BGH: Zum Widerruf des Verzichts auf einen Zeugen

10.6.2025
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Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen im selben Rechtszug oder im selben Rechtsstreit später erneut zu benennen.
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24

A. Problemstellung
§ 399 ZPO erlaubt es einer Partei, auf einen Zeugen, den sie vorgeschlagen hat, zu verzichten. Ob eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hatte, den Zeugen später erneut benennen kann, hatte der V. Zivilsenat zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte veräußerte mit Kaufvertrag vom 17. Mai 2011 an den Kläger eine Grundstücksteilfläche von ca. 1.000 m² zur Bebauung unter Ausschluss der Rechte wegen Sachmängeln aller Art. In einem im Jahr 2004 von der Beklagten mit ihren damaligen Nachbarn, dem Zeugen Sch. und dessen (verstorbener) Ehefrau, geführten Schiedsverfahren hatte die Schiedsstelle im Juni 2004 festgestellt, durch das Grundstück der Beklagten verlaufe ein „verrohrtes Entwässerungssystem“. Bei den vom Kläger durchgeführten Abrissarbeiten wurde eine über das Teilgrundstück des Klägers unterirdisch in ca. 13 cm Tiefe verlaufende Abwasserleitung, die der Entwässerung von vier Nachbargrundstücken diente, beschädigt. Die Existenz der Leitung war weder in amtlichen Unterlagen vermerkt noch in dem Lageplan, der der Niederschrift zum Grenztermin zur Neuvermessung des Kaufgrundstücks beigefügt war. Gestützt auf die Auffassung, die Beklagte habe die bestehende Verrohrung gekannt und arglistig verschwiegen, begehrt der Kläger Erstattung seiner Aufwendungen für die Wiederherstellung der Rohrleitungen in Höhe von 3.876,73 € sowie Schadensersatz in Höhe weiterer 22.600 € wegen der eingeschränkten Nutzungstauglichkeit des Grundstücks. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Im Hinblick auf den wirksam vereinbarten Haftungsausschluss setze eine Haftung der Beklagten wegen Sachmängeln voraus, dass sie dem Kläger die Entwässerungsleitung arglistig verschwiegen habe. Zwar handele es sich bei dem unterirdischen Abwassersystem um einen Mangel. Der Kläger habe aber den ihm obliegenden Beweis für das arglistige Verschweigen der Abwasserleitung durch die Beklagte nicht erbracht. Das Landgericht habe die von der Beklagten behauptete Unkenntnis von der Abwasserleitung nicht als sicher widerlegt angesehen. Die Beweisaufnahme des Landgerichts sei im Hinblick auf die unterlassene Vernehmung des Zeugen Sch. nicht unvollständig. Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 ausdrücklich auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet. Der Verzicht nach § 399 ZPO habe zur Folge, dass dem erstinstanzlichen Gericht eine Verwertung dieses Beweismittels verwehrt sei. Ob die in erster Instanz zurückgezogenen Zeugen im Berufungsverfahren erstmals zu vernehmen seien, sei nach den Regelungen zur Tatsachengrundlage der Berufungsentscheidung zu beantworten (§§ 529 ff. ZPO). Der Beweisantritt wäre als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSd. § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Zeuge Sch. von dem Kläger in zweiter Instanz nicht ausdrücklich erneut als Zeuge benannt sei.    
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs  in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht übergeht das erhebliche, auf Vernehmung des Zeugen Sch. gerichtete Beweisangebot des Klägers prozessordnungswidrig. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der von einer Partei prozessual wirksam erklärte Verzicht auf den von ihr benannten Zeugen zur Folge hat, dass das Gericht den Zeugen nicht (weiter) vernehmen darf. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, es mangele an einem Beweisantritt des Klägers, weil er erstinstanzlich gemäß § 399 ZPO auf die Vernehmung des von ihm benannten Zeugen Sch. verzichtet und damit sein ursprüngliches Beweisangebot widerrufen habe. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2018 darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme von einer Kenntnis der Beklagten von der unterirdischen Abwasserleitung auszugehen sei, der Zeuge Sch. nach dem vorgelegten ärztlichen Attest gegenwärtig seiner Ladung wohl nicht nachkommen würde und daher unter Umständen nur eine Vernehmung vor Ort durch einen beauftragten und ersuchten Richter infrage komme, wenn der Kläger nicht auf diesen Zeugen verzichten wolle. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 erklärt, auf den Zeugen Sch. zu verzichten. Nachdem das Landgericht mit Verfügung vom 6. Juli 2022 mitgeteilt hatte, dass sich die Einschätzung des Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung geändert habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2023 klargestellt, dass er auf den Zeugen Sch. allein unter der Voraussetzung verzichtet habe, dass das Gericht den Beweis als erbracht ansehe. Da der Verzicht unter den geänderten Voraussetzungen keinen Bestand mehr habe, weise er darauf hin, dass er an dem Beweisangebot ausdrücklich festhalte.    
Nach diesem Prozessverlauf durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, das Landgericht habe alle benannten Beweismittel ausgeschöpft, da der Kläger auf den Zeugen Sch. ausdrücklich verzichtet habe. Der Kläger hat den Verzicht zur Verfahrensbeschleunigung ersichtlich nur angesichts der von dem Landgericht geäußerten Überzeugung erklärt, der Beweis einer Arglist der Beklagten sei nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweisaufnahme bereits erbracht. Dies hat er im Schriftsatz vom 23. Mai 2023 auch ausdrücklich klargestellt. Die Erklärung des Einverständnisses mit dem Unterbleiben der Vernehmung für den Fall, dass das Gericht den Beweis der streitigen Behauptung schon als erbracht ansieht, ist schon kein Verzicht iSd. § 399 ZPO. Eine derartige Erklärung ist nicht von einem endgültigen Verzichtswillen getragen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die erklärende Partei an ihrem Beweisantrag festhält, sofern das Gericht seine Überzeugung ändert. So war es hier. Dementsprechend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Verzicht erklärt habe.
Zudem lässt das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft außer Acht, dass der Kläger bereits in erster Instanz einen etwa erklärten Verzicht widerrufen und erneut Beweis durch Benennung des Zeugen Sch. angetreten hat. Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen im selben Rechtszug oder im selben Rechtsstreit später erneut zu benennen. In der Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2023, an dem Beweisangebot ausdrücklich festzuhalten, ist bei verständiger Würdigung daher jedenfalls ein erneuter Beweisantritt zu erblicken. Zwar kann ein solcher gemäß § 282, § 296 Abs. 2, § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert sein. Das Landgericht hat den zweiten Beweisantrag des Klägers aber nicht als verspätet zurückgewiesen. Ohnehin handelte es sich - wie ausgeführt - nicht um einen neuen Beweisantrag, weil ein Verzicht nicht erklärt worden war. Der hieraus folgende Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den für die Arglist begründende behauptete Kenntnis der Beklagten angebotenen Beweis durch Vernehmung des Zeugen Sch. erhoben hätte.

C. Kontext der Entscheidung
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Vernehmung des Zeugen auch nicht deshalb ausscheidet, weil er - wie das Landgericht nach dem überreichten ärztlichen Attest angenommen hat - krankheitsbedingt nicht vernehmungsfähig ist (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24 –, Rn. 13). Dass es sich so verhält, steht nicht fest. Das vorgelegte Attest belegt nur das krankheitsbedingte Unvermögen des Zeugen, der Ladung Folge zu leisten, nicht aber dessen dauerhafte Vernehmungsunfähigkeit. Das Berufungsgericht muss daher bei einer andauernden Reiseunfähigkeit eine Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 375 ZPO), eine Vernehmung per Videokonferenz (§ 128a ZPO) oder die Anordnung einer schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage (§ 377 Abs. 3 ZPO) in Erwägung ziehen. Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, so hat das Gericht nach § 356 ZPO durch Beschluss eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. An einem Hindernis iSv. § 356 ZPO fehlt es jedoch, wenn das Gericht hat nicht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Durchführung einer Zeugenvernehmung ausgeschöpft. Wenn ein Zeuge nach vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen zwar nicht reisefähig ist und deshalb weder vor dem erkennenden Gericht noch vor dem von diesem für eine Videovernehmung ausgewählten Gericht erscheinen kann, ergibt sich daraus aber noch keine Undurchführbarkeit der Zeugenvernehmung. Vielmehr stehen einem Gericht dazu weitere Möglichkeiten zur Verfügung, welche die Reisefähigkeit des Zeugen nicht voraussetzten. So besteht die Möglichkeit, den Zeugen nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des erkennenden Spruchkörpers zu vernehmen. Steht dem entgegen, dass ein unmittelbarer Eindruck von dem Zeugen unerlässlich ist, muss das Gericht eine Vernehmung des Zeugen durch den vollbesetzten Senat in dessen Wohnung gemäß § 219 Abs. 1 ZPO in Erwägung ziehen und erforderlichenfalls durchführen (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – XII ZR 5/23 –, Rn. 7 – 9).

D. Auswirkungen für die Praxis
Von einer Vernehmung des Zeugen hatte das Landgericht auch mit der Begründung abgesehen, die Vernehmung werde sich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ als unergiebig erweisen. Diese Beurteilung läuft auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Zwar hat der Zeuge dem Landgericht nach erhaltener Ladung wiederholt schriftlich mitgeteilt, dass er zur Sache nichts sagen könne. Die Erklärung lässt aber den Grund hierfür offen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Zeuge auf Erinnerungslücken beruft, die aber nach Vorhalten aus dem Parteivortrag wieder geschlossen werden können (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24 –, Rn. 14). Auch die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 20. November 2024 – VII ZR 191/23). Das Gericht darf einen angebotenen Zeugenbeweis auch nicht deswegen ablehnen, weil sich seiner Auffassung nach aus einer außergerichtlichen schriftlichen Erklärung des Zeugen gegen die Behauptung des Beweisführers sprechende Umstände ergeben. Wenngleich die einer außergerichtlichen Erklärung des Zeugen zu entnehmenden Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden dürfen und müssen, berechtigen sie das Gericht doch nicht, angebotene Beweise nicht zu erheben. Denn darin würde eine nicht zulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung liegen (BGH, Urteil vom 20. März 2025 - IX ZR 141/23, Rn. 19).

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