BGH: Zur Vertragsstrafe bei Rücktritt vom Vertrag
Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24
A. Problemstellung
Nach § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die bisher höchstrichterlich nicht entschiedene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt, hatte der VII. Zivilsenat zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag, nach dem die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen sollte. Gemäß Ziffer 5.9. Abs. 1 des Vertrags hatte die Fertigstellung des Kaufgegenstands - mit Ausnahme der der Endabnahme nicht entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen - spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen ("Fertigstellungstermin"). Ziffer 6.8. des Vertrags lautet: "Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt." Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war ("Longstop-Date"). Für die Kaufpreisfälligkeit sind nach dem Vertrag u.a. eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich.
Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin von dem Vertrag zurück. Das Landgericht hat der zunächst nur auf die Zahlung eines Teilbetrags der Vertragsstrafe in Höhe von 100.000 € und die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer weitergehenden Vertragsstrafe gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte nach einer Klageerweiterung verurteilt, an die Klägerin 365.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Die wirksam vereinbarte Vertragsstrafe sei in voller Höhe verwirkt. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin am 17. Oktober 2020 bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 jedenfalls 286 Werktage verstrichen seien. Das Gericht gehe davon aus, dass es gemäß § 325 BGB grundsätzlich möglich sei, neben dem Rücktritt auch einen Verzugsschaden geltend zu machen. Ein Anspruch auf Vertragsstrafe sei einem solchen auf Schadensersatz gleichzustellen, wenn er den pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde. So sei die Vertragsstrafenregelung in Ziffer 6.8. des Vertrags einzuordnen. Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob die Vertragsstrafe nur im Falle der Durchführung des Vertrags, mithin dem Fortbestand der Primärleistungsschuld, zu zahlen sei und im Falle eines Rücktritts des Käufers entfalle, finde sich im Vertrag nicht. Unter Berücksichtigung von Wortlaut und Systematik ergebe insbesondere die teleologische Auslegung des Vertrags nach Sinn und Zweck, dass der Käufer die nach Ziffer 6.8. verwirkte Vertragsstrafe auch im Falle eines Rücktritts des Käufers beanspruchen könne.
Die Revision, mit der die Beklagte weiterhin Klageabweisung begehrt, hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 vorlagen. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen. Das Berufungsgericht hat den Vertrag der Parteien dahin ausgelegt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne. Es kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts dahin zu verstehen ist, die Parteien hätten vertraglich vereinbart, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob es dahin zu verstehen ist, der Vertrag stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen. Für Ersteres spräche die abschließende Formulierung des Berufungsgerichts, für Letzteres, dass das Berufungsgericht den Vertrag erst im Anschluss von und im Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 325 BGB, auslegt. Im ersten Fall ist die Klage ohne Weiteres begründet. Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestehen nicht. Im zweiten Fall führt die Anwendung des dispositiven Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen hat. Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine - wie hier - zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt.
Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass hiernach die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Insbesondere ergibt sich das nicht daraus, dass § 339 Satz 1, § 341 Abs. 1 BGB jeweils eine "Verbindlichkeit" des Schuldners voraussetzen, die nicht in gehöriger Weise - hier: nicht zu der bestimmten Zeit - erfüllt wird. Denn zum Zeitpunkt der Verwirkung der Strafe, dem Eintritt des Verzugs (§ 339 Satz 1 BGB), bestand die Verbindlichkeit, ohne dass der Rücktritt hieran etwas ändert. Die weitere Systematik des Rücktrittsrechts bedingt ebenfalls kein Erlöschen des entstandenen Vertragsstrafenanspruchs. Es ergeben sich insbesondere keine Wertungswidersprüche zu den in § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 1 BGB geregelten Ansprüchen wegen gezogener oder nicht gezogener Nutzungen aufgrund bereits empfangener und zurückzugewährender Leistungen. Das gilt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts nur bis zu einer abnahmefähigen Bauleistung und damit in einem Zeitraum möglich war, in dem noch keine Nutzungen aus dem verkauften Grundstück und dem zu errichtenden Wohnhaus gezogen werden konnten. Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion). Diese Ziele könnten nicht oder nur deutlich abgeschwächt erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner - sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung - darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte zum einen nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens. Zum anderen müsste er auch ohne einen Rücktritt spätestens bei Eintritt eines Schuldnerverzugs Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, bei einem nur eventuellen späteren Rücktritt seinen durch den Verzug bedingten Schaden darlegen und beweisen zu können; hiervor soll ihn die vereinbarte Vertragsstrafe jedoch gerade entlasten.
C. Kontext der Entscheidung
Vor der Schuldrechtsreform verlor der Gläubiger nach der Rechtsprechung zu § 325 BGB aF mit Ausübung des Rücktrittsrechts den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (std. Rspr., vgl. nur: BGH, Urteil vom 20. Oktober 1994 – IX ZR 116/93 –, Rn. 19, mwN.). Im Zuge der Modernisierung des Schuldrechts wurde die Neuregelung des § 325 BGB eingeführt, die es dem Gläubiger im Falle einer ausgebliebenen oder nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung ermöglicht, vom Vertrag zurückzutreten, und ihm gleichzeitig das Recht einräumt, Schadensersatz zu verlangen (BGH, Urteil vom 14. April 2010 – VIII ZR 145/09 –, Rn. 15, mwN.). Nach der Intention des Gesetzgebers soll hierdurch die im früheren Recht in §§ 325, 326 BGB aF angelegte, nicht mehr als sachgerecht empfundene Alternativität zwischen dem Ersatz des Erfüllungsinteresses (Schadensersatz wegen Nichterfüllung) und der Ausübung des Rücktrittsrechts aufgegeben und durch eine Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz abgelöst werden (BT-Drs. 14/6040, S. 187 f.). Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Gläubiger die Rechtsfolgen beider Rechtsbehelfe miteinander kombinieren kann (BT-Drs. 14/6040, S. 188). Aufgrund der Neuregelung des § 325 BGB wird es dem Gläubiger ermöglicht, vom Vertrag zurückzutreten und eine erbrachte Gegenleistung zurückzufordern, ohne den Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses zu verlieren (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – VIII ZR 16/07 –, Rn. 7). Der Gläubiger kann daher den bis zum Rücktritt entstandenen Verspätungsschaden ersetzt verlangen (Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 325 Rn. 10, mwN.). Bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden war, ob das auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt. Dem Urteil des VII. Zivilsenats kommt das Verdienst zu, diese Frage entschieden zu haben. Da eine Vertragsstrafe einen pauschalierten Verzugsschaden darstellt, der dem Gläubiger die Berechnung seines Mindestschadens erleichtern soll, sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die dem Gläubiger verwehren könnten, nach Erklärung des Rücktritts die Vertragsstrafe zu verlangen. Folgerichtig hat der Senat der Klägerin den Anspruch auch gewährt. Voraussetzung ist lediglich, dass sich dem Vertrag der Parteien keine abweichende Regelung für den Fall des Rücktritts des Gläubigers entnehmen lässt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass der Klägerin die Berufung auf die verwirkte Vertragsstrafe nicht gemäß § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung verwehrt ist. Ein Vertragsstrafengläubiger verletzt weder eine Schadensminderungsobliegenheit noch handelt er treuwidrig, wenn er ein wegen Verzugs des Schuldners erworbenes Rücktrittsrecht in dem hierfür vertraglich vorgesehenen Zeitraum ausübt. Insbesondere besteht keine Obliegenheit des Vertragsstrafengläubigers, von einem Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner noch eine Chance darauf zu geben, dass die Strafe, wie § 341 Abs. 3 BGB bestimmt, nicht mehr verlangt werden könnte, wenn der Gläubiger sich das Recht dazu bei der Annahme der Erfüllung nicht vorbehalten sollte (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24 –, Rn. 31).
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