BGH: Zur Wiedereinsetzung im Berufungsverfahren

28.7.2025
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

1. Ist eine Partei deshalb verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, weil das Berufungsgericht die Anforderungen an eine erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO überspannt und daher die nachgesuchte Fristverlängerung rechtswidrig versagt, läuft die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO), ab Zugang des die Fristverlängerung ablehnenden Beschlusses.
2. Ob das auch dann gilt, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel noch während laufender Wiedereinsetzungsfrist verwirft und seine Entscheidung später im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Bestand hat, kann offenbleiben.
BGH, Beschluss vom 9. Juli 2025 – IV ZB 15/25

A. Problemstellung
Was ein Berufungsführer unternehmen muss, dessen (erster) Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom Berufungsgericht zu Unrecht zurückgewiesen und dessen Berufung wegen Fristversäumung verworfen worden ist, hatte der IV. Zivilsenat zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde dagegen, dass das Berufungsgericht seine Berufung erneut wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels als unzulässig verworfen hat. Gegen das am 18. März 2024 zugestellte Urteil des Landgerichts hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten mit am 21. Mai 2024 beim OLG eingegangenen Schriftsatz beantragt, die an diesem Tag ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 21. Juni 2024 zu verlängern. Das OLG hat den Fristverlängerungsantrag abgelehnt, auf die beabsichtigte Verwerfung des Rechtsmittels hingewiesen und dieses mit Beschluss vom 5. Juni 2024 als unzulässig verworfen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 5. Juni 2024 – 1 U 65/24). Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hat der IV. Zivilsenat des BGH durch Beschluss vom 23. Oktober 2024 den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – IV ZB 20/24; dazu: Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 9/2025 Anm. 6).
Der Beschluss des BGH ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. November 2024 zugestellt worden. Nach Eingang der Akten beim OLG Anfang Januar 2025 hat dieses den Kläger mit Beschluss vom 28. April 2025 auf die beabsichtigte Verwerfung seines Rechtsmittels hingewiesen und mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung erneut als unzulässig verworfen. Zwar sei zu Gunsten des Klägers zu unterstellen, dass er während des - ersten - Rechtsbeschwerdeverfahrens ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Begründung seiner Berufung einzuhalten. Diese Verhinderung habe indes zum Zeitpunkt der Zustellung des BGH-Beschlusses vom 23. Oktober 2024 an ihn respektive seinen Prozessbevollmächtigten am 7. November 2024 geendet. Nachdem zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Frist ebenso wie die bis zum 21. Juni 2024 zu bewilligende Frist zur Begründung der Berufung abgelaufen gewesen sei, sei der Kläger gehalten gewesen, gemäß § 233 Satz 1 ZPO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu stellen und die Berufung zugleich zu begründen. Weder sei ein solcher Antrag - zumal noch in der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO - gestellt noch sei fristgerecht ein weiterer Fristverlängerungsantrag vorgelegt worden.
Die – erneute – Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung als unzulässig verworfen, weil es ohne Rechtsfehler die Frist zur Begründung des Rechtsmittels als versäumt erachtet hat. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat der Kläger die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Er hat die Berufung weder innerhalb der bis zum 21. Mai 2024 laufenden (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Frist begründet noch hat er nach Ablehnung seines Fristverlängerungsgesuchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Ist eine Partei deshalb verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, weil das Berufungsgericht die Anforderungen an eine erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO überspannt und daher die nachgesuchte Fristverlängerung rechtswidrig versagt, läuft die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO), ab Zugang des die Fristverlängerung ablehnenden Beschlusses. Ob das auch dann gilt, wenn das Berufungsgericht - wie hier geschehen - das Rechtsmittel noch während laufender Wiedereinsetzungsfrist verwirft und seine Entscheidung später im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Bestand hat, kann offenbleiben. Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht zu Gunsten des Klägers unterstellt, er sei während des Rechtsbeschwerdeverfahrens an einer Einhaltung der Frist zur Begründung der Berufung verhindert gewesen, wäre die Wiedereinsetzungsfrist jedenfalls spätestens mit Zustellung des Senatsbeschlusses vom 23. Oktober 2024 am 7. November 2024 in Gang gesetzt worden. Einen Wiedereinsetzungsantrag hat der Kläger aber nicht gestellt.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, war das Berufungsgericht nicht gehalten, aufgrund der Aufhebung des ersten Verwerfungsbeschlusses durch den Senat zunächst erneut über den Fristverlängerungsantrag vom 21. Mai 2024 zu entscheiden. Die begehrte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Juni 2024 kam zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht. Ihr kam auch im Übrigen keine Bedeutung mehr zu, weil das Berufungsgericht innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist über die Verlängerung entschieden hatte. Damit wurde die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Die vom Kläger vertretene Auffassung, das Berufungsgericht habe nach Zurückverweisung der Sache erneut eine Frist zur Berufungsbegründung setzen müssen ist mit den prozessualen Vorgaben nicht zu vereinbaren.

C. Kontext der Entscheidung
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe die vorgetragene Arbeitsüberlastung seines Prozessbevollmächtigten nicht glaubhaft gemacht. Dafür hat sich das OLG vom BGH im ersten Rechtsbeschwerdeverfahren attestieren lassen müssen, dass „eine solche unüblich strenge, über die von der einschlägigen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen hinausgehende Praxis des Berufungsgerichts sich nicht mehr im Rahmen zulässiger, am Einzelfall orientierter Ermessensausübung“ bewege (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – IV ZB 20/24 –, Rn. 8). Der BGH hat deshalb den Beschluss des OLG, mit dem die Berufung mangels Begründung verworfen worden ist, aufgehoben. Über den Fristverlängerungsantrag hat der BGH jedoch nicht entschieden, was auch nicht in seiner Kompetenz gelegen hätte. Der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter hätte daher in dieser Konstellation beantragen müssen, ihm Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Dafür stand ihm die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung. Der BGH konnte, weil auch in dem für den Kläger günstigsten Fall, die Monatsfrist abgelaufen war, offenlassen, wann die Frist im entschiedenen Fall zu laufen begonnen hatte. Der den sichersten Weg einhaltende Rechtsanwalt sollte davon ausgehen, dass die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung, die binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zur Einhaltung der Frist einzureichen sind, mit dem Zugang eines eine Fristverlängerung rechtswidrig ablehnenden Beschlusses beginnt (BGH, Beschluss vom 14. September 2021 – VI ZB 58/19 –, Rn. 16). Es spricht nichts dagegen, die Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag mit dem Zugang des die Fristverlängerung ablehnenden Beschlusses beginnen zu lassen. Entsprechend hat der BGH für den vergleichbaren Fall entschieden, dass über einen Fristverlängerungsantrag bei Ablauf des beantragten Verlängerungszeitraums noch nicht entschieden hat. Hat das Berufungsgericht über einen ersten Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist noch nicht entschieden, muss der Prozessbevollmächtigte das Berufungsklägers zur Einreichung der Begründung jedenfalls den von ihm selbst beantragten Verlängerungszeitraum berücksichtigen. Wird die Begründungsfrist schließlich erst nach Einreichung der Begründung antragsgemäß verlängert und ist danach die Begründungsfrist versäumt, kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1993 – LwZB 2/93).

D. Auswirkungen für die Praxis
Ein Wiedereinsetzungsgesuch muss nicht ausdrücklich erklärt werden, er kann auch konkludent in einem Schriftsatz enthalten sein (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2018 – VIII ZB 61/17 –, Rn. 17, mwN.). Für die Annahme eines solchen konkludent gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist zunächst erforderlich, dass der Rechtsmittelführer eine Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zumindest für möglich hält und vorsorglich Ausführungen zu Wiedereinsetzungsgründen macht, mithin zum Ausdruck bringt, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift fortsetzen zu wollen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2023 – VIII ZB 17/22 –, Rn. 26). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass die versäumte Prozesshandlung nachgeholt wird. Dies verlangt das Gesetz schließlich auch für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO, die in Frage kommt, wenn ein konkludenter Antrag auch durch Auslegung nicht festgestellt werden kann. § 236 Abs. 2 Satz2 ZPO will verhüten, dass eine Wiedereinsetzung an einem Behördenverschulden jeglicher Art scheitert (Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 236 Rn. 5). Da im entschiedenen Fall der Kläger die Berufung nicht begründet und damit die versäumte Prozesshandlung nicht nachgeholt hat, kam die Gewährung einer Wiedereinsetzung von Amts wegen jedoch nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2025 – IV ZB 15/25 –, Rn. 9).

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.

Telefonisch erreichen Sie uns von Montag bis Freitag
in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr.