BGH: Zur Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren

19.9.2025
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

Eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht.
BGH, Beschluss vom 23. Juli 2025 – VII ZB 26/23

A. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat des BGH hatte die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstrittene Frage (dazu: Schwenker, jurisPR-PrivBauR 7/2025 Anm. 5) zu entscheiden, ob eine im selbständigen Beweisverfahren nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangene Kostenentscheidung ihre Wirksamkeit verliert, wenn im nachfolgenden Klageverfahren eine abweichende Kostenentscheidung ergeht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nach Beendigung des von den Klägern gegen die Beklagte eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens ist den Klägern durch Beschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO eine Frist von einem Monat zur Erhebung der Klage gesetzt worden. Nach Ablauf der Frist hat das Landgericht beschlossen, dass die Kläger die Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren zu tragen haben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kläger ist erfolglos geblieben. Im sich anschließenden Klageverfahren hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits den Klägern zu 19 % und der Beklagten zu 81 % auferlegt. Die Berufung der Beklagten ist vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen worden. Das Landgerichthat sodann einen Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen, in dem es die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren in Höhe von 4.200,04 € in der Weise berücksichtigt, dass die Beklagte 1.869,27 € (19 %) von den Klägern erstattet verlangen könne und 3.434,43 € (81 %) selbst zu tragen habe. Die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte geltend gemacht hat, dass ihre Kosten im selbständigen Beweisverfahren entsprechend der dort ergangenen Kostengrundentscheidung von den Klägern zu tragen seien, ist erfolglos geblieben.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Im Kostenfestsetzungsbeschluss ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nur 19 % der ihr im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten von den Klägern ersetzt verlangen kann und den Rest selbst zu tragen hat. Ein selbständiges Beweisverfahren kann gemäß § 485 Abs. 1 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auch außerhalb eines Streitverfahrens und - wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist - in Form der schriftlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen unter den Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO beantragt werden. Es steht, wenn sich eine Partei auf die Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, im Prozess beruft, gemäß § 493 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich. Voraussetzung ist lediglich, dass wie hier eine (zumindest teilweise) Identität zwischen den Parteien und den Gegenständen beider Verfahren besteht. Wird ein solcher Rechtsstreit (später) geführt, umfassen dementsprechend die Kosten dieses Rechtsstreits auch die Kosten des (vorangegangenen) selbständigen Beweisverfahrens. Da über die Kosten des Rechtsstreits im Klageverfahren nach den hierfür geltenden Vorschriften entschieden wird, ergeht im selbständigen Beweisverfahren, wenn in ihm verwertbare Beweise erhoben worden sind, grundsätzlich keine Kostenentscheidung.    
Ausnahmsweise enthält § 494a Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens nach Beendigung der Beweisaufnahme keinen Rechtsstreit gegen den Antragsgegner einleitet, die Möglichkeit, auf Antrag einen Kostenbeschluss zugunsten des Antragsgegners zu erwirken, nach dem der Antragsteller die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Vorschrift soll die Lücke schließen, die dann entsteht, wenn es zu keiner späteren Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits kommt. In diesem Fall soll der Antragsgegner durch § 494a ZPO kostenrechtlich so gestellt werden, als habe er obsiegt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Antragsteller nicht durch Unterlassen einer Klageerhebung der Kostenpflicht entgehen soll, die sich bei Abweisung einer solchen Klage ergeben würde, und der Antragsgegner andernfalls keine Möglichkeit hätte, seine im selbständigen Beweisverfahren entstandenen (notwendigen) Kosten aufgrund eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs ersetzt zu verlangen. Diesem Zweck entsprechend ist schon dann keine Möglichkeit mehr gegeben, gemäß § 494a Abs. 2 ZPO einen Kostenbeschluss im selbständigen Beweisverfahren zu erwirken, wenn der Antragsteller zwar erst nach Ablauf der ihm nach § 494a Abs. 1 ZPO gesetzten Frist zur Klageerhebung, jedoch vor der Entscheidung über den Kostenantrag Klage gegen den Antragsgegner erhoben hat. Denn eine solche Kostenentscheidung ist nicht als Sanktion für die Fristversäumnis des Antragstellers gedacht, sondern soll den Antragsgegner in Bezug auf seine Kostenlast schützen, wenn es anderweitig nicht zu einer die materielle Rechtslage berücksichtigenden Kostenentscheidung kommt. Die Fristsetzung nach § 494a Abs. 1 ZPO dient dazu, Klarheit darüber zu schaffen, ob eine solche Kostenentscheidung erfolgen wird. Sie hat im Übrigen keine weiteren Folgen. Insbesondere kann der Antragsteller auch bei einer nach Fristablauf erhobenen Klage gegen den Antragsgegner gemäß § 493 ZPO das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens im Prozess benutzen.    
Der Bundesgerichtshof hat bisher nicht entschieden, in welchem Verhältnis ein gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ergangener Kostenbeschluss zu der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in einem späteren Klageverfahren steht. Der Senat hat zuletzt die Frage offengelassen, ob eine nachträglich im Klageverfahren vom Gericht getroffene Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert, weil dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (BGH, Beschluss vom 27.10.2021 - VII ZB 7/21 Rn. 14). Die Frage ist zu bejahen. Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO über die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gebieten eine einschränkende Auslegung der Vorschrift. Die Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht. Wie oben dargelegt kann es unabhängig von einer erfolglosen Fristsetzung gemäß § 494a Abs. 1 ZPO und damit auch von einem anschließend gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ergangenen Kostenbeschluss jederzeit noch zu einem nachfolgenden Klageverfahren kommen, in dem gemäß § 493 ZPO die selbständige Beweiserhebung wie eine Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht behandelt wird. In diesem Fall umfasst die dort zu treffende Kostenentscheidung über die Kosten des Rechtsstreits auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens. Unproblematisch betrifft dies immer die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens und die dem damaligen Antragsteller dort entstandenen außergerichtlichen Kosten. Es besteht keine Veranlassung, die dem damaligen Antragsgegner entstandenen Kosten, obwohl auch sie nunmehr von den Kosten des Rechtsstreits umfasst sind, hiervon auszunehmen, weil über sie bereits gemäß § 494a Abs. 2 ZPO entschieden worden ist. Denn der oben bereits dargelegte Zweck dieser Kostenentscheidung wird hinfällig, sobald es - entgegen der Prognose aufgrund der Versäumung der Frist des § 494a Abs. 1 ZPO - zu einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in einem Klageverfahren kommt. In dem Rechtsstreit kann nun auch über die dem damaligen Antragsgegner entstandenen Kosten nach den allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Rechtslage befunden werden. Kommt es danach zu einer von der Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO abweichenden Kostenentscheidung, besteht keine Rechtfertigung mehr für die Rechtsfolge des § 494a Abs. 2 ZPO, die dort beschiedenen Kosten so zu verteilen, als habe der Beklagte und damalige Antragsgegner obsiegt. Denn es gibt keine materiell-rechtlich beachtliche Erwägung, warum es in Fällen wie dem vorliegenden zu inhaltlich auseinanderfallenden Kostenentscheidungen hinsichtlich der Kosten des Antragsgegners im selbständigen Beweisverfahren und der sonstigen Kosten im selbständigen Beweisverfahren (Kosten des Antragstellers, Gerichtskosten) kommen sollte. Bei einem derartig verstandenen Inhalt eines Kostenbeschlusses gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ändert dessen Rechtskraft nichts an der Abänderung durch eine Entscheidung über die Kosten eines nachfolgenden Rechtsstreits.

C. Kontext der Entscheidung
Verstreicht die dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens nach dessen Beendigung gesetzte Frist zur Klageerhebung fruchtlos, wird nach § 494a Abs. 2 ZPO zum Nachteil des Antragstellers fingiert, dass er den Rechtsstreit in der Hauptsache verloren und deshalb die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der selbstständigen Beweiserhebung zu tragen gehabt hätte. Bisher höchstrichterlich nicht entschieden war die Frage, in welchem Verhältnis die Kostengrundentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu der steht, die in einem - verspätet erhobenen – nachfolgenden Folgeprozess ergeht. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wurden dazu bisher zwei Auffassungen vertreten (ausführlich referiert in: OLG Hamm, Beschluss vom 28. September 2023 – I-25 W 234/23 –, Rn. 17 - 21). Nach einer Auffassung fällt die Kostengrundentscheidung aus dem Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO durch die spätere Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht weg. Begründet wird dies damit, dass der Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO wegen seiner Eigenschaft als Vollstreckungstitel eine vom weiteren Verlauf des späteren Hauptsacheverfahrens losgelöste endgültige Kostengrundentscheidung darstelle; das Gericht des Hauptsacheverfahrens sei daran gebunden, und die Entscheidung erwachse in formelle Rechtskraft (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juni 1996 – 9 W 43/96). Ein anderes Verständnis sei von Wortlaut und Zweck des Gesetzes nicht mehr gedeckt. Die andere Auffassung meint, der Kostenbeschluss habe nur vorläufigen Charakter, wenn später noch Klage erhoben werde, und stehe unter der auflösenden Bedingung einer im Hauptsacheverfahren ergehenden abweichenden Kostenentscheidung. Argumentiert wird mit dem Vorrang des materiellen Rechts (OLG München, Beschluss vom 11. Januar 2021 – 11 W 1558/20). Das folge daraus, dass die Kosten des auf tatsächliche Feststellungen beschränkten selbstständigen Beweisverfahrens solche des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens sind und die Entscheidung über diese Kosten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Auch nach Fristablauf habe der Gesetzgeber keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens nicht mehr zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden könne; es bleibe bei der Regelung des § 493 Abs. 1 ZPO, wonach eine Gleichbehandlung mit der Beweisaufnahme vor dem Gericht der Hauptsache erfolge. Dagegen ist eingewandt worden, dass der rechtskräftige Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2 ZPO schon wegen seiner Eigenschaft eines Vollstreckungstitels eine vom weiteren Verlauf des folgenden Hauptsacheverfahrens unabhängige endgültige Entscheidung darstelle, die nicht stillschweigend auflösend bedingt durch eine abweichende Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren sei. Der nach § 494a Abs. 2 ZPO Unterliegende bleibe auch dann in der Haftung, wenn er später in der Hauptsache obsiegt. Das sei auch bei einer späteren Kostenentscheidung in der Hauptsache unter Einbeziehung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu beachten (Anders/Gehle/Bünnigmann, 83. Aufl. 2025, ZPO § 494a Rn. 25). Es gehe nicht an, den gleichen Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen (OLG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – I-11 U 247/21 –, Rn. 47).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die forensische Praxis wird in Folge des Beschlusses des VII. Zivilsenats davon ausgehen müssen, dass auch eine rechtskräftige Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren abgeändert werden kann. Von der tragenden Begründung, die Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren stehe unter der stillschweigenden Bedingung ihrer Nichtabänderung in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren, findet sich allerdings in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 494a ZPO nichts (BT-Drucksache 11/8283, 47f.). Der Kostenentscheidung nach § 494a ZPO kommt vielmehr – formelle und materielle - Rechtskraft zu, wie sich auch aus § 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO ergibt. Eine relative Rechtskraft, wie der BGH sie jetzt annehmen will, war bisher unbekannt. Die Rechtsprechung hat sich bisher, wenn die Rechtskraft zu unerträglichen Ergebnissen führte, mit der Klage nach § 826 BGB geholfen, ohne zu dem Konstrukt einer relativen Rechtskraft greifen zu müssen. Die jetzt vom VII. Zivilsenat gefundene Lösung kollidiert mit der Rechtssicherheit. Dieser kommt im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang zu (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 – VIII ZR 282/00 Rn. 36). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Gesetz auch anordnet, dass die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht (§ 493 Satz 1 ZPO). Kommt es zum Hauptsacheprozess, sind daher die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens Teil der Kosten dieses Rechtsstreits und nach Maßgabe der Notwendigkeit zu erstatten (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 490 Rn. 7). Die Anwendbarkeit der §§ 91ff. ZPO auch auf die Kosten der Beweisaufnahme durch das selbständige Beweisverfahren, die bereits durch einen Beschluss gem. § 494a ZPO Abs. 2 ZPO gegen den Antragsteller jenes Verfahrens festgesetzt worden sind, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu § 494a Abs. 2 ZPO. Es gilt nach wie vor: „Die Regelung des § 494a ZPO ist nicht wirklich durchdacht sowie ziemlich unvollständig und hat sich in der Praxis als weitestgehend unzureichend erwiesen.“ (Herget, MDR 2016, 943). Nach bisheriger allgemeiner Ansicht muss die Rechtskraft nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 BGB ist jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt geblieben, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde (BGH, Beschluss vom 26. April 2023 – IV ZB 11/22 –, Rn. 19, m.w.N.; dazu: Thode, jurisPR-BGHZivilR 21/2023 Anm. 4).

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.

Telefonisch erreichen Sie uns von Montag bis Freitag
in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr.