtsanwalts. Anders ist dies erst dann, wenn der Mandant aufgrund der ihm bekannten Umstände - etwa der auch aus Sicht eines juristischen Laien erkennbaren Eindeutigkeit der Urteilsgründe des Berufungsurteils oder dem Verhalten seines rechtlichen Beraters zu den Urteilsgründen des Berufungsurteils - eine Pflichtwidrigkeit des Beraters und den Schaden gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Der Mandant hat insbesondere dann keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verhalten seines Anwalts, wenn dieser im Rahmen eines fortbestehenden Mandats gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor und zur Fortsetzung eines Rechtsstreits oder zur Einlegung eines Rechtsbehelfs rät. Der Mandant darf sich darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Anwalt die angefallenen Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend ist.
Das Berufungsgericht hat über den Umstand hinaus, dass der Kläger Kenntnis von dem Urteil des OLG vom 2. August 2016 erlangt hat, keine Feststellungen getroffen, die auf eine Kenntnis des Klägers von einer Pflichtwidrigkeit des Beklagten schließen lassen. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt nicht ausreichend ausgeschöpft und insbesondere die Reaktion des Klägers außer Acht gelassen. Für eine grob fahrlässige Unkenntnis des Mandanten genügt es nicht, wenn sich aus dem Urteil - wie das Berufungsgericht annimmt - hinreichende Anhaltspunkte ergeben, um an der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Anwalts zu zweifeln. Denn der Kläger hat im Streitfall gegen das ihm nachteilige Urteil des OLG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Eine grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit einer unterlassenen erneuten Deckungsanfrage beim Vorversicherer kann daher nicht beurteilt werden, ohne zu klären, aus welchen Gründen der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde einlegte. Entscheidend für eine grob fahrlässige Unkenntnis wäre daher, ob sich dem Kläger spätestens mit dem Urteil des OLG trotz seiner Entscheidung, den Rechtsstreit weiterzuführen, aufdrängen musste, dass eine erneute Deckungsanfrage beim Vorversicherer unerlässlich gewesen ist, und daher die Ausführungen im Urteil des OLG dazu führten, dass der Kläger das Vertrauen in die Richtigkeit der Beratung des Beklagten verloren hatte. Das Berufungsgericht stellt hierzu keine Tatsachen fest. Der Kläger hat dem Beklagten gegenüber erst mit seinem Schreiben vom 27. Dezember 2018 angekündigt, ihn wegen einer anwaltlichen Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen und ihn aufgefordert, deswegen seine Haftpflichtversicherung zu benachrichtigen. Dies rechtfertigt nur den Schluss darauf, dass der Kläger im Jahr 2018 Kenntnis von den seinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt hat. Aus dem Umstand, dass der Kläger bereits im Dezember 2018 mit seinem Schlichtungsantrag und im Dezember 2019 mit seinem Mahnantrag Versuche unternommen hat, die Verjährung seiner Schadensersatzansprüche zu hemmen, ergeben sich keine Hinweise auf eine frühere Kenntnis des Klägers von der behaupteten Pflichtwidrigkeit des Beklagten. Von dem Kläger als juristischem Laien kann nicht erwartet werden, dass er den Beginn der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs zutreffend beantworten kann.
Das Berufungsgericht wird erneut zu prüfen haben, wann der Kläger Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der behaupteten Pflichtverletzung des Beklagten erlangt hat. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis trifft den Beklagten.
C. Kontext der Entscheidung
Schadensersatzansprüche von (ehemaligen) Mandanten gegen Rechtsanwälte verjähren seit Aufhebung des § 51b BRAO mit Wirkung vom 15.12.2004 nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB. Danach verjährt der Regressanspruch des Mandanten nach § 195 BGB in drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Mandant von der Person des Schuldners und von den – den Anspruch begründenden – Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Eine Kenntnis der den Anspruch begründenden Umständen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nicht schon dann vor, wenn dem Mandanten Umstände bekannt werden, nach denen zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist. Er muss auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen oder er Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren (BGH, Urt. v. 06.02.2014 - IX ZR 217/12 Rn. 8). Für ein fehlerhaftes Verhalten des Anwalts ist bei Fortführung des Mandats aus der Sicht des Mandanten dann regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird und der Anwalt gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor (BGH, Urt. v. 06.02.2014 - IX ZR 245/12 Rn. 17). Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen liegt vor, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umständen den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat (BGH, Urt. v. 29.10. 2020 – IX ZR 10/20). Seine frühere Auffassung, dass ein Schaden infolge eines Anwaltsfehlers im Prozess regelmäßig noch nicht eingetreten sei, solange nicht auszuschließen sei, dass die Entscheidung in einem weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten geändert werde, hat der BGH ausdrücklich aufgegeben (BGH, Urt. v. 06.06.2019 - IX ZR 104/18 Rn. 17).
D. Auswirkungen für die Praxis
Für ein fehlerhaftes Verhalten des Beraters ist aus der Sicht des Mandanten regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird und der Berater gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Mandant darf sich darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Berater die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend ist. Dem Mandanten obliegt es nicht, den Anwalt zu überwachen oder dessen Rechtsansichten durch einen weiteren Rechtsberater überprüfen zu lassen. Rät der Berater zur Fortsetzung des Rechtsstreits, hat der Mandant in der Regel sogar dann keine Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit des Beraters, wenn das Gericht oder der Gegner zuvor auf eine Fristversäumung hingewiesen hat (BGH, Urt. v. 25.10.2018 - IX ZR 168/17 Rn. 9). Anders liegt allerdings der Fall, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umständen selbst den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat. Mit dem Schadensersatzverlangen gibt der Mandant zu erkennen, dass er dem Berater nicht mehr (uneingeschränkt) vertraut. Im Blick auf den Beginn der Verjährungsfrist ist der Mandant nun nicht mehr schutzwürdig. Er hat zumindest drei Jahre Zeit, den erkannten Schadensersatzanspruch durchzusetzen oder jedenfalls den Lauf der Verjährungsfrist zu hemmen. Gelingt es dem Rechtsberater, das Vertrauen des Mandanten zurückzugewinnen, führt dies weder zu einer Hemmung noch zu einem Neubeginn der Verjährungsfrist. Allerdings kann die vom Rechtsberater erhobene Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich sein, wenn er seinen Mandanten davon abhält, die Verjährung rechtzeitig zu hemmen (BGH, Urt. v. 29. 10.2020 – IX ZR 10/20 –, Rn. 28 - 29, mwN.).
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