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25.9.2025
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BGH: Anforderungen an Fristwahrung

1. Das Verschulden des Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten einer Partei oder eines Beteiligten an einer Fristversäumung kann nur bei einem anderweitigen - der Partei oder dem Beteiligten nicht zuzurechnenden - Ereignis entfallen, das ursächlich für die Fristversäumung geworden ist.
2. Die Versäumung einer Mitteilung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht entbindet den Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers nicht von der Verpflichtung zur Einreichung der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht.
BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – XII ZB 69/25

A. Problemstellung
Der XII. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob einer Partei Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu gewähren ist, wenn ihr Bevollmächtigter die Rechtsmittelbegründung verfahrensrechtswidrig beim Ausgangsgericht eingereicht hat, weil ihm das Aktenzeichen des Rechtsmittelverfahrens nicht mitgeteilt worden war.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit am 5. September 2024 zugestelltem Beschluss zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Hiergegen hat der Antragsgegner fristgerecht beim AG Beschwerde eingelegt. Mit an das AG gerichtetem Schriftsatz vom 5. November 2024 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Beschwerde begründet. Die vom AG weitergeleitete Beschwerdebegründung ist am 6. November 2024 beim OLG eingegangen. Auf Hinweis des OLG hat der Antragsgegner sodann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und zur Begründung ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist weder vom Beschwerdegericht eine Eingangsbestätigung und die Mitteilung eines Aktenzeichens erhalten noch habe das Amtsgericht eine Abgabemitteilung erteilt. Ohne Kenntnis des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens, das ihm erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist mitgeteilt worden sei, habe keine formell korrekte und eindeutige Beschwerdebegründung abgefasst und beim OLG eingereicht werden können. Mangels gerichtlicher Information über den Fortgang des Verfahrens sei nur die Einreichung der Beschwerdebegründung beim AG erfolgversprechend gewesen. Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, weil den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ein diesem zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung treffe, das darin liege, dass er die Beschwerdebegründung am Tag des Fristablaufs beim insoweit unzuständigen AG eingereicht habe. Der Verfahrensbevollmächtigte hätte sich beim Beschwerdegericht nach dem Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens erkundigen und die Beschwerdebegründungsschrift, die im Übrigen auch ohne Angabe des Aktenzeichens dem richtigen Verfahren hätte zugeordnet werden können, dort einreichen müssen. Jedenfalls hätte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Beschwerdebegründungsschrift unter den gegebenen Umständen so frühzeitig dem AG zuleiten müssen, dass dieses den Schriftsatz noch rechtzeitig vor Fristablauf im ordentlichen Geschäftsgang an das Beschwerdegericht hätte weiterleiten können. Schließlich hätte es nahegelegen, die Begründungsschrift zur Vermeidung einer Verfristung vorsorglich sowohl beim AG als auch beim Beschwerdegericht einzureichen.
Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass die Beschwerdebegründung entgegen § 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG nicht binnen zwei Monaten ab schriftlicher Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses beim Beschwerdegericht eingegangen ist.  Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde sind auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt. Denn der Antragsgegner hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Vielmehr beruht das Versäumnis auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, das er sich nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist trifft, weil dieser die Beschwerdebegründung am Tag des Fristablaufs beim - insoweit unzuständigen - AG und nicht bei dem hierfür zuständigen OLG eingereicht hat. Insbesondere entbindet eine - selbst unverschuldete - Unkenntnis des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens den Verfahrensbevollmächtigten nicht von der sich aus § 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergebenden Verpflichtung zur fristgerechten Einreichung der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht. Schon deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass es dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nach der zutreffenden Auffassung des Beschwerdegerichts ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre, das Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens beim Beschwerdegericht zu erfragen.
Mit ihrem Einwand, das Beschwerdegericht habe mit seinem Versäumnis, gleich nach Eingang der Verfahrensakten eine Eingangsmitteilung unter Angabe des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens zu erteilen, die entscheidende Ursache für die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist gesetzt, hinter der ein etwaiges Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zurücktrete, dringt die Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht durch. Das Verschulden des Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten einer Partei oder eines Beteiligten kann nur bei einem anderweitigen - der Partei oder dem Beteiligten nicht zuzurechnenden - Ereignis entfallen, das ursächlich für die Fristversäumung geworden ist. Dies ist bei der unterbliebenen Mitteilung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht nicht der Fall, weil die (auch unverschuldete) Unkenntnis des Aktenzeichens den Verfahrensbevollmächtigten nicht der Verpflichtung zur Einreichung der Beschwerdebegründungsschrift beim Beschwerdegericht enthebt.

C. Kontext der Entscheidung
Ein früheres Verschulden des Prozessbevollmächtigten einer Partei schließt die Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sogenannte "überholende Kausalität"). In einem solchen Fall tritt das mitursächliche Verschulden des Prozessbevollmächtigten einer Partei hinter eine wesentliche andere Ursache zurück und ist damit bei wertender Würdigung des Ursachenverlaufs die rechtliche Erheblichkeit des Anwaltsverschuldens zu verneinen (BGH, Beschluss vom 17.06.2025 – VIII ZB 54/24 –, Rn. 43, m.w.N.). Das ist etwa angenommen worden, wenn der Rechtsanwalt zwar schuldhaft einen Schriftsatz zu unterschreiben vergisst, dies aber rechtzeitig bemerkt worden wäre, wenn der Bürovorsteher es nicht unterlassen hätte, die ausgehende Post weisungsgemäß in dieser Hinsicht zu prüfen. Dieses Verschulden des Prozessbevollmächtigten schloss die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus, weil der Prozessbevollmächtigte im Rahmen seiner Büroorganisation durch eine allgemeine Anweisung an seine Angestellten Vorsorge dafür getroffen hat, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Berufungsbegründungsfrist – trotz seines Versehens – mit Sicherheit gewahrt worden wäre (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1984 – IVb ZB 103/84 –, Rn. 12, m.w.N.). Zu Recht stellt der Senat fest, dass ein Fall überholender Kausalität bei der unterbliebenen Mitteilung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht nicht vorliegt, weil die Unkenntnis des Aktenzeichens den Verfahrensbevollmächtigten nicht der Verpflichtung zur Einreichung der Beschwerdebegründungsschrift beim Beschwerdegericht enthebt (BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – XII ZB 69/25 –, Rn. 12). Für die fristgemäße Einreichung der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht war die Angabe des dortigen Aktenzeichens nicht nötig, wie sich aus der unter D. referierten Rechtsprechung ergibt, die dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners offenkundig nicht bekannt war.

D. Auswirkungen für die Praxis
Einem bestimmenden Schriftsatz muss zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren er eingereicht werden soll. Im Hinblick auf eine einzuhaltende Frist ist für den Eingang des Schriftsatzes und daher für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Gericht allein entscheidend, ob der Schriftsatz vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufende Gericht gelangt ist. Unerheblich ist dagegen, ob der Schriftsatz durch ein falsches oder fehlendes Aktenzeichen nicht direkt in die für die Sache bereits angelegte Akte eingeordnet worden konnte. Denn die ZPO schreibt die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor (BGH, Beschluss vom 29.05.2024 – IV ZB 14/22). Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Dem Schriftsatz muss jedoch zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren er eingereicht werden soll (BGH, Beschl. v. 12.03.2024 - VI ZR 166/22 Rn. 13).

24.9.2025
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BGH: Zur Vollstreckung der Bauhandwerkersicherung (§ 650f BGB)

1. Ein Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB wird gemäß § 887 ZPO vollstreckt.
2. Auch bei der Vollstreckung eines Titels über einen Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB kann der Gläubiger, der Hinterlegung als Art der Sicherheitsleistung gewählt hat, vom Schuldner gemäß § 887 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des zu hinterlegenden Betrags an sich selbst und nicht lediglich an die Hinterlegungsstelle verlangen.
BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – VII ZB 4/25

A. Problemstellung
Der titulierte Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB wird als vertretbare Handlung gemäß § 887 ZPO vollstreckt. Dabei kommt dem Gläubiger mit Beginn der Zwangsvollstreckung die Wahl der Art der Sicherheitsleistung aus § 232 BGB oder § 650f Abs. 2 BGB zu, wie § 264 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB bestimmt. Wählt er die Hinterlegung, war bisher höchstrichterlich nicht entschieden, ob der Gläubiger vom Schuldner gemäß § 887 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des zu hinterlegenden Betrags an sich selbst oder lediglich an die Hinterlegungsstelle verlangen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Versäumnisurteil, mit dem die Schuldnerin verurteilt worden ist, an sie eine Sicherheit gemäß § 650f BGB in Höhe von 224.325,95 € für Vergütungsansprüche zu leisten. Auf Antrag der Gläubigerin hat das Landgericht die Gläubigerin nach § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigt, die der Schuldnerin auferlegte Handlung durch Hinterlegung des entsprechenden Betrags bei der Hinterlegungsstelle des AG Karlsruhe vornehmen zu lassen; die Schuldnerin habe die Vornahme der Handlung zu dulden. Zugleich hat es die Schuldnerin nach § 887 Abs. 2 ZPO verpflichtet, einen Vorschuss in Höhe des Sicherungsbetrags zum Zwecke der Hinterlegung bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Karlsruhe an die Gläubigerin zu zahlen. Diesen Beschluss hat das Beschwerdegericht auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin dahingehend abgeändert, dass die Schuldnerin verpflichtet ist, den Sicherungsbetrag zu Gunsten der Gläubigerin an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts zu zahlen. Es sei umstritten, ob der Gläubiger einer Bauhandwerkersicherung im Vollstreckungsverfahren nach Ausübung der Wahl zu Gunsten der Hinterlegung Zahlung an sich selbst oder nur an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts verlangen könne. Das Beschwerdegericht schließe sich der Auffassung an, nach der Zahlung nur an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts - und damit nicht an den Gläubiger - verlangt werden könne. Eine andere Handhabung hätte zur Folge, dass die Gläubigerin im Vollstreckungsverfahren etwas erlangen würde, auf das sie materiell-rechtlich keinen Anspruch habe; nach § 650f BGB könne sie lediglich Stellung einer Sicherheit verlangen. Hierin bestehe der Unterschied etwa zu einer Verurteilung zur Beseitigung von Mängeln. Bei einer Zahlung in das frei verfügbare Vermögen des Gläubigers bestehe neben der Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung der Sicherheitsleistung auch das Risiko, dass eine (zunächst) dem Gläubiger zufließende Sicherheit von dessen Gläubigern gepfändet werden könnte, bevor der Gläubiger die Hinterlegung vornehmen könne.
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hat Erfolg. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB als vertretbare Handlung gemäß § 887 ZPO vollstreckt wird, wobei dem Gläubiger mit Beginn der Zwangsvollstreckung die Wahl der Art der Sicherheitsleistung aus § 232 BGB oder § 650f Abs. 2 BGB zukommt (§ 264 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB). Hiernach ist der Gläubiger gemäß § 887 Abs. 1 ZPO auf Antrag zu ermächtigen, auf Kosten des Schuldners die Handlung vornehmen zu lassen. Nach § 887 Abs. 2 ZPO kann der Gläubiger zugleich beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen, die durch die Vornahme der Handlung entstehen werden. Nach allgemeiner Auffassung ist diese Vorauszahlung vom Schuldner an den Gläubiger zu leisten (Nachweise Rn. 14). Für die Zwangsvollstreckung wegen einer Sicherheitsleistung, insbesondere die Vollstreckung des Anspruchs gemäß § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB, gilt nichts Anderes. Auch bei der Vollstreckung eines Titels über einen Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB kann der Gläubiger, der Hinterlegung als Art der Sicherheitsleistung gewählt hat, vom Schuldner gemäß § 887 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des zu hinterlegenden Betrags an sich selbst und nicht lediglich an die Hinterlegungsstelle verlangen. Die Vorschrift des § 887 ZPO regelt die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung vertretbarer Handlungen einheitlich, ohne nach dem Inhalt der geschuldeten Handlung zu differenzieren. Eine Verurteilung zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB weist keine Besonderheiten auf, die eine einschränkende Anwendung des § 887 ZPO rechtfertigen würden.
Dafür spricht nicht der Umstand, dass der Gläubiger mit der Vorauszahlung etwas erlangt, auf das er materiell-rechtlich keinen Anspruch hat. Ein Gläubiger hat in allen Fällen einer Zwangsvollstreckung gemäß § 887 ZPO materiell-rechtlich (nur) einen Anspruch auf Durchführung der jeweiligen (nach dem Inhalt des Titels vom Schuldner dem Gläubiger) geschuldeten Handlung. Der Zahlungsanspruch ergibt sich nicht aus dem materiellen Recht, sondern nach der Ermächtigung des Gläubigers zur Vornahme der Handlung gemäß § 887 Abs. 1 ZPO aus § 887 Abs. 2 ZPO. Wie auch bei der Vollstreckung zur Erwirkung anderer vertretbarer Handlungen darf der Gläubiger die Vorauszahlung nicht behalten, sondern hat sie zweckgebunden zur Vornahme der geschuldeten Handlung - der Sicherheitsleistung durch Hinterlegung - zu verwenden. Der Vorauszahlungsanspruch dient der Verwirklichung des titulierten Anspruchs, ersetzt ihn aber nicht. Die Gefahr, dass Gläubiger des Gläubigers bei diesem die Vorauszahlung pfänden, noch bevor er sie zur Hinterlegung verwenden kann, ist der Regelung des § 887 Abs. 2 ZPO immanent. Sie besteht - ebenso wie die Möglichkeit der zweckwidrigen Verwendung durch den Gläubiger - bei der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung jeder vertretbaren Handlung. Der Schuldner ist jedenfalls durch den ihm zustehenden Abrechnungs- und Rückzahlungsanspruch geschützt. Zwar ist dieser erforderlichenfalls in einem eigenständigen Klageverfahren geltend zu machen. Der etwaig nötige Aufwand ist aber dem Schuldner, der sich durch Nichterfüllung des titulierten Anspruchs selbst der Zwangsvollstreckung ausgesetzt hat, zuzumuten. Eines weiteren Schutzes davor, dass der Gläubiger sich bereits die Erfüllung des durch eine geschuldete Sicherheit gesicherten Hauptanspruchs verschaffen könnte, bedarf es nicht; ein solcher ist im Gesetz in § 887 ZPO nicht angelegt.

C. Kontext der Entscheidung
Mit dem Beschluss wird zunächst die bisher schon herrschende Auffassung höchstrichterlich bestätigt, dass der Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB gemäß § 887 ZPO vollstreckt wird (zur Abgrenzung vertretbarer von nicht vertretbaren Handlungen: Seibel in: Zöller ZPO, 36. Aufl. 2025 § 887 Rn 3 mit Nachweis der umfangreichen Kasuistik). Darüber hinaus steht durch den Beschluss fest, dass der Gläubiger, der Hinterlegung als Art der Sicherheitsleistung gewählt hat, vom Schuldner gemäß § 887 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des zu hinterlegenden Betrags an sich selbst und nicht lediglich an die Hinterlegungsstelle verlangen kann. Dazu lässt der Senat lässt offen, ob durch die Zahlung in das Vermögen des Gläubigers ein Sicherungstreuhandverhältnis entsteht, das der Schuldnerin im Falle der Zwangsvollstreckung eines Dritten in das Vermögen des Gläubigers die Erhebung einer Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO ermöglichen würde. Er weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass der Schuldner eines Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB solche Gefahren abwenden kann, indem er seiner Verpflichtung zur Sicherheitsleistung in anderer Weise nachkommt, da er sich auch nach Beginn der Zwangsvollstreckung noch von der Verbindlichkeit befreien kann, wie § 264 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB vorsieht (BGH, Beschluss vom 20.08.2025 – VII ZB 4/25 –, Rn. 19, m.w.N.).

D. Auswirkungen für die Praxis
Höchstrichterlich ist dagegen nicht entschieden, ob für die vorläufige Vollstreckung einer Bauhandwerkersicherung gemäß § 650f BGB eine Sicherheitsleistung zu erbringen ist (dagegen: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Teilurteil vom 6. 09.2023 – 12 U 59/23). Teilweise wird die volle Höhe der vom Auftraggeber zu stellenden Sicherheit (zzgl. Aufschlag für Kosten und weitere Schäden) für maßgeblich gehalten (OLG Karlsruhe, Teilurt. v. 11.10.2016 - 8 U 102/16; OLG Hamm, Teilurt. v. 09.01.2019 - I-12 U 123/18). Diese Auffassung vernachlässigt, dass der Schuldner nicht zur Zahlung des von der Sicherheitsleistung erfassten Betrages verurteilt worden ist, sondern (lediglich) zur Stellung einer Sicherheit. Dies verbietet es, den Streitwert der Klage nach § 650f BGB mit der zu sichernden Forderung gleichzusetzen. Ebenso ist es aus den oben dargestellten Gründen nicht erlaubt, auf eine Sicherheitsleistung gänzlich zu verzichten. Angebracht erscheint statt dieser beiden Extrempositionen die Wahl eines Mittelwegs, den das OLG Hamburg gesucht und gefunden hat (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15, dazu: Münch, jurisPR-PrivBauR 11/2016 Anm. 5). Dabei geht es von der Grunderwägung aus, dass, wenn die Befugnis des Gläubigers zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 709 Satz 1 ZPO von der Erbringung einer vorherigen Sicherheitsleistung abhängt, diese dem Interesse des Schuldners dient und ihm vollen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren soll, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Vollstreckung duldet, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann, wozu vor allem ein etwaiger Ersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners nach § 717 Abs. 2 ZPO gehört (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 Rn. 5). Zu berücksichtigen seien daher die Kosten des Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung der Sicherheitsleistung. Außerdem seien die Avalzinsen für eine Bürgschaft zu berücksichtigen, die mit 2% der Sicherheitssumme über einen Zeitraum von fünf Jahren anzusetzen seien, dem voraussichtlichen Zeitraum für das Herausgabeverfahren nebst Rechtsmittelverfahren. Außerdem sei ein Sicherheitszuschlag von 5% des ausgeurteilten Betrages gerechtfertigt. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass es im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu einer Vorschusszahlung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO komme und dass Gläubiger des Vollstreckungsgläubigers auf den Vorschussbetrag zugreifen könnten. Dieses – geringe – Risiko sei mit 5% der zu leistenden Bauhandwerkersicherung zu bewerten (OLG Hamburg, Teilurt. v. 23.10.2015 - 9 U 91/15 Rn. 7-9). Die Berechnungsweise durch das OLG Hamburg, der sich auch das OLG Celle angeschlossen hat (OLG Celle, Beschl. v. 20.06.2017 - 5 W 18/17 Rn. 10), überzeugt grundsätzlich, wenn man auch über einzelne Bewertungen streiten mag. Ihr hat sich auch das Kammergericht angeschlossen. Danach ist die erstinstanzliche Verurteilung eines Werkbestellers zur Sicherheitsleistung nur gegen Sicherheitsleistung gemäß § 709 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Vollstreckungssicherheit gemäß § 709 ZPO ist nicht mit dem Betrag der Sicherheit gemäß § 650f BGB (evtl. mit einem Zuschlag) anzusetzen. Sie ist an den geschätzten Kosten zu orientieren, die dem Besteller durch die ausgeurteilte Sicherheitsleistung im Zeitraum ab Erlass des erstinstanzlichen Urteils bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sicherungsprozesses entstehen können (KG, Teilurt. v. 07.05.2024 - 21 U 129/23).

22.9.2025
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BGH: Zum Zurechnungszusammenhang

Soll mittels eines Mahnbescheids die Verjährung einer Forderung gehemmt werden, individualisiert der anwaltliche Mahnantrag die Forderung des Mandanten aber nicht hinreichend, besteht zwischen einer diesem Umstand zugrunde liegenden anwaltlichen Pflichtverletzung und der Kostenlast des Mandanten infolge der späteren Rücknahme des Mahnantrags durch dessen neuen Prozessbevollmächtigten kein Zurechnungszusammenhang, wenn eine tatsächliche Verjährung der anderweitig verfolgten Forderung nicht festgestellt ist.
BGH, Urteil vom 24. Juli 2025 – IX ZR 92/24

A. Problemstellung
Mit den Voraussetzungen des Zurechnungszusammenhangs zwischen einer anwaltlichen Pflichtverletzung (hier: unzureichend individualisierter Mahnbescheid) und der den Mandanten treffenden Kostenlast bei späterer Rücknahme des Mahnantrags hatte sich der IX. Zivilsenat zu befassen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Gesellschafter der Beklagten A und B (Gesellschafter) beschlossen in einer Gesellschafterversammlung am 24. September 2019, gegen ihre Mitgesellschafterin C (Mitgesellschafterin) Schadensersatzansprüche wegen Untreue- und Schädigungshandlungen geltend zu machen. Diese erhob noch im Jahr 2019 Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluss. Die Gesellschafter und damaligen Geschäftsführer der Beklagten suchten am 22. Dezember 2020 die klagende Anwaltsgesellschaft auf und führten mit einem Sozius, dem Drittwiderbeklagten, ein Mandatsgespräch. Sie behaupteten, dass sich die Mitgesellschafterin während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Beklagten über Jahre in erheblichem Umfang am Gesellschaftsvermögen bereichert habe. Sie habe dabei mit ihrer bei der Beklagten in der Buchhaltung beschäftigten Mutter zusammengewirkt. Sie wollten daher Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter geltend machen. Hierzu beauftragte die Beklagte die Klägerin mit ihrer Vertretung. Im Anschluss an dieses Gespräch übersandte die Beklagte der Klägerin am 30. Dezember 2020 eine E-Mail mit einer Tabelle zu den von ihr behaupteten, zahlreichen Einzelforderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter. Noch am 30. Dezember 2020 beantragte die Klägerin auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen den Erlass von zwei Mahnbescheiden, und zwar gegen die Mitgesellschafterin in Höhe von 1.363.880,80 € sowie gegen diese und deren Mutter als Gesamtschuldner in Höhe von 1.122.601,33 €. Gegen die Mahnbescheide legten die Mitgesellschafterin und ihre Mutter jeweils Widerspruch ein. Eine Abgabe der Verfahren an das im Mahnbescheid benannte Gericht unterblieb. Anspruchsbegründungen erfolgten nicht. Am 16. Februar 2021 kündigte die Beklagte das der Klägerin erteilte Mandat und beauftragte einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Der neue Prozessbevollmächtigte, der von den Mahnbescheiden wusste, erhob wegen der behaupteten Schadensersatzansprüche in dem von der Mitgesellschafterin anhängig gemachten Beschlussanfechtungsrechtsstreit ab dem 22. Februar 2021 sukzessiv erweiterte Widerklagen gegen diese und Drittwiderklagen gegen deren Mutter. Nachdem die Mitgesellschafterin und ihre Mutter eine anderweitige Rechtshängigkeit aufgrund der Mahnbescheide geltend gemacht hatten, nahm der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Mahnanträge am 13. April 2023 zurück. Auf Antrag der Mitgesellschafterin und deren Mutter erlegte das Mahngericht der Beklagten die Kosten der Mahnverfahren auf.
Die Klägerin verlangt die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für die beiden Mahnverfahren in Höhe von insgesamt 12.894,56 € von der Beklagten. Mit ihrer Widerklage und Drittwiderklage begehrt die Beklagte von der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten die Zahlung der von ihr in den beiden Mahnverfahren aufgewendeten Gerichtskosten sowie der an die Mitgesellschafterin und deren Mutter für deren anwaltliche Vertretung in diesen Verfahren erstatteten Rechtsanwaltsgebühren von 15.657,62 € als Schadensersatz. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage sowie die Drittwiderklage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage und zum Erfolg von Widerklage und Drittwiderklage geführt. Die Beklagte könne dem Gebührenanspruch der Klägerin gemäß § 242 BGB einen Schadensersatzanspruch wegen anwaltlicher Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB entgegenhalten. Wegen der Pflichtverletzung von Klägerin und Drittwiderbeklagtem sei auch die Widerklage begründet. Die Pflichtverletzung liege in der unterbliebenen Aufklärung der Beklagten über die Aussichtslosigkeit der in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung. Die Aussichtslosigkeit folge daraus, dass die Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in den beiden Mahnanträgen nicht hinreichend individualisiert worden seien und demzufolge nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Kostenauslösende Mahnanträge ohne belastbare Grundlage ins Blaue hinein hätten auch nicht dem Gebot des sichersten Weges entsprochen. Vielmehr sei eine Beratung dahingehend geboten gewesen, dass zwar die Ansprüche zum 31. Dezember 2020 verjähren könnten, soweit sie nicht ohnehin bereits verjährt gewesen seien, hinsichtlich der einzelnen Ansprüche aber eine Beurteilung der Verjährungsfrage und die für die Hemmung notwendige Individualisierung nach den von der Beklagten gemachten, unzulänglichen Angaben nicht möglich seien und daher von einer Mahnantragstellung zum Ende des Jahres abgesehen werden sollte. Unter Zugrundelegung der Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens sei weiter anzunehmen, dass die Beklagte diesem Rat auch gefolgt wäre und den Auftrag zur Einreichung der Mahnanträge nicht erteilt hätte. Die Rücknahme der Mahnanträge durch den neuen Prozessbevollmächtigten und die von diesem erhobene Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit habe auch nicht den Zurechnungszusammenhang unterbrochen. Vielmehr sei die Entscheidung für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen die weitere Mitgesellschafterin und deren Mutter im Wege der (Dritt-)Widerklage durch prozesstaktische Erwägungen gerechtfertigt gewesen.
Die Revision, mit der die Klägerin und der Drittwiderbeklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der in zweiter Instanz erweiterten Widerklage und Drittwiderklage erstreben, hat Erfolg. Aufgrund der Revisionszulassung allein zugunsten der Klägerin und des Drittwiderbeklagten steht für das Revisionsverfahren fest, dass der Klägerin - wie das Berufungsgericht angenommen hat - aufgrund der Vertretung der Beklagten in den Mahnverfahren ein Anspruch auf gesetzliche Gebühren in Höhe von insgesamt 12.894,56 € zusteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Beklagte dem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht deshalb eine dolo-agit-Einrede entgegenhalten, weil die Klägerin einen nicht ausreichend individualisierten Mahnbescheidsantrag erhoben und die Beklagte über die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung durch einen Mahnbescheid nicht ausreichend aufgeklärt hat. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Zurechnungszusammenhang zwischen einer unterstellten anwaltlichen Pflichtverletzung der Klägerin bei der Beratung der Beklagten und dem durch die Mahnanträge und die Rücknahme der Mahnanträge entstandenen Kostenschaden nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe pflichtgemäß von der Beantragung der beiden Mahnbescheide abraten müssen, weil die Rechtsverfolgung durch Mahnantrag aussichtslos gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche mit Blick auf eine wegen fehlender Informationen von Seiten der Beklagten nicht mögliche Individualisierung der einzelnen Forderungen nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Das Berufungsgericht hat aber nicht festgestellt, dass Ansprüche der Beklagten gegen ihre Mitgesellschafterin und deren Mutter in der in den Mahnbescheiden geltend gemachten Höhe nicht bestehen, insbesondere nicht, dass diese Ansprüche zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich ganz oder teilweise verjährt waren. Für die revisionsgerichtliche Prüfung ist deshalb zugrunde zu legen, dass die Ansprüche bestehen und nicht verjährt sind. Auszugehen ist ferner davon, dass die Beklagte ihre angeblichen Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in voller Höhe gerichtlich durchsetzen wollte.    
Auf dieser Grundlage kann die Beklagte den behaupteten Kostenschaden nicht wegen der von dem Berufungsgericht angenommenen Pflichtwidrigkeit von der Klägerin erstattet verlangen. Denn es fehlt an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der - unterstellt - verletzten Norm und den im Mahnverfahren entstandenen Kosten. Grundsätzlich haftet derjenige, der für ein schädigendes Ereignis verantwortlich ist, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile. Jedoch darf dem Anspruchsgegner nur der Schaden zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm eingetreten ist. Dieser Grundsatz gilt auch im Vertragsrecht. Der Rechtsanwalt hat daher nur für solche Nachteile einzustehen, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat. Nach den getroffenen Feststellungen ging es in dem Beratungsgespräch vom 22. Dezember 2020 darum, eine - aus der Sicht ex ante eventuell - drohende Verjährung von Forderungen der Beklagten zu vermeiden und dieses Ziel durch die Beantragung der beiden Mahnbescheide und die damit verbundene Hemmung der Verjährung zu erreichen. Dieses Ziel bedingte die Notwendigkeit einer genügenden, nach der Annahme des Berufungsgerichts jedoch im Streitfall wegen des Fehlens hinreichender Informationen nicht möglichen und auch nicht erfolgten Individualisierung der mit den Mahnanträgen zu verfolgenden Forderungen im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sowie eine Aufklärung der Beklagten über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit gestellten Anforderungen. Der Zweck dieser anwaltlichen Beratungspflicht bestand mithin in der Abwehr von solchen Schäden des Mandanten, die aus der Verjährung seiner Forderung resultieren können, wenn insbesondere nämlich eine hinreichende Individualisierung pflichtwidrig unterbleibt und der Ablauf der Verjährungsfrist deshalb nicht gehemmt wird. Darum geht es im Streitfall mit Blick auf die Kosten des Mahnverfahrens jedoch nicht. Die Belastung der Beklagten mit den Anwaltsgebühren für die Tätigkeit der Klägerin im Mahnverfahren sowie mit den Gerichtsgebühren und den Anwaltskosten der Gegenseite im Mahnverfahren steht mit der gegebenenfalls verletzten anwaltlichen Beratungspflicht - Empfehlung der Beantragung von Mahnbescheiden trotz fehlender Individualisierung der Forderungen - nicht im Zusammenhang. Es handelt sich vielmehr um Kosten, die im Rahmen der von der Beklagten bis heute in vollem Umfang gewünschten Durchsetzung ihrer behaupteten und nach den (fehlenden) Feststellungen nicht verjährten Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter so oder so entstanden wären, insbesondere, weil sie auf die Kosten eines nachfolgenden Klageverfahrens anzurechnen sind. Die Beantragung der Mahnbescheide hat keine Mehrkosten gegenüber einer Klage verursacht. Ebensowenig genügen die Feststellungen des Berufungsgerichts, um eine Kostenhaftung der Klägerin deshalb zu bejahen, weil die erlassenen Mahnbescheide für die Beklagte von vornherein nutzlos gewesen sind oder die mit den Mahnbescheiden beabsichtigte Rechtsverfolgung ganz oder teilweise ohne Aussicht auf Erfolg gewesen ist. Dass die Mahnbescheide - wie das Berufungsgericht annimmt - nicht geeignet waren, die Verjährung der mit den Mahnbescheiden verfolgten Ansprüche zu hemmen, ist für sich genommen kein ausreichender Grund für eine Haftung auf den Kostenschaden. Die Kostentragung der Beklagten im Mahnverfahren beruht vielmehr allein auf ihrer Entscheidung, der Klägerin das Mandat zu entziehen, ihren neuen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, die in Frage stehenden Forderungen im Wege der Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit statt im Wege der Beantragung des streitigen Verfahrens und einer nachfolgenden Anspruchsbegründung geltend zu machen und sodann die Mahnanträge zurückzunehmen. Dieser Schaden beruht weder auf der unzureichenden Individualisierung der Mahnanträge noch auf einer Verjährung von Ansprüchen. Die Gefahr, die in der Beantragung von nicht genügend individualisierten Mahnanträgen liegt, die mögliche Verjährung von Forderungen wegen unterbliebener Hemmung der Verjährungsfrist, hat sich mithin nicht verwirklicht.
Das Urteil ist danach aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob sich eine Haftung der Klägerin für die mit dem Mahnverfahren ausgelösten Kosten aus anderen von der Beklagten geltend gemachten Gründen ergeben kann.

C. Kontext der Entscheidung
Es entspricht ständiger Rechtsprechung auch des u.a. für die Anwalts- und Steuerberaterhaftung zuständigen IX. Zivilsenats, dass grundsätzlich derjenige, der für ein schädigendes Ereignis verantwortlich ist, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile haftet. Der Grundsatz, dass derjenige, der pflichtwidrig ein schädigendes Ereignis verursacht, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten Schadensfolgen haftet, gilt nicht ohne Einschränkungen. Dem Anspruchsgegner darf nur der Schaden zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm eingetreten ist. Dieser auch im Vertragsrecht geltende Grundsatz bedeutet für den Bereich der Anwalts- und Steuerberaterhaftung, dass der Berater nur für solche Nachteile einzustehen hat, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat (BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 – IX ZR 122/04 –, Rn. 8, m.w.N.). Nach der vom Bundesgerichtshof grundsätzlich für Schadensersatzansprüche aller Art anerkannten Schutzzwecklehre besteht daher eine Schadensersatzpflicht nur dann, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm oder Pflicht fällt. Bei Vertragsverletzungen muss es sich also um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte vertragliche Pflicht übernommen worden ist (BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 – III ZR 206/01 –, Rn. 17, m.w.N.).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB aber nicht rückwirkend, sondern erst ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – VII ZR 255/21). Im Mahnbescheid kann zur Bezeichnung des geltend gemachten Anspruchs auf Rechnungen oder andere Unterlagen Bezug genommen werden; wenn ein solches Schriftstück dem Antragsgegner bereits bekannt ist, braucht es dem Mahnbescheid nicht in Abschrift beigefügt zu werden. Den in § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aufgestellten Anforderungen an eine Individualisierung des im Mahnbescheid bezeichneten Anspruchs kann aber unter bestimmten Umständen auch dann genügt sein, wenn zwar eine im Mahnbescheid in Bezug genommene Anlage weder diesem beigefügt noch dem Schuldner zuvor zugänglich gemacht worden ist, jedoch die übrigen Angaben im Mahnbescheid eine Kennzeichnung des Anspruchs ermöglichen (BGH, Urt. v. 17.11.2010 - VIII ZR 211/09 Rn. 11). Auch kann die im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids enthaltene Falschangabe des Datums eines vorprozessualen Anspruchsschreibens, auf das der Antragsteller, ohne es dem Antrag beizufügen, zur Individualisierung seines Anspruchs Bezug nimmt, unschädlich sein, wenn für den Antragsgegner ohne weiteres ersichtlich ist, um welches Schreiben es sich handelt (BGH, Versäumnisurt. v. 14.07.2010 - VIII ZR 229/09). Die Zustellung eines Mahnbescheids, mit dem ein Teilbetrag aus mehreren Einzelforderungen geltend gemacht wird, hemmt die Verjährung nicht, wenn eine genaue Aufschlüsselung der Einzelforderungen unterblieben ist und die Individualisierung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist im anschließenden Streitverfahren nachgeholt wird (BGH, Urt. v. 21.10.2008 - XI ZR 466/07).

19.9.2025
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BGH: Zur Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren

Eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht.
BGH, Beschluss vom 23. Juli 2025 – VII ZB 26/23

A. Problemstellung
Der VII. Zivilsenat des BGH hatte die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstrittene Frage (dazu: Schwenker, jurisPR-PrivBauR 7/2025 Anm. 5) zu entscheiden, ob eine im selbständigen Beweisverfahren nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangene Kostenentscheidung ihre Wirksamkeit verliert, wenn im nachfolgenden Klageverfahren eine abweichende Kostenentscheidung ergeht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nach Beendigung des von den Klägern gegen die Beklagte eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens ist den Klägern durch Beschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO eine Frist von einem Monat zur Erhebung der Klage gesetzt worden. Nach Ablauf der Frist hat das Landgericht beschlossen, dass die Kläger die Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren zu tragen haben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kläger ist erfolglos geblieben. Im sich anschließenden Klageverfahren hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits den Klägern zu 19 % und der Beklagten zu 81 % auferlegt. Die Berufung der Beklagten ist vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen worden. Das Landgerichthat sodann einen Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen, in dem es die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren in Höhe von 4.200,04 € in der Weise berücksichtigt, dass die Beklagte 1.869,27 € (19 %) von den Klägern erstattet verlangen könne und 3.434,43 € (81 %) selbst zu tragen habe. Die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte geltend gemacht hat, dass ihre Kosten im selbständigen Beweisverfahren entsprechend der dort ergangenen Kostengrundentscheidung von den Klägern zu tragen seien, ist erfolglos geblieben.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Im Kostenfestsetzungsbeschluss ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nur 19 % der ihr im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten von den Klägern ersetzt verlangen kann und den Rest selbst zu tragen hat. Ein selbständiges Beweisverfahren kann gemäß § 485 Abs. 1 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auch außerhalb eines Streitverfahrens und - wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist - in Form der schriftlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen unter den Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO beantragt werden. Es steht, wenn sich eine Partei auf die Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, im Prozess beruft, gemäß § 493 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich. Voraussetzung ist lediglich, dass wie hier eine (zumindest teilweise) Identität zwischen den Parteien und den Gegenständen beider Verfahren besteht. Wird ein solcher Rechtsstreit (später) geführt, umfassen dementsprechend die Kosten dieses Rechtsstreits auch die Kosten des (vorangegangenen) selbständigen Beweisverfahrens. Da über die Kosten des Rechtsstreits im Klageverfahren nach den hierfür geltenden Vorschriften entschieden wird, ergeht im selbständigen Beweisverfahren, wenn in ihm verwertbare Beweise erhoben worden sind, grundsätzlich keine Kostenentscheidung.    
Ausnahmsweise enthält § 494a Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens nach Beendigung der Beweisaufnahme keinen Rechtsstreit gegen den Antragsgegner einleitet, die Möglichkeit, auf Antrag einen Kostenbeschluss zugunsten des Antragsgegners zu erwirken, nach dem der Antragsteller die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Vorschrift soll die Lücke schließen, die dann entsteht, wenn es zu keiner späteren Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits kommt. In diesem Fall soll der Antragsgegner durch § 494a ZPO kostenrechtlich so gestellt werden, als habe er obsiegt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Antragsteller nicht durch Unterlassen einer Klageerhebung der Kostenpflicht entgehen soll, die sich bei Abweisung einer solchen Klage ergeben würde, und der Antragsgegner andernfalls keine Möglichkeit hätte, seine im selbständigen Beweisverfahren entstandenen (notwendigen) Kosten aufgrund eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs ersetzt zu verlangen. Diesem Zweck entsprechend ist schon dann keine Möglichkeit mehr gegeben, gemäß § 494a Abs. 2 ZPO einen Kostenbeschluss im selbständigen Beweisverfahren zu erwirken, wenn der Antragsteller zwar erst nach Ablauf der ihm nach § 494a Abs. 1 ZPO gesetzten Frist zur Klageerhebung, jedoch vor der Entscheidung über den Kostenantrag Klage gegen den Antragsgegner erhoben hat. Denn eine solche Kostenentscheidung ist nicht als Sanktion für die Fristversäumnis des Antragstellers gedacht, sondern soll den Antragsgegner in Bezug auf seine Kostenlast schützen, wenn es anderweitig nicht zu einer die materielle Rechtslage berücksichtigenden Kostenentscheidung kommt. Die Fristsetzung nach § 494a Abs. 1 ZPO dient dazu, Klarheit darüber zu schaffen, ob eine solche Kostenentscheidung erfolgen wird. Sie hat im Übrigen keine weiteren Folgen. Insbesondere kann der Antragsteller auch bei einer nach Fristablauf erhobenen Klage gegen den Antragsgegner gemäß § 493 ZPO das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens im Prozess benutzen.    
Der Bundesgerichtshof hat bisher nicht entschieden, in welchem Verhältnis ein gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ergangener Kostenbeschluss zu der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in einem späteren Klageverfahren steht. Der Senat hat zuletzt die Frage offengelassen, ob eine nachträglich im Klageverfahren vom Gericht getroffene Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert, weil dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (BGH, Beschluss vom 27.10.2021 - VII ZB 7/21 Rn. 14). Die Frage ist zu bejahen. Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO über die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gebieten eine einschränkende Auslegung der Vorschrift. Die Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht. Wie oben dargelegt kann es unabhängig von einer erfolglosen Fristsetzung gemäß § 494a Abs. 1 ZPO und damit auch von einem anschließend gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ergangenen Kostenbeschluss jederzeit noch zu einem nachfolgenden Klageverfahren kommen, in dem gemäß § 493 ZPO die selbständige Beweiserhebung wie eine Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht behandelt wird. In diesem Fall umfasst die dort zu treffende Kostenentscheidung über die Kosten des Rechtsstreits auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens. Unproblematisch betrifft dies immer die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens und die dem damaligen Antragsteller dort entstandenen außergerichtlichen Kosten. Es besteht keine Veranlassung, die dem damaligen Antragsgegner entstandenen Kosten, obwohl auch sie nunmehr von den Kosten des Rechtsstreits umfasst sind, hiervon auszunehmen, weil über sie bereits gemäß § 494a Abs. 2 ZPO entschieden worden ist. Denn der oben bereits dargelegte Zweck dieser Kostenentscheidung wird hinfällig, sobald es - entgegen der Prognose aufgrund der Versäumung der Frist des § 494a Abs. 1 ZPO - zu einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in einem Klageverfahren kommt. In dem Rechtsstreit kann nun auch über die dem damaligen Antragsgegner entstandenen Kosten nach den allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Rechtslage befunden werden. Kommt es danach zu einer von der Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO abweichenden Kostenentscheidung, besteht keine Rechtfertigung mehr für die Rechtsfolge des § 494a Abs. 2 ZPO, die dort beschiedenen Kosten so zu verteilen, als habe der Beklagte und damalige Antragsgegner obsiegt. Denn es gibt keine materiell-rechtlich beachtliche Erwägung, warum es in Fällen wie dem vorliegenden zu inhaltlich auseinanderfallenden Kostenentscheidungen hinsichtlich der Kosten des Antragsgegners im selbständigen Beweisverfahren und der sonstigen Kosten im selbständigen Beweisverfahren (Kosten des Antragstellers, Gerichtskosten) kommen sollte. Bei einem derartig verstandenen Inhalt eines Kostenbeschlusses gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ändert dessen Rechtskraft nichts an der Abänderung durch eine Entscheidung über die Kosten eines nachfolgenden Rechtsstreits.

C. Kontext der Entscheidung
Verstreicht die dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens nach dessen Beendigung gesetzte Frist zur Klageerhebung fruchtlos, wird nach § 494a Abs. 2 ZPO zum Nachteil des Antragstellers fingiert, dass er den Rechtsstreit in der Hauptsache verloren und deshalb die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der selbstständigen Beweiserhebung zu tragen gehabt hätte. Bisher höchstrichterlich nicht entschieden war die Frage, in welchem Verhältnis die Kostengrundentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu der steht, die in einem - verspätet erhobenen – nachfolgenden Folgeprozess ergeht. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wurden dazu bisher zwei Auffassungen vertreten (ausführlich referiert in: OLG Hamm, Beschluss vom 28. September 2023 – I-25 W 234/23 –, Rn. 17 - 21). Nach einer Auffassung fällt die Kostengrundentscheidung aus dem Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO durch die spätere Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht weg. Begründet wird dies damit, dass der Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO wegen seiner Eigenschaft als Vollstreckungstitel eine vom weiteren Verlauf des späteren Hauptsacheverfahrens losgelöste endgültige Kostengrundentscheidung darstelle; das Gericht des Hauptsacheverfahrens sei daran gebunden, und die Entscheidung erwachse in formelle Rechtskraft (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juni 1996 – 9 W 43/96). Ein anderes Verständnis sei von Wortlaut und Zweck des Gesetzes nicht mehr gedeckt. Die andere Auffassung meint, der Kostenbeschluss habe nur vorläufigen Charakter, wenn später noch Klage erhoben werde, und stehe unter der auflösenden Bedingung einer im Hauptsacheverfahren ergehenden abweichenden Kostenentscheidung. Argumentiert wird mit dem Vorrang des materiellen Rechts (OLG München, Beschluss vom 11. Januar 2021 – 11 W 1558/20). Das folge daraus, dass die Kosten des auf tatsächliche Feststellungen beschränkten selbstständigen Beweisverfahrens solche des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens sind und die Entscheidung über diese Kosten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Auch nach Fristablauf habe der Gesetzgeber keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens nicht mehr zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden könne; es bleibe bei der Regelung des § 493 Abs. 1 ZPO, wonach eine Gleichbehandlung mit der Beweisaufnahme vor dem Gericht der Hauptsache erfolge. Dagegen ist eingewandt worden, dass der rechtskräftige Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2 ZPO schon wegen seiner Eigenschaft eines Vollstreckungstitels eine vom weiteren Verlauf des folgenden Hauptsacheverfahrens unabhängige endgültige Entscheidung darstelle, die nicht stillschweigend auflösend bedingt durch eine abweichende Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren sei. Der nach § 494a Abs. 2 ZPO Unterliegende bleibe auch dann in der Haftung, wenn er später in der Hauptsache obsiegt. Das sei auch bei einer späteren Kostenentscheidung in der Hauptsache unter Einbeziehung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu beachten (Anders/Gehle/Bünnigmann, 83. Aufl. 2025, ZPO § 494a Rn. 25). Es gehe nicht an, den gleichen Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen (OLG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – I-11 U 247/21 –, Rn. 47).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die forensische Praxis wird in Folge des Beschlusses des VII. Zivilsenats davon ausgehen müssen, dass auch eine rechtskräftige Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren abgeändert werden kann. Von der tragenden Begründung, die Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren stehe unter der stillschweigenden Bedingung ihrer Nichtabänderung in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren, findet sich allerdings in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 494a ZPO nichts (BT-Drucksache 11/8283, 47f.). Der Kostenentscheidung nach § 494a ZPO kommt vielmehr – formelle und materielle - Rechtskraft zu, wie sich auch aus § 494a Abs. 2 Satz 2 ZPO ergibt. Eine relative Rechtskraft, wie der BGH sie jetzt annehmen will, war bisher unbekannt. Die Rechtsprechung hat sich bisher, wenn die Rechtskraft zu unerträglichen Ergebnissen führte, mit der Klage nach § 826 BGB geholfen, ohne zu dem Konstrukt einer relativen Rechtskraft greifen zu müssen. Die jetzt vom VII. Zivilsenat gefundene Lösung kollidiert mit der Rechtssicherheit. Dieser kommt im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang zu (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 – VIII ZR 282/00 Rn. 36). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Gesetz auch anordnet, dass die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht (§ 493 Satz 1 ZPO). Kommt es zum Hauptsacheprozess, sind daher die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens Teil der Kosten dieses Rechtsstreits und nach Maßgabe der Notwendigkeit zu erstatten (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 490 Rn. 7). Die Anwendbarkeit der §§ 91ff. ZPO auch auf die Kosten der Beweisaufnahme durch das selbständige Beweisverfahren, die bereits durch einen Beschluss gem. § 494a ZPO Abs. 2 ZPO gegen den Antragsteller jenes Verfahrens festgesetzt worden sind, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu § 494a Abs. 2 ZPO. Es gilt nach wie vor: „Die Regelung des § 494a ZPO ist nicht wirklich durchdacht sowie ziemlich unvollständig und hat sich in der Praxis als weitestgehend unzureichend erwiesen.“ (Herget, MDR 2016, 943). Nach bisheriger allgemeiner Ansicht muss die Rechtskraft nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 BGB ist jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt geblieben, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde (BGH, Beschluss vom 26. April 2023 – IV ZB 11/22 –, Rn. 19, m.w.N.; dazu: Thode, jurisPR-BGHZivilR 21/2023 Anm. 4).

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